Nuala
Der goldene Gesang auf meiner Zunge, zergangen
Die goldene Zunge schenkt Gesang, verlangend
Aus Die Goldene Zunge:
Gedichte von Steven Slaughter
Ich wusste nicht recht, was ich empfand. Das Lied, das James gerade gespielt hatte, schwoll an in meinem Kopf, und es war so schön, dass ich davon wie trunken war. Beinahe hatte ich vergessen, wie herrlich es sich anfühlte, meine Inspirationen lebendig werden zu lassen – auch ohne dass ich James dafür Energie genommen hätte. Plötzlich fand ich es sehr anstrengend, meine menschliche Hülle zu tragen.
»Ich gehe jetzt«, sagte ich zu James, duckte mich unter seinem Arm hindurch und stand auf.
Noch immer starrte er mit steifen Schultern auf die Klaviatur hinab.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«, fragte ich. »Ich gehe.«
Endlich blickte James auf, und aus irgendeinem Grund überraschte mich die Feindseligkeit in seinen Augen. »Tu mir einen Gefallen«, erwiderte er. »Komm nicht zurück.«
Ich sah ihn lange an und dachte ernsthaft daran, ihn zu blenden, um ihn zu bestrafen. Ich wusste, dass das in meiner Macht lag. Ich hatte schon einmal gesehen, wie eine Fee das getan hatte: Sie hatte einem Mann in die Augen gespuckt, als sie gemerkt hatte, dass er sie sehen konnte, während sie die Straße entlanggelaufen war. Das hatte nur eine Sekunde gekostet. Und James sah mir direkt ins Gesicht.
Doch dann schaute ich in James’ haselnussbraune Augen. Ich stellte mir vor, wie er mit weiten, nutzlosen Pupillen blind in die Welt starrte wie dieser Mann.
Und ich brachte es nicht fertig.
Ich wusste nicht, warum.
Also ging ich einfach. Ich stolperte leicht auf dem Weg hinaus in den Flur und machte mich unsichtbar, ehe ich die Tür hinter mir schloss. Sobald ich aus dem Übungsraum geflüchtet war, hatte ich es so eilig, nach draußen zu kommen, dass ich auf dem Korridor fast mit einer Frau zusammenstieß. Rasch drückte ich mich gegen die Wand, und sie wandte den Kopf und hob die Hände mit den rosa lackierten Nägeln wie Klauen. Ich war ganz sicher, dass sie in meine Richtung schnupperte, was zu der Art bizarrem Verhalten gehörte, das ich von Feen erwartete, aber nicht von Menschen.
Ich konnte es kaum erwarten, dass dieser merkwürdige Tag endlich ein Ende nahm. Ich entfernte mich wirbelnd aus ihrer Reichweite und gelangte hinaus in den Sommerabend. Draußen versuchte ich, James’ Blick zu vergessen und so zu tun, als hätte mir seine Bitte, nicht wiederzukommen, gar nicht weh getan.