KAPITEL
48
Cole lag träge auf dem Tisch im hinteren Teil der Brigg. Er fand einfach keinen Schlaf. Selbst die leiseste Anstrengung ließ ihn wütend auf sich selbst werden, weil er immer noch nicht die geringste Ahnung hatte, was sie tun sollten, sobald sie Palaia erreicht hatten.
Am anderen Ende des weißgekachelten Raumes hockte Jeremiel mit zerstreuter Miene auf einem Stuhl. Höchstwahrscheinlich entwickelte er in Gedanken Strategien, aber die konnten sie hier, wo jeder Atemzug aufgezeichnet wurde, natürlich nicht diskutieren. Baruch sah hundemüde aus. Dunkle Flecken zeigten sich unter seinen Augen, und das blonde Haar hing ihm verklebt in die Stirn. Alle anderen schliefen in ihren schmalen Kojen. Mikael und Sybil hielten sich in den Armen. Briggs waren nicht auf Komfort hin konzipiert, doch das junge Paar schien sich nicht daran zu stören. Zwanzig Kojen befanden sich an der Wand achtern, und vier Tische mit jeweils vier Stühlen standen an der Steuerbordwand. Ein Getränkespender, der wie eine silberne Abfalltonne aussah, erhob sich in der Mitte des Zimmers. Darüber hinaus wies der Raum weder weitere Möbel noch sonstige Einrichtungsgegenstände auf – abgesehen von der Uhr über der Tür, die in blauer Leuchtschrift 2:30 anzeigte.
Cole ballte eine Faust und warf Jeremiel einen spöttischen Blick zu. »Du solltest wirklich ein bißchen schlafen. Uns bleiben noch gut zwanzig Stunden bis zum Untergang.«
Baruch schüttelte leicht den Kopf. »Das habe ich längst ausgerechnet. Bis dahin sind es eher noch vierundzwanzig Stunden.«
»Ehrlich? Das ist gut. Ich fühle mich gleich viel besser, wenn ich weiß, daß wir noch einen ganzen Tag haben.«
Cole spielte gedankenverloren am zu engen Ärmel seines Overalls, den man ihm gegeben hatte. Nachdem man sie durch die von Lichtstrahlen gesicherte Tür gestoßen hatte, war er sofort zur Dusche geeilt. Der endlose heiße Strom hatte ihn wiederbelebt. Im Untergrund mußten sie stets sparsam mit Wasser umgehen, was unter anderem bedeutete, daß man nicht länger als drei Minuten duschen durfte. Der Luxus, hier eine Viertelstunde unter der Brause stehen und sich viermal waschen zu können, kam ihm wie ein Geschenk Gottes vor. Er sah Baruch mit halb geöffneten Augen an. »Du hast also alles berechnet, was?«
Jeremiels blaue Augen blitzten kurz auf. »Ja, ich glaube schon.«
Verdammt, wenn wir doch nur darüber reden könnten! »Diesmal tritt kein deus ex machina auf, oder? Keine Lichtblitze, die aus dem Nichts erscheinen, um unsere Feinde zu zerschmettern? Vergiß nicht, daß ich Atheist bin.«
»Nein, keine Lichtblitze«, versprach Baruch ihm. »Und was ist dir so in den Sinn gekommen?«
»Mir?« Cole beugte sich weiter über den Tisch, um flüsternd fortzufahren: »Das Geräusch der Wellen, die gegen Charons Kahn schlagen.«
Baruch senkte den Kopf, um in sich hineinzulächeln. »Ich glaube nicht, daß …«
Er sprach nicht weiter, als von draußen Stimmen ertönten. Beide Männer blickten auf. Die Lichtschranken vergingen in einem goldenen Blitz, und der Türweg war frei. Als Cole Jason Woloc entdeckte, schoß sein Blut heiß durch die Adern. Der junge Offizier stand kerzengerade da, hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und gab den Wachtposten vor dem Raum knappe Befehle. Ein Sergeant stellte ihm leise eine Frage, weil ihm Wolocs Anordnungen sichtlich Unbehagen bereiteten.
Der Offizier gab ihm eine barsche Antwort, und der Unteroffizier salutierte stramm und trat zurück. Zwei grau und purpurfarben uniformierte Corporals kamen nun in den Raum und marschierten direkt auf Cole zu.
»Captain Tahn«, sprach ihn der rothaarige Soldat an, »folgen Sie uns bitte.«
»Warum?«
»Lieutenant Woloc wünscht, Sie zu sprechen.«
»Aus welchem Grund?«
Der Corporal zog seine Pistole. »Kommen Sie mit.«
Cole folgte ihm gehorsam aus dem Raum und hielt dabei den Blick auf Woloc gerichtet. Als er durch die Tür schritt und in den überfüllten Gang gelangte, blieb er unschlüssig stehen und wartete auf neue Instruktionen. Gehirnsondierung? War der Lieutenant deswegen persönlich erschienen, um ihn abzuholen? Hatte er Amirah dazu gebracht, die Standardprozedur zur Behandlung von Gefangenen durchzuführen?
Tahn atmete tief ein und setzte eine finstere Miene auf, weil er sich damit besser fühlte. Woloc fuhr unter diesem Blick zusammen. Etwas Eigenartiges leuchtete hinter seinen Augen – Neugier und Angst.
»Was soll das alles, Lieutenant?« verlangte Cole zu wissen.
Der Offizier zog seine Pistole, richtete den Lauf auf Tahns breite Brust und entgegnete: »Setzen Sie sich in Bewegung, und gehen Sie voraus, Captain.«
»Bin schon auf dem Weg.«
Cole schritt zügig aus. Nur der Lieutenant folgte ihm. Alle Wachen blieben zurück. Tahn warf einen prüfenden Blick in jeden Korridor, an dem sie vorbeikamen, um dort die verborgenen Soldaten zu entdecken, die als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme die Gänge überwachten.
Als sie den Aufzug erreichten und die Kabine betraten, drückte Woloc auf den Knopf für Deck 2 und schaute Tahn dann durchdringend an.
Cole fragte im Plauderton: »Wie geht’s Ihrer Crew, Lieutenant? Sind schon Anzeichen von Postinvasions-Desorientierung aufgetreten?«
Woloc lehnte sich mit den Schultern an die Wand. »Darf ich Sie mal was fragen, Tahn? Was wissen Sie über diese Anfälle? Hat Amirah Sie deswegen rufen lassen?«
Coles Magen verkrampfte sich. Amirah … »Ja. Wo hält sie sich auf?«
»In ihrer Kabine. Dorthin sind wir unterwegs.«
»Und wie geht es ihr?«
Der Lieutenant schüttelte den Kopf und atmete unglücklich aus. »Ich weiß es nicht. Wir bekommen sie nicht einmal vom Boden hoch.«
Tahn blickte ihn eindringlich an. Der Mann zitterte am ganzen Körper. Sein Haar war so verschwitzt, daß es ihm am Kopf klebte. »Was hat den Anfall ausgelöst?«
Ein Ruck ging durch Woloc. »Ich bin nicht befugt, Ihnen davon Mitteilung zu machen. Diese Information unterliegt der …«
»Ach, Blödsinn, Lieutenant!« fuhr Cole ihn lautstark an. »Sie müssen mir schon etwas in die Hand geben, mit dem ich arbeiten kann. Ich vermag leider nicht …«
Der Aufzug hielt mit einem federleichten Stoß, und die Tür glitt auf. Cole trat hinaus auf den Gang, und Woloc folgte ihm.
»Zu welcher Kabine müssen wir?«
»210.«
Tahn fing übergangslos an zu laufen und scherte sich nicht länger darum, daß der Lieutenant immer noch die Waffe auf ihn richtete. Er hörte hinter sich die stampfenden Schritte Wolocs. Dann bog er um eine Ecke und rannte den langen weißen Korridor hinunter. Niemand sonst hielt sich hier auf. Hatte der Lieutenant die Umsicht besessen, die Gänge auf diesem Deck räumen zu lassen, damit niemand mitbekommen konnte, wie Captain Tahn Jossels Kabine betrat? Wirklich ein hervorragender junger Offizier. Cole hielt vor dem Raum an und drückte gleich auf den Türöffner.
Er stürmte hinein und kniete sich sofort vor Amirah hin.
Sie lag mitten im Zimmer auf dem Boden. Jemand hatte achtlos eine graue Decke über sie geworfen. Woloc kam hinter ihm herein, und die Tür schloß sich.
Trotz des Halbdunkels konnte der Captain erkennen, daß Amirah unter der Decke nackt war. Er warf einen Blick auf Woloc und entdeckte, daß der junge Mann sich überhastet und nachlässig das Hemd in den Hosenbund geschoben hatte. Der Lieutenant setzte eine abwehrende Miene auf, als ahnte er, welche Gedanken dem Captain durch den Kopf gingen. Dabei dachte Cole an nichts Besonderes, außer vielleicht daran, warum Amirah ausgerechnet nach ihm verlangt hatte, wo sich doch hier ganz in der Nähe jemand befand, dem sie vertraute.
Cole hockte sich auf den Boden, deckte die Frau richtig zu und hob dann sanft ihren Kopf, um sie in die Arme zu nehmen. Sie lag reglos und schweigend da, und ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Amirah schien am Rand der Erschöpfung zu stehen und ihre gesamte Lebenskraft aufgebraucht zu haben.
»Amirah? Sprechen Sie zu mir. Sind Sie hier? Oder an einem anderen Ort?«
So, als könne sie kaum die Energie zu sprechen aufbringen, murmelte Amirah: »Cole, sie haben mich gezwungen, sie zu töten … Slothen war es …«
»Wen?«
Ihr Körper zitterte unkontrolliert, und Cole hielt sie fester, preßte sie an seine Brust. »Wen, Amirah?«
»Großmutter«, hauchte sie kaum vernehmlich.
Tahn blickte in ihre gehetzten Augen. Sie schien ihn nicht zu erkennen, sondern zurück in die Vergangenheit zu dem schrecklichen Tag vor so vielen Jahren zu schauen, der jetzt für sie nur einen Moment zurücklag. Was mochte ihr heute abend widerfahren sein, daß sie sich wieder an dieses Ereignis erinnerte? Woloc mußte der Auslöser gewesen sein. Tahns Gedanken gelangten auf unangenehme Bahnen. Er fragte sich, ob Slothen sich eines sexuellen Fingerzeigs bedient hatte. Auszuschließen war das nicht. Unbarmherzige Kälte machte sich in Coles Eingeweiden breit. Jeremiels Bemerkung über Jossel kam ihm jetzt noch wahrscheinlicher vor. Sefer Raziel war verschwunden, nachdem ihre Kontaktleute auf Rusel 3 behauptet hatten, magistratische Soldaten seien auf dem Weg, sie und Amirah aufzunehmen und nach Palaia zu bringen. Was hatte Slothen nur angestellt? Amirah programmiert und dann seinen Zugriff an Raziel ausprobiert? Wer könnte ihm bei Amirah gelegener erscheinen als deren geliebte Großmutter? Wenn sie schon Raziel umbringen konnte, war sie in der Lage, wirklich jeden zu töten. Aber wer war Slothens wirkliches Ziel?
»Lieutenant«, sprach er Woloc freundlich an, »Captain Jossel geht es jetzt wieder besser. Könnten Sie ihr aus dem Kleiderschrank etwas zum Anziehen holen? Amirah und ich müssen jetzt miteinander reden, und ich glaube, da möchte sie lieber nicht frieren.«
»Ja.«
Während der junge Offizier im Zimmer herumlief, rief Cole: »Amirah? Können Sie aufstehen?«
Er erhielt keine Antwort.
»Amirah?« Er schob eine Hand unter ihr Kinn und drehte ihr wunderschönes Gesicht zu ihm. Die Frau schien sich in einer Art katatonischer Starre zu befinden, so, als habe sich ihr Gehirn einfach abgeschaltet. »Amirah? Können Sie mich verstehen?«
Sie blinzelte nicht einmal. Er wischte blonde Locken von ihren Wangen und strich sanft über ihr Haar. O Herr, was nun? Ist das Bestandteil der Programmierung? Eine Sicherheitssperre, die sie daran hindern soll, gegen die Regierung vorzugehen, sollte sie jemals hinter die Wahrheit kommen? Sein Magen verkrampfte noch mehr. »Halten Sie durch, Captain, es dauert bestimmt nicht lange.«
Woloc wühlte in den Uniformen und Freizeit-Overalls und entschied sich schließlich für eine magentarote Robe mit weißem Besatz. Er strich fast ehrfürchtig über das Stück, als er es vom Haken nahm. Cole verfolgte sein Tun mit neugierigem Interesse. Der Lieutenant kehrte zurück und reichte ihm das Gewand. Doch diese Geste war von soviel Zögern erfüllt, daß Tahn das Stück gleich wieder zurückgab.
»Ziehen Sie ihr die Robe an«, erklärte er, »während ich die Decke anhebe.«
»Ja, Sir.« Woloc kniete sich hin.
Cole zögerte, weil das ›Sir‹ ihn doch ein wenig in Erstaunen versetzt hatte. Der Lieutenant schaute ihn an. Ihre Blicke trafen sich. Die Männer starrten sich an, als wollten sie sich abschätzen, und eine zerbrechliche Brücke des Vertrauens entstand zwischen ihnen. Beide wußten, daß etwas Gefährliches und Entschlossenes von Amirah Besitz ergriffen hatte und daß sie dringend Hilfe brauchte. Aber inwieweit mochte Woloc über ihre Programmierung informiert sein? Während Cole in die haselnußbraunen Augen blickte, spürte er, daß sein Gegenüber nicht einmal eine Vorstellung davon haben konnte, es sei denn, Amirah würde etwas anderes beschließen.
Cole schob einen Arm unter die Decke und um den kalten Rücken der Frau. Dann zog er das Tuch zurück, bis ihre muskulösen Schultern im trüben Licht bloß lagen. Woloc zog hastig die Robe über ihre Nacktheit und ließ die Ärmel sanft an ihren Armen hinabgleiten.
Als der Lieutenant Cole wieder ansah, zeigte sich Furcht in seinen Augen. »Haben Sie das früher schon einmal an ihr erlebt?« fragte er angespannt.
Tahn schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube aber, daß derjenige, der ihr die Ermordung ihrer Großmutter ins Gedächtnis zurückgerufen hat, damit auch einen tiefsitzenden Verteidigungsmechanismus auslöste, um sie daran zu hindern, nach dieser Erinnerung loszuschlagen.«
»Sie meinen Slothen …«
»Genau den meine ich, Lieutenant. Slothen will sie nicht verlieren und geht deshalb kein Risiko ein. Ich vermute, daß Amirah sich an diesen Vorfall hier überhaupt nicht mehr erinnern kann … falls sie je wieder aus diesem Zustand erwacht.«
Woloc schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich verstehe das alles nicht. Wozu soll die Programmierung gut sein? Wofür ist Amirah bestimmt?«
»Soll das heißen, Sie wissen es nicht?«
»Nein«, entgegnete der Lieutenant verbissen. Er sprang auf die Füße und breitete hilflos die Arme aus. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung! Sie etwa?«
Tahn hob Amirah vorsichtig hoch und trug sie zu ihrem Bett, um sie dort hineinzulegen. Sie wirkte so schwach und leblos wie eine Stoffpuppe. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, was auf dem Monitor auf dem Schreibtisch erschien: ENDE DES HOLO. BERICHT ÜBER ALARMSTATUS STUFE FÜNF.
Tahn fuhr herum und blickte den Lieutenant fragend an. »Was geht hier vor? Was hat der Alarmstatus Stufe Fünf zu bedeuten?«
Woloc riß Mund und Augen auf. Er rannte zum Bildschirm. »Oh, nein …«
»Was ist denn?«
»Ich weiß auch nicht. Vielleicht …« Er sprach den Satz nicht zu Ende, während er sich über die Tastatur beugte und dem Computer befahl, die Datei zu löschen. Der Anlage reagierte nicht und verlangte weiterhin einen Bericht über den Alarmzustand.
Woloc ließ sich in den Schreibtischsessel fallen und tippte: ALARMSTATUS STUFE FÜNF BEENDET.
Der Computer fragte zurück: STATUS DES CAPTAINS? TOT ODER HARMLOS?
Jason stieß einen Fluch der Überraschung aus. »Diente die Datei dazu, sie harmlos zu machen? Was um alles in der Welt geht hier vor?« Er gab HARMLOS ein.
Cole runzelte die Stirn, als auf dem Bildschirm die Schrift erschien: ACHTUNG BOTSCHAFT VON MAGISTRAT SLOTHEN:
Woloc beugte sich zähneknirschend vor und starrte besorgt auf den Bildschirm. Die Falten auf Tahns Stirn vertieften sich, als der Bildschirm leer wurde und dort ein weißes Licht aufblitzte. Es schrumpfte zu einem winzigen Punkt, der die Farbe wechselte, bis er tiefrot strahlte …
Cole sprang zu Woloc, packte ihn an den Schultern und riß ihn hart zu Boden, als der dünne Strahl sich durch den Rücken des Schreibtischsessels bohrte und ein Loch in die gegenüberliegende Wand brannte, ehe er erlosch. Der Lieutenant richtete sich mühsam wieder auf und starrte keuchend auf die Beschädigung. Er wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und warf Tahn einen panikerfüllten Blick zu.
Cole erhob sich vorsichtig. Er näherte sich langsam der Konsole und hieb dort auf den Aus-Knopf. Der Bildschirm wurde grau.
Nachdem er lange ausgeatmet hatte, erklärte er: »Offenbar wurde die Person, die wußte, was in der Datei enthalten war, als störend betrachtet, Lieutenant.«
Woloc setzte sich hin. »Ich … ich verstehe das alles nicht. Slothen muß beabsichtigt haben, das Schiff für den Fall zu schützen, daß Amirahs Erinnerung durch einen Zufall ausgelöst würde. Aus diesem Grund …«
»Ja, deshalb war es Ihnen auch möglich, in die Datei zu gelangen. Sie sollte Amirah in Katatonie versetzen und dann die Person vernichten, die Kenntnis erlangt hatte.« Tahn lief mit steifen Schritten vor dem Lieutenant auf und ab. »Slothen würde vermutlich alles tun, um Amirah unter seiner Kontrolle zu behalten. Himmel noch mal, was hat er eigentlich vor?«
Woloc atmete zitternd ein. »Nachdem ich die Tikkun-Dateien studiert habe, halte ich es für wahrscheinlich, daß alles mit den Gamanten zu tun hat. Vielleicht…« Er schwieg für einen Moment und schloß die Augen, als müsse er sich darauf konzentrieren, die richtige Entscheidung zu finden. »Vielleicht sollte ich Ihnen mitteilen, was in den Dateien gestanden hat. Möglicherweise finden wir gemeinsam zu einer Lösung.«
Tahn blickte den Lieutenant fragend an. Woloc wich seinem Blick nicht aus. »Warum? Was für einen Anlaß haben Sie, mich einzuweihen?«
Der junge Mann legte die Hände auf die Knie. »Weil Amirah Ihnen vertraut. Und nach dem Mordversuch vorhin halte ich es für ratsam, es ihr gleichzutun. Wir beenden den Lichtsprung in acht Stunden, Captain Tahn. Was immer wir auch zu unternehmen gedenken, wir müssen uns beeilen, uns eine Strategie zurechtzulegen.«
Slothen stand in der Dunkelheit und starrte durch die Fenster seines Büros auf das nächtliche Naas. Die dreieckigen spiegelverglasten Gebäude reflektierten das immer wieder ausbrechende Gewehrfeuer auf den Satelliten. Jäger flogen am Himmel hin und her. Sobald sie Gamanten ausmachten, beschossen sie die Satelliten. Er verschränkte nervös die Finger von dreien seiner Hände ineinander.
»Können Sie sie sehen?« fragte Mastema von seiner Antigrav-Bahre. »Es werden immer mehr.«
»Ja, ich kann sie sehen. Sie sammeln sich, und das, obwohl wir ihre kleine Anführerin in unserer Hand haben.« Dank seiner Infrarot-Sicht konnte Slothen einen großen, glühenden Halbkreis von menschlichen Körpern rings um die Satelliten 4 und 6 erkennen. »General Ornias’ Spione melden, daß sie mit dem Angriff noch warten.«
»Worauf denn?« entfuhr es Mastema verärgert. Im Licht der Sterne wirkte sein blaues Gesicht wie nasser Schiefer. »Sie haben Ornias’ Soldaten in den militärischen Installationen eingekesselt. Warum sollten sie da noch einen Moment zögern?«
Slothen hob die verschränkten Finger über die rubinroten Lippen und dachte nach. »Sie sagen, der Mashiah komme. Vermutlich wollen sie sich von ihm zum Sieg führen lassen.«
Mastema öffnete den Mund, um eine Gehässigkeit von sich zu geben, schloß ihn dann aber langsam wieder und schaute aus dem Fenster auf Satellit 6, bei dem es gerade zu einer heftigen Explosion kam. Die schlaffen Züge des Ober-Magistraten wirkten gehetzt, und er flüsterte kaum hörbar: »Ich bete zu Milcom, daß sie sich irren.«
Slothen sah Mastema von der Seite an. Hatte er diesen Namen nicht schon einmal irgendwo gehört? Milcom … Milcom … Methodisch durchsuchte er die Gedächtnisspeicher seines Dreifachgehirns, um Ort und Zeit exakt zu isolieren. Vor vielen Jahren war er diesem Namen schon einmal begegnet, vor über einem Jahrzehnt, oder? Auf irgendeiner abgelegenen Welt am Rand der Galaxis … Horeb! Ja, genau, natürlich, der wilde Prophet hatte vor zwölf Jahren auf Horeb über Milcom gepredigt … Adom Kemar Tartarus war sein Name gewesen.
Er warf einen verstohlenen Blick auf den Mann. »Mastema, woher kennen Sie diesen Namen?«
Doch der Meister hob unerwartet eine Hand, um Ruhe zu befehlen. Ein Jäger flog auf torkelndem Kurs über die Stadt, wich mit Mühe und Not den Gebäuden aus, tauchte ab und segelte über eine der Hauptstraßen. Dann sackte er plötzlich nach unten und krachte auf den Boden. Augenblicklich ging das Fluggefährt in einem Feuerball auf und trieb zu einem Wohnbezirk. Ein furchtbares Donnern ließ den Regierungssitz erbeben.
Slothen mußte sich am Fensterbrett festhalten, um die Kontrolle über sich zu wahren. »Ich fasse es einfach nicht … Wo haben sie Waffen her?«
Mastema drehte sich mit seiner Trage herum und glitt mit finsterer Miene zum dunklen Ausgang, wo seine Leibwächter auf ihn warteten. »Wie lange noch, Slothen, bis Tahn und Calas hier ankommen?«
»Sechs Stunden.«
Der oberste Magistrat zögerte an der Tür und drehte sich noch einmal herum, um aus dem Fenster zu starren. Während auf der Station die Lichter heller wurden, weitete sich ein schwarzes Loch aus, in dem Lichtstrahlen wie silbrige Fäden verschwanden. »Zohar«, murmelte Mastema geheimnisvoll. Dann zeigte er auf Slothen: »Sie müssen alle Vorkehrungen treffen, Slothen. Es ist mir gleich, ob Sie jeden verfügbaren Soldaten von den Satelliten-Schlachtfeldern abziehen, um den Raumhafen von Palaia zu schützen, wenn Sie nur sicherstellen, daß niemand Tahn oder Calas zu Hilfe kommen kann.« Er warf einen letzten Blick auf die wirbelnde Schwärze, die nun den halben Himmel bedeckte. »Niemand!«