15

Notaras-Palast, Konstantinopel

Er sah gut aus. Nichts erinnerte mehr an den linkischen Siebzehnjährigen, der einst, nachdem ihn der Vater im Jähzorn beinahe totgeschlagen hatte, nach Bursa gegangen war, um bei dem Juden Jakub Alhambra das Kaufmannshandwerk zu erlernen. Im ersten Moment hatte Eirene den schlaksigen jungen Mann, der über das ganze Gesicht grinste, gar nicht erkannt.

»Habe ich mich so verändert?«, fragte Demetrios.

»Nein, ja, ach, du bist es ja! Es ist einfach schön, dass du endlich wieder da bist!« Sanft schlug sich Eirene die Handflächen vor das Gesicht. Dann umarmte sie ihn so ungestüm, dass er ein wenig zurückzuckte.

»Mutter, Vater! Demetrios ist zurückgekehrt«, rief sie in wilder, kleinmädchenhafter Begeisterung, sodass sie auf einmal jünger als ihr Schwager wirkte. Während Anna wie ein Sausewind zur Treppe stürmte, dann aber, im Bewusstsein, in die Öffentlichkeit zu treten, ganz junge Dame, die sie mit ihren zwölf Jahren ja nun auch war, gesittet, zugleich aber auch etwas mondän und besonders, vor allem anderen ganz Prinzessin, die Treppe hinunterschritt, kamen vom Hinterausgang der kleine Demetrios und Theodora mit ihrem Stoffhund Dimmi in der Hand aus dem Garten gerannt, sich einen kleinen Wettkampf liefernd. Die drei Geschwister bauten sich quirlig vor dem fremden Onkel auf, von dem sie so viel gehört hatten. Oh ja, geheimnisvoll war er für sie, aber nicht fremd, dazu erzählten ihre Eltern zu oft von ihm. Demetrios gab den Kindern sehr ernsthaft nacheinander die Hand. »Du, junge Dame, musst Anna sein.«

»Ich muss nicht nur, ich will auch Anna sein«, parierte sie hoheitsvoll, wie man es in dieser Überzeugung nur in diesem Alter kann. Theodora hingegen schleuderte ohne Vorwarnung ihrem Onkel, der sich zu ihr beugte, mit ausgestrecktem Arm ihren Hund entgegen, sodass beider Nasen fast aufeinandertrafen. Demetrios stutzte kurz, weil er das Kuscheltier so dicht vor Augen hatte, dass es ihm kaum gelang, daran vorbeizuschauen.

»Schön, dich wiederzusehen, Dimmi«, sagte er. Einer der Briefe seines Bruders hatte ihn darüber informiert, dass seine Nichte das Kuscheltier nach dem Schenker, also nach ihm benannte. Dann befühlte er den Bauch des Stoffhundes. »Prall gefüllt. Ich merke, dass dich Theodora gut hält.«

»Hast du mir eigentlich was mitgebracht?«, platzte der kleine Demetrios dazwischen.

Eirene schüttelte peinlich berührt den Kopf und ließ ein rügendes »Demetrios!« vernehmen. Das nahm der ältere Demetrios zum Anlass, um sich gespielt verunsichert umzusehen. »Hab ich irgendetwas angestellt? Ich bin mir keiner Schuld bewusst.« Er hob abwehrend die Arme und zwinkerte seinem Neffen verschwörerisch zu.

»Nicht du! Der junge Mann weiß schon, wen ich meine«, sagte Eirene und drohte mit ihrem Zeigefinger in Richtung Mitri.

»Sicher habe ich dir etwas mitgebracht, Mitri, genauso wie deinen Schwestern.«

Demetrios schaute auf und entdeckte in dem Flur, der zum Garten führte, seine Mutter und seinen Vater, die sich bei den Händen hielten und ihn musterten. Es erschütterte ihn, wie sehr sie in den letzten zehn Jahren gealtert waren.

Thekla ließ die Hand ihres Mannes los und ging schnellen Schrittes auf ihren Sohn zu. »Lass dich anschauen! Du bist … du bist …«

»Na, keinesfalls abgemagert, gute Mutter, bei der guten Küche im Hause Jakubs.« Thekla liefen Tränen der Freude über die Wangen. Endlich erhielt sie ihren zweiten Sohn zurück. Sie fuhr ihm zärtlich, als konnte sie ihr Glück kaum fassen, immer wieder durchs Haar und umarmte ihn. »Ach, du! Gut siehst du aus!« Dann ließ sie ihn los, weil sie wusste, dass es nun Zeit für Vater und Sohn war. Wie sehr hoffte sie, dass es gut gehen möge!

Der alte Seeräuber verharrte immer noch unsicher im Gang. Die Jahre beugten ihn. Auch hatte er abgenommen, sodass sein Gesicht fast ein wenig eingefallen wirkte. Da stand also der Mann, vor dem er so lange Angst gehabt hatte, bis in den Schlaf, bis in die Träume hinein, und den er nie aufgehört hatte zu lieben. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, nicht unangenehm, aber unentschieden. Demetrios straffte sich. Nicht sein Vater, spürte er instinktiv, nur er konnte die Kraft aufbringen, die Mauer, die zwischen ihnen die Vergangenheit aufgerichtet hatte, zu durchbrechen. Mit einem sanften Lächeln ging er auf seinen Vater zu und wirkte auf einmal größer als er. Nikephoros wippte unsicher von einem Fuß auf den anderen. Mit einer Souveränität, die allein aus Liebe kam, umarmte der Sohn plötzlich den Vater und spürte dabei wehmütig, wie zerbrechlich der alte Mann geworden war. »Ich will dir verzeihen, wenn auch du mir verzeihen kannst«, flüsterte er.

»Wieso dir? Ich habe dir nichts zu verzeihen«, antwortete der Alte verunsichert.

»Doch, Vater! Ich habe dich hintergangen und dich belogen.« Und dann sagte Demetrios etwas, das dem alten Seeräuber zu Herzen ging, als Freude und als Schmerz zugleich: »Ich habe dich vermisst, Vater. All die Jahre. Wenn du mich aufnimmst, will ich nicht mehr fortgehen.«

»Ich habe dich auch vermisst, Sohn!«, gestand der Alte leise ein und wischte sich verstohlen das Wasser aus den Augen.

»Was treibt ihr eigentlich dahinten?«, rief ihnen Eirene zu.

»Wir fragen uns, welches Begrüßungsessen du für meinen heimgekehrten Sohn auftischen wirst. Und wage es ja nicht zu geizen!«, rief vergnügt der Alte. Altersbrüchig ist seine einst kräftige Stimme geworden, dachte Demetrios. Vom oberen Treppenpodest aus fühlte er sich beobachtet, deshalb warf er einen Blick dorthin und entdeckte einen Mann, wohl in seinem Alter, dessen Schlankheit im Gegensatz zu seiner Schlaksigkeit herb wirkte. Der Blick seiner stechenden Augen grenzte an Körperverletzung.

»Wer ist das?«, fragte er in die Runde und wies mit dem Kopf nach oben.

Eirene folgte seinem Blick und erklärte: »Gennadios Scholarios, Annas Hauslehrer.«

»Was lernst du denn bei dem?«

»Lesen und schreiben und rechnen, aber auch wie es mit Gott ist.«

»Und wie ist es mit Gott?«, fragte er seine Nichte.

»Das ist es ja eben! Ich glaube fast, er weiß es selbst nicht. Aber verrat mich bitte nicht«, raunte sie ihm zu.

»Nein, aber Geheimnis gegen Geheimnis, Nichte.« Und schon flüsterte er ihr ins Ohr: »Ich habe in Bursa drei Götter kennengelernt.«

Anna riss die Augen auf. »Drei?«

»Ja, drei, den Gott der Juden, den Gott der Türken und den Gott der Christen, also unseren.«

»Und wie sind sie?« Anna bekam vor Aufregung Flecken im Gesicht. Drei Götter, nicht auszudenken!

»Wenn ich es dir sage, darfst du es keinem verraten. Versprochen?«

»Versprochen. Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen!«

»Gut, ich glaube, die drei Götter sind ein und derselbe Gott, nur verschieden gekleidet. Verstehst du? Gott liebt es, sich zu verkleiden.« Vor Schreck hielt sich Anna den Mund zu.

»Wer flüstert, der lügt«, rief Theodora, die sich ausgeschlossen fühlte, in patzigem Ton.

»Ja wirklich, was habt ihr die ganze Zeit da zu tuscheln?«, unterstützte Eirene den Protest ihrer jüngeren Tochter.

»Nichts, nichts«, sagte Anna mit unschuldigem Augenaufschlag.

»Gar nichts«, bestätigte Demetrios. Sowohl Eirene als auch die eifersüchtige Theodora schauten Onkel wie Nichte skeptisch an.

»Wir haben nur über Gott gesprochen«, log Anna mit der Wahrheit und platzte fast vor Vergnügen. Der Schalk ihn ihren Augen warf Junge wie ein Kaninchen.

»Über Gott?« Eirene schüttelte den Kopf.

»Wer’s glaubt, wird selig«, spottete Theodora.

Das alles schmälerte mitnichten das Vergnügen, das Demetrios empfand. Doch einen Menschen vermisste er schmerzlich. »Wo ist Loukas? Auf hoher See?«

»Nein, Loukas fährt nicht mehr zur See. Er ist bei der Sitzung im Geheimen Rat. Aber das ist nicht weniger gefährlich, als auf dem Meer herumzuschippern, nur viel ärgerlicher!«, sagte Eirene.