KAPITEL
1

 

 

»Und was nun?« fragte Captain Amirah Jossel mit markiger Stimme. »Man hat mir befohlen, einen heiklen Einsatz bei Calistus abzubrechen und mich hier zu einer psychologischen Einstufung einzufinden, Doktor. Und damit haben wir uns den größten Teil der letzten drei Tage beschäftigt. Warum, zum Teufel, bin ich dann immer noch hier?«

Sie fixierte Doktor Hans Lucerne mit einem grimmigen Blick. Der Arzt ging auf und ab und blätterte unbehaglich in ihrem psychologischen Bericht, während sie sich anzog. »Sie befinden sich noch hier, Captain, weil Sie krank sind. Es war gut, daß Slothen Sie herbeordert hat.« Lucerne war ein Mann in den mittleren Jahren mit dichten, schwarzen Augenbrauen, lockigem, graumeliertem Haar und einem zottigen Schnurrbart, der über seine Lippen herabhing.

Jossel reagierte mit einem spöttischen Lächeln auf seine Worte. »Ich habe mich in meinem ganzen Leben nicht besser gefühlt, Doktor. Vielleicht gibt es ein paar kleinere Probleme aufgrund der Belastungen in den letzten Monaten, aber ich bin …«

»Den Teufel sind Sie.«

Jossel setzte eine empörte Miene auf, und Lucerne straffte sich, während er ihrem Blick standhielt. Er war die Angaben in ihrer Akte wieder und wieder durchgegangen; dennoch war ihm noch immer schleierhaft, wo die Ursache ihrer mentalen Störungen lag. In einem Punkt war er sich jedoch völlig sicher – sie war ernstlich krank, und der Streß der Geheimmission, für die Slothen sie vorgesehen hatte, konnte leicht zum völligen Zusammenbruch führen.

Jossel betrachtete ihn angewidert von oben bis unten, als überlege sie, ob sie ihn vor ein Kriegsgericht bringen sollte. Nicht, daß ihr das möglich gewesen wäre – er stand im Rang über ihr. Aber Jossel hatte eine Art, die anderen Menschen leicht eine Gänsehaut verursacht. Sie war eine große Frau mit langem, blondem Haar, einer Stupsnase und vollen Lippen. Lucerne war der Ansicht, sie könnte sogar ausgesprochen hübsch wirken, sofern sie sich jemals diesen stechenden Blick ihrer türkisfarbenen Augen abgewöhnen könnte, der die Menschen erschauern ließ, als würde Jossel sie durchbohren. Und ihr beißender Tonfall machte sie auch nicht gerade sympathischer. Das alles war allerdings typisch. Frauen von Jossels militärischem Prestige und Talent entwickelten unweigerlich brüske, ungeduldige Verhaltensweisen. Nach Abschluß der von den Magistraten geleiteten Akademie hatte Jossel sich als hervorragende Offizierin erwiesen und Auszeichnungen errungen, von denen Lucerne bisher nicht einmal gehört hatte, und er arbeitete immerhin schon seit dreißig Jahren als Arzt auf Palaia.

Lucerne wandte sich ab, als Jossel das Krankenhaushemd abstreifte und ihre Uniformhose anzog. Rings um ihn summten und brummten die hochentwickelten Geräte, mit denen Palaias beste Klinik ausgestattet war. Antiseptische Gerüche krochen wie heimtückische Schlangen durch den kleinen Untersuchungsraum. An der gegenüberliegenden Wand standen zwei weitere Betten. Beide waren leer. Eine grauhaarige Krankenschwester in einem enganliegenden weißen Overall betrat das Zimmer und balancierte ein Tablett mit silbernen Instrumenten und blutgefüllten Reagenzgläsern.

»Erklären Sie es mir, Doktor«, verlangte Jossel. »Mir kommt es so vor, als wäre ich nur vom Kriegsdienst so verdammt erschöpft, daß mein Verstand mir Streiche spielt. Was glauben Sie denn, was mit mir nicht stimmt?« Sie setzte sich auf die Kante des Untersuchungstisches und griff nach ihrem Uniformhemd. Die goldenen Kapitänsstreifen auf den Schulterklappen glänzten strahlend hell im Licht der starken Deckenbeleuchtung.

»Es könnte natürlich mit Ihrer Arbeit zusammenhängen«, erwiderte Lucerne aufrichtig. »Immerhin haben Sie in den letzten beiden Jahren eine Reihe recht harter Einsätze durchgestanden. Aber ich bezweifle, daß dort die Ursache des Problems liegt.« Er verschränkte die Arme und setzte eine besorgte Miene auf. Seine grauen Schläfen schimmerten wie die Fäden des Altweibersommers im Morgenlicht. »Wie lange haben Sie diese ›Rückblenden‹ schon?«

»Das sind keine ›Rückblenden‹«, korrigierte Jossel ihn ungeduldig und zog mißbilligend eine Augenbraue hoch. Lucerne hatte alle Mühe, nicht schuldbewußt zusammenzuzucken. »Rückblenden sind Erinnerungen. Das hier… nun, ich weiß nicht, was es ist. Das herauszufinden, ist Ihr Job. Aber es sind keine Szenen aus dem realen Leben. Es sind Phantasievorstellungen. Wir befinden uns jetzt im gleichen Gebäudeflügel, wo die meisten dieser Bilder Gestalt annehmen, und ich sehe hier nirgendwo ein Netz miteinander verknüpfter Lichter oder ein alles verschlingendes Ungeheuer der Finsternis.« Ein leiser Schauer überlief ihren Rücken. Sie spannte die Muskeln an, um diesen Anflug von Furcht zu unterdrücken.

Lucerne bemerkte ihre Reaktion und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Nennen wir es der Einfachheit halber trotzdem Rückblenden. Immerhin weisen sie Charakteristika verwirrter Erinnerungen auf. Ihre Großmutter ist stets mit dabei, nicht wahr?«

Jossel zog ihr Hemd über den Kopf und stopfte es dann in die purpurnen Hosen. »Ja«, antwortete sie säuerlich.

Lucerne fuhr sich mit der Hand durch das graumelierte Haar. Er mußte sie vorsichtig behandeln, andernfalls würde sie zweifellos aufstehen und hinausmarschieren, bevor er auch nur die Hälfte der Informationen in Erfahrung gebracht hatte, die er benötigte, um sie des Kommandos über ihr Schiff zu entheben. Allein der Gedanke daran ließ ihn heftig schlucken. Unbewußt blickte er zur Decke empor und sah im Geist den geflügelten Schlachtkreuzer. Die Sargonid schwebte in einer Umlaufbahn um Palaia Station. Was würde ihre Mannschaft unternehmen, falls er Erfolg hatte? Die Crew stand in dem Ruf, ihrem Captain eine geradezu irrationale Loyalität entgegenzubringen. Würden die Leute meutern? Versuchen, sie aus dem psychiatrischen Gewahrsam zu befreien? Das war eine Möglichkeit, auf die er den militärischen Beirat zu gegebener Zeit hinweisen mußte – falls es überhaupt dazu kam, was nach seinem letzten Gespräch mit Magistrat Slothen eher unwahrscheinlich war. Slothen schien Jossel ebenfalls eine irrationale Loyalität entgegenzubringen .

»Gehen wir die ganze Sache noch einmal durch«, sagte Lucerne und hob dabei die Akte hoch. »Die meisten dieser Rückblenden beginnen damit, daß Sie Ihre Großmutter hören, die Ihnen zuruft, der Erlöser sei nahe. Dann nehmen Sie den metallischen Geruch von Blut wahr. Sie sind über und über davon bedeckt, und Ihre Uniform klebt Ihnen am Körper. Auf den Fluren ist es stockfinster. Sie stützen Ihre verwundete Großmutter und zerren sie durch die raucherfüllten Korridore. Und dabei werden Sie von einem ›alles verschlingenden Ungeheuer der Finsternis‹ verfolgt. Aus allen Richtungen hören Sie Stimmen, und die meisten davon sprechen gamantisch. Ein unbekannter Mann brüllt Sie an, Sie sollen sich beeilen. Explosionen erschüttern das Gebäude. Sie sehen Magistrat Slothen. Sie rufen ihn an, bitten ihn, Ihnen zu helfen. Ihre Großmutter verwandelt sich in eine riesige Schlange, schlingt sich um Sie und droht Sie zu ersticken. Doch die Schlange spricht immer noch mit der Stimme Ihrer Großmutter. Sie schreit und schreit, aber Sie können nicht verstehen, was sie sagt. Sie töten die Schlange, indem Sie ihr den Kopf abschlagen. Gibt das Ihre Vision korrekt wieder?«

Jossel zuckte die Achseln. »Ziemlich genau. Manchmal sehe ich ein Netz funkelnder Lichter, das aus dem Gesicht meiner Großmutter hervorbricht und uns beide einhüllt. Gelegentlich verwandelt sich ihr Gesicht in … in das eines Mannes – oder eines Giclasianers.«

Lucerne runzelte die Stirn. Für einen Moment hatte er gedacht, sie wollte einen Namen nennen. »Kennen Sie den Mann?«

»Nein, jedenfalls nicht genau. Er wirkt wie eine Collage verschiedener historischer Militärbefehlshaber.«

»Zum Beispiel?«

Sie wischte die Frage mit einer unwirschen Handbewegung beiseite. »Kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, wer sie sind. Sie wirken einfach – vertraut.«

»Und das alles ist erst in letzter Zeit aufgetreten? Nach Ihrer psychologischen Untersuchung im vergangenen Jahr? Diese Bilder müssen etwas mit Ihren Feuersturm-Angriffen auf gamantische …«

»Nein …« Jossel zögerte. »Nein. Zum erstenmal hatte ich diese Visionen mit vierzehn.«

Lucerne beugte sich ungläubig vor. »Was?« Zweifellos war Jossel bekannt, welche Strafen darauf standen, derartige Informationen vor dem medizinischen Stab von Palaia zurückzuhalten. Wenn er diesen Tatbestand weitermeldete, würde der militärische Beirat ihr das Kommando abnehmen und möglicherweise zudem eine Haftstrafe verhängen. Jossel reckte trotzig das Kinn vor, und Lucerne rieb sich den Nasenrücken. »Mit vierzehn, ja? War das in irgendeiner Weise ein traumatisches Jahr für Sie?«

»Eigentlich nicht. Meine Eltern sind ein Jahr zuvor bei dem pegasianischen Angriff auf Rusel 3, meine Heimatwelt, getötet worden. Aber zu dem Zeitpunkt war der Schock darüber schon abgeklungen. Ich würde sagen, ich war eine ziemlich durchschnittliche Jugendliche, die die Wirren der Pubertät durchstehen mußte.«

»Sie wohnten bei Ihrer Großmutter, nicht wahr? Als Sie die erste Rückblende hatten, meine ich.«

Jossel strich sich das blonde Haar zurück und ging zum Fußende des Untersuchungstisches, wo ihre Mütze lag. Nervös zerdrückte sie den purpurnen Stoff. Bei der Erwähnung ihrer Großmutter hatte sich ihr hübsches Gesicht derart verzerrt, daß Lucerne unwillkürlich Mitgefühl für sie empfand. Er strich sich über die Spitzen seines schwarzen Schnurrbarts und dachte über die Implikationen nach, die sich daraus ergaben. Die Krankenschwester am anderen Ende des Zimmers murmelte etwas Unverständliches und verließ eilends den Raum. Lucerne nutzte diese Ablenkung, um wie geistesabwesend hinter ihr herzusehen, wobei er hoffte, Jossel würde sich in der Zwischenzeit wieder ein wenig beruhigen. Die Frau hatte eine heftige Abneigung über ihre Großmutter zu sprechen. »Captain, in den vergangenen zehn Jahren habe ich jede Ihrer alljährlichen psychologischen Untersuchungen selbst durchgeführt. Warum haben Sie diese Rückblenden, die Sie außer Gefecht setzen, nie erwähnt …«

»Sie setzen mich nicht ›außer Gefecht‹!« Jossel wirbelte herum und blieb dicht vor ihm stehen. »Mein Dienst hat nie unter diesen ›Rückblenden‹ gelitten!«

Lucerne rührte sich nicht. Unter ihrer harten Schale glaubte er eine Spur sehr realer Furcht wahrzunehmen. Offenbar ahnte sie, weshalb er ihren persönlichen Hintergrund so gründlich durchleuchtete. Ob ihr klar war, daß er ihre Ablösung bereits empfohlen hatte? Möglicherweise vermutete sie es. Ein nervöses Zucken zeigte sich an ihrem Mundwinkel, das sie nicht zu unterdrücken vermochte, obwohl sie es versuchte.

»Captain«, er klopfte auf den Untersuchungsbericht in seiner Hand und bemühte sich, möglichst ruhig zu sprechen, »als Sie das letzte Mal einen dieser Anfälle bekamen, mußten Ihre eigenen Offiziere Sie von der Brücke der Sargonid schaffen. Ihr Stellvertreter, First Lieutenant Jason Woloc, hat berichtet, Sie wären im Delirium gewesen. Wenn ich Sie von diesen Rückblenden befreien soll, müssen Sie mir schon helfen!«

Jossels sommersprossige Wangen erzitterten, als sie mit den Zähnen knirschte. Einen Moment später senkte sie den Blick und nahm eine vorschriftsmäßige ›Rühren‹-Haltung ein. Auf ihrem blonden Haar zeigte sich im grellen Licht der Deckenbeleuchtung ein silberner Schimmer. »Ich meinte damit, daß mich diese Rückblenden bis vor kurzem niemals ernsthaft beeinträchtigt haben, Doktor.«

»Wie kurz?«

Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie über seine Frage verärgert. »Warum benutzen Sie nicht einfach die Gehirnsonden, spüren die neuralen Schaltkreise auf, die für die Störungen verantwortlich sind, und ändern die dendritischen Verbindungen, um die Rückblenden zu eliminieren?«

Lucerne reagierte nervös. Das war in der Tat eine verdammt gute Frage. Die medizinische Wissenschaft war mittlerweile so weit fortgeschritten – insbesondere dank der überraschenden Wendungen in den letzten drei Monaten –, daß nicht einmal der Tod mehr endgültig war, sofern man schnell genug reagieren konnte. »Captain, seit Ihrer Aufnahme in die Akademie wissen wir, daß Ihr Gehirn anders strukturiert ist als andere menschliche Gehirne. Tatsächlich ähnelt es sehr den gamantischen Hirnen.« Er bemerkte das Aufblitzen in ihren Augen und fuhr rasch fort: »Ich will damit nicht behaupten, Sie besäßen gamantisches Blut, Captain. Wir haben den gleichen rezessiven Faktor auch bei Menschen gefunden, die keinerlei gamantische Vorfahren besitzen – so wie bei Ihnen. Aber das ist in diesem Fall auch nicht der springende Punkt. Der Grund, weshalb wir den Ursprung Ihrer mentalen Störungen nicht lokalisieren können, besteht darin, daß Sie offenbar einen Bereich in Ihrem Gehirn haben, der den Sonden nicht zugänglich ist. Wir wissen nicht, weshalb das so ist, aber ich …«

»Wo befindet sich dieser Bereich? In welchem Teil meines Gehirns?«

»Im Hippocampus. Dort gibt es übrigens noch ein paar interessante Anomalien: umgekehrte Dendriten, falsch ausgerichtete, pyramidenförmige Zellen, sogar eine Art neurofibrilen … äh, Narbengewebes.«

Jossels türkisfarbene Augen verengten sich. Sie schwieg einen Moment und ließ den Blick über die weißen Wände und die Betten streichen. »Narbengewebe? Woher? In meiner Kindheit war ich nur selten krank, und soweit ich mich erinnern kann, hatte ich niemals eine ernsthafte Kopfverletzung.«

»Wir wissen nicht, wieso. Es ist uns früher nie aufgefallen. Was übrigens wirklich eine Überraschung ist, da Magistrat Slothen darauf bestanden hat, bei jeder Ihrer psychischen Untersuchungen anwesend zu sein, seit Sie Ihren Dienst angetreten haben – und er kennt sich mit dem menschlichen Neurosystem wirklich aus. Aber wie auch immer, es scheint sich jedenfalls um ein progressives Phänomen zu handeln. Ich vermute, daß sich das Narbengewebe jedesmal vergrößert, wenn Sie eine dieser Rückblenden haben. Offenbar reagiert das Gewebe auf endogene Ereignisse, indem es einen immer stärkeren Schutzwall um den betroffenen Bereich bildet. Man hat fast den Eindruck, als wäre es regelrecht darauf programmiert, das Narbengewebe zu entwickeln, um jenes Gebiet zu schützen, in dem die Rückblenden ihren Ursprung haben. Sehr merkwürdig. Nun, Captain, lassen Sie uns auf meine ursprüngliche Frage zurückkommen. Wie lange werden Sie schon ernsthaft von diesen Anfällen heimgesucht?«

»Doktor Lucerne«, erwiderte Jossel beunruhigt. »Wenn ich mich recht an meinen Unterricht in Neurobiologie entsinne, deuten all diese speziellen Anomalien, die umgekehrten Dendriten und so weiter, auf Schizophrenie hin. Wollen Sie damit sagen, ich wäre …«

»Nein, nein. Ich wollte, ich könnte diese Diagnose stellen.« Das stimmte allerdings. Er hätte keine Probleme, sie einweisen zu lassen, wenn der Fall so klar läge. »Abgesehen von den Rückblenden zeigen Sie keinerlei Verhaltensauffälligkeiten, die für eine derartige Erkrankung typisch wären. Ich habe diese Fakten lediglich erwähnt, um Ihnen zu erklären, weshalb wir die Störungen nicht durch eine Gehirnsondierung eliminieren können. Wie lange schon, Captain?«

»Wollen Sie mich meines Kommandos entheben lassen?« fragte Jossel scharf.

Lucerne tat so, als würde er nicht bemerken, wie sich ihre Nasenflügel weiteten, als ihr Atem sich plötzlich beschleunigte. Davon abgesehen blieb ihr Gesicht unbewegt. Lucerne biß die Zähne zusammen, hob den Untersuchungsbericht und knallte ihn verärgert auf den Tisch. »Ich habe diese Empfehlung bereits vor drei Tagen ausgesprochen, Captain. Magistrat Slothen hat sie persönlich abgelehnt. Er meinte, abgesehen von einem einzigen Ohnmachtsanfall auf der Brücke könne er keinen eindeutigen Beweis für eine Instabilität in Ihren Untersuchungsergebnissen feststellen. Außerdem hat er mir mitgeteilt, Sie wären für eine geheime Mission eingeteilt und würden die strategische Koordination im Anai System übernehmen. Anschließend sollen Sie mit Ihrer Mannschaft den gamantischen Planeten Horeb anfliegen, um den Aufstand einzudämmen, der dort wütet. Er meinte …«

»Horeb ist eine Brutstätte für Abweichler und Störenfriede«, erklärte Jossel mit säuerlicher Miene. »Slothens Geduld mit diesem idiotischen Gouverneur, der den Planeten regiert, ist endlich erschöpft.«

»Captain, wissen Sie, wie Slothen Sie verteidigt hat?«

»Keine Ahnung.«

»Er meinte, er sei sicher, sie wären nur deshalb auf der Brücke zusammengebrochen, weil Sie seit sechzig Stunden keinen Schlaf gefunden hätten. Und dann hat er mir erklärt, Erschöpfung und Streß wären die Ursachen für Ihre Visionen, und ich solle die ganze Angelegenheit augenblicklich fallen lassen!«

»Nett von ihm.« Jossel lachte leise, als würde sie sich selbst für ihre Angst vor der Kommandoenthebung verspotten.

Lucernes Lippen preßten sich zu einem schmalen Strich zusammen. Verdammt sollte sie sein. Sie wußte ebenso gut wie er, daß sie nicht einsatzfähig war. Auch wenn sie es nicht zugegeben hatte, so war er doch ziemlich sicher, daß ihre Visionen mittlerweile so häufig und lebhaft waren, daß sie in diesen Momenten nicht mehr zwischen Phantasie und Realität unterscheiden konnte. Diese Frau gehörte in Behandlung, bevor sie sich selbst verletzte – oder jemand anderen.

Jossel setzte sich die Mütze auf und zog sie tief in die Stirn. »Können Sie mir etwas geben, das mir bei den Rückblenden hilft? Vielleicht etwas, um ihre Intensität zu mindern?«

Lucerne schüttelte den Kopf. »Nicht, ohne damit zugleich Ihre Fähigkeit, rasche Entscheidungen zu treffen, erheblich zu beeinträchtigen. Drogen könnten Sie in einer gefährlichen Situation schneller umbringen als die Rückblenden.«

»Ich verstehe. Nun, ich werde schon damit fertig.« Abrupt wandte sie sich ab und ging zur Tür.

»Meinen Sie wirklich?« rief Lucerne wütend. »Sie glauben, Sie können mit allem allein durch reine Willenskraft fertig werden, nicht wahr? Nun, um unser aller willen hoffe ich, daß Sie das wirklich können.« Er hob einen Finger und deutete anklagend auf sie. »Denn wenn Sie im entscheidenden Moment einer Schlacht einen dieser Anfälle bekommen, werden deshalb wahrscheinlich nicht nur Sie, sondern auch Ihre Mannschaft und vermutlich noch viele andere Menschen ums Leben kommen. Begreifen Sie, was ich meine? Meiner medizinischen Einschätzung nach sind Sie nicht in der Lage, ein Kommando zu führen, Captain!« Er ließ die Hand langsam sinken und blickte Jossel fest in die Augen. »Ich empfehle Ihnen dringendst, Slothens Büro aufzusuchen und ihn aufzufordern, Sie von Ihrem Kommando zu entheben. Sie gehören für mindestens einen Monat in ein Rehabilitationszentrum. Die Rückblenden werden nicht aufhören, sondern eher noch schlimmer, Captain! Täuschen Sie sich nicht selbst! Wenn ich die Befehlsgewalt hätte, würde ich …«

»Der regierende Magistrat hat mich für einsatzfähig erklärt, Doktor. Ich schlage vor, Sie setzen Ihre Fähigkeiten bei jemandem ein, der ihrer bedarf.« Sie setzte sich wieder in Bewegung.

»Sie werden noch jemand umbringen, Captain! Verstehen Sie?«

Jossel reagierte nicht auf seine Worte, sondern stapfte durch die Tür und verschwand auf dem Flur. Lucerne stemmte wütend die Hände in die Hüften und setzte sich dann ebenfalls in Bewegung.

Bevor er das Untersuchungszimmer verließ, schlug er mit der Faust gegen die Wand.

Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
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