KAPITEL
13

 

 

Ari beugte sich vor und betrachtete mit skeptischer Miene das Tablett, das der Steward gerade abgeliefert hatte. Ihre Kabine wurde vom warmen Schein der Kerzen erleuchtet, die sie in einem der Vorratslager entdeckt hatten. Er warf einen hoffnungsvollen Blick auf Yosef. »Hast du eine Ahnung, was das ist?«

»Probier es einfach. Du bist doch tapfer.«

»Lieber nicht. Ich mag nichts essen, das grau ist.«

Yosef nahm das Besteck und stach vorsichtig in das »Fleisch« hinein. Er schnitt ein winziges Stück ab, schob es in den Mund und schluckte es, ohne zu kauen. »Es schmeckt wie … nein, das sage ich besser nicht. Wäre der Sache nicht dienlich.« Etwas Rotes sickerte aus der Schnittstelle und rann seltsam zähflüssig über den Teller.

Ari betrachtete das Rinnsal kritisch. »Zumindest sieht es so aus, als hätte es mal gelebt.«

»Eine sehr weise Schlußfolgerung.«

Yosef seufzte, nahm seinen und Aris Teller und ging quer durch die Kabine, um das Essen ohne weitere Umschweife in den Müllschlucker zu werfen, der in die Wand eingelassen war.

Ari fuchtelte mit seinem Messer in der Luft herum. »Du hättest eine Probe davon aufheben sollen. Dann hätten wir herausfinden können, worum es sich handelte und wer dafür verantwortlich war.«

»Sei nicht so leichtsinnig. Irgend jemand könnte uns die Wahrheit erzählen.«

Yosef watschelte zum Tisch zurück und ließ sich auf den Stuhl fallen. Sein Blick schweifte durch die Kabine und blieb schließlich auf den leeren Bierflaschen haften, die sich neben Aris Bett angesammelt hatten. »Dir ist doch klar, was das zu bedeuten hat, oder?«

»Die Küche arbeitet mit Minimalbesetzung, und Jeremiel hat nicht genug Leute, um etwas daran zu ändern. Und selbstverständlich gehört gerade die Küche zu den Bereichen, die unbedingt von vertrauenswürdigen Menschen geleitet werden müssen.«

»Na ja, selbst mit Arsen vergiftetes Essen könnte kaum schlimmer schmecken als das, was man uns heute abend serviert hat.«

»Und falls doch, würde man sich zumindest nicht sehr lange darüber ärgern.«

Yosef warf ihm über den Rand seiner Brille einen stirnrunzelnden Blick zu. »Was meinst du, wie lange wir noch hierbleiben müssen? Ich kann Schiffe nicht leiden. Alles ist weiß gestrichen und riecht antiseptisch.« Er sehnte sich nach den vertrauten Düften von reifer Gerste und feuchten Blättern.

»Jeremiel meinte, die Rettungsaktion müßte in ein paar Tagen beendet sein.« Ari beugte sich vor und klopfte Yosef beruhigend auf den Arm. »Wir sind bald wieder zu Hause.«

»Zu Hause?« Yosef zuckte beim Klang der eigenen Stimme zusammen: Er hatte sich angehört wie ein kleiner Junge, der ein hübsches Geschenk auspackt und dann feststellen muß, daß die Schachtel leer ist. »Ich bin nicht sicher, ob wir noch ein Zuhause haben, Ari.«

»Willst du denn nicht nach Tikkun zurückkehren?«

»Ich weiß nicht.« Bilder des kleinen Hauses in der Mandean Street tauchten in Yosefs Gedanken auf, und er empfand Heimweh, wenn er sich die vom Herbst rot und golden gefärbten Blätter der Bäume vor seinem Anwesen vorstellte. »Ich muß einen sicheren Ort finden, wo ich Mikael unterbringen kann.«

»Wirken die Drogen immer noch, die sie ihm gegeben haben?«

»Ja, ich war eben noch bei ihm. Offenbar hatte er gerade einen Alptraum. Jeremiel war auch dort, und wir haben uns ein paar Minuten unterhalten. Er meinte, er wäre schon zum zweiten Mal dort – er glaubt, als Chef der Untergrundbewegung müßte er zu den ersten gehören, die dem neuen Führer der Gamantischen Zivilisation ihre Aufwartung machen. Jedenfalls war er ziemlich besorgt, weil Mikael noch immer nicht aufgewacht ist – genau wie ich.«

Ari machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Ich würde das nicht so ernst sehen. Nach allem, was der Junge auf Kayan durchgemacht hat, ist es wahrscheinlich ganz gut, wenn er sich mal gründlich ausschläft.«

»Auf welchen Planeten könnte ich ihn bringen, Ari? Wo könnten wir leben, ohne ständig Angst haben zu müssen, daß die Magistraten plötzlich auftauchen und uns umbringen wollen?«

Ari seufzte schwer und streckte die langen Beine aus. »Tikkun wäre doch ganz in Ordnung. Wir …«

»Und warum haben sich Jeremiels Einheiten dort noch nicht gemeldet?«

»Wer weiß? Das könnte viele Gründe haben.«

»Ja, beispielsweise, daß alle tot sind.«

Plötzliche Kampfeslust flammte in Aris Augen auf, und sein faltiges Gesicht zeigte einen Ausdruck, als hätte Yosef gerade die geballte Faust emporgereckt und gerufen: »Bei Phillipi sehen wir uns wieder!«

»Nun, wenn es tatsächlich so wäre, brauchst du dir auch keine Gedanken mehr um einen sicheren Planeten machen – dann nämlich wäre der einzig sichere Ort ein Kreuzer, der von einem Dutzend anderer Kampfschiffe umgeben ist. Es wird eine neue Revolte geben, Yosef. Vielleicht dauert es Monate, bis die Menschen auf Tikkun den nötigen Mut aufbringen, aber dann werden sie jeden magistratischen Soldaten töten – oder bei diesem Versuch umkommen.«

Ein scharfer Schmerz durchzuckte Yosef. Er ließ seinen Blick durch die weiße Kabine wandern, betrachtete den grauen Teppich und das schwarze Mobiliar, und meinte schließlich: »Möge Gott uns davor bewahren.«

Die Gamant-Chroniken 02 - Die Rebellen von Tikkun
titlepage.xhtml
Gamant2_split_000.htm
Gamant2_split_001.htm
Gamant2_split_002.htm
Gamant2_split_003.htm
Gamant2_split_004.htm
Gamant2_split_005.htm
Gamant2_split_006.htm
Gamant2_split_007.htm
Gamant2_split_008.htm
Gamant2_split_009.htm
Gamant2_split_010.htm
Gamant2_split_011.htm
Gamant2_split_012.htm
Gamant2_split_013.htm
Gamant2_split_014.htm
Gamant2_split_015.htm
Gamant2_split_016.htm
Gamant2_split_017.htm
Gamant2_split_018.htm
Gamant2_split_019.htm
Gamant2_split_020.htm
Gamant2_split_021.htm
Gamant2_split_022.htm
Gamant2_split_023.htm
Gamant2_split_024.htm
Gamant2_split_025.htm
Gamant2_split_026.htm
Gamant2_split_027.htm
Gamant2_split_028.htm
Gamant2_split_029.htm
Gamant2_split_030.htm
Gamant2_split_031.htm
Gamant2_split_032.htm
Gamant2_split_033.htm
Gamant2_split_034.htm
Gamant2_split_035.htm
Gamant2_split_036.htm
Gamant2_split_037.htm
Gamant2_split_038.htm
Gamant2_split_039.htm
Gamant2_split_040.htm
Gamant2_split_041.htm
Gamant2_split_042.htm
Gamant2_split_043.htm
Gamant2_split_044.htm
Gamant2_split_045.htm
Gamant2_split_046.htm
Gamant2_split_047.htm
Gamant2_split_048.htm
Gamant2_split_049.htm
Gamant2_split_050.htm
Gamant2_split_051.htm
Gamant2_split_052.htm
Gamant2_split_053.htm
Gamant2_split_054.htm
Gamant2_split_055.htm
Gamant2_split_056.htm
Gamant2_split_057.htm
Gamant2_split_058.htm
Gamant2_split_059.htm
Gamant2_split_060.htm
Gamant2_split_061.htm
Gamant2_split_062.htm
Gamant2_split_063.htm
Gamant2_split_064.htm
Gamant2_split_065.htm
Gamant2_split_066.htm
Gamant2_split_067.htm