KAPITEL
4
Harper lehnte sich schweratmend gegen die Wand der Aufzugskabine, während das Adrenalin durch seine Adern schoß. Jeremiel hatte gesagt, ihnen würden nicht mehr als maximal dreißig Sekunden bleiben. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß Baruch noch lebte. Harper verfügte zwar über gewisse Grundkenntnisse, doch ohne Jeremiel würde er mit diesem riesigen Kreuzer niemals fertig werden. Er blickte erst Uriah an, einen knochigen jungen Mann mit schwarzem Haar, und dann Janowitz, den kleinen, kompakten Blondschopf.
»Ihr kennt den Plan«, erklärte Harper. »Angriff ohne Rücksicht auf Verluste. Keine Gefangenen.«
Janowitz’ Augen blitzten. »Wir sind bereit.«
Die Fahrstuhltür glitt auf. Die Männer stürzten heraus und bestrichen den Korridor mit ihren Waffen. Schrilles Heulen erklang, als die purpurnen Strahlen aus den Gewehren schossen. Vier Mitglieder der Schiffsbesatzung starben, bevor sie überhaupt merkten, was vorging.
Harper übernahm die Spitze und rannte den Flur entlang zu der Doppeltür, die zum Maschinenraum führte. Jeremiel hatte ihm erläutert, daß alle Kreuzer der Klassen C bis J nach den gleichen Plänen konstruiert waren. Der Maschinenraum war im Prinzip ein runder Schacht, der über drei Decks reichte und zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit etwa zwanzig Mann besetzt war. Die einzelnen Kontrollstationen hingen wie aus Draht geflochtene Vogelnester in Höhe der einzelnen Decks an der Wand und boten ein kaum zu verfehlendes Ziel, sofern man die Besatzung vom untersten Deck aus überraschte.
Harper stürmte durch die Tür und richtete sein Gewehr auf das oberste Deck. Janowitz und Uriah tauchten neben ihm auf und nahmen sich die Besatzungsmitglieder auf dem Boden und dem mittleren Deck vor. Männer und Frauen schrien und versuchten zu entkommen. Ein paar griffen nach ihren Waffen, doch die roten Strahlen trennten ihnen erbarmungslos Arme und Beine ab.
»Werft eure Waffen herunter!« brüllte Harper und feuerte weiter.
Pistolen und Gewehre landeten klappernd auf dem Boden. Die Toten hingen aus ihren Käfigen herab, die Münder im Todesschmerz weit aufgerissen. Blut spritzte über die weißen Wände und floß in Strömen zu Boden. Mehrere Crewmitglieder waren entkommen. Nur ein rothaariger Lieutenant verharrte an seinem Platz, eingeschlossen von wuchtigen weißen Konsolen, von denen aus sich das ganze Schiff kontrollieren ließ.
»Janowitz, Uriah, überprüft die umliegenden Flure und stellt sicher, daß sich dort niemand mehr aufhält.«
»Aye, Harper.«
Die beiden Männer eilten zu dem Ausgang, durch den die meisten Mannschaftsmitglieder entkommen waren. Harper schaute ihnen nach und wirbelte plötzlich herum, als er aus den Augenwinkeln bemerkte, wie sein einziger Gefangener seine Hand nach einer Konsole ausstreckte. Er hob das Gewehr.
»Verschwinden Sie von den Kontrollen, Mister.«
»Wer … wer sind Sie?« rief der Lieutenant mit zitternder Stimme. »Sie können doch nicht einfach hereinkommen und …« Er tastete abermals nach der Konsole.
Harpers Schuß traf ihn mitten in die Brust und riß sie weit auf. Blut und Knochentrümmer spritzten durch die Luft, als der Mann auf die Konsole fiel.
Draußen auf dem Korridor war sporadisches Gewehrfeuer zu vernehmen. Harper betete insgeheim, daß es Uriah und Janowitz waren, die dort schossen.
Er fuhr herum, als er Schritte hörte, die näher kamen. Jeremiel stürmte in den Maschinenraum. Sein schwarzer Kampfanzug war blutbefleckt. Ohne zu zögern stürzte er sich auf die Konsole neben Harper. Seine Finger rasten, während er Befehle eingab.
Harper las die Worte, die auf dem Schirm auftauchten: ABSCHALTUNG DER NOTFALLSCHOTTE NUR MIT KORREKTEM AUTORISIERUNGSCODE MÖGLICH. ERBITTE EINGABE.
Harper wußte, daß die Notfallschotte automatisch jede Sektion verschlossen, die einen Druckabfall zu verzeichnen hatte. Auf diese Weise wurden sämtliche nicht betroffenen Teile des Schiffes versiegelt und die Mannschaft vor den Folgen völliger Dekompression bewahrt. Zu Harpers Verblüffung gab Jeremiel eine längere Codesequenz ein und wartete gespannt auf die Reaktion.
UNGÜLTIGER CODE.
Jeremiel gab eine andere Sequenz ein. Nach dem sechsten Versuch zeigten sich auf dem Schirm die Worte: CODE AKZEPTIERT. NOTFALLSCHOTTE ABGESCHALTET.
Der Untergrund hatte seine Spione offenbar an allen wichtigen Stellen. Baruch tippte weitere Anweisungen ein und leckte sich dabei nervös über die Lippen.
Die Türen zum Maschinenraum schlossen sich, und das Geheul der Sirenen brach ab. »Was machen Sie da?« erkundigte sich Harper.
»Ich verlege die Schiffskontrollen hierher. Außerdem versiegle ich diese Sektion, sowie Deck sieben und die Brücke. Alle anderen Decks werden dekomprimiert.«
Harper schnappte nach Luft, als er Jeremiels Vorhaben begriff. Die Notfallschotte? Wenn Jeremiel die Schleusen öffnete, würde jeder nicht versiegelte Teil des Schiffes durch die herausströmende Luft regelrecht leergefegt werden. Und jeder, der sich auf den Fluren aufhielt … »Sie … Sie wollen Tausende von Menschen töten?«
»Wäre es Ihnen lieber, wenn sie hier bei uns blieben?«
Die Verzweiflung in Jeremiels Stimme traf Harper wie ein Schlag. Er ließ sich in einen Sessel sinken. »Nein.«
Dannon befand sich auf dem Weg zum nächstgelegenen Aufzug und überlegte dabei, wieviel Zeit ihm noch bleiben mochte. Das Sirenengeheul zerrte an seinen Nerven. Ganz offensichtlich hatte Baruch zugeschlagen. Die Wachen im Aufenthaltsraum hatten Neil freigelassen, als der Alarm losging. Die Brücke war jetzt der einzige Zufluchtsort. Wenn Baruch tatsächlich Operation Abba durchführen wollte, mußte er zuerst für eine gewisse Ablenkung sorgen, damit sein Team den Hangar verlassen und einen Aufzug erreichen konnte. Wenn alles nach Plan verlief, würden sie Deck zwanzig innerhalb von fünfzehn Sekunden erreichen. Und dann war der Maschinenraum verloren. Die ganze Anlage dieser Sektion machte sie für einen Überraschungsangriff äußerst verwundbar. Die Crew hatte keine Möglichkeit, rechtzeitig zu flüchten und war den Schüssen der Soldaten hilflos ausgeliefert. Er konnte sich das Gemetzel lebhaft vorstellen.
Als der Aufzug stoppte, rannte Neil auf die Brücke und landete inmitten einer Gruppe aufgeregter Offiziere, die alle durcheinander redeten. Auf dem Rundumschirm leuchteten Daten aus allen Teilen des Schiffes auf.
Rich Macey, der rothaarige Kommunikationsoffizier, beugte sich über sein Terminal und brüllte: »Simons? Fritz? Verdammt, warum antwortet niemand? Was, zum Teufel, geht dort unten vor?«
»Wo ist Tahn?« rief Neil in das Durcheinander, doch niemand schenkte ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit. »Verdammt nochmal! Seht zu, daß ihr den Captain auftreibt! Alle anderen sind im Moment unwichtig! Baruch ist für alles verantwortlich und …«
Die Tür zur Brücke glitt auf und Halloway, die vor Erschöpfung schwankte, schleppte Tahn herein. Der Captain sah krank aus und hätte ohne Hilfe kaum gehen können. Seine Uniform war zerrissen und blutbefleckt.
»Tahn!« rief Neil. »Was ist passiert?«
Halloway führte den Captain zu seinem Kommandosessel und eilte dann an das Navigationspult. Tahn bemühte sich, aufrecht zu sitzen. »Statusbericht, Lieutenant«, wandte er sich an Macey.
»Unbekannt, Sir. Wir haben keine Möglichkeit …«
Neil trat vor. »Ist das wahr?« fragte er, stützte sich auf den Armlehnen des Kommandosessels ab und starrte direkt in Tahns schmerzverzerrtes Gesicht. Beunruhigt registrierte er, daß Tahns Pupillen unterschiedliche Größen aufwiesen. »Ist Baruch an Bord?«
Tahn blinzelte und versuchte, seinen Blick auf Dannon zu fixieren. »Was machen Sie hier, verdammt? Verschwinden Sie von der Brücke!«
»Ich will wissen, ob …«
Die Sirenen verstummten und Dannon wurde blaß.
In plötzlichem Erschrecken blickte Tahn sich auf der Brücke um. »Nein … er kann nicht …«
Doch, er kann. Die Erkenntnis der Wahrheit verursachte Neil Übelkeit. Er ließ die Armlehnen los und richtete sich auf. Jeremiel hatte das Schiff übernommen, und die Besatzung des Maschinenraums war tot. Sein nächster Schritt würde darin bestehen, sämtliche Brückenfunktionen über die Notschaltung in den Maschinenraum umzulegen. Diese Notschaltung war der Schwachpunkt aller Kreuzer der Klassen C bis J. Sie ermöglichte es einem einzigen Mann, die Kontrolle über das gesamte Schiff zu übernehmen.
Aber nein. An so etwas durfte er gar nicht denken. Tahn würde schon eine Möglichkeit finden, den Maschinenraum auszuschalten. Immerhin standen vier Männern mehr als dreitausend gutausgebildete magistratische Soldaten gegenüber. Jeremiel mochte das Schiff zwar in seine Gewalt gebracht haben, doch seine Stellung konnte er nicht halten. Sie mußten lediglich auf den richtigen Moment warten, um ihn auszuräuchern. Neil verspürte ein leises Gefühl des Bedauerns. Ja, ohne Zweifel würde man Baruch überwältigen. Ein Schiff dieser Größe ließ sich nicht mit einem so kleinen Stoßtrupp halten.
»Captain!« schrie Macey auf, »ich bekomme aus allen Teilen des Schiffs Dekompressionsmeldungen. Wir …«
»Druck ausgleichen!«
Halloways Finger huschten über die Tastatur. Als sie sprach, klang ihre Stimme ruhig und beherrscht. »Unmöglich. Er hat die Kontrollen übernommen.«
»Überbrücken!«
»… Funktioniert auch nicht.«
»O Gott!« kreischte Neil hysterisch. Dekompression war für Operation Abba nicht vorgesehen! Jeremiel hatte die Pläne geändert. Wenn alle Schleusen geöffnet waren, würde es in weniger als fünf Minuten keinen Sauerstoff mehr im Schiff geben. Neil packte Tahns Arm und brüllte: »Er hat Ihr Schiff übernommen. Sie Narr! Sie haben ihm Ihr Schiff ausgeliefert! Sie hätten wissen müssen …«
Tahn richtete sich mit einem Ruck auf und kam schwankend auf die Füße. Mit aller Kraft schlug er Dannon ins Gesicht. Halb betäubt stolperte Neil rückwärts und stürzte schluchzend zu Boden. Jeremiel würde ihn töten! Aus den Augenwinkeln sah er, wie Halloways Finger über die Eingabe rasten. Sie hatte das Codebuch hervorgeholt und versuchte jetzt verzweifelt, die Codierungen zu ändern. Idiotisch! Hatte sie noch immer nicht begriffen, was hier geschah? Für solche Maßnahmen war es längst zu spät. Zugriff verweigert, verkündete ihr Schirm. Sie versuchte etwas anderes. Falscher Zugangscode. Ihre Finger tippten eine andere Sequenz ein. Daten gesperrt. Halloway stöhnte verzweifelt auf und schlug mit der Faust auf ihre Konsole. Dann beugte sie sich plötzlich vor, öffnete die Abdeckung an der Rückseite der Konsole und steckte einige Verbindungen um. Die Leitung für Datentransfer von anderen Schiffen? Das war clever. Jeremiel würde ein paar Stunden brauchen, um diese Schaltung lahmzulegen, und vielleicht sogar noch länger, wenn genügend andere Probleme seine Aufmerksamkeit verlangten. Aber würde während dieser Zeitspanne jemand von außerhalb versuchen, sie zu erreichen?
Jemand schrie auf, und Neil blickte zum Frontschirm. Zerschmetterte Körper stürzten aus der Hoyer und trieben in der Dunkelheit des Alls wie blutige Ghoule, die gerade aus Aktariels Gruben der Finsternis entkommen waren. Ihre verzerrten Gesichter schienen die Menschen an Bord anzustarren und selbst im Tod noch um Hilfe zu flehen.
Verzweifelt kroch Dannon zum nächsten Wandschrank hinüber, holte einen Druckanzug heraus und legte ihn an.
»Halloway …«, flüsterte Tahn mit grauem Gesicht. »Carey … geschätzte Verluste?«
»Vermutlich zweitausendsiebenhundertfünfzig.«
»Welches Deck hat er versiegelt? Sieben?«
»Aye, Sir.«
Natürlich Deck sieben! Dannon schlug aus Wut über ihre Dummheit mit der Faust auf den Boden. Kreuzer verfügten über dreitausenddreihundert bis dreitausendvierhundert Mann Besatzung. Jeremiel hatte möglicherweise Verwendung für die wissenschaftlichen Spezialisten, doch die restliche Mannschaft war für ihn ohne jeden Nutzen, stellte im Grunde nur eine bewaffnete Fracht dar.
Tahn sackte in seinem Sessel zusammen. Sein Kopf sank auf die Rückenlehne, als er unzusammenhängende Worte murmelte. Bewußtseinsstörungen infolge der Schläge?
»Captain?« fragte Macey am Rand der Verzweiflung. »Was geht hier vor?«
Auf dem Schirm waren Dutzende planetarer Schiffe zu sehen, die der Hoyer zustrebten, und plötzlich begriff Neil Jeremiels Plan. Er hatte Operation Abba abgeändert, um Raum für die Flüchtlinge zu schaffen, die vor der Zerstörung Horebs flohen. Der Feuersturm würde eine entsetzliche Kettenreaktion in Gang setzen, die schon sehr bald zu immensen klimatischen Veränderungen führen mußten. Und Jeremiel würde in Kürze über eine große Zahl loyaler Gamanten verfügen, die jeden Zentimeter der Hoyer absuchten, bis sie ihn, Neil Dannon, gefunden hatten!
»Macey«, sagte Tahn, »verbinden Sie mich mit dem Maschinenraum.«
Neil zog sich bis an die Kabinenwand zurück und verbarg sich hinter einer Konsole. Der Frontschirm flackerte auf, und Jeremiels harte blaue Augen blickten Tahn an. Er sah mit seinen blonden Haaren und dem kurzgeschnittenen Bart noch genauso aus wie vor sechs Monaten. Dannon erzitterte unwillkürlich. Sein bester Freund für fünfzehn lange Jahre …
»Baruch«, erklärte Tahn, »wir müssen miteinander reden.«
»Ich höre.«
Beim Klang von Jeremiels tiefer Stimme krümmte Neil sich innerlich. Erinnerungen an glücklichere Zeiten tauchten in seinem alkoholumnebelten Verstand auf.
Tahn bewegte sich unruhig in seinem Sessel. Seine Stimme wirkte unsicher. »Ich glaube … jetzt zu sagen, daß wir uns ergeben, wäre unsinnig, aber wenn Sie darauf bestehen …«
»Ist nicht erforderlich.«
Neil ließ sich auf den Bauch sinken und kroch über den Boden, wobei er einen Weg nahm, der nicht von den Kameras erfaßt wurde. Sein Ziel war die Tür des der Brücke angegliederten Besprechungszimmers. Von dort aus konnte er in einem der Luftschächte verschwinden, und sobald Jeremiel an Bord des Schiffes wieder normale Druckverhältnisse hergestellt hatte, wollte er sich irgendwo zwischen den Versorgungsleitungen der Hoyer verbergen. Dort würde man ihn nicht so schnell aufspüren.
Neil hörte, wie Tahn fragte: »Was kann ich tun … um den Rest meiner Besatzung zu retten?«
Jeremiel antwortete mit erschöpfter Stimme: »Ich wünsche Ihre Kooperation. Die Menschen, die ich an Bord bringe, sind fähig, aber nicht ausreichend geübt. Weisen Sie Ihre Wissenschaftler an, sie entsprechend zu schulen, dann garantiere ich, Sie und Ihre Leute wohlbehalten auf dem nächstgelegenen gamantischen Planeten abzusetzen.«
»Ich bin nicht sicher, ob Sie uns damit einen Gefallen erweisen … aber gut, ich bin einverstanden.«
Neil streckte die Hand aus und drückte auf den Türöffner des Konferenzraums, kroch hinein und schloß die Tür wieder.
»Ganz ruhig jetzt!« Mit zitternden Fingern strich er sich das schwarze Haar aus den Augen. »Jeremiel kann das Schiff unmöglich halten. Selbst nachdem er achtzig Prozent der Besatzung getötet hat, wird ihm Tahn noch einen höllischen Kampf liefern.«
Mühsam brachte Neil seine Atmung wieder unter Kontrolle. »Ich muß mich lediglich solange verstecken, bis Tahn das Schiff zurückerobert hat.«
Dannon schloß das Helmvisier, riß die Verkleidung des Luftschachts aus ihrer Halterung und kroch in die dunkle Öffnung.
Harper setzte die Kopfhörer ab und beobachtete, wie Jeremiel die Verbindung zur Brücke unterbrach. Baruch wirkte völlig erschöpft. Er sah aus, als hätte er auch den letzten Rest der Energie verbraucht, die ihn in den vergangenen Tagen aufrecht gehalten hatte. Seine blauen Augen erschienen stumpf, fast leblos.
Jeremiel stützte sich mit einer Hand auf die Konsole und wandte sich an Harper. »Avel, ich muß mich jetzt um die ankommenden Samaels kümmern. In der Zwischenzeit können Sie zwei Dinge für mich übernehmen. Zum einen habe ich die Scanner des Schiffes auf Maximum gestellt. Von diesem Pult aus können Sie die Polarregion auf Lebenszeichen hin absuchen. Wenn es Probleme gibt, benutzen Sie die Hilfsfunktion des Schiffes. Ich muß wissen, ob Rachel noch lebt.«
»Ich verstehe«, erwiderte Harper. »Wenn ich sie finde, schicke ich sofort einen Samael, um sie abzuholen.«
Wenige Tage vor Ausbruch des Bürgerkriegs auf Horeb hatte Baruch Rachel Eloel als Agentin ausgesandt, um den Führer des Planeten, den Mashiah Adom Kemar Tartarus, zu ermorden. Als die Kämpfe begannen, hatte der Mashiah Rachel zu seinem Unterschlupf in der Polarregion mitgenommen. Noch am gleichen Tag hatte Rachel ihre Mission erfüllt, indem sie Tartarus während einer Fernsehansprache tötete, durch die er seine wankenden Truppen in Seir mit neuem Kampfgeist erfüllen wollte – Harper und Jeremiel hatten die Aufzeichnung gesehen, in der Rachel Tartarus ein Messer in die Brust stieß. Doch keiner von ihnen wußte, was anschließend mit ihr geschehen war.
»Gut«, fuhr Jeremiel fort. »Zweitens schicken Sie eine eng gebündelte Sendung in Richtung Pitbon. Versuchen Sie, Kontakt zu meiner Flotte herzustellen. Wenn Ihnen das gelingt, teilen Sie Rudy Kopal mit, wir hätten einen neuen Schlachtkreuzer für ihn. Und bitten Sie ihn, sich mit uns auf Tikkun zu treffen.«
»Wird erledigt.«
Harper schaute zu, wie Baruch zum nächstgelegenen Wandschrank ging, einen Druckanzug herausnahm und ihn anlegte. Obwohl sie bereits damit begonnen hatten, die Decks wieder mit Sauerstoff zu fluten, würde es noch mindestens zwei Stunden dauern, bis überall wieder normale Druckverhältnisse herrschten.
Nachdem Jeremiel sich auf den Weg gemacht hatte, wandte Harper sich wieder seiner Konsole zu und gab eine Reihe von Suchbefehlen ein. Ein Ausschnitt der Polkappe erschien auf dem Monitor. Die vereisten Höhenzüge und die windgepeitschten Ebenen waren deutlich zu erkennen. Um diese Jahreszeit lagen die Temperaturen in dieser öden, menschenleeren Region weit unter dem Nullpunkt.
»Oh Rachel«, murmelte Harper, »ich hoffe, es geht dir gut.«
Während das Schiff die Suche nach der Frau fortsetzte, wandte sich Harper wieder der Kommunikationskonsole zu. Er hatte bereits seine besten und erfahrensten Leute angewiesen, als erste an Bord zu kommen und die Hangars zu sichern. Jetzt näherten sich zwei Samuels und setzten sanft wie Federn auf den weißen Kacheln auf.
»Klausen? Hier spricht Harper. Seien Sie vorsichtig, wenn Sie Ihr Schiff verlassen. Baruch schätzt, daß rund hundert Soldaten es geschafft haben dürften, rechtzeitig vor Beginn der Dekompression ihre Druckanzüge anzulegen. Gut möglich, daß sie Ihnen jetzt auflauern.«
»Verstanden, Harper. Wir sind vorbereitet.«
Harper wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Eiswüste zu. Eisige Gletscherwinde wirbelten über die Oberfläche und trieben den Schnee vor sich her.
»Sei am Leben, Rachel. Wir brauchen dich …«
Plötzlich beugte er sich vor. Ein blinkender roter Lichtpunkt wurde auf dem Schirm sichtbar. Harper stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Da ist sie!«