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Kaiserpalast, Konstantinopel
Alexios Angelos stank noch animalisch nach Paarung und Wein, als er in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages den Mitkaiser aufsuchte, um sich für seine geheime Mission nach Rumelien zu verabschieden. Johannes, der an Schlaflosigkeit litt, hatte gerade ein Lavendelbad genommen, dessen Duft auch seine Damasttunika verströmte. Ein paar Kerzen brannten noch, ansonsten dösten die Zimmer in der Morgendämmerung. Er beneidete den Fürsten um seine kraftstrotzende Männlichkeit. Kurz ging ihm der Gedanke durch den Kopf, Alexios zu bitten, die ungeliebte Gattin für ihn zu schwängern. Aber dann würde der nächste Kaiser Alexios’ Lenden entsprungen sein – und dieser Gedanke könnte ihn zu einem Komplott mit Sophia von Montferrat verführen, um den Angeloi die Krone zu erobern. Ihn, Johannes, würde jemand töten – Alexios, Sophia, gleich wer. Er traute dem Fürsten den Verrat zwar nicht zu, doch Gelegenheit schaffte Täter. Besser, ihn nicht in Versuchung zu führen, beschloss der Mitkaiser im Stillen.
»Der gute Gott wird mit dir sein«, sagte er laut und schlug das Kreuz über den Fürsten.
Beim Abschied bat Alexios, dass Johannes eine andere Braut für ihn aus der Familie der Palaiologen finden sollte, denn Eirenes Interesse an dem Sohn des Kaufmanns Notaras beleidige ihn. Johannes verstand die jähe Wendung nicht und gab zu bedenken, dass sein Meinungsumschwung etwas spät, vielleicht sogar zu spät käme, denn nun habe sich die Kaiserin der Sache angenommen. Er werde jedoch sehen, was sich machen ließe.
Wenig später preschten dreizehn Reiter durch das Charisius-Tor und folgten der Straße nach Adrianopel, das von den Türken Edirne genannt wurde und zur neuen Hauptstadt der Osmanen aufgestiegen war. Damit dokumentierten sie ihren Willen, nach dem Morgenland nun auch das Abendland zu unterwerfen. Konstantinopel schien in ihren Überlegungen bereits ein Ort der Vergangenheit zu sein, eine unbedeutende Stadt, die sie auf dem Weg nach Europa einfach zu erobern vergessen hatten.
Die Reiter hinterließen eine feine Staubwolke, mit der die Strahlen der Morgensonne spielten, bis der Staub allmählich zu Boden sank. Der Atem der Pferde stieg in die kühle Morgenluft. An der Spitze der Bewaffneten ritt Alexios, der einen dicken schwarzen Mantel über dem Harnisch trug. In den weiten Mantel gehüllt, den Kopf in einen Helm mit einem breiten Nasenschutz gepackt, hätte man ihn nicht ohne Weiteres erkannt. Ihm behagte die Mission, fühlte er sich doch wie der junge Alexander, der aufgebrochen war, die Welt zu erobern. Noch, ihr Herren Türken, habt ihr nicht gesiegt!, dachte er mit wildem Ingrimm. Er würde sich sein Reich schon erkämpfen!
Sein erstes Ziel galt dem Despoten von Serbien, Stephan Lazarewitsch, danach ging es weiter zum Herrscher von Bosnien, Tvrtko II., von dem er sich allerdings nicht viel erhoffte, denn Tvrtko konnte sich nur durch die Unterstützung der Osmanen auf dem bosnischen Thron halten. Sodann wollte sich Alexios gen Buda wenden, um mit dem mächtigen ungarischen König Sigismund zu verhandeln, der auch die deutschen Lande regierte. Schließlich plante er, Radu II. Prasnaglava in der Walachei aufzusuchen. Wo er allerdings Johann Hunyadi, den trotz seiner Jugend bereits legendären Heerführer und umtriebigen Verwalter des Ungarnkönigs, finden sollte, wusste er noch nicht. Gefährliche Monate auf Europas Straßen lagen vor ihm.
Einen Tag später verließ in entgegengesetzter Richtung Georgios Sphrantzes, nachdem er bei einem unverhofften Zusammentreffen mit Eirene bei Hofe die Verachtung der Prinzessin zu spüren bekommen hatte, Konstantinopel in Richtung Trapezunt.
»Du bist ein Schuft, Sphrantzes, die niederste aller Kreaturen!«, hatte sie ihm ins Gesicht geschleudert, und Georgios Sphrantzes beglückwünschte sich, einige Zeit nicht in der Stadt zu sein, bis sich die Gemüter beruhigt hätten. Die Liebe aber hatte er für immer verloren. Zu spät begriff er, dass er für seine Feigheit, niemals um sie gekämpft zu haben, bestraft wurde.