23.

Kalifornien, Amerikanischer Kontinent
Enterprise Corporation, Mercury Building, 2. Etage
14. Mai 2081
Ortszeit: 10.00 Uhr
9 Tage vor dem Transporttest

Barton setzte die Handflächen auf die Schreibtischplatte und sah Wilson fragend an. Er versuchte, den Grund für die Forderung zu verstehen, die an ihn herangetragen wurde. Sein Gegenüber saß mit verschränkten Armen im Besuchersessel. »Warum wollen Sie die Schriftrollen noch einmal sehen?«, fragte Barton. »Sie können doch gar nichts damit anfangen.«

»Das möchte ich gerne selbst entscheiden«, erwiderte Wilson.

»Ich werde mitkommen, wenn Sie möchten.«

Wilson schüttelte den Kopf. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne allein gehen.«

»Können Sie Hebräisch lesen?«, fragte Barton.

»Nein, kann ich nicht, das sagte ich doch schon.«

»Warum wollen Sie die Rollen dann noch einmal sehen?«

»Ich weiß es nicht genau.«

Barton zeigte auf den Boden. »Ich habe über ein Jahr lang an den Übersetzungen gearbeitet. Ich versichere Ihnen, ich habe getan, was ich konnte.«

Wilson überlegte kurz. »Diese Texte sind der Grund, weshalb ich hier bin, Barton. Vielleicht habe ich nie wieder die Gelegenheit, sie mir anzuschauen. Und was kann es denn schaden?«

»Es könnte zu diesem Zeitpunkt unklug sein, zu viel Aufmerksamkeit darauf zu lenken«, gab Barton zu bedenken.

Wilson schloss für einen Moment die Augen; dann sah er Barton wieder an. »Sie haben gesagt, jeder weiß von der Bauanleitung und woher sie stammt.«

»Jeder im Mercury-Team.«

»Wo liegt dann das Problem? Sie werden meine Neugier doch verstehen.«

So gesehen schien die Bitte durchaus verständlich.

»Also gut, Wilson, wenn Sie unbedingt wollen«, sagte Barton. »Aber ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Absolvieren Sie die letzten Tests, die wir vorbereitet haben, und ich gewähre Ihnen den Zutritt. Aber seien Sie bitte diskret. Wir können in dieser Hinsicht keine weitere Aufmerksamkeit gebrauchen.«

»Ich verstehe.« Wilson stand auf.

Barton fragte sich kurz, ob er Wilson zu früh vom Auftrag Jesajas erzählt hatte. Das engte die Optionen mehr ein, als ihm lieb war. Doch es war geschehen, und nun hatte es keinen Zweck, darüber zu grübeln.

»Haben Sie viel geschlafen?«, fragte Barton.

»Was denken Sie?« Wilson verdrehte die Augen.

»Wahrscheinlich nicht.« Barton drückte auf das Sprechgerät an seinem Revers. »Davin … Wilson ist bereit für den physischen Test. Nehmen Sie auch eine psychologische Einschätzung vor. Gehen wir die letzten Hürden an.«

Die Antwort hallte durch den Lautsprecher. »Kein Problem, Chef.«

»Psychologische Einschätzung?«, fragte Wilson. »Wollen Sie mir damit etwas sagen?«

»Nein. Das gehört zur Vorbereitung.«

Wilson zog eine Augenbraue hoch. »Welche Vorbereitung? Die, von der jeder weiß? Oder die andere, von der nur Sie und ich wissen?«

Bartons Blick schwenkte besorgt zu seinem Handheld – zum Glück leuchtete das grüne Lämpchen, und sie wurden im Moment nicht abgehört. »Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen aufpassen, was Sie sagen, Wilson.« Barton blickte ihn missbilligend an. »Bitte, geben Sie sich Mühe.«

Wilson schaute sich misstrauisch um. »Sie haben recht, es tut mir leid.«

Barton musterte seinen Kandidaten. »Was glauben Sie denn, was die psychologische Einschätzung mir verraten wird?«

»Sie wird nicht erfreulich sein«, sagte Wilson, noch immer wachsam. »Ich meine, welcher vernünftige Mensch würde so etwas für Geld tun?«

Das war eine interessante Antwort. »Was noch?«

»Dass ich Situationen unvorbereitet angehe. Offensichtlich. Und dass ich ein bisschen unorganisiert bin.« Wilson überlegte. »Ach ja, und ich habe eine Schwäche für schöne Frauen – welcher Mann nicht?« Er zwinkerte Barton zu, um die Stimmung zu heben. »Ich bin auch ein ziemlicher Witzbold.«

»Wird die Einschätzung auch etwas Gutes über Sie erbringen?«

»Das war das Gute.«

»Ich verstehe.« Barton ließ ein seltenes Lächeln sehen. »Nun, dann bin ich auf das Ergebnis gespannt.«

Wilson schaute auf das Firmenlogo an der Wand, und plötzlich legte sich ein Ausdruck der Beklemmung auf sein Gesicht. »Die ganze Situation ist phantastisch.«

»Da haben Sie vollkommen recht, Wilson.« Barton blickte wieder auf sein Handheld – es war Zeit zu gehen. In zwanzig Minuten war er mit Magnus Kleinberg verabredet. Er bereitete beide Kandidaten auf das Unternehmen vor, um sich bis zum letzten Moment möglichst viele Optionen offenzuhalten.