KAPITEL
3

 

 

Die weiße Pilotenkabine war oval und maß etwa sieben mal fünf Meter. Der Gestank von schmutzigen Uniformen und schalem Schweiß stach Cole in die Nase. Er warf einen Blick aus dem Seitenfenster. In den letzten zwei Wochen hatte ihn ein alptraumhaftes Gefühl der Furcht gequält, das mitunter so stark wurde, daß er es in der Enge des Jägers kaum noch aushielt. Cole kämpfte dagegen an, indem er stundenlang aus dem Fenster starrte. Diese Technik, sich aus sich selbst zurückzuziehen, hatte er vor vielen Jahren in einem Lichtkäfig auf der Alten Erde erlernt. Die Pegasianer hatten ihn dort schier endlos lange gefoltert. Er war dem Schmerz entkommen, indem er tief in sich selbst hinabgetaucht war, bis er seine Seele gefunden hatte. Dann hatte er sie zwischen die zerfallenden Wände der Kathedrale Notre Dame versetzt, an einen Ort, der so groß und undurchdringlich war, daß die Gehirnsonden, ihn nicht erreichen konnten. Seit dem Angriff auf Kiskanu hatte er auf die gleiche Methode zurückgegriffen. Sein Bewußtsein existierte jetzt irgendwo dort draußen in der wirbelnden Schwärze, an einem Ort, der so kalt und zeitlos war, daß Gedanken an Careys Tod ihn nicht erreichen konnten.

Geistesabwesend strich sich Cole durch den dichten, schwarzen Bart. Hier an Bord konnte sich niemand den Luxus einer Dusche oder einer Rasur leisten. Als er das letzte Mal in den Spiegel sah, hatte ihn das Gesicht eines Fremden angestarrt, dessen blauviolette Augen ausdruckslos wirkten.

»Tahn«, bemerkte Rudy. »Es sind noch fünf Minuten bis zum Ende des Lichtsprungs. Bist du soweit?«

Cole nickte, ohne seine Haltung zu verändern. Hinter ihm waren die leisen Stimmen der Mannschaft zu hören. Sie klangen so furchtsam, daß sie in seinen Gedanken Erinnerungen an andere verzweifelte Zeiten weckten.

… Und wieder hörte er Careys Stimme an jenem schrecklichen Tag vor so langer Zeit, kurz bevor sie den gamantischen Planeten Kayan abgefackelt hatten: »Was, zum Teufel, tun wir da eigentlich, Cole? Was, zum Teufel, tun wir … was, zum Teufel …«

Rudys Sessel knirschte. Tahn öffnete die Augen und starrte wieder in die unerbittliche Schwärze hinaus, die sie umfing. Der Weg, dem er und Carey seit jenem Tag gefolgt waren, war verschlungen und steinig gewesen. Sie hatte Baruch geheiratet. Cole war Captain eines Schiffes der Untergrundflotte geworden. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen, als er seine Regierung verriet – denn sie hatten ihn zuerst betrogen! In den vergangenen zwölf Jahren hatte er das wahre Ausmaß des Krieges erkannt, den die Magistraten gegen die Gamanten führten, und jetzt konnte er kaum mehr den Gedanken ertragen, daß er so viele Jahre freiwillig daran teilgenommen hatte.

Carey … Carey … nur sie hatte alles durchschaut.

»Austritt wird eingeleitet«, meldete Rudy.

Cole drehte sich mit seinem Sessel zur Kontrollkonsole. Dabei glitt sein Blick über die weit aufgerissenen Augen von Franzia, Uro und Rangor, die schweigend auf ihren Plätzen im hinteren Teil des Jägers saßen. Tahns Herz klopfte. Er empfand die Ängste der anderen stärker als seine eigenen. Die drei Reihen der Computerschirme verkündeten ihre Botschaften in verschiedenen Farben. Cole überflog rasch die Daten. Rudy warf ihm einen besorgten Blick zu. Sein lockiges braunes Haar war schweißnaß und klebte an seiner Stirn.

Rudy tippte die Austrittssequenz ein. »Bist du einsatzbereit, Tahn? Ich kann das Schiff nicht allein steuern, wenn wir in Schwierigkeiten geraten. Soll ich …«

»Alles klar. Ich bin bereit.«

Rudy nickte, warf aber trotzdem von Zeit zu Zeit einen forschenden Blick auf Tahn.

Cole starrte auf den Chronometer. Die Zahlenanzeige blinkte grün – die Farbe von Careys Augen. Er sah sie deutlich vor sich, warm, abschätzend, ein verborgenes Lächeln in den Augenwinkeln. Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Verdammt. Cole riß sich zusammen. »Welche Position haben wir, Kopal? Wie nahe bei der Zilpah kommen wir heraus?«

»Falls Jeremiel sich den Luxus leisten konnte, an Ort und Stelle zu bleiben, sind wir ziemlich dicht dran. Aber wenn er den Standort wechseln mußte und diese magistratischen Jäger noch immer hinter uns sind …«

»Damit müssen wir rechnen«, unterbrach ihn Cole. Er warf einen Blick nach vorn durch das Sichtfenster. Ein leuchtend gelber Tunnel kündete das Ende des Lichtsprungs an. Purpurne Lichter tanzten an den Rändern. »Ich glaube, wir sollten uns alle auf ein Gefecht vorbereiten.«

Kurz herrschte Unruhe in der Kabine, als alle sich so gut wie möglich an den Sitzen festklammerten. Die verbliebene Energie der Trisagion reichte nicht einmal aus, um die elektromagnetischen Schutzvorrichtungen der Sessel zu aktivieren.

»Es geht los, Leute«, verkündete Rudy.

Der safrangelbe Tunnel verschwand, und die Sterne leuchteten auf. Vor ihnen schimmerte der Moran-Gasnebel wie weiße Watte vor dem schwarzsamtenen Hintergrund.

»Wir sind an der richtigen Stelle«, murmelte Rudy. »Aber wo ist die Flotte?«

Cole schluckte schwer, griff nach oben und drückte auf die Taste des Kommunikators. »Jäger Trisagion an Zilpah, hören Sie uns?« Er wartete einen Moment und wiederholte dann: »Trisagion an Zilpah. Mayday. Mayday. Hört uns jemand? Unsere Koordinaten lauten eins-vierzig, zwanzig-zwei zu drei … Baruch, um Gottes willen, kannst du uns hören? Wir stecken in Schwierigkeiten. Ich wiederhole die Koordinaten: eins-vierzig, zwanzig-zwei zu drei. Ende.«

Auf dem Heckschirm tauchte ein einzelner Lichtpunkt auf. Coles Augen verengten sich. »Jetzt erzähl mir nicht, daß das dort ein Schlachtkreuzer ist, Kopal.«

Rudy stieß die Luft aus. »Den Massedaten nach ist es einer unserer Jäger. Muß Zimmern sein.«

Erleichterte Seufzer erklangen in der Kabine. Cole drückte abermals auf die Taste des Kommunikators. »Trisagion an Hullin, hören Sie uns, Zimmern?«

Eine Pause. »Hier Zimmern, Captain Tahn. Wo ist die Flotte?«

»Baruch war vermutlich gezwungen, hier zu verschwinden. Hören Sie, Lu, wir rechnen mit ziemlich unfreundlicher Begleitung. Die Trisagion hat nur noch wenig Energie. Wenn Sie es schaffen, zu uns zu kommen, bevor die magistratischen Schiffe hier auftauchen, möchte ich, daß Sie uns den Rücken decken, solange es geht. Aber verschwinden Sie, wenn es kritisch wird. Versuchen Sie, zur Flotte zu finden, und berichten Sie von dem Angriff im Anai-System. Sagen Sie Baruch … Sagen Sie ihm, daß Carey tot ist.«

Mit einem kaum hörbaren Flüstern erwiderte Zimmern: »Aye, Sir.« Mehrere Sekunden verstrichen, bevor er fortfuhr: »Was wollen Sie tun, wenn wir …«

»Alles, was wir können. Kümmert euch nicht darum.«

»Verstanden, Sir. Viel Glück. Zimmern Ende.«

Tahn schaltete das Funkgerät ab und wandte sich an Rudy. »Wie sehen die Energiewerte aus?«

Kopal blies die Wangen auf und stieß die Luft dann geräuschvoll aus. »Verdammt dicht an Null.«

»Wie lange können wir die momentane Beschleunigung beibehalten?«

»Ungefähr zehn Minuten.«

»Na, das ist ja hübsch.« Tahn lehnte sich zurück und rieb sich die Stirn. »Wirklich sehr hübsch.«

Auf dem Heckschirm tauchten fünf Schiffe auf, dann noch drei. Rudy las die Werte ab. »Jäger. Keine Kreuzer.«

»Oh, da fühle ich mich ja gleich viel besser.« Tahn schüttelte leicht den Kopf. Er hatte immer gedacht, die letzten Augenblicke vor dem Tod wären entsetzlich, doch er empfand nichts als unnatürliche Ruhe. Welcher Idiot hat behauptet, das Leben sei ein gnadenreiches Geschenk Gottes? Zweifellos irgendein alberner Prophet. Das wahre Geschenk ist der Tod, gar keine Frage. Dann würde es keine Schlachten mehr geben, keine Verzweiflung, und vor allem müßte man nicht mehr hilflos zusehen, wenn die Freunde starben.

Rudy drehte sich mit seinem Sessel und grinste Tahn an. Coles Augen verengten sich argwöhnisch. In der gedehnten Sprechweise, die auf seine Herkunft vom Planeten New Savannah hinwies, erklärte Kopal: »Es gibt etwas, daß ich dir schon längst sagen wollte.«

»Was?«

»Ich konnte dich eigentlich nie richtig leiden.«

Cole zog die Augenbrauen hoch. »Ein merkwürdiger Moment, um mir das zu sagen.«

»Mir kommt er sehr passend vor.«

»Hast du eigentlich geglaubt, ich wüßte das nicht?«

»Das spielt keine Rolle. Ich …«

»Und warum erzählst du es mir jetzt?«

Kopal trommelte mit den Fingern auf der Konsole. »Ich dachte, ich wäre es dir schuldig.«

»Ihr Gamanten habt ein sehr eigenartiges Ehrgefühl.«

Kopal grinste schwach. »Mag sein, aber es lag mir eben auf der Seele. Ich habe nie verstanden, was Jeremiel an dir gefunden hat. Du bist arrogant, aggressiv und tief in deinem Herzen ein Lump.«

»Es war gerade die Arroganz, die Jeremiel gefallen hat«, meinte Cole. Es störte offenbar keinen von ihnen, daß sie ständig die Vergangenheitsform benutzten.

Rudy lächelte schief. »Kann gut sein. Jeremiel hatte schon immer einen ziemlich fragwürdigen Geschmack.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Auf der anderen Seite hast du in den letzten zehn Jahren vermutlich vierzig- bis fünfzigtausend Gamanten das Leben gerettet. Du bist ein brillanter militärischer Taktiker, Baruch. Und dafür möchte ich dir danken.«

Cole drehte sich mit seinem Sessel und erwiderte den Blick der grauen Augen. In ihren Tiefen schimmerte warme, echte Dankbarkeit. »Ich habe dich auch nicht besonders gemocht, Kopal … bis jetzt.« Er beugte sich vor und streckte eine Hand aus.

Rudy ergriff die Hand und drückte sie fest.

Beide verstummten, als die Maschinen plötzlich erstarben und das Schiff lautlos durchs All trieb. Die Lichter im Innern des Jägers flackerten; dann sprang der Notgenerator an, um die Funktion der lebenserhaltenden Systeme zu gewährleisten.

Rudy drückte Coles Hand noch einmal kräftig und wandte sich dann nach rechts, um die Daten auf einem Monitor abzulesen. »Schilde zusammengebrochen. Luft reicht noch für dreißig Minuten.«

»Du bist wirklich ein Optimist.«

Sie tauschten einen resignierten Blick aus, beugten sich dann über ihre Konsolen und versuchten den Eindruck zu erwecken, es gebe noch etwas, das sie unternehmen könnten. Im Hintergrund betete Kelly Rangor. Ihre Stimme klang hell und klar, obwohl ihr die Tränen über das Gesicht liefen.

Die magistratischen Schiffe formierten sich zu einem umgekehrten Keil und kreisten Zimmers Jäger ein. Cole ballte eine Hand zur Faust. Komm schon, du verdammter gamantischer Gott, gib deinem auserwählten Volk wenigstens eine Chance.

Wie zum Hohn eröffneten in diesem Moment drei der Schiffe das Feuer. Die Hullin brach seitlich aus; ihre Schilde flammten auf, als sie die anstürmenden Energien absorbierten und teilweise wieder abstrahlten. In dem verzweifelten Versuch, der Umklammerung zu entkommen, feuerte Zimmern wild um sich und gab gleichzeitig Umkehrschub. Die magistratischen Schiffe schossen an ihm vorbei in Richtung der Trisagion. Vier der Schiffe schwenkten ab und nahmen wieder Kurs auf die Hullin. Die verbliebenen vier flogen weiter und näherten sich der Trisagion. Mittlerweile mußten ihre Sensoren ihnen verraten haben, daß das Schiff hilflos im All trieb. Die Jäger stürzten sich wie Geier auf ein sterbendes Kaninchen.

»Verdammt«, murmelte Cole. Er verschränkte die Arme und haderte mit der eigenen Handlungsunfähigkeit.

»In zehn Sekunden sind sie in Schußweite. Fünf, vier, drei, zwei …«

Alle klammerten sich fest und holten zum letztenmal tief Luft. Weitere zehn Sekunden verstrichen und schienen sich zu einer Ewigkeit zu dehnen. Die magistratischen Jäger schwenkten vor ihnen ein und hielten sich in Schußweite. Tahn spähte angestrengt durch die Frontscheibe auf die silbernen Dreiecke, die jetzt einen Halbkreis bildeten. »Was, zum Teufel, treiben die da?«

Rudy schüttelte nur den Kopf.

Cole überprüfte den Heckmonitor. Die Hullin trieb hilflos im All, die Schirme waren zusammengebrochen, das Schiff selbst jedoch noch intakt.

»Ich verstehe das nicht«, knurrte Rudy heiser.

»Warum feuern sie nicht?«

Cole zuckte zusammen, als die grüne Lampe des Funkgeräts aufblinkte. Eine eiskalte Klammer schien sich um sein Herz zu legen. »Die wollen uns lebend haben.«

Rudys Augen weiteten sich. »Und wir haben nicht einmal genug Energie, um die Selbstzerstörungssequenz einzuleiten? Lieber Himmel!«

Cole hörte, wie das Blut in seinen Ohren rauschte. Für jeden Soldaten der Untergrundbewegung bedeutete die Möglichkeit der Gefangenschaft den größten Schrecken, doch bei Tahn saß diese Angst noch tiefer. Die Magistraten würden ein Exempel an ihm statuieren, um den anderen menschlichen Captains jeden Gedanken an Verrat auszutreiben. Sie würden ihn mit den Gehirnsonden bearbeiten, bis von seinem Verstand nur noch eine leere Hülle übrig wäre. Cole überlegte kurz, ob sie ihn vor oder nach dem Kriegsgericht zu einem neurophysiologischen Zentrum schaffen würden. Dann grinste er über diese sinnlose Frage. Mit ruhiger Hand griff er nach unten und zog die Pistole aus dem Holster an seiner Hüfte. Die Waffe lag beruhigend in seiner Hand, als er die Ladeanzeige überprüfte.

Kopal beobachtete ihn düster. »Hast du vor, die Show vorzeitig zu verlassen?«

»Sie dürfen mich nicht lebend erwischen, Kopal.«

»Nein. Das dürfen sie wohl nicht. Nun, Baruch atta Epagael.« Seine Stimme klang ein wenig amüsiert bei dieser Lobpreisung Gottes. »Also ist der Tag des Jüngsten Gerichts endlich gekommen.«

Cole runzelte die Stirn. »Sollte das ein Vorwurf sein?«

»Nein, absolut nicht. Es geht um uns beide, Cole, mein Freund. Ich kann auch nicht zulassen, daß sie mich lebend bekommen. Ich weiß zuviel über die Operationen des Untergrunds. Mein Gehirn könnte die gesamte Bewegung verraten.« Rudy verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Wie sollen wir es machen?«

»Ich kann es für uns beide übernehmen … wenn du das möchtest.«

Rudy rieb sich das Kinn. »Gut, aber mach es gründlich. Ich habe gehört, die Magistraten hätten in letzter Zeit ein paar bemerkenswert effektive Wiederbelebungsgeräte entwickelt.«

»Keine Sorge. Auf diese Entfernung wird nicht viel übrig bleiben, mit dem sie arbeiten könnten.«

Rudy seufzte und warf einen Blick auf das noch immer flackernde grüne Licht am Funkgerät. »Was meinst du, was sie wollen?«

»Unsere Kapitulation. Unter anderem. Sie werden uns anweisen, alles auf die Übernahme vorzubereiten, und vermutlich werden sie uns auch eine Reihe lächerlicher Versprechen geben, falls wir bereit sind, zu kooperieren.«

»Meinst du, wir sollten mit ihnen reden?«

»Eigentlich nicht. Und du? Ich bezweifle, daß sie …«

Ein gleißender Blitz durchzuckte das All. Cole wirbelte herum. Die magistratischen Jäger rings um Zimmerns Schiff vergingen in mächtigen Explosionen. Dann ließ der plötzliche Einschlag eines Schusses die Trisagion taumeln. Die Besatzung wurde aus den Sitzen geschleudert. Die Menschen rutschten durcheinander und landeten schließlich an der Rückwand der Kabine.

Tahn versuchte, auf die Füße zu kommen. »Was, zum Teufel …«

»Jeremiel!« flüsterte Rudy.

Plötzliche Hoffnung überflutete Cole. Er stemmte sich an der Wand hoch, um einen Blick durch die Frontscheibe werfen zu können. Zwei weitere magistratische Schiffe verschwanden in einem grellen Aufblitzen. Und hinter ihnen wurden vor der Schwärze des Alls mehr als hundert Schiffe sichtbar. Drei Schlachtkreuzer eilten der Flotte voraus und feuerten aus allen Rohren auf die magistratischen Schiffe. Neben ihnen griffen Jäger in den Kampf ein.

Cole fuhr herum und warf einen Blick durch das linke Seitenfenster. Zwei der magistratischen Jäger waren geflüchtet. Sie nahmen Geschwindigkeit auf, um den Lichtsprung einzuleiten.

»Verdammt, Jeremiel«, flüsterte er heiser, als er sah, daß drei Untergrundjäger die Verfolgung abbrachen. »Du darfst sie nicht entkommen lassen. Sie werden den genauen Standort der Flotte weitermelden, und dann …«

Ein greller Blitz zuckte auf, und Tahn hob schützend den Arm. Als er wieder hinsehen konnte, waren die magistratischen Schiffe verschwunden. Nur eine sich ausdehnende Wolke aus winzigen Trümmern trieb in der Schwärze.

Wieder flackerte die Lampe des Funkgeräts auf. Cole drückte auf die entsprechende Taste.

»Hier Trisagion.«

»Cole?« Jeremiels tiefe, vertrauenerweckende Stimme erfüllte die Kabine. »Tut mir leid, daß wir so lange gebraucht haben, um herzukommen. Wir mußten medizinische Hilfsgüter nach Jotaya bringen, wo diese Viruserkrankung wütet. Wo ist der Rest deiner Flotte?«

All sein Schmerz um Carey, der während der Schlacht verschwunden war, kehrte mit einem Schlag zurück. Cole ließ sich auf den Pilotensessel sinken und stützte die Ellbogen auf die Konsole. »Wir haben Verletzte an Bord, Baruch. Sorg bitte dafür, daß Sanitäter beim Hangar bereitstehen. Hier auf der Trisagion ist es nicht so schlimm, aber ich glaube, daß es Zimmers Mannschaft ziemlich ernst erwischt hat.«

»Verstanden. Die Sanitäter werden an Ort und Stelle sein. Wo ist der Rest der …«

»Jeremiel«, sagte Cole und starrte mit leerem Blick auf die Schalter und Anzeigen der Konsole. Er strich mit den Fingerspitzen über das kühle, weiße Plastik und wünschte sich plötzlich, er würde nicht zu den besten Freunden dieses Mannes zählen. Für Fremde war es leichter, schlechte Nachrichten zu überbringen. »Wir wurden im Anai-System angegriffen. Es war ein Hinterhalt. Sie haben auf uns gewartet. Ich habe keine Ahnung, woher sie wußten, daß wir kommen würden, aber …« Er holte tief Luft. »Carey ist tot.«

Eine lange und schreckliche Stille antwortete ihm. Cole schloß die Augen und preßte beide Fäuste gegen die Stirn, bis sein Kopf schmerzte. »Verstanden, Baruch?«

»Verstanden.«

Abermals eine lange Pause. Dann sagte Baruch mit ungewöhnlich ruhiger Stimme: »Ich treffe dich im Hangar. Baruch Ende.«

Coles Hand zitterte, als er die Verbindung trennte.

»Gesegneter Epagael«, murmelte Rudy so leise, daß der Rest der Mannschaft ihn nicht hören konnte. »Ich hoffe, Jeremiel steht das durch. Als Syene starb, ist er regelrecht zusammengebrochen.«

Cole nickte. Syene Pleroma. Er erinnerte sich mit kristallener Klarheit an ihren Tod, als wäre jedes einzelne Bild in Marmor eingemeißelt. Damals hatte er noch für die Magistraten gekämpft. Der Regierung war es gelungen, Syene Pleroma gefangenzunehmen, und ein halbes Dutzend Offiziere hatten sie wiederholt vergewaltigt, als sie sich weigerte, Informationen über Baruch preiszugeben. Cole war erst später dort eingetroffen. Er erinnerte sich an seinen Schock, als er die blutbespritzte Wohnung betrat. Das Wohnzimmer hatte ausgesehen, als sei dort eine Bombe eingeschlagen. Die Möbel waren umgestürzt und der grüne Teppich von Glassplittern übersät. Syene mußte sich wie eine Tigerin gewehrt haben, als sie die Falle erkannte. Man hatte sie glauben lassen, sie solle einen Handel mit Major Johannes Lichtner abschließen, ihn bestechen, damit er die Truppen aus dem gamantischen Viertel der Stadt abzog, während die Untergrundkreuzer die magistratischen Militäreinrichtungen auf Silmar unter Feuer nahmen. Tatsächlich sollte sie jedoch als Köder dienen, um Jeremiel in eine vorbereitete Falle zu locken.

Cole hatte mit Lichtner gekämpft. Während des Handgemenges hatte Syene versucht, durch das Fenster zu entkommen, und Lichtner hatte sie dabei niedergeschossen.

Erst viel später erfuhr Cole, daß Syene sich solange ans Leben geklammert hatte, bis Jeremiel sie fand. Sie war in seinen Armen gestorben.

Ja, Jeremiel war damals zusammengebrochen. Und Syene hatte er nur drei Jahre gekannt – mit Carey war er seit zwölf Jahren verheiratet.

Cole warf Rudy einen Blick zu. Kopal machte eine Miene, als hätte er gerade etwas Bitteres geschluckt. »Bereitet euch darauf vor, abgeschleppt zu werden, Leute. Sucht euch einen Sitz und haltet euch fest. Die Zilpah wird uns jeden Moment einholen.«

Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
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