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Notaras-Palast, Konstantinopel

Während Eudokimos die Mannschaft zusammenstellte und das Schiff zum Auslaufen vorbereitete, beriet Nikephoros sich in seinem Palast mit Thekla und Eirene. Wenn man es geschickt anstellen würde, ließe sich die Heirat seines Sohnes mit der Enkelin des Kaisers vielleicht sogar verwirklichen. Zwar führten sich die großen Geschlechter des Reiches gern auf römische Vorfahren zurück, deshalb nannten sie sich auch Rhomäer, aber bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass alle mächtigen Familien in Konstantinopel erst vor vierhundert Jahren aufgestiegen waren und mit Konstantin dem Großen, dem Gründer der Stadt, oder mit Justinian, dem Erbauer der Hagia Sophia, nicht das Geringste gemein hatten, nicht einen Tropfen Blut.

Der Aufstieg der Notaras war also prinzipiell möglich, konstatierte Nikephoros kühl, aber er würde auf Widerstand stoßen, denn die Palaiologen, die Komnenen, die Angeloi und Doukai wollten niemanden in ihren erlauchten Zirkel der Macht hineinlassen. In den letzten zweihundert Jahren hatten unzählige Hochzeiten untereinander ein starkes Netz der Verwandtschaft als Form ihrer Macht geflochten. Es war nicht nur das Liebesglück seines Sohnes, das Nikephoros zum Handeln trieb, sondern auch der Aufstieg seiner Familie, die plötzlich zu den Verwandten des Kaisers und damit zum innersten Kreis der Macht gehören könnte. Diese Chance bot sich nur einmal. Die Stellung der Notaras hatte eine kritische Größe erreicht. Weitergehen oder sich einschränken – diese Frage stellte sich mit jedem Erfolg dringlicher. Das Risiko entsprach dem Gewinn. Den letzten Gedanken behielt Nikephoros allerdings für sich, er wollte nicht, dass Eirene ihn für berechnend hielt. Es war jetzt nur wichtig, keinen Fehler zu begehen. Nikephoros beschloss, einen Boten zum Kaiser zu schicken und Manuel um eine Privataudienz unter vier Augen zu bitten.

Eirene nahm schweren Herzens Abschied von Loukas. Nikephoros gab ihr zwei Diener als Begleitschutz mit. Sie meinte zwar, das sei nicht notwendig, doch der alte Seeräuber bestand darauf.

Kaum hatte sie durch die Säulenhalle der Loggia ihren Palast im Blachernenviertel betreten, als ihr im Vestibül die Zofe auf der Treppe entgegenkam. Aus ihren weit aufgerissenen graublauen Augen sprach Empörung.

»Wo wart Ihr nur? Euer Vater hat schon mehrmals nach Euch gefragt!«, rief sie vorwurfsvoll. »Ihr sollt sofort zu ihm kommen!« Die Zofe schüttelte missbilligend den Kopf. »So eine Aufregung auch«, stöhnte sie und griff sich ans Herz, das sich irgendwo unter dem großen, heftig wogenden Busen befinden musste.

»Ach, Polina, beruhige dich und vertrau mir!« Eigentlich hieß die Zofe Apostolia, aber alle nannten sie nur Polina. »Wo finde ich ihn denn?«

»Im Empfangssaal. Aber er ist nicht allein. Seine Hoheit Fürst Alexios ist bei ihm«, fügte Polina warnend hinzu.

Ein Schatten fiel auf Eirenes Miene. Unwillkürlich schlug sie einmal kurz und hart mit der Reitgerte ins Leere, sodass die Luft pfiff.

»Lasst sie lieber hier«, riet Polina besorgt.

»Meinetwegen, auch wenn ich sie gut zu gebrauchen wüsste.« Im Vorbeigehen reichte sie der Zofe die Reitgerte und begab sich in den Empfangssaal.

Was sie dort sah, missfiel ihr. Die beiden Männer wirkten im besten Einvernehmen, wie sie in den großen Ledersesseln vor dem Kamin saßen und ins Feuer starrten. Hatte sie im ersten Moment lieber kehrtmachen wollen, so überkam sie jetzt eine böse Lust. Mit funkelnden Augen ging sie auf die beiden Männer zu. Andronikos sah sie an. Er hasste es, zu seinem einzigen Kind streng zu sein.

»Wo warst du?«

»Ich habe mich um die Opfer gekümmert!«

Die Antwort erstaunte ihren Vater, während Alexios siegesgewiss lächelte.

»Welche Opfer?«

»Die die Eitelkeit dieses Mannes reißt!«

»Dieser Mann, Eirene, wird dein Mann. Also erweise ihm die Ehre.«

»Wie geht das, guter Vater? Einem Menschen die Ehre erweisen, der keine Ehre im Leib hat? Soll ich ihm meine Ehre schenken und erhalte dafür als Gegenleistung seine Schande, sodass er in Saus und Braus von meiner Ehre leben darf, während ich von seiner Schande zehren muss? Wahrlich ein schlechtes Geschäft!«

Die Beleidigung traf die Eitelkeit des Fürsten wie ein Peitschenhieb. Er sprang auf. Andronikos tat es ihm gleich und hob beschwichtigend die Hände.

»Verzeiht meiner Tochter. Es ist nur die Angst vor der Ehe, die ihr solche Worte eingibt.«

»Ihr nehmt diese Beleidigung sofort zurück, sonst verklage ich Euch beim Kaiser!«, rief Alexios.

»Um mich in den Turm werfen zu lassen?«, fragte Eirene mit provozierender Belustigung.

»Nein, um die Mitgift zu erhöhen«, beschied er sie kalt. Und zu Andronikos gewandt sagte er drohend: »Die Frechheit Eurer Tochter wird Euch ein hübsches Sümmchen kosten.«

»Wenn es dem großen Ehrenmann nur ums Geld geht, lieber Vater, ich bitte Euch, dann gebt ihm das Doppelte, und nie wieder soll vom Heiraten die Rede sein. Er kann sich von der einen Hälfte eine Braut kaufen und von der anderen einen neuen Waffenmeister zulegen. Sein Verbrauch an derlei Kreaturen ist immens, wie man hört.«

»Was ist mit meinem Waffenmeister?«, fragte der Fürst, hellhörig geworden.

»Den einen verliert Ihr auf einer Reise, den Nächsten bei einem Auftrag. Mehr muss ich Euch nicht sagen! Ihr wisst es doch selbst am besten.«

Alexios beschlich ein ungutes Gefühl, doch sein Instinkt verriet ihm, dass er von Eirene, die offensichtlich gut unterrichtet war, nicht mehr erfahren würde. Gleich nach seiner Rückkehr in seinen Palast würde er nach Jacques le Lame schicken. Etwas schien schiefgelaufen zu sein.

Dann wandte er sich nur noch dem Despoten von Thessaloniki zu, als wäre Eirene nicht anwesend. »Lieber Vater, ich darf Euch doch so nennen?«

Andronikos nickte leicht.

»Ich schwöre Euch, Eure Tochter zu einer guten Ehefrau zu machen«, sagte Alexios, verneigte sich vor Andronikos und rauschte ab mit all seiner Bedeutung und seinen Vorfahren im Schlepptau.

Als Vater und Tochter allein waren, gingen sie hinüber zur Ottomane. Eirene kuschelte sich an ihren Vater und erzählte ihm von Loukas Notaras, was sie für ihn empfand und was Alexios Angelos getan hatte. Sie schloss ihren Bericht mit einem eindringlichen Appell, wobei sie seine Hand nahm. »Wenn du willst, dass deine Tochter glücklich wird, dann zwinge mich nicht, diesen Mann zu heiraten! Er hat keine Ehre! Und keine Achtung vor mir, wie ich auch nicht vor ihm!«

»Woher willst du das wissen?«

»Du weißt es doch auch, Vater.«

»Schön, er ist vielleicht etwas laut und grob, aber …«

»Er ist laut, er ist grob, er ist hochmütig, wo Christus doch will, dass wir Demut empfinden, und er hat keine Ehre. Ich bleibe dabei!«

»Du bist jung und hast Angst vor der Ehe …«

»Glaubst du das wirklich von deiner Tochter, guter Vater?«, fiel sie ihm ins Wort. »Dann gib mir Loukas Notaras zum Bräutigam, und du wirst sehen, wie die Furcht vor der Ehe wie Eis in der Sonne schmilzt.«

Andronikos stöhnte auf. Das, was er gesehen und gehört hatte, stimmte ihn ohnehin nachdenklich, denn mehr als alles andere lag ihm das Glück seiner Tochter am Herzen – nicht nur, weil er seiner Frau am Sterbebett geschworen hatte, dafür zu sorgen.

»Ich werde Alexios Angelos nicht heiraten«, wiederholte Eirene. »Mir stehen genügend Mittel zu Gebote, um das zu verhindern, und dabei ist die Möglichkeit, ins Kloster zu gehen, die harmloseste. Lieber steige ich in den Sarg als in Alexios’ Brautbett. An der Seite dieses Mannes leben zu müssen wäre der wahre Tod. Willst du das, Vater?«

Sie hatte ruhig, fast zärtlich gesprochen. Andronikos küsste die Hand seiner Tochter. »Auch wenn es eine Sünde ist, so will ich nicht gegen deinen Willen handeln.« Er konnte ihr nichts abschlagen und wollte sie nicht verlieren.

»Ich werde Loukas Notaras heiraten. Ich weiß es, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe.«

»Ein tüchtiger Mann ohne Zweifel«, brummte Andronikos, der den Ärger ahnte, der auf ihn zukam. »Geh zu deiner Großmutter! Sprich mit der Kaiserin. Es wird nicht leicht, aber tu es!«, riet er seiner Tochter. Und er wusste sehr gut, worüber er redete, denn er hatte Angst vor seiner Mutter – noch immer.