EPILOG
Und die Engel bliesen die Trompeten und riefen: ›Gesegnet seist Du, Herr, der Du Dich Deiner Kreaturen erbarmt hast.‹ Dann sah Seth die ausgestreckte Hand des Herrn, die Adam hielt, und Er übergab ihn Michael mit den Worten: ›Ich stelle ihn unter deine Obhut bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, wenn ich seinen Kummer in Freude verwandeln will …‹
Das Leben von Adam und Eva.
1. Jahrhundert, B. C. E. Alter Erdstandard. – Einer der See-von-Acheron-Texte, die 2728 auf Philonian gefunden wurden.
Adam Kadmon schlich durch die Sträucher auf der Hügelkuppe und grinste vor sich hin. Sein siebenjähriges Jungengesicht war dreckig, und seine weiße Robe sah aus, als hätte er den ganzen Tag versucht, bockige Ziegen einzufangen. Er kicherte, während er vorsichtig um die Dattelpalme herum spähte.
Dort drüben steckte seine Freundin Halakhah und hatte sich im Schatten eines Felsens verborgen. Der Junge mußte erst recht grinsen, als ihm einfiel, wie Halakhahs Mutter immer ihre Tochter ausschimpfte, wenn sie mit ihm gespielt hatte.
Sie hob den Kopf, blickte am Felsen vorbei und suchte offensichtlich ihn.
Adam stürmte aus seinem Versteck und stieß einen Triumphschrei aus. Halakhah bewegte sich schneller, als er gedacht hatte, bekam seine Beine zu fassen und brachte ihn zu Fall.
Sie hockte sich auf ihn, und mochte er noch so strampeln und mit ihr ringen, er konnte das größere Mädchen nicht von sich abschütteln. Sie hielt seine Arme und Beine fest.
»Ich hab’ dich!« lachte sie.
»Du kriegst mich doch immer«, murrte er, mußte dann aber mitlachen. Halakhah ließ ihn schließlich los und legte sich neben ihn in den warmen Sand. Gemeinsam betrachteten sie die Wolken, die rasch über den Himmel zogen.
»Weißt du was, Adam?«
»Was denn?«
Sie leckte sich über die Lippen. »Ich habe Durst. Laß uns in die Stadt gehen und aus dem Brunnen trinken.«
»Meinetwegen.«
Von einem Moment auf den anderen sprang er auf und rannte los.
»He!« rief das Mädchen hinter ihm her.
Er drehte sich zu ihr um und lief rückwärts weiter. »Komm schon, wir machen ein Wettrennen!«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
Weiber! Wenn man ihnen nicht alles haarklein erklärte. Er winkte ihr zu. »Los, du lahme Kröte.«
Halakhah kam hoch und setzte sofort zu einem Sprint an. Sie war wirklich sehr schnell.
Adam wartete, bis sie ihn erreicht hatte. Dann zog er mit der Sandalenspitze einen Strich in den Sand. »Ich zähle bis vier, einverstanden?«
Sie hob den Saum ihres Kleids und beugte sich vor. »Ich bin bereit.«
Adam atmete ein paarmal tief ein. Unten breitete sich die Stadt wie eine funkelnde goldene Decke aus. Die Wälle der Stadtmauer erhoben sich hundert Fuß hoch. Die zwölf Tore leuchteten wie weiße Perlen.
Adam öffnete den Mund, um mit dem Zählen zu beginnen. Doch dann zeigte er aufgeregt nach vorn und rief: »Sieh nur … sie sind zurück!«
Halakhah blickte nach unten und lächelte. Die Engel öffneten die Tore der Stadt und bauten sich wie hohe Säulen davor auf.
Dann hoben sie die Arme und winkten den Menschen auf den Hügeln zu.
»Beeil dich«, mahnte das Mädchen und setzte sich in Bewegung. »Laß uns nachschauen, was für wundersame Geschenke sie diesmal gebracht haben.«
Adam folgte ihr lachend. Er liebte die zwölf Engel. Sie erschienen nicht oft, aber wenn sie kamen, brachten sie Geräte mit, mit deren Hilfe das Getreide schneller wuchs, die Bäume mehr Früchte trugen und die Tiere fetter wurden.
Und sie setzten sich die ganze Nacht mit den Ältesten der Stadt zusammen und erklärten ihnen, wie sie es bewerkstelligen mußten, daß die Aquädukte auch weiterhin Wasser lieferten und die Brunnen der Stadt sauber blieben.
Manchmal brachten die Engel auch Bücher, in denen Tiere zu sehen waren, die nicht in Adams Welt lebten. Sein Vater, ein geachteter Rab in der Stadt, hatte dem Jungen einmal erzählt, daß das die Tiere seien, die die Himmel bewohnten.
Adam rannte hinter Halakhah her durch einen Olivenhain und konnte es kaum erwarten, die Engel zu sehen.
Als er einen Felsen umrundet hatte, sah er, daß am Taltor sein Lieblingsengel stand. Der Himmelsbewohner ließ seinen Blick voller trauriger Sympathie über die Stadt wandern, als würde schon ihr Bild ihm das Herz zerreißen.
Halakhah erreichte ihn als erste. »Colopatrion!« rief sie und warf sich in seine Arme. Der Engel lachte, hob sie hoch und schwang sie herum.
»Halakhah, du wächst wirklich viel zu schnell. Und du auch, Adam.«
Der Junge blieb vor dem Engel stehen und starrte wie stets voller Ehrfurcht auf die Halskette des Wesens, die blaues Licht verbreitete.
»Ich bin froh, daß ihr wieder da seid«, sagte er zu dem Engel. »Mein Vater hat gesagt, die Bücher, die ihr ihm gebracht habt, würden sein Gehirn peinigen.«
»Ehrlich? Nun, die Gravitation ist eben nicht jedermanns Sache. Dabei hatte ich gedacht, das Buch könne ihm bei seinem nächsten Bewässerungsprojekt von einigem Nutzen sein.«
Colopatrion betrachtete die Ziegenherden am Hang, und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. »Hier bei euch ist es immer so friedlich …« Er trug das Mädchen und nahm den Jungen bei der Hand. »Warum reden wir nicht mit deinem Vater über die Bücher?«
Und Adam drückte die große Hand des Engels, während sie über die schmalen, mit Gold gepflasterten Straßen von Yerushalaim wandelten.
ENDE