KAPITEL
11

 

 

Cole stand mitten im Hangar, wischte sich die feuchten Handflächen an seinem schwarzen Kampfanzug ab und blickte sich geistesabwesend um. Stasisschränke reihten sich längs der Wand, die raschen Zugriff auf Notfallausrüstungen und Werkzeug boten. Am äußeren Rand des Hangars standen sechs schimmernde Jäger, die unter der starken Beleuchtung dreieckige, zinnfarbene Schatten über die weißen Wände warfen. Ein einzelner Jäger befand sich direkt vor dem Schleusentor. Neben ihm war Baruch zu sehen, der in angespannter Haltung und mit geballten Fäusten knappe Anweisungen an die Crew erteilte. Die beiden Frauen des Kommandoteams nickten nervös und schienen wegen des ungewohnten, fast schon feindseligen Untertons in Jeremiels Stimme besorgt zu sein. Rivka Leso, die Pilotin, eine kleine Frau mit kurzgeschnittenem rotem Haar und strahlend grünen Augen, blickte immer wieder zu Cole hinüber.

Tahn ignorierte die Vorgänge um ihn herum und prüfte abermals seine Ausrüstung. Wohl zum hundertsten Mal betätigte er den Schalter seines Gürtelkommunikators, um sicherzustellen, daß das Gerät auch tatsächlich funktionierte, und schaute sich dann den Ladezustand seiner beiden Pistolen an. Danach betrachtete er stirnrunzelnd die gefälschten Ausweispapiere. Sonny Flaum? Was war das für ein Name?

Cole kratzte sich den Bart und grunzte irritiert. Weshalb war er so verdammt nervös? Im Auftrag der Magistraten hatte er schließlich schon oft genug den Spion gespielt. Aber das war Jahre her. Außerdem war ihm bewußt, daß erstklassige Spionagearbeit im Grunde jemanden erforderte, der sich durch einen ausgeprägten Mangel an moralischen Vorstellungen auszeichnete. Er selbst hingegen hatte in den vergangenen zwölf Jahren so viele Skrupel entwickelt, daß diese Mission durchaus tödlich für ihn verlaufen konnte. Tagelang war er in seiner Kabine auf und ab gewandert, hatte sein Spiegelbild schief angegrinst und dabei gedacht: Du akzeptierst diese Mission wirklich? Was bist du doch für ein tapferer Schwachkopf!

Jetzt konnte Tahn nur hoffen, daß sich wenigstens einer der Captains jener fünf Kreuzer, die über Horeb kreisten, an das Training letztes Jahr im Wocet-System erinnerte. War das nicht der Fall, könnte Jeremiels Plan sehr schnell scheitern.

Baruch kam mit angespanntem Gesichtsausdruck quer durch den Hangar auf Cole zu. Der Kragen seines schwarzen Anzugs war schweißgetränkt. »Bist du bereit, Cole?«

»Ich habe mich bereits gestern auf Harakiri umprogrammiert. Natürlich bin ich bereit.« Er zog die Pistole halb aus dem Holster und schob sie wieder zurück.

Jeremiel betrachtete ihn prüfend und meinte: »Bist du ganz sicher, daß du es dir nicht noch anders überlegen willst?«

»Sei nicht albern. Ich bin perfekt für diesen Job geeignet. Und wo willst du jetzt noch jemanden mit genauso wenig Verstand auftreiben?«

Baruch lächelte schwach. »Denk daran, wenn alles gut geht, sitzen wir beide in etwa sieben Tagen in einem Schiff mit Kurs auf Palaia.«

»Ja, genau dieser Gedanke hält mich aufrecht.« Tahn sah Jeremiel in die Augen und spürte einen Hauch von Verzweiflung unter der kühlen, berechnenden Oberfläche. Tief in seinem Innern empfand Cole ganz ähnlich.

»Du hast die Pläne des Palastes und der Höhlen in der Wüste?«

Tahn klopfte auf seine Brusttasche. »Die sind hier.«

»Gut. Die Sargonid ist gerade in den Orbit um Horeb gegangen. Wir kennen ihre Befehle nicht, nehmen aber an, sie soll die Revolte beobachten, die Mikael anführt. Zweifellos hat Ornias bereits ein Treffen gefordert, um geeignete Unterdrückungsmaßnahmen zu besprechen …«

»Und Amirah Jossel kommandiert die Sargonid? Ich hoffe, sie ist tatsächlich so dynamisch, wie ihre Personalakte vermuten läßt. Ein paar Tage angeregter Diskussionen würden mir schon zusagen. Aber selbst wenn sie nicht besonders helle sein sollte, sieht sie immerhin gut aus. Das wäre ja auch ein gewisser Trost.« Cole zupfte nervös an seinem Kragen. Es kam ihm plötzlich so vor, als hätte er den Kopf in eine Schlinge gesteckt.

»Gibt es noch irgend etwas, das ich für dich tun kann?« fragte Baruch.

»Nein.«

Jeremiel betrachtete ihn mit einer Intensität, als würden sie sich zum letztenmal sehen. Cole beschlich dabei ein Gefühl, als hinge er an den Fingerspitzen über dem aufgerissenen Maul einer feuerspeienden arkturianischen Flammenkatze.

Er lachte grimmig. »Schau mich nicht so zuversichtlich an, Baruch, sonst steigt mir das noch zu Kopf.«

Jeremiel warf einen Blick zu den Soldaten neben dem Jäger hinüber. Im Hangar war es plötzlich sehr still geworden. Das Kommandoteam wartete angespannt, und Rivka, die Pilotin, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Gib eine Funkmeldung an Rivka durch, sobald du Stufe eins erledigt hast. Sie wird die Nachricht an uns weiterleiten. Wir sind nicht mehr als einen Tag entfernt.«

»Verstanden.«

»Und geh keine unnötigen Risiken ein.«

»Meine Ambitionen als Märtyrer habe ich schon vor Jahren abgelegt.«

Baruch legte eine Hand auf Coles Schulter und gab weitere Instruktionen, doch Tahn hörte kaum, was er sagte, sondern konzentrierte sich mehr auf Jeremiels Gesicht. Der Commander war so bleich wie ein Mensch, der langsam an einer schweren inneren Verletzung verblutet. Kalter Schweiß brach Cole aus, als er die versteckte Furcht in Baruchs Stimme heraushörte. Jeden Tag waren die beiden gemeinsam die Funksprüche durchgegangen, stets auf der Suche nach irgendeinem Hinweis, daß Carey noch lebte. Doch sie hatten nichts gefunden. Statt dessen schlichen sich in Tahns Träume Bilder von Carey, die einsam und tot in den kalten, unterirdischen Räumen von Palaia lag. Oder, noch schlimmer, lebendig, aber nicht mehr bei Verstand. Nacht um Nacht war er mit klopfendem Herzen und in verschwitzten Laken aufgewacht.

»Ich kenne den Plan, Baruch«, unterbrach er den Freund schließlich leise. »Mach dir keine Sorgen. Niemand wird mich schnappen.« Mit bedeutsamer Miene klopfte er auf die Pistole an seiner Hüfte und schaute dann zum Jäger hinüber. Rivka hatte begonnen, vor der Nase des Schiffes auf und ab zu marschieren. »Ich sollte jetzt besser gehen.«

Jeremiel ließ zögernd die Hand sinken.

»Wenn ich mich nicht in spätestens zwei Tagen bei Rivka gemeldet habe«, fügte Tahn hinzu, »dann schreib mich ab und greif den Planeten an.«

»Ist klar. Aber sieh zu, daß du …«

»Und dann mach, daß du nach Palaia kommst.« Cole richtete sich auf und sah Baruch ernst an. »Wenn Carey lebt, kann sie den Sonden wahrscheinlich nicht länger als ein paar Tage Widerstand leisten. Ich weiß, wovon ich rede. Schließlich habe ich das selbst einmal mitgemacht, und die Technik ist in den letzten dreißig Jahren erheblich verfeinert worden.«

»Ich werde so schnell wie möglich dort sein«, erwiderte Jeremiel mit ruhiger Stimme. »Paß auf dich auf.«

»Mach ich. Und sag Merle, ich hätte durchaus vor, heil zurückzukommen, und dann würde ich mein Schiff gern heil und unversehrt vorfinden. Andernfalls kann sie sich auf einen Strafdienst gefaßt machen, der ihr bestimmt nicht gefallen wird.«

»Werde ich ihr ausrichten.«

Cole wandte sich abrupt um und ging zum Jäger hinüber. Seine Schritte riefen ein dumpfes Echo hervor. Er kletterte in die enge Pilotenkanzel und streifte sich den Sprunganzug und den dazugehörigen Rückentornister über. Dann nahm er seinen Helm, setzte sich in einen der Sessel und schaltete die elektromagnetischen Sicherungen ein, während Pilotin und Copilotin ihre Plätze einnahmen. Coles Assistenten, die Sergeanten Keynes und Ward, beide jung und schwarzhaarig, warfen ihm düstere Blicke zu, als sie ihre eigenen Sicherungseinrichtungen einschalteten.

»Keynes?« sagte Cole. »Die ganze Angelegenheit wird ausgesprochen schwierig, daher werde ich in den nächsten Stunden sämtliche Aktionen noch mehrmals mit Ihnen durchsprechen.«

Keynes rückte sein Holster zurecht und nickte. »In Ordnung, Sir. Halte ich auch für eine gute Idee. Ward und ich sind bereit, aber …«

»Captain«, warf Rivka Leso ein, während sie den Antrieb hochfuhr. »Wir werden den Lichtsprung mitten zwischen diesen Kreuzern beenden und dann mit Höchstgeschwindigkeit zur Planetenoberfläche hinabfliegen. Dort setzen wir Sie und Ihr Team etwa zehn Meilen vom Gouverneurspalast entfernt ab.«

»Wieviel Zeit bleibt uns für den Absprung?«

»Zehn Sekunden. Danach liegen wir vermutlich schon unter Beschuß. Wir werden so lange wie möglich versuchen, die Gegner von Ihnen abzulenken. Wenn wir entkommen, warten wir Ihr Signal ab, bevor wir den nächsten Schritt unternehmen.«

Cole verspürte ein gewisses Unbehagen. Leso würde das kombinierte Feuer von zumindest zwei Kreuzern auf sich ziehen. Er und sein Team wiederum mußten mindestens eine Meile im freien Fall zurücklegen, bevor sie die Düsen ihrer Jetpacks zünden durften, andernfalls würden die Kreuzer sie sofort entdecken, und das wäre das vorzeitige Ende ihrer Mission. »Wir sind bereit«, erklärte er.

Tahn lehnte den Kopf gegen die weiße Wand und schaute zu, wie sich die Hangartüren öffneten. Vor ihnen breitete sich die Schwärze des Alls aus.

Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
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