17

Palast des Alexios Angelos, Konstantinopel

Und Alexios Angelos? Fluchte darüber, dass sein Waffenmeister, jetzt, wo er ihn benötigen würde, wie vom Erdboden verschwunden blieb. Eirene hatte dunkle Andeutungen gemacht, aber was zum Teufel hatte sie gemeint? Ihm fehlte die Zeit, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen. Morgen schon würde er nach Rumelien reisen, um ein diplomatisches Netz für Johannes, vor allem aber für sich zu knüpfen, ein Netz, in dem er die Spinne war. Die Bitte, nach Ungarn, in die Walachei, nach Serbien und Albanien zu reisen, kam wie gerufen. Allerdings hatte ihm Johannes nicht verraten, dass auch andere geheime Missionen starteten.

Nach seiner Rückkehr würde endlich geheiratet werden. Johannes hatte versprochen, sich in seiner Abwesenheit um die leidige Angelegenheit zu kümmern. Arme Eirene, was sollte, was konnte sie dagegen schon unternehmen? Doch heute mochte er nicht mehr an diese anstrengende Frau denken, sondern sich vergnügen. Deshalb begab er sich in seinen kleinen Stadtpalast.

In seinem Schlafzimmer ließ sich Alexios gebratenes Huhn und Wein auftischen und schickte nach zwei erfahrenen Hetären, die Phantasie und Geschicklichkeit besaßen und keine Grenzen kannten. Er würde ihnen zuschauen, bis ihn die Lust ankam, mitzumachen. Auf die dürftige Tafel seiner künftigen Frau war er nicht angewiesen.

Im gleichen Augenblick, in dem er in die eine der beiden Hetären eindrang, während die andere von hinten sein Gemächt massierte, riss ihn Gebrüll und der Lärm, den Schwerter verursachen, aus dem seligen Gefühl kosmischen Verströmens. Er kam zu früh, stieß unwillig die Frau weg, die ihn gestreichelt hatte, zog eine weiße Tunika über, die er mit einer roten Kordel verschloss. Dann griff er nach seinem Schwert und lief fluchend die Treppe hinunter.

Im Vestibül stand Nikephoros Notaras. Seine Leute hatten die Diener des Fürsten unter vorgehaltenen Schwertern zu Boden gezwungen. Alexios zog blank.

»Ich bin gekommen, um zu reden, nicht um zu kämpfen«, brummte Nikephoros.

»Ihr seid hier eingedrungen. Dafür werdet Ihr gevierteilt!«

»Bin ich in die Wohnung der Angeloi im Blachernenviertel eingebrochen? Nein! Konnte ich wissen, dass dieses Meuchelmördernest Euch gehört? Nein! Mir hat Jacques le Lame nur gesagt, dass ich hier den Auftraggeber für den Anschlag auf das Leben meines Sohnes finde. Also was wollt Ihr?«

»Ihr werdet gevierteilt, schon weil Ihr mich bei einer dringenden Angelegenheit gestört habt!«

»Übers Vierteilen können wir später immer noch reden. Jetzt aber legt erst einmal das Schwert weg. Dann unterhalten wir uns wie verantwortungsvolle Männer und drohen einander nicht wie dumme Kinder. Oder ich gehe und weiß nichts von der grauenvollen Bluttat, die hier geschieht. Ihr wäret so oder so verloren.«

»Und Ihr auch!«, schäumte Alexios vor Wut.

»Wir sind alle in Gottes Hand.«

Selbst wenn er die Oberhand behielte, dachte Alexios, gäbe es einen Skandal, bei dem vieles zur Sprache kommen würde, das er in der Öffentlichkeit lieber unerwähnt ließe. Also schritt er unwillig die Treppe hinunter.

Einer von den Leuten des alten Seeräubers nahm ihm grinsend das Schwert aus der Hand. Alexios führte seinen ungebetenen Gast in einen kleinen Raum, eine Art Kontor, der vom Vestibül abging. Er zündete einen Leuchter an, der auf einem kleinen runden Tisch stand. Die beiden Männer setzten sich gegenüber.

»Wo ist mein Waffenmeister?«, blaffte Alexios.

Nikephoros ließ sich nicht beirren und entnahm einer Ledertasche ein Schriftstück, das er auf den Tisch legte.

»Was ist das?«

»Ein Brief an Eirene Palaiologina, in dem Ihr Euer Bedauern äußert, dass Ihr Euch anderweitig verliebt habt und sie deshalb weder heiraten könnt noch wollt.«

Fassungslos las der Fürst den Brief, den er abschreiben sollte. Wütend zerriss er das Blatt. »Wie könnt Ihr es wagen, gemeine Krämerseele!«

»Euer Waffenmeister befindet sich in meiner Obhut, wo, spielt keine Rolle«, sagte Nikephoros ruhig.

»Er kann behaupten, was er will. Sein Wort hat gegen meines keinen Bestand.« Alexios lachte lauthals auf. »Und jetzt könnt Ihr gehen, armer alter Narr.«

Doch Nikephoros machte keine Anstalten, sich zu erheben. Seelenruhig legte er ein neues Exemplar des Briefes auf den Tisch. »Es fällt doch auf, dass Euer erster Waffenmeister ein Katalane war und Euer zweiter ein Franke, beides also keine Griechen.«

»Weil die Griechen nicht kämpfen können.«

»Weil die Griechen nicht gegen ihren Kaiser kämpfen werden?«

Empört sprang Alexios auf. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Jacques le Lame belastet Euch schwer. Er behauptet, Xavier del Mar habe die Verbindung zu den Katalanen, besonders zu den katalanischen Seeräubern in der Ägäis hergestellt und er selbst in Eurem Auftrag die zu den Franken auf der Peloponnes und den Inseln. Der Franke schwört, dass Ihr mit den Lateinern ein Bündnis schmieden wollt, um den Kaiser zu stürzen und Euch selbst die Krone aufs Haupt zu setzen.«

Wenn auch das Bündnis erfunden war, so fuhr Nikephoros doch schweres Geschütz auf. Allerdings ahnte er nicht im Geringsten, dass seine phantastische Konstruktion ins Schwarze traf. Alexios unterdrückte einen Fluch und fragte sich, woher der Kaufmann von dem erfahren hatte, was nur er allein wusste. War Magie im Spiel, konnte er hellsehen? Alexios nahm sich vor, vor diesem Mann auf der Hut zu sein.

»Euer Waffenmeister wusste auch zu berichten, dass der Papst Euer geheimes Lustschloss finanziert, damit Ihr unsere heilige Kirche unter das römische Joch zwingt«, fuhr Nikephoros ungerührt fort. Auch das war gelogen, doch der Fürst würde diesen Punkt nicht entkräften können, denn das Geld für seinen Stadtpalast stammte zwar nicht vom Papst, dafür aber von den Venezianern, denen er einen eigenen Hafen in Konstantinopel versprochen hatte.

Der Alte war nicht nur gut informiert, er las zudem in seinem Herzen wie in einem offenen Buch! Dass es dem alten Notaras gelingen würde, diese Aussage aus seinem Waffenmeister herauszuprügeln, daran zweifelte Alexios nicht. Auch nicht daran, dass es ihm im Gegenzug glücken würde, diese Anschuldigung zu entkräften. Die Gefahr lag ganz woanders: Das Gerücht würde Misstrauen bei Manuel, aber auch bei Johannes wecken, und seine Bewegungsfreiheit wäre eingeschränkt. Denn wo Rauch war, da war auch Feuer – jedes Gerücht hatte einen wahren Kern. Mochte das Komplott auch erlogen sein, so stimmte es ja tatsächlich, dass er nach der Krone strebte! Alexios konnte kein Misstrauen, nicht einmal ein Zögern seines Gönners gebrauchen, in dessen Hinterkopf sich dieser Gedanke festsetzen würde. Fast fühlte er schon den prüfenden Blick des Mitkaisers auf sich ruhen, in dem die Frage lauerte, ob es möglich war, dass Alexios Angelos ihn eines Tages verraten würde. Angesichts dieser Situation fasste der Fürst einen Entschluss: Diese Ehe sollte eigentlich Wege öffnen und sie nicht verschließen. Er würde Eirene freigeben, sich aber eines Tages für diese Demütigung rächen.

Alexios stand auf, nahm aus einem Stehpult Papier, Tinte, eine Gänsefeder und begann, den Text des Briefes abzuschreiben. »Ihr wisst, dass die Anschuldigungen von Jacques le Lame nicht der Wahrheit entsprechen. Ich wollte Euch nur darauf aufmerksam machen, weil ich nicht möchte, dass ein so ehrbarer Mann wie Ihr sich auf seine alten Tage der üblen Nachrede und der Verleumdung schuldig macht«, sagte er.

»Denken wir lieber gemeinsam darüber nach, warum Euer Waffenmeister meinen Sohn töten wollte und was mit Jacques le Lame geschehen soll.«

»Da ich ihn schon vor Tagen entlassen habe, weil sich sein Geist verwirrt hatte, verfahrt mit ihm, wie es Euch beliebt. Die Franken trinken einfach zu viel, dazu die ungewohnte Sonne …«, entgegnete Alexios. Er beendete den Brief, ließ ihn auf den Tisch fallen und verließ grußlos das Kontor. Während er die Treppenstufen nahm, ging er in Gedanken die Töchter der Palaiologen durch – vielleicht ließe sich ja doch noch eine kaiserliche Braut finden, die jünger, unerfahrener, biegsamer als die störrische Eirene war. Als er die Tür zu seinem Schlafgemach aufstieß, spürte er, wie sich seine ganze Wut in seinem Unterleib versammelt hatte …