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Residenz des ungarischen Königs, Buda

Als wäre er soeben in Buda eingetroffen und nicht bereits drei Tage zuvor gefesselt auf einem Leiterwagen in die Stadt gekarrt und im Kerker gefoltert worden, betrat Fürst Alexios Angelos im Brokatwams über zweifarbigen Beinlingen und in einer schwarzen, golddurchwirkten Pluderhose als rhomäischer Gesandter den Audienzsaal des Königs. Nur die Schmerzen im Schulterbereich erinnerten ihn noch an die Folter. Der König saß auf seinem Thron. Zorn verdüsterte sein Gesicht. Die Pupillen hatten sich mitsamt der blauen Iris verengt und stemmten sich gegen das blutunterlaufene Weiß der Augen. Neben Sigismund saß eine sichtlich gelangweilte Barbara. Alexios unterdrückte den Wunsch, sie unter dem lauernden Blick des Königs anzusehen. Er fühlte sich äußerst unbehaglich. Ein paar Höflinge standen beflissen vor dem Herrscher, während ein Kardinal der römischen Kirche sichtlich um Beherrschung rang. In seinem Rücken meldete der Herold: »Herr Alexios Angelos, Gesandter des Kaisers der Griechen, soeben angekommen aus Konstantinopel.«

Sigismund nahm von Alexios zunächst keine Notiz. Ihm setzten die böhmischen Sorgen zu. »Die Hussiten jagen das Kreuzzugsheer unter Eurer Führung, Cesarini, auseinander. Ihr flieht in der Kleidung eines einfachen Soldaten vom Schlachtfeld – und macht Euch zum Gespött der Ketzer, und der Papst will nicht einen Gulden für ein neues Heer zahlen! Worauf wartet er? Dass Prokop in den Petersdom einzieht?« Die letzten Worte hatte der König gebrüllt, sodass die herabfallende Stille doppelt schwer auf allen lastete. Die Höflinge sahen betreten auf ihre Fußspitzen, bestrebt, nicht durch eine unangemessene Mimik den Zorn des Herrschers auf sich zu ziehen. Nur Barbara erlaubte sich den Anflug eines Lächelns, als wollte sie sagen: Gut gebrüllt, Löwe!

»Ich bin nicht der erste Kämpfer, der durch eine Verkleidung dem bösen Feind entkommt, um erneut gegen ihn ins Feld ziehen zu können!«, hielt Giuliano Cesarini tapfer dagegen. Der Kardinal, ein schlanker, asketischer Mann, der Alexios allenfalls bis an die Brust reichte, befand sich im Alter des Fürsten.

»Kämpfer?« Sigismund lachte dröhnend auf. »Auch wenn Euer Vorname an Julius Cäsar erinnert, seid Ihr es dennoch nicht. Ihr seid ein Kardinal! Wollen wir uns einen kleinen Kampf gönnen, um zu zeigen, wer ein Kämpfer ist, Herr Pfaffe?«

»Der Zorn ist eine Todsünde, mein Sohn. Lasst ihn fahren dahin«, erwiderte der Kirchenfürst mit großer Ruhe. Sigismund schüttelte resigniert und etwas ratlos den Kopf. Sein Blick fiel auf den Fürsten. »Und Ihr, mein Herr aus Konstantinopel? Was wollt Ihr von mir? Geld? Ich habe keins. Beistand? Wenn mein Arm genügt? Männer? Ich habe keine. Weiber? Die könnt Ihr haben, die sind im Überfluss da! Mit und ohne etwas zwischen den Beinen!«, brüllte der König weiter.

Nur eine einzige, ganz bestimmte Frau will ich, dachte Alexios, und unwillkürlich erschien ein vorwitziges Lächeln auf seinen Lippen, das Sigismund nicht entging. Der König warf einen prüfenden Blick auf seine Gemahlin, die zog aber nur die Augenbraue hoch.

»Was also?«, steigerte er sogar noch seine Lautstärke, weil er sich von dem Griechen, von dem halben Ketzer verhöhnt fühlte. Alexios ließ sich jedoch nicht ins Bockshorn jagen. Barbara hatte ihm einmal verraten, dass der König die Wutanfälle stets kalten Blutes produzierte, wenn es ihm hilfreich erschien, Bestürzung und Schrecken zu verbreiten. Sigismund kalkulierte immer zu seinem Nutzen und agierte durchaus mit diplomatischem Geschick.

Die Niederlage des Kreuzfahrerheeres im böhmischen Taus gegen die Hussiten Prokops des Kahlen hatte den König nicht nur gedemütigt, sondern auch seine Herrschaft über Böhmen und seine Autorität im Reich infrage gestellt. Das konnte er sich nicht leisten, das forderte nur die Frechheiten seiner Konkurrenten in seiner eigenen Familie und im Reich heraus. Die Ketzer tanzten ihm auf der Nase herum, und es war kein christliches Kraut gegen sie gewachsen. Nun, sie hassten ihn dafür, dass er ihren Prediger, Jan Hus, auf den Scheiterhaufen hatte zerren und verbrennen lassen, obwohl er ihm freies Geleit zugesichert hatte. Nie würden sie Frieden mit ihm schließen, er musste sie vernichten.

Es konnte nicht schaden, beschloss Alexios, der seine Abneigung gegen den baumlangen Kerl auf dem Thron durch eiserne Selbstbeherrschung unterdrückte, den nur scheinbar erregten König noch etwas zu reizen, um ihn vielleicht aus der Reserve zu locken. Barbara hatte ihm nämlich auch erzählt, dass Sigismund ein Ziel mit besonderem Nachdruck verfolgte: Er wollte endlich Kaiser des Römischen Reiches werden.

»Der Kaiser der Rhomäer, mein Herr Johannes VIII. Palaiologos, entbietet Euch, Herr König, den allerchristlichsten Gruß.« Den Titel Kaiser hatte er besonders betont. Aus den Augenwinkeln entdeckte er, dass Barbara nur mühsam ein Lächeln unterdrückte. Sigismund lief violett an, dass man schon fürchtete, ihn treffe der Schlagfluss. »Der Kaiser der Rhomäer?«, knurrte der König, doch gelang es ihm, sich zu beherrschen. »Sagt dem Kaiser der Griechen, dass der Römische König ihn ebenfalls grüßt. Gut katholisch!«, dabei grinste er plötzlich.

Nicht übel, dachte Alexios. »Majestät, Ihr leistet Großes im Kampf gegen die böhmischen Ketzer, doch überseht nicht die weitaus größere Gefahr, die im Süden Eures Reiches heraufzieht.«

»Meint Ihr die Türken?«

»Sehr wohl. Die muslimischen Teufel meine ich. Wenn wir nicht wollen, dass eines Tages der Antichrist über die Welt herrscht, unsere Kirchen zu Pferdeställen, unsere Kinder zu Teufelsanbetern macht, unsere Frauen in Bordelle verschleppt, die der Antichrist Harem nennt, dann ist jetzt hohe Zeit zu handeln.« Alexios sah, dass der Kardinal Cesarini sich ihm zuwandte.

»Ich weiß, sie verheeren meine Lande, sie plündern und brennen und morden. Sie sind eine Plage«, entgegnete Sigismund stöhnend.

»Herr, sie sind viel mehr, mehr als alle biblischen Plagen zusammen! Setzt Euch an die Spitze eines Kreuzfahrerheers. Und alle werden Euch folgen. Alle, die an Christus, unseren Herrn, glauben. In schimmernder Wehr werden die Verteidiger des Glaubens über die Ungläubigen herfallen, sie aus dem Abendland, aus Anatolien und schließlich aus dem Heiligen Land vertreiben.«

Sigismund lehnte sich zurück. Die Zornesfalten auf der Stirn glätteten sich. Jetzt hatte er, Alexios, wirklich die Aufmerksamkeit des Königs. Deshalb setzte er nun seine stärkste Waffe ein, den Angriff auf Sigismunds Eitelkeit. »Ihr möchtet in Rom zum Kaiser gekrönt werden? Wahrlich, kein schlechter Ort. Aber bescheidet Euch nicht! Warum denn Rom? Einem so großen Herrn wie Euch steht ein besserer Krönungsort an: die Grabeskapelle in Jerusalem.«

Sigismund lächelte feinsinnig. »Wünscht das auch der Kaiser der Rhomäer? Ihr wisst doch, wer in Jerusalem gekrönt wird, ist Kaiser der Kaiser.«

»Papst und Kaiser in einem, Schutzvogt Christi, hoher Herr!«, sagte Alexios mit einer Selbstverleugnung, die ans Übermenschliche grenzte.

Cesarini zuckte zusammen. Entweder war der Grieche dumm, oder er verhöhnte den König. »Papst und Kaiser in einem ist nur unser Herr Jesus Christus, der zu seinem Vikar den Papst bestellt hat. Und aus den Händen des Stellvertreters Christi empfängt der Kaiser als Schutzvogt der Kirche das Schwert, um das weltliche Regiment zu führen.«

»Da hört Ihr’s. So schön Eure Vorstellung auch ist, die Kirche ist dagegen«, sagte der König mit undurchdringlicher Miene. Alexios kam nicht mehr dazu, sich zu fragen, ob das ironisch oder ernst gemeint war, denn schon antwortete Cesarini: »Die Kirche ist nicht gegen einen Kreuzzug!«

»Dann gebt Geld!«, forderte Sigismund, der aus irgendeinem Grund den kleinen Kardinal verachtete, vielleicht weil er im Gegensatz zu ihm von kleinem Wuchs war. Hochaufgeschossen, wie er war, verwechselte er Länge mit Größe.

»Wir werden für den Heiligen Krieg gegen die Heiden sammeln«, versprach Cesarini.

»Werdet Ihr?«, höhnte Sigismund.

»Ja. Ich werde mit Seiner Heiligkeit sprechen.«

»Und die Ketzer in Böhmen?«

»Kommen auch noch an die Reihe. Aber zuvor sagt mir, Fürst Angelos, ist die Kirche des Ostens bereit zu einer Union mit der Kirche des Westens? Denn das wäre die Bedingung dafür, dass wir Euch und natürlich auch uns die Türken vom Hals halten. Antwortet nicht vorschnell. Ihr kennt unsere Bedingungen?«

»Ich kenne sie. Kaiser Johannes VIII. ist bereit zu einem Unionskonzil. Lasst uns zu einer Einigung kommen, denn bisher ziehen die Heiden Nutzen aus unserer Zwietracht.«

»Wie stehen Eure Majestät dazu?«, fragte der Kardinal den König mit einer Strenge, als examiniere er einen lernunwilligen Schüler.

»Ich würde mich, wenn die Bedingungen stimmen, einem Kreuzzug gegen die verruchten Muhammad-Anbeter nicht entziehen.«

»Oh, sie beten Allah an, nicht Muhammad, das ist nur ihr Prophet, der lediglich Freund Gottes ist, aber keinen göttlichen Rang einnimmt«, belehrte ihn Cesarini, und Alexios freute es.

»Gelehrtenkram. Und wenn sie des Teufels Großmutter verehren oder Allahs großen Arsch, sie sind Heiden, und sie bedrohen unsere guten christlichen Reiche. Hinweg mit ihnen!«, rief Sigismund. Jubel brach plötzlich im Audienzsaal aus. Die Höflinge echoten begeistert: »Hinweg mit ihnen! Hinweg mit ihnen!« Cesarini sah sich zufrieden um.

»Was denkst du?«, wandte sich der König, ungerührt von dem kleinen Tumult, den er ausgelöst hatte, an seine Frau.

»Ich antworte mit Euren Worten, geliebter Gemahl: Hinweg mit ihnen.« Ihr Lächeln gehörte jedoch Alexios.

Wieder spürte er mit einem Verlangen, dass es ihm körperlich wehtat, wie sehr er sich nach Barbara sehnte, die allein ihm Trost und Linderung verschaffen konnte.

Zum Abschied gelang es ihm während der Verbeugung, dass sich für den Bruchteil einer Sekunde ihre Blicke umfingen.

Als der Fürst den Audienzsaal verließ, folgte ihm Giuliano Cesarini. »Auf ein Wort, Fürst Angelos.«

Alexios neigte leicht den Kopf.

»Esst mit mir zu Abend, wir haben zu reden.«

»Heute Abend?«, fragte der Fürst ein wenig verwundert über die Eile.

»Ja, ich reise morgen früh ab. Bringt den Reichsverweser mit«, erwiderte der kleine Kardinal energisch.

Am frühen Abend betraten Alexios und Johann Hunyadi das Kloster des Predigerordens, in dem der Kardinal Quartier genommen hatte. Cesarini schätzte den Luxus nicht, zumindest hatte er in einem kleinen Raum nur eine karge Tafel richten lassen mit Wasser, Wein, Brot, etwas Käse und ein paar Fleischgerichten. Ein siebenarmiger Leuchter aus Eisen stand mitten auf dem Tisch. Sie nahmen auf reichlich abgesessenen Schemeln Platz. Cesarini goss sich nur so viel Wein ein, dass gerade der Boden des Bechers bedeckt war, und füllte ihn mit Wasser auf. Ohne Umschweife kam er sofort zur Sache. »Es freut mich, dass Ihr von so großer Liebe zu unserem Glauben erfüllt seid, dass Ihr Euch bereitfindet, das Schwert gegen die Heiden zu führen.«

»Es ist mein größter Wunsch, Euer Eminenz.«

»Gelobt sei Jesus Christus, unser Herr! In diesem löblichen Vorsatz wetteifert Ihr mit dem treuen Sohn unserer Kirche, Johann Hunyadi. Nur gehört Ihr einer Minderzahl an. Es wird kein leichter Weg sein. Nur wenige Fürsten wollen für Christus in den Krieg ziehen. Für ihre eigenen Interessen können sie sich nicht genug herumschlagen, aber für die Kirche … Ihr wisst es gut genug. Wir werden Klugheit und Zeit benötigen. Wie sagt doch unser Herr? Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben. Trotz allem muss ich daran erinnern, dass die Grundlage die Kirchenunion ist. Ihr müsst den Primat des Papstes anerkennen und das Filioque. Im Glaubensbekenntnis muss es heißen: vom Vater und vom Sohn.«

»All das werden wir auf einem Konzil klären, denn trotz der großen Vorbehalte haben wir es andererseits mit einem teuflischen und gefährlichen Feind zu tun. Viele übersehen das. Viele suchen ihr Heil in Verhandlungen und glauben dadurch, ihren Vorteil herauszuschlagen. Aber wenn der Antichrist siegt, dann trifft es alle, die Gerechten und die Ungerechten!«

»Man kann es nicht besser sagen«, stimmte ihm Cesarini zu.

»Aber er ist zu schlagen!«, warf Hunyadi ein.

»Es liegt bei uns, die Bedingungen dafür zu schaffen. Wir brauchen eine große Streitmacht. Die Führer haben wir, Gott sei es gedankt, schon. Lasst uns in Verbindung bleiben. Wenn es so weit ist, schicke ich einen Unterhändler nach Konstantinopel. Ich werde Euch, Herr Hunyadi, auf dem Laufenden halten, und Ihr mich bitte auch, was unseren wankelmütigen König betrifft.«

»Nehmt es zur Beruhigung mit auf den Weg, Euer Eminenz. Nicht der Patriarch von Konstantinopel, sondern der Kaiser entscheidet letztlich über die kirchlichen Angelegenheiten. Auch wenn Euch das ein Gräuel ist, stellt es in diesem Fall einen Vorteil dar. Ich werde den Kaiser beraten«, versprach Alexios Angelos.

»Bleib immer deines verpflichtenden Namens eingedenk, Engel Alexios«, sagte der kleine Kardinal, stellte sich auf die Zehenspitzen und segnete den stattlichen Fürsten.