37.

Kalifornien, Amerikanischer Kontinent
Enterprise Corporation, Zentralgebäude
19. Mai 2081
Ortszeit: 20.05 Uhr
4 Tage vor dem Transporttest

»Ich übernehme das Reden«, sagte Barton. Er stieg mit Wilson in den Aufzug und drückte den Knopf für den zwölften Stock. »Wiegen Sie sich nicht in falscher Sicherheit, und behalten Sie einen klaren Kopf.« Der Aufzug fuhr los. »In Gegenwart der Tredwells steht der Transporttest auf dem Spiel. Ich warne Sie, Wilson: Sie können nicht vorsichtig genug sein mit dem, was Sie sagen. Diese Männer sind äußerst scharfsinnig. Sie durchschauen andere mit Leichtigkeit und irren sich dabei selten.«

»Ich verstehe«, sagte Wilson freundlich, obwohl er die Ermahnung schon bei den ersten zehn Malen verstanden hatte.

»Und keine Scherze. Diese Leute haben nicht den Sinn für Humor wie ich.« Barton zog eine Augenbraue hoch, während er seine Haare im Spiegel prüfte und sorgfältig seinen Kittel zurechtzog. »GM schüttelt niemandem die Hand. Er schätzt unnötigen Körperkontakt nicht. Also bieten Sie ihm nicht die Hand. Bei Jasper ist es das Gleiche.«

Wilson fiel ein, dass Jasper ihm an dem Tag im Lagerraum die Hand verweigert hatte.

Barton besah sich noch ein letztes Mal im Spiegel. »Sind Sie bereit?«

»So bereit man nur sein kann.«

Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und eine schöne blonde Frau stand davor. Sie war Anfang zwanzig, eins achtzig groß, braungebrannt und hatte breite Schultern. Zweifellos eine Amazone. Wilson fand, das passte genau zu dieser Firma, trotzdem fiel es ihm schwer, sie nicht anzustarren.

»Schön, Sie wiederzusehen, Barton«, sagte sie freundlich. »Mr. Dowling, willkommen im zwölften Stock. Mein Name ist Cynthia. Ich stehe Ihnen zur Verfügung, falls Sie irgendetwas brauchen sollten.« Sie drehte sich um und glitt durch ein Glaskuppelfoyer auf die breiten Eichentüren des Konferenzraumes zu. »GM hat fünfzehn Minuten reserviert, um mit Ihnen zu sprechen.« Sie trug einen dunklen Faltenrock und eine maßgeschneiderte Bluse, die ihre Figur optimal zur Geltung brachte. »Bitte fassen Sie sich kurz und versuchen Sie GMs Fragen möglichst gezielt zu beantworten.« Ihr Benehmen war absolut professionell; nicht ein Hauch von persönlichen Gefühlen strömte durch ihre genetisch überragenden Adern.

»Kein Problem.« Barton lächelte sie an.

Die Tabletops im Foyer boten prachtvolle Aufnahmen von Blumensträußen. An den Wänden hingen berühmte Gemälde. Wilson erkannte einen van Gogh und einen Picasso. Sie waren unglaublich schön und überstiegen bei weitem die Abbildungen in den Büchern, die er gelesen hatte. Das Rockefeller Museum muss komplett leer sein!, befand er. Während er sich umsah, wurde sein Blick von einigen Frauen angezogen, die, alle jung und verführerisch, in dem Büro arbeiteten. Dann wanderte sein Blick auf Cynthias perfekte Hinterseite, die vor ihm hin und her schwenkte. Er biss sich auf die Lippe. In so einem Büro wollte er eines Tages auch mal arbeiten.

Cynthia zog die schwere Eichentür mühelos auf, zeigte ein strahlendes Lächeln und wies in den Raum.

»Danke«, sagte Wilson. »Ihre Bluse gefällt mir.« Das war in seinen Augen die denkbar charmanteste Bemerkung. Sie lächelte ihn an und bedeutete ihm auf höfliche Art, dass er ein Lamm auf der Schlachtbank war.

Am Konferenztisch vor der Glaswand saßen zwei Männer. In der Ferne neigte sich eine goldene Sonne dem Horizont zu und überflutete den Raum mit ihrem sommerlich warmen Schein. Er war ähnlich gestaltet wie Bartons Besprechungszimmer, aber größer und opulenter. Das Firmenlogo prangte auch hier an der Wand hinter einem großen Schreibtisch. An einer Seite befand sich eine Sitzgruppe mit goldfarbenen Sesseln, an der anderen ein Behandlungssessel mit einem Sauerstoff- und Bluttransfusionsgerät.

GM stützte sich auf seinen Elfenbeinstock und stemmte sich von seinem Platz hoch. »Kommen Sie, Barton. Sie auch, Mr. Dowling.« Er war mit einem dezenten grauen Dreiteiler und silberfarbener Krawatte bekleidet. Auf den ersten Blick wirkte er älter und kleiner, als Wilson erwartet hatte. Er hatte eine blasse, durchscheinende Haut und zarte, stark geäderte Hände. Dennoch strahlte er eine jugendliche Energie aus, die so frisch wirkte wie die weiße Nelke in seinem Knopfloch. Das also ist der mächtigste Mann der Welt, dachte Wilson. Und offenbar hatte er eine Schwäche für schöne Frauen, nach dem Büropersonal zu urteilen, doch das war nur ein Zeichen von Macht, von der er sicherlich reichlich hatte. Wilson war gespannt auf GMs Benehmen und seinen Intellekt, nur um zu sehen, was ihn von anderen unterschied. Das war eine seltene Gelegenheit.

»Schön, Sie zu sehen, GM«, sagte Barton.

Die Reaktion war herzlich. »Freut mich auch, Barton.« Mit einer Geste zur Seite sagte er: »Mr. Dowling, das ist mein Enkel Jasper. Oh, richtig, Sie haben sich ja bereits kennen gelernt.« Jasper sah neben seinem Großvater wie ein jüngerer Klon aus, zumal er den gleichen Anzug trug, einschließlich der Nelke.

»Wie geht es Ihnen, Jasper?«, fragte Barton.

»Besser denn je, danke.« Die Antwort machte nicht den Eindruck von Aufrichtigkeit.

Wilson lächelte bloß in die Runde.

Da er in die Sonne blickte, konnte er die beiden Männer nicht deutlich sehen. GM setzte sich und lehnte seinen weißen Stock gegen den Tisch. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Er machte es sich bequem; dann sagte er: »Sie werden sich wahrscheinlich fragen, warum ich Sie hergebeten habe.« Er trank einen Schluck Wasser. Seine Hände waren ruhig. »Barton, wir kennen uns jetzt schon sehr lange.« Er stellte das Glas behutsam wieder ab. »Sie sind seit vielen Jahren mein bester Mann unter den Wissenschaftlern. Eine der Stärken unserer Beziehung war immer gegenseitiges Vertrauen und Ehrlichkeit. Sind Sie meiner Meinung?«

Barton ahmte GMs Körpersprache nach. »Gewiss.«

»So sagen Sie mir doch, Barton, was hat es mit diesem Mercury-Projekt auf sich, dass Sie sich nun anders verhalten?«

Nach einer Pause antwortete Barton: »Ich kann mir keinen Grund denken.«

»Gar keinen?«

Barton wartete einen Augenblick; dann sagte er: »Ich sehe keinen.«

»Dann will ich meine Frage anders stellen: Wenn die Qumran-Rollen Ihnen in irgendeiner Weise nahelegen würden, die Firma zu hintergehen, würden Sie es tun?«

Barton blieb äußerlich ruhig. »Diese Texte sind vor ein paar Tausend Jahren geschrieben worden, GM. Ich sehe nicht, wie sie uns hier beeinträchtigen könnten.« Das widersprach dem, was Barton Wilson gepredigt hatte – dass alle Zeit nebeneinander existierte –, aber das war nicht der Augenblick, um Einspruch zu erheben.

GM lehnte sich zurück. »Sagen Sie mir eines, alter Freund. Wenn die Texte verschlüsselte Botschaften enthielten, die nach Geheimhaltung verlangten, würden Sie das tun?«

Barton überlegte einen Moment. »Wenn ich überzeugt wäre, dass für Enterprise Corporation keine Gefahr besteht«, sagte er, »oder für ein Mitglied des Mercury-Teams, würde ich die Information geheimhalten, ja.« Jasper beugte sich zu seinem Großvater und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Barton redete weiter. »Bei jedem Mercury-Experiment gibt es ein gewisses Risiko, das es zu beherrschen gilt. Das war immer so. Jedenfalls bei meinen Experimenten.«

»Sie sagen mir also, dass Sie Geheimnisse haben?«

»Wenn ich Informationen zurückhalte, die Sie nicht unbedingt kennen müssen, und Sie das als Geheimnis werten, ja, dann habe ich Geheimnisse. Unsere Projekte sind immer komplex. Ich kann Ihnen nicht alles mitteilen, was passiert, sonst kämen wir mit unserer Arbeit nicht voran.«

»Wie entscheiden Sie, was ich erfahren sollte und was nicht?«

Barton holte kurz Luft. »Sie geben mir das Ziel vor, GM – ich liefere Ihnen immer das Ergebnis. Denken Sie daran, dass wir dieses Unternehmen gemeinsam aufgebaut haben. So ist es immer gewesen, und so wird es bleiben, zumindest was mich betrifft. Das ist einer der Gründe, warum wir so erfolgreich gewesen sind. Sie bezahlen mich, damit ich Lösungen finde. Und das tue ich. Sie haben mich noch nie gefragt, wie ich das mache … oder wann.«

GM sah ihm in die Augen. »Heute frage ich Sie danach. Sind Sie damit einverstanden?«

Barton zuckte nicht mit der Wimper. »Wenn Sie es wünschen.«

GM drückte auf das Gegensprechgerät an seinem Revers. »Bringen Sie sie bitte herein.«

Die vier Männer saßen schweigend da und musterten einander. Kurz darauf erschien Cynthia mit einer länglichen Holzschachtel in der Tür. Wilson sah gern eine so schöne Frau, aber diesmal war es die Holzschachtel, die seinen Puls beschleunigte. Cynthia stellte sie auf den Tisch, klappte den Deckel auf und nahm die Kupferrolle heraus.

»Verraten Sie mir, was die mit Zeitreisen zu tun hat«, verlangte GM.

Barton blieb einen Augenblick stumm und starrte auf die Röhre. »Wilson wollte sie sehen.«

GM wandte sich Wilson zu. »Warum wollten Sie sie sehen?«

»Er hat sich gefragt …«, setzte Barton an, doch GM hob die Hand.

»Nicht Sie, Barton. Mr. Dowling kann antworten.«

»Ich habe Barton gebeten, sie mir zu zeigen«, sagte Wilson vorsichtig.

»Warum, wenn die hier doch nur ein Duplikat sein soll?«, fragte GM und hielt die Rolle in die Höhe.

Damit war klar, dass die Tredwells die Echtheit erkannt hatten. Gegen Bartons Anweisung setzte Wilson auf die Wahrheit. »Sie werden feststellen, dass es die echte Kupferrolle ist«, sagte er selbstbewusst.

Der alte Mann verriet keinerlei Überraschung, als er sich Barton wieder zuwandte. »Sie haben mir gesagt, das sei eine Kopie.«

»Wilson hat recht«, gab Barton zu. »Wenn das die Rolle aus dem Lagerraum ist, halten Sie die echte Kupferrolle in der Hand. Ich habe eine Kopie anfertigen lassen und mit dem Original im Foyer vertauscht, damit ich jederzeit Zugang dazu haben konnte.«

»Warum haben Sie das getan?«

»Weil ich die Kupferrolle zu der Zeit für bedeutsam hielt.«

»Und was glauben Sie jetzt?«, fragte GM verschlagen.

»Die Kupferrolle, die Sie in der Hand halten, ist belanglos.«

GMs Blick bohrte sich in Wilsons Augen. »Warum wollten Sie sie dann sehen?«

»Weil sie zu keinem Schatz geführt hat«, antwortete dieser.

»Erklären Sie mir das bitte.«

Barton bot sich höflich für die Erklärung an, und GM war einverstanden. Der Wissenschaftler verbreitete sich ausführlich über die römische Invasion, geführt von Vespasian, und über den kostbaren Tempelschatz von Jerusalem.

»Und diese Rolle führte zu keinem Versteck?«

»Stimmt«, bekräftigte Barton.

»Wohin dann?«

»Ich bin mir nicht sicher, GM. Vielleicht zu gar nichts.«

Das Kupfer blinkte in der Sonne, während der alte Mann die Röhre in den Händen drehte. Wilson fand erneut, dass sie das ungewöhnlichste Museumsstück war, das er je gesehen hatte. Er würde nie vergessen, wie es sich anfühlte, sie in der Hand zu halten – dieses leise Vibrieren. Cynthia nahm GM die Rolle ab und legte sie behutsam auf den Tisch.

»Warum wollten Sie sie sehen, wenn Sie doch wussten, dass die Rolle ein Schwindel ist?«, fragte GM.

Wilson antwortete: »Das ist ganz einfach. Wenn die Kupferrolle ein Schwindel ist, dann vielleicht auch das Buch Esther.«

»Wie meinen Sie das?«

»Wenn das Buch Esther ein Schwindel ist, könnte es mit der ganzen Transportgeschichte ein bisschen heikel werden. Das würde eine große Gefahr bedeuten. Und es würde für mich mehr Geld bedeuten.« Wilson sah zu Cynthia auf – ihrem ausdruckslosen Gesicht nach zu urteilen hielt sie ihn für einen Opportunisten. Doch in dieser Lage war Geldgier vielleicht die sicherste Rückzugsposition.

Barton ging perfekt auf diese Strategie ein. »Das Mercury-Team ist absolut sicher, dass das Buch Esther und die Baupläne darin echt sind, Wilson.«

»Sie vielleicht – ich war es nicht.«

GM dachte eine Weile nach. »Und sind Sie jetzt überzeugt?«

Wilson rieb sich das Kinn, wie Barton es immer tat. »Soweit es möglich ist, ja.«

GM legte eine Hand auf den Knauf seines Stocks. »Ich denke ganz wie Sie, Mr. Dowling. Dieses Zeitreiseexperiment macht mir große Sorge. Und doch weiß ich, dass wir damit fortfahren müssen. Auch ich bin nicht völlig zufrieden, erkläre mich aber einverstanden.«

»Würden Sie in diesen Kristallbehälter steigen und Ihre Moleküle mit Lichtgeschwindigkeit auseinanderreißen lassen?«, fragte Wilson.

GM lächelte. »Nein.«

»Nur aus Neugier: Halten Sie mich für verrückt?«

»Überhaupt nicht. Ich glaube, Sie haben sich auf eine geschäftliche Transaktion eingelassen, die Sie zufriedenstellt. Ich verstehe das. Ich habe das selbst viele Male getan.« GM machte eine Pause. »Es gibt Risiken dabei, das steht außer Frage.« Wieder legte er eine Pause ein. »Darum sind Jasper und ich außerordentlich nervös, was den Transporttest angeht. Um es deutlich zu sagen, wir haben erwogen, die Sache sofort zu stoppen.« Er richtete den Blick auf seinen Wissenschaftler. »Möchten Sie etwas dazu sagen?«

»Nur so viel«, antwortete Barton, »dass der Transporttest für die Firma keine Gefahr bedeutet. Vertrauen Sie mir.« Sein Blick war ruhig. »Die Informationen wurden vor zweitausend Jahren aus irgendeinem Grund in den Text eingefügt. Von einem viel machtvollerem Intellekt als unserem.«

»Das ist es, was mir Sorge macht«, sagte GM.

»Seltsam, aber das ist es gerade, was mich beruhigt«, bemerkte Barton.

GM neigte leicht den Kopf zur Seite. In diesem Moment entschied er unwissentlich über das Schicksal des Unternehmens Jesaja. »Ihr Urteil hat mir immer genügt, Barton. Ich lasse Sie weitermachen.«

»Wir haben noch mehr Fragen, Großvater«, warf der Enkel ein.

»Ich habe es nicht vergessen, Jasper.« Auf GMs Anweisung legte Cynthia die Kupferrolle in die Schachtel zurück und schloss den Deckel. »Sagen Sie mir, Barton, was halten Sie von Mr. Dowlings Gehirnscan? Augenscheinlich sind seine Alpha- und Betawellen ungewöhnlich hoch. Woran liegt das?«

»Ich habe die Untersuchung eigenhändig wiederholt«, antwortete Barton. »Das EEG-Gerät, das beim ersten Mal benutzt wurde, funktionierte nicht richtig. Die ersten Ergebnisse waren lächerlich – das wusste ich gleich, als ich sie sah. Mr. Dowling ist vollkommen normal.« Barton erklärte eingehend den Defekt des Geräts und wie er ihn behoben hatte.

»Gut«, sagte GM, »das genügt. Ich bin froh. Sprechen wir über etwas Ernsthafteres. Jaspers Untersuchung ergab, dass Sie einer der Leute sind, die das Überwachungssystem verbotenerweise benutzt haben. Das war unklug von Ihnen, mein Freund.«

Barton nahm eine entwaffnende Pose ein, indem er beide Hände hochnahm. »Ich wusste, Sie würden das Thema ansprechen. Ich habe versucht, die Firma zu schützen, GM – ich bin sicher, das wissen Sie längst. Ich habe Mr. Dowling nachspioniert. Mehr nicht. Ich hoffe, Sie werden mir die Indiskretion nachsehen.«

GM blickte Jasper in die Augen. »Ist das wahr?«

»Ja, Großvater, so scheint es.«

»Nun, das scheint mir vernünftig zu sein.« GM trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und überlegte. »Ihnen zuliebe werden wir darüber schweigen, Barton. Nur aus Interesse – warum haben Sie Mr. Dowling dem Herrn aus Europa vorgezogen?«

Jasper fragte: »Wissen Sie, dass es einen zweiten Kandidaten gibt, Mr. Dowling?«

Wilson nickte. »Ja. Ich habe Barton von Anfang an ermuntert, lieber ihn zu nehmen.« Die schnoddrige Bemerkung wurde mit eisigem Schweigen quittiert.

Barton räusperte sich. »Das war nur ein Scherz, GM

GM wiederholte die Frage umso ernster. »Abgesehen von Mr. Dowlings Humor, der sehr unterhaltsam für Sie sein muss – warum haben Sie sich für ihn entschieden?«

»Weil er ganz klar die bessere Wahl ist.«

»Wäre er das auch, wenn Sie mehr Zeit hätten?«

»Bieten Sie mir mehr Zeit an?«

»Nein. Beantworten Sie bitte meine Frage.«

Barton sah zu Wilson. »Ich würde mich auch für ihn entscheiden, wenn ich unbegrenzt Zeit hätte.«

»Gut«, sagte GM. »Das wollte ich hören. Jetzt bringen Sie mich kurz auf den neusten Stand, dann können Sie zurück an die Arbeit. Sie haben sicher noch jede Menge zu tun. Die Zeit läuft.«

Barton rieb die Hände aneinander. »Das Mercury-Team bereitet sich darauf vor, in vier Tagen gegen Mittag den endgültigen Transporttest durchzuführen. Mr. Dowling wird um dreißig Minuten in die Zukunft versetzt. Er wird aus der Imploderkugel verschwinden – durch Partikellaser zerlegt – und durch den Inflator ins Magnetfeld der Erde gezogen. Genau dreißig Minuten später wird seine Quark-Gluonen-Energie durch das Magnetfeldportal zurückkehren, und er wird exakt wieder so zusammengesetzt, wie er jetzt ist.«

Wilson rieb sich die Schläfen; der Stress war ihm deutlich anzusehen.

»Das hört sich einfach an«, meinte GM, den Wilsons Reaktion amüsierte. Jasper flüsterte ihm etwas ins Ohr, und der alte Mann zog die Augenbrauen hoch. »Das ist richtig, danke, Jasper. Eine Sache gibt es noch … wir möchten, dass Andre Steinbeck wieder ins Team aufgenommen wird.«

Bartons Gelassenheit löste sich plötzlich auf. »Er hat das Überwachungssystem gegen mich benutzt! Das habe ich selbst festgestellt.«

GM schüttelte den Kopf. »Unsere Untersuchung zeigt, dass er es nicht gewesen ist. Ein anderer hat sein Passwort benutzt. Es scheint, dass Andre unschuldig ist.«

Barton blickte ins Leere. »Wer hat mich dann beobachtet?«

»Das wissen wir nicht.«

»Es gefällt mir nicht, Andre wieder ins Team zu nehmen«, erklärte Barton. »Wir befinden uns in einem heiklen Stadium. Schon die kleinste Fehlberechnung kann unvorstellbare Probleme verursachen. Ich brauche ein Team von Leuten, denen ich trauen kann …«

»Die Sache steht außer Diskussion«, unterbrach Jasper ihn.

»Sie untergraben meine Autorität«, hielt Barton ihm entgegen.

»Das ist ein geringer Preis, den Sie zu zahlen haben, alter Freund.« GM stemmte seinen Stock auf den Boden und stand auf. »Sie haben Glück, dass ich das Experiment nicht abbrechen lasse.« Wie es schien, war die Unterhaltung zu Ende. »Sie werden Andre sofort wieder einsetzen. Leiten Sie es in die Wege.« Er bedachte Wilson mit einem flüchtigen Lächeln. »Ich wünsche Ihnen Glück, Gentlemen. Besonders Ihnen, Mr. Dowling.«

Die Eichentüren schwangen auf, und Cynthia deutete zum Fahrstuhl.

»Hier entlang, meine Herren«, sagte sie.

Nachdem die Tür wieder geschlossen war, verschränkte Jasper die Arme. »Ich bin beunruhigt, Großvater.«

GM stützte sich auf seinen Stock und setzte sich vorsichtig wieder hin. »Interessant, nicht wahr?«

»Wir sollten den Test abbrechen. Es ist zu riskant.«

»Wenn Barton Erfolg hat«, erwiderte GM, »steht uns eine furchteinflößende Waffe zur Verfügung. Stell dir vor, wir haben die Macht, durch die Zeit zu reisen. Das ist unfassbar.«

Jasper starrte mit unbewegter Miene aus dem Fenster. Die Sonne war hinter den Horizont gesunken, und der Himmel bot eine Palette von Rottönen, die mit der Dunkelheit verschwammen. »Ich sehe durchaus den Nutzen, Großvater. Ich frage nur, wie viel Kontrolle wir tatsächlich darüber haben, was vor sich geht. Das beunruhigt mich.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Unterlippe. »Barton hat kein Geheimnis vor Dowling. Das ist offensichtlich. Sie wussten offenbar schon, dass wir die Existenz des Duplikats entdeckt haben.«

GM pflichtete ihm bei. »Und der junge Mann zuckte nicht mal mit der Wimper, als er hörte, dass Barton ihm nachspioniert hat.«

»Oder als du den zweiten Gen-EP-Kandidaten erwähnt hast«, fügte Jasper hinzu. »Ich wundere mich über ihre Beziehung, Großvater, und über ihre Motive.«

»Ja, ich auch. Sie sind sich in sehr kurzer Zeit recht nahegekommen. Das ist verblüffend. Sieht Barton gar nicht ähnlich. Gewöhnlich ist er bei Menschen kritischer.« GM trank einen Schluck Wasser. »Sie waren beide sehr beherrscht.« Er dachte nach. »Dowling ist interessant, nicht wahr? Allzu selbstbewusst. Ungewöhnlich … besonders unter diesen Umständen. Wir müssen ihn irgendwie an den Haken bekommen, mit etwas anderem als Geld.«

»Ich lasse ihn weiter beobachten.«

GM blickte auf die Holzschachtel, die noch auf dem Tisch stand. »Es muss einen Grund haben, warum Barton die Kupferrolle zu seiner Verfügung haben wollte. Was er darüber erzählt hat, war absurd. Er hat dafür einiges auf sich genommen, und das tut er nicht ohne guten Grund. Die Kupferrolle hat eine Bedeutung für ihn … es muss so sein.« Der alte Mann streckte seinen weißen Stock vor. »Du hast recht daran getan, mir die Sache vorzulegen, Jasper. Finde als Erstes heraus, warum die Kupferrolle so bedeutend ist. Setze jemanden darauf an. Ganz offensichtlich wird uns irgendetwas vorenthalten.«

GM wusste nicht, dass Jasper Andre schon damit beauftragt hatte.

»Bist du sicher, dass du den Transporttest durchführen lassen willst?«, fragte Jasper.

Der alte Mann nickte nachdenklich. »Vorerst lassen wir Barton weitermachen. Aber zur Vorsicht stellen wir ihn und Dowling unter ständige Beobachtung. Wenn sie etwas im Schilde führen, will ich es wissen.«