KAPITEL
8

 

 

Rote und grüne Lichter flammten auf. Sie rasten näher, lösten sich auf und verschwanden, bevor sie abrupt wieder aufleuchteten. Der faulige Geruch von Alienschweiß erfüllte den Raum in so erstickendem Maße, daß Carey Halloway sich fast übergeben hätte.

»Nun, Lieutenant«, sagte jemand mit flacher, mechanischer Stimme. »Jetzt geht es Ihnen besser, nicht wahr? Schmerzt Ihre Brust noch?«

»Nein«, flüsterte sie. Vage Gedanken an Schmerz, Kampf und medizinische Geräte durchzuckten sie. Doch die letzte bewußte Erinnerung, die sie an Kiskanu hatte, war Tahns Stimme, die verzweifelt ihren Namen rief.

»Gut. Sehr gut. Versuchen Sie jetzt, sich auf das zu konzentrieren, was ich Ihnen sage. Uns ist bekannt, daß Sie auf Tikkun Verrat begangen haben. Wir wissen das von den loyalen Soldaten, die Sie auf dem Planeten zurückgelassen haben. Beantworten Sie jetzt meine Frage. Wo ist Cole Tahn?«

Carey versuchte, die Augen zu öffnen. Ihre Lider zuckten. Gut. Immerhin hatte sie noch teilweise Kontrolle über ihre Muskulatur. Sie warf einen Blick auf ihr Spiegelbild in dem silbernen Helm, der über ihrem Kopf befestigt war. Schweißgetränkte Haarlocken klebten ihr an Schläfen und Wangen, und ihre Haut wirkte so bleich wie Eiderdaunen im Sonnenlicht.

»Gehen Sie … zur Hölle«, brachte sie mühsam heraus. Ihre Zunge arbeitete nicht richtig. Sie erinnerte sich, daß die Betäubungsmittel, die bei einer Gehirnsondierung verabreicht wurden, den Körper ganz langsam paralysierten und dabei auch vorübergehend eine gewisse Bewußtseinstrübung hervorriefen. Sobald die Droge aber vollständig von ihrem Körper aufgenommen war, würde ihr Gehirn perfekt funktionieren. Dieses Wissen versetzte sie in Panik. Wie lange konnte sie sich noch gegen die Befragung wehren?

»Wir finden ihn, ob Sie uns nun helfen oder nicht, Lieutenant, aber je länger Sie dagegen ankämpfen, desto schmerzhafter wird die Prozedur. Verstehen Sie, was ich sage? Sie wollen doch sicher nicht, daß wir Ihnen weh tun, oder?«

Carey lachte, doch es klang eher wie ein Stöhnen. Erinnerungen an die loyalen Mannschaftsmitglieder, die Cole und sie sicher auf Tikkun abgesetzt hatten, stiegen in ihr auf. Dann hatten sie also überlebt? Aber ging es ihnen auch jetzt noch gut? »Hoyer … Crew?« fragte sie. »Status?«

Die Stimmen wurden zu einen Flüstern. Jemand sagte: »Sie will wissen, was aus ihrer Mannschaft geworden ist.« Eine andere Stimme antwortete: »Es kann nicht schaden, ihr das zu erzählen. Möglicherweise hilft das sogar ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.«

»Ich glaube nicht, daß das sehr klug wäre. Sie könnte …« Die Worte wurden zu einem unverständlichen Raunen.

Carey schien zu schweben. Es kam ihr so vor, als würde sie den kalten weißen Sessel verlassen und ziellos durch die Luft treiben. Zu ihrer Rechten sah sie einen langen Tisch, auf dem technische Geräte standen. Drei Giclasianer standen in einer Ecke und diskutierten. Ihre Gliedmaßen bewegten sich dabei wie blaue Schlangen. Zwei von ihnen trugen weiße Kittel, der dritte war in eine sonderbare Uniform gekleidet – dunkelrot mit goldenen Tressen vor der Brust. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums stand ein bernsteinfarben leuchtender Computerbildschirm zur visuellen Projektion aller Erinnerungen, die von den Sonden aufgestöbert wurden.

»Also schön, Lieutenant.« Der rauhe Tonfall ließ Carey zusammenzucken. »Ich bin autorisiert, Ihnen über das Schicksal Ihrer Mannschaft Auskunft zu geben. Sie sind tot. Uns blieb nichts anderes übrig, als sie äußerst gründlich zu sondieren, um herauszufinden, was auf Tikkun geschehen ist. Dabei wurden wesentliche Bereiche ihrer Gehirne beschädigt. Sechs Wochen nach ihrer Rettung wurde daher gnädigerweise die Euthanasie angeordnet.«

Rettung? Sie hatten die Mannschaft der Hoyer ermordet. Wenn Cole das jemals erfuhr, würde dieses Wissen ihn umbringen. Er hatte jede nur erdenkliche Vorsorge getroffen, damit die Mannschaft für seine Handlungen nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.

Carey stöhnte vor Wut und streckte die Hände aus, um die giclasianischen Mörder zu packen. Für einen Augenblick starrte sie direkt in einen weit aufgerissenen rubinroten Mund mit nadelspitzen Zähnen, dann rief jemand: »Drückt sie auf den Sitz zurück! Und gebt ihr mehr von dem Betäubungsmittel! Rasch!«

»Sie ist ein Mensch, Mundus! Es wäre gefährlich, ihr noch mehr zu geben.«

»Das ist mir gleich. Tut, was ich sage!«

Careys Finger krümmten sich noch immer in dem Versuch, Mundus’ Kehle zu packen. Schritte erklangen, dann das Klirren von Metall gegen Metall. Plötzlich stieg Carey der Geruch von Chemikalien in die Nase, und einen Moment später schien das Blut in ihren Adern zu kochen.

Sie schnappte verzweifelt nach Luft und wand sich in dem Sessel. Dann wurde ihr Körper schlagartig kalt und reglos.

Doch gleichzeitig schien sich ihr Verstand zu klären, und ihre Wahrnehmungen wurden überdeutlich. Der silberne Helm über ihrem Kopf wirkte plötzlich riesig, und die Sonden darin zielten heimtückisch auf sie. Sie hörte das heftige Atmen der Ärzte und das leise Summen der Geräte. Aus weiter Ferne drang das schrille Gelächter eines Alien zu ihr. Von draußen auf dem Flur? Oder aus einem Beobachtungszimmer gleich nebenan?

Ein Stuhl quietschte laut, als Mundus ihn über den Boden zu sich heranzog, um sich neben Carey zu setzen. Sein ballonförmiger Schädel schimmerte im Licht der Lampen geisterhaft blau. Er beugte sich vor und senkte den Sondenhelm auf ihren Kopf herab. Carey hatte das alptraumhafte Gefühl, ersticken zu müssen.

Sie kämpfte gegen diese Empfindung an, indem sie sich zwang, sie zu analysieren und auf ihren Ursprung zurückzuführen. Wann hatte sie dieses Gefühl schon einmal gehabt? Vor vielen Jahren, in einem anderen Leben. Auf Horin 3. Man hatte sie angefordert, um die örtlichen Streitkräfte bei der Niederschlagung eines bürgerkriegsähnlichen Aufstands zu unterstützen. Careys Bodentruppen waren in einen Hinterhalt geraten. Die Klarheit der Erinnerungen faszinierte sie. Sie konnte alles sehen und spüren, als würde sie die Ereignisse noch einmal durchleben. Ein Treffer hatte die komplette Hecksektion ihres Jägers abgetrennt. Das Schiff krachte in einem schneebedeckten Waldstück zu Boden. Carey lag mit dem Gesicht nach unten in dem Wrack. Ein Haufen Trümmer war auf ihr gelandet, dazu die Leiche von Sem Nunes, dessen zweihundert Pfund die Luft aus ihren Lungen preßten. Blut tropfte aus seinen Wunden und tränkte Careys Uniform. Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Kräfte reichten nicht aus, und die gebrochenen Rippen erschwerten ihr zusätzlich das Atmen. Dann füllte sich die Kabine mit Rauch, und sie hörte des Prasseln der Flammen, die näher und näher rückten.

»Carey?« Coles Stimme drang laut in ihre Erinnerungen.

Metall kreischte, als er die Trümmer beiseite räumte. Er rollte Nunes Leiche von ihr herunter, kniete neben ihr nieder und schob seine Arme unter ihre Schultern und Knie. »Carey, können Sie sich an mir festhalten?« Sie klammerte sich an ihn, und Tahn hob sie auf und trug sie aus dem brennenden Schiff hinaus in die eisige, sternenklare Nacht. Cole … immer wieder Cole, der ihr neuen Mut gab und ihr in jeder Situation beistand. Ihr Captain – und ihr Freund. Ein warmes Gefühl von Liebe und Respekt erfüllte ihr Bewußtsein.

Irgend jemand flüsterte kaum hörbar auf der gegenüberliegenden Seite des Raums, doch für Careys Ohren klangen die Worte laut wie Kanonendonner. »Das ist doch sinnlos. Schließlich haben wir die Frau doch selbst darauf gedrillt, sich Sondierungen zu widersetzen. Wir können jetzt nicht …«

»Wir müssen lediglich diese Konditionierung überwinden. Sicher, das braucht seine Zeit, möglicherweise sogar Wochen, aber am Ende werden wir es schaffen. Genau wie bei der Mannschaft der Hoyer. Wir bekommen die gewünschte Information, das kann ich Ihnen versichern.«

»Wir haben aber keine Zeit, Doktor. Slothen ist hinter diesem Tahn her, und er hat nicht sehr viel Geduld. Und was das angeht – ich auch nicht.«

»Die Befragung braucht Zeit, Councillor. Wir arbeiten, so schnell wir können. Oder wollen Sie, daß wir unsere Informationsquelle umbringen? Wollen Sie das?«

Councillor? Carey versuchte, einen Blick auf den Mann zu werfen. Ein Mitglied des militärischen Beirats? Ihre Furcht kehrte zurück. Warum dieser Aufwand? Und weshalb waren sie plötzlich so dringend hinter Cole her? Nach all den Jahren …

Ein heftiger Schauder überlief Carey, als eine weitere Dosis der Droge ihren Körper überschwemmte. Die Lampen an der Decke schienen näherzukommen; sie füllten ihr Blickfeld wie riesige, herabstürzende Monde. Fast hätte sie vor Angst aufgeschrien.

»Entspannen Sie sich, Lieutenant. Es ist alles in Ordnung. Wie fühlen Sie sich?«

Carey antwortete nicht.

»Nun kommen Sie schon, Lieutenant. Carey, wir sind Ihre Freunde. Sie können uns alles erzählen. Tahn kämpft für den gamantischen Untergrund, nicht wahr?«

»Tot«, flüsterte Carey. »Er ist … tot.«

»Bitte zwingen Sie mich nicht, Ihnen wehzutun. Ich füge meinen Patienten nur höchst ungern Schmerzen zu.«

»Verdammter Lügner«, keuchte Carey. »Dreckige … Bande.«

Der Doktor lehnte sich zurück. Sein Haar bewegte sich. Carey spürte ein Prickeln, als liefe elektrischer Strom über ihren Körper. Die Sonden drangen tiefer ein und riefen ein Gefühl hervor, als würden Millionen winziger Ameisen in ihr Gehirn krabbeln.

Erinnerungen tauchten auf, als die Sonden die neuralen Schaltkreise stimulierten. Sie sah das Gesicht ihrer Mutter, die sie anlächelte, während sie die Früchte auf ihrer Plantage sortierte. Der süße Duft der Orangenblüte erfüllte die Luft. Andere Szenen blitzten auf, Kämpfe zumeist. Sie hörte das Krachen der Schüsse und die Schreie der Verwundeten. Carey wand sich in ihrem Sessel und dachte an Horeb. Waren Cole und Jeremiel inzwischen dort? Hatten sie Mikael und Sybil gerettet? Dann tauchte Jeremiels Gesicht vor ihr auf, und ihre Ängste schwanden. Sein blondes Haar schimmerte im Sonnenlicht, das durch die Bäume auf Garotman 2 gefiltert wurde. Die Liebe in seinen blauen Augen erfüllte Carey mit Wärme. Sie lächelte ihn an und bemerkte die leicht unterschiedliche Färbung seiner Augen. Vor einem Dutzend Jahren hatte man ihn auf Tikkun gefoltert, und dabei war sein rechtes Auge ausgebrannt worden. Nachdem Rudy und die Reste der Untergrundflotte sie gerettet hatten, mußte Jeremiel sich einer schmerzhaften Transplantation unterziehen. Und niemand außer Carey war bisher aufgefallen, daß sein linkes Auge eine winzige Schattierung dunkler war als das rechte. Sie gab sich ganz den zärtlichen Erinnerungen an ihren Ehemann hin. Sie hatten auf einer von Wildblumen übersäten Wiese gelegen, miteinander geredet und gelacht, und sie genoß die sanften Berührungen seiner Hände.

Eine aufgeregte Stimme drang in ihre Gedanken. »Da! Ja, genau das ist es, Lieutenant. Erzählen Sie uns von Commander Baruch. Wo hält er sich im Moment auf?«

Panische Angst erfüllte Carey. Sie nahm all ihre Kraft zusammen, warf sich nach vorn und schrie: »NEIN!«

Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
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