KAPITEL
52
Carey Halloway stand allein draußen vor dem Maschinenraum, ein Gewehr im Arm, eine Pistole an der Hüfte. Sie lauschte auf Coles Stimme, die dröhnend aus den Schiffslautsprechern drang. Er klang zuversichtlich, so, als hätte er sich vollkommen unter Kontrolle. Wahrscheinlich hört sich jeder so an, der mit dem Leben abgeschlossen hat. Und das hatte er wohl. Genau wie sie auch. Dennoch verfehlte seine Stimme ihre Wirkung auch bei Carey nicht. Er hörte sich jetzt wieder so an wie früher, bevor die Magistraten ihren wahnsinnigen Vernichtungsfeldzug gegen die Gamanten begonnen hatten.
Carey stützte sich mit der Schulter gegen die Wand. Rachels Leute waren nicht direkt ablehnend gewesen, aber sehr wachsam und mißtrauisch. Hätte Yosef Calas sich nicht auf ihre Seite gestellt, würden sie Carey wohl kaum als Befehlshaberin akzeptieren.
Am Ende des Flurs tauchten Carlene Millhyser und Jason West auf. Sie hielten Gewehre in den Händen und trieben Mikael Calas und ein anderes Kind vor sich her. Mikael hatte Tränen in den Augen. Das kleine Mädchen hingegen wirkte wütend, als wäre sie bereit, jedem die Kehle durchzuschneiden, der ihr unvorsichtigerweise den Rücken zuwandte. Carey fragte sich, wie ein so junges Mädchen schon derart haßerfüllt sein konnte. Doch andererseits war es ja ein gamantisches Kind und hatte in seinem kurzen Leben vermutlich schon mehr Schrecknisse erlebt als sie selbst.
Millhyser und West grinsten Carey an, als sie näher kamen. Carlene ging vor und umarmte Carey.
Halloway klopfte ihr auf die Schulter. »Bin froh, Sie zu sehen, Carlene. Gute Arbeit.«
»Ach, wenn Sie nicht die Idee mit der Falle gehabt hätten, wären wir sogar noch ohne Waffen.«
»Na ja, ich hatte vielleicht den Einfall mit dem Hinterhalt, aber ihr habt ihn ausgeführt. Ich bin stolz auf euch. Und der Captain auch. Kommt herein. Tahn hat irgendwo eine Flasche sartrianischen Brandy aufgetrieben, will sie aber erst öffnen, wenn die ersten eintreffen.«
West führte einen kleinen Freudentanz auf, während Millhyser den Türöffner betätigte. Als die Tür aufglitt, gab Carey den Weg frei. West, Millhyser und die Kinder gingen an ihr vorbei – und wurden von sechs gamantischen Wachen in Empfang genommen.
»Onkel Yosef!« rief Mikael und rannte quer durch das Zimmer.
Halloway drückte zufrieden auf den Türöffner. Die Tür schloß sich wieder, bevor die wütenden und ungläubigen Schreie nach draußen dringen konnten.
Erinyes rieb sein Ohrläppchen und bedachte Ornias mit einem finsteren Blick. Der Botschafter beugte sich vertraulich über Saren Lils Schulter und tat so, als würde er sich brennend für ihre Arbeit interessieren. Sie wiederum warf Erinyes flehende Blicke zu, sie zu retten.
Erinyes hatte sich in der Hoffnung zurückgehalten, Ornias würde selbst merken, daß er unerwünscht war. »Botschafter«, sagt er schließlich, »ich bin sicher, Lieutenant Lil könnte ihren Pflichten wesentlich besser nachkommen, wenn Sie nicht ständig Ihre Nase in den Monitor stecken würden.«
Ornias richtete sich auf und musterte ihn düster. »Da im Moment keine Nachrichten hereinkommen, dürfte das wohl kaum eine Rolle spielen.«
Erinyes deutete auf den bunten Farbwirbel auf dem Frontschirm. »Wir beenden gleich den Lichtsprung. Warum setzen Sie sich nicht auf Ihren fett … warum nehmen Sie nicht Platz.«
Ornias lächelte humorlos. »Captain, haben Sie die nötigen Vorkehrungen getroffen, um Calas von der Hoyer zu übernehmen?«
»Selbstverständlich. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.«
Ornias wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da rief Lulen: »Captain, Lichtsprung beendet. Schiffe auf dem Schirm.«
Erinyes seufzte erleichtert. »Schicken Sie eine Meldung an die Hoyer und informieren Sie sie über unsere Aufgabe. Gleichzeitig schicken Sie eine Geheimbotschaft an alle anderen magistratischen Schiffe dort draußen.«
Ornias strich sich den Bart. »Und was machen wir, wenn Tahn sich weigert, uns den Jungen zu übergeben?«
»Dann wissen wir genau, daß er nicht mehr das Kommando über sein Schiff hat, nehmen an dem geplanten Manöver teil und holen wir uns den Jungen eben auf diese Weise.«
Ornias zog eine Braue hoch. »Wir brauchen ihn lebend. Tot nützt er uns überhaupt nichts.«
»Das ist mir durchaus bekannt«, erwiderte Erinyes finster.
Brent Bogomil runzelte die Stirn, als der Schirm einen Lichtstrahl zeigte, der genau auf die Hoyer gerichtet war. »Dharon, welches Schiff ist das?«
Dharons Augen glitten über ihre Konsole. »Die Klewe, Captain. Ich weiß wirklich nicht, was er sich dabei denkt …«
Bogomil sprang auf. »Stellen Sie sofort eine Verbindung zu Erinyes her! Er ruiniert das ganze Manöver! Niemand darf Kontakt aufnehmen, bis wir das Sternmanöver vollständig ausgeführt und die Hoyer eingekreist haben.«
»Sir?« rief Winnow. »Gerade kommt eine Geheimbotschaft rein. Soll ich sie auf den Schirm legen oder …«
»Geben Sie mir die Meldung in die Aura.« Er ließ sich in den Sessel zurücksinken, während sich der goldene Halo um seinen Kopf bildete. Slothens Stimme erteilte ihm neue Befehle. »Verdammt!« knurrte er. »Das ist doch lächerlich …«
»Brent!« rief Dharon und sprang halb auf. »Schiffe auf dem Schirm.«
»Was?« Brent schlug auf den Schalter, der die Aura zum Erlöschen brachte. Sieben neue Lichtpunkte tauchten auf dem Schirm auf und nahmen Kurs auf Tikkun. »Wer ist das, Dharon?«
»Ich weiß nicht, aber nach diesen Werten handelt es sich um Schiffe der AO-Klasse.« Sie starrte Bogomil an.
Brent flüsterte heiser: »Die Untergrundflotte? Meldung an Abruzzi und die anderen! Sagen Sie ihnen, sie sollen die Hoyer einkreisen. Wir müssen sofort losschlagen!«