KAPITEL
41

 

 

Neil Dannon hockte in der schwach erleuchteten Geschützkammer. Es roch nach Schmutz und Öl. Tahn und Halloway hatten ihn stundenlang abwechselnd und sehr intensiv befragt, und mittlerweile war er so erschöpft und entnervt, daß er am liebsten um sich geschlagen hätte. »Ich … ich weiß es nicht, Tahn.«

Der Captain ragte wie eine stählerne Säule vor ihm auf. »Wofür sind Sie denn überhaupt gut, Dannon? Baruch hat seine Streitkräfte überall im Schiff neu formiert, und Sie haben nicht die leiseste Ahnung, was er vorhat? Verdammt! Was treibt er da?«

»Ich weiß es nicht. Lassen Sie mich endlich in Ruhe!« Dannon hatte aufgehört, ihre Fragen zu beantworten, weil seine Bauchmuskeln sich bei jeder Erwähnung Baruchs so sehr verkrampften, daß er es nicht mehr aushalten konnte. Immer wieder kam ihm jener kurze Moment in den Sinn, als sie sich auf Deck zwanzig gegenüber gestanden hatten. Irgend etwas hatte er da in Jeremiels Augen gelesen, das er nicht abschütteln konnte – Erinnerungen an ihre alte Freundschaft, und Bedauern darüber, daß es so enden mußte. Er besaß einfach zu viele Erinnerungen an die Jahre, die sie gemeinsam verbracht hatten, und die meisten davon waren positiv.

Tahn verschränkte die Arme und nickte Halloway zu. Sie trat einen Schritt vor.

»Dannon«, sagte sie, »vielleicht kommen wir weiter, wenn wir die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Sehen wir uns an, was wir wissen. Jere … Baruch hat seine Sicherheitskräfte auf die Bereiche rings um den Maschinenraum und die Hangars konzentriert. Zudem hat er alle magistratischen Besatzungsmitglieder mit Ausnahme jener Gruppe, die seine Leute unterrichten, in ihren Kabinen eingeschlossen. Das Schiff wird im Moment ausschließlich von seinen eigenen Leuten gesteuert. Heißt das, er bereitet sie darauf vor, das Schiff auch weiterhin allein zu fliegen, sobald wir angekommen sind? Oder trifft er nur die nötigen Vorbereitungen, um die Flüchtlinge mit den Shuttles abzusetzen? Vielleicht versucht er aber auch nur, uns von seinen wahren Plänen abzulenken? Kann es sein, daß er seine Strategie grundlegend geändert hat?«

Neil musterte sie von oben bis unten. Sie hätte beinahe Jeremiel gesagt, und ihre Stimme hatte dabei einen weichen Klang angenommen. Hatte sein alter Freund seinen Charme eingesetzt, um sie auf seine Seite zu ziehen?

Er fuhr sich durch das schweißnasse Haar und zwang sich zu einer Antwort. »Nein. So spät würde Jeremiel einen Plan nicht mehr ändern, es sei denn, er hätte Informationen erhalten, die ihn dazu zwingen. Ich vermute, er hat seine Leute neu eingeteilt, um genügend Personal zur Vorbereitung und Ausrüstung der Shuttles zur Verfügung zu haben.« Er grinste Tahn an. »Ihnen ist hoffentlich klar, daß er die Hoyer ausräumen wird, um die Flüchtlinge so gut wie möglich zu versorgen.«

Tahn runzelte die Stirn. »Sie meinen, er schickt jeden mit einer magistratischen Mitgift nach unten? Und wenn schon. Wir können ohnehin nichts daran ändern. Aber eine andere Frage: Halten Sie es für möglich, daß Baruch Wort hält und unsere Leute zuerst absetzt?«

Neil kicherte verächtlich. »Bleiben Sie realistisch, Tahn. Das glauben Sie doch selbst nicht, oder? Er muß den Rest Ihrer Mannschaft als Geiseln behalten, falls alles andere schiefgeht. Sollte man ihn einkesseln, wird er einen Austausch vorschlagen. Geht man nicht darauf ein – nun, dann werden Sie sich in Zukunft über gar nichts mehr Sorgen machen müssen.«

Neil blickte zu Halloway hinüber, die langsam auf und ab ging. In den letzten Monaten hatte er sie oft genug beobachtet, um ihre geradlinige, militärische Haltung genau zu kennen. Wieso bewegte sie sich jetzt so ausgesprochen feminin? Ihr Verhalten erinnerte ihn stark an Syene. War Jeremiel das auch aufgefallen? Oder lag es sogar an seinem Einfluß? Spielst du ein doppeltes Spiel, meine Hübsche? Und wenn ja, auf welcher Seite stehst du dann wirklich?

»Ich mache mir ernstlich Sorgen«, erklärte Halloway. »Ich glaube, er plant eine Überraschung, und wir sind zu sehr in unsere eigenen Pläne vertieft, um das zu erkennen. Ich bin mir fast sicher …«

»Ach, wirklich?« Neil lachte. »Wann hat Jeremiel Ihnen das denn gesagt? Bei einer Ihrer privaten Unterredungen? Er kann sehr überzeugend sein, nicht wahr? Ich kann ihn richtig hören: ›Carey, meine Liebe, helfen Sie mir, und ich garantiere Ihnen, daß Ihren Leuten nichts geschieht. Aber helfen Sie mir, Carey!‹« Halloway schien den Atem anzuhalten. Neil beugte sich vor. »Außerdem gilt er als erstklassiger Liebhaber. Er würde Ihnen sicher gefallen. Hat er Ihnen auch die Galaxis auf einem Silbertablett versprochen?«

Tahn warf einen raschen Blick auf seine Stellvertreterin, und Neil erkannte die Zweifel in seinem Gesicht. Hatte Tahn den gleichen Verdacht?

Mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme sagte Tahn: »Dannon, an Ihrer Stelle …«

»Sie sind aber nicht an meiner Stelle! Außerdem finde ich das ganze sehr amüsant.« Neil deutete auf Halloway. »Gott, wie oft habe ich so etwas schon miterlebt!« Er bemerkte nicht, wie Halloways Körper sich spannte. »Das gehört zu Jeremiels üblicher Vorgehensweise. Magistratische Offiziere zu verführen, hält er für einen großen Spaß. Er …«

Halloway wirbelte wie eine Tänzerin herum und traf Neil mit dem Fuß an der Schulter. Der Tritt schleuderte ihn gegen eine Kühleinheit. Er versuchte sich zu erheben, doch sie trat ihm in den Magen und ihre Fingerspitzen drückten schmerzhaft gegen seine Luftröhre.

»Sie sind tot, Dannon«, sagte sie lächelnd.

Mit drei raschen Schritten war Tahn neben Halloway, legte ihr eine Hand auf den Arm und versuchte sie wegzuziehen. Sie wehrte sich und drückte weiterhin Neils Kehle zusammen. »Carey! Beruhigen Sie sich. Wir alle sind überreizt …«

»Sie decken mich doch, oder, Cole. Dannon hat offensichtlich Gewissensbisse bekommen und wollte fliehen, um Baruch über unsere Pläne zu unterrichten. Stimmt’s?«

Tahn schluckte schwer. Er zögerte einen Moment, trat dann ein paar Schritte zur Seite und drehte ihnen den Rücken zu. »Ja, das stimmt. Aber machen Sie es schnell und sauber. Ich will keine unnötigen Fragen.«

Die Kälte in Tahns Worten ließ Neil aufheulen. »Warten Sie! Die Magistraten haben mir Asyl versprochen! Tahn, Sie können doch nicht …«

»Doch, ich kann«, meinte Halloway lächelnd. »Unterhalten wir uns ein letztes Mal? Wenn ich die richtigen Antworten bekomme, überleben Sie vielleicht sogar. Na, wie ist es?«

»Was … was wollen Sie wissen?«

»Einzelheiten. Nur ein paar Details über die Sache auf Silmar.« Ihre kräftigen Finger lagen noch immer um Neils Hals. »Ein Beispiel. Wir hatten ihn in einer narrensicheren Falle gefangen. Unsere Schiffe fingen an zu feuern, sobald sie den Lichtsprung beendet hatten. Wir vernichteten sieben von Baruchs Kreuzern, bevor er sich auch nur rühren konnte. Dann aber setzte er sich durch ein geschicktes Manöver genau zwischen unsere Schiffe, so daß wir nicht auf ihn schießen konnten, ohne uns gegenseitig zu gefährden. Und genau in diesem Moment, mitten in der Schlacht, schnappt er sich ein Shuttle, verläßt die Flotte und fliegt nach Silmar. Dabei hat er sich zwar zwei Treffer eingefangen, ist uns aber trotzdem entkommen.«

Neil keuchte. »Er wollte Syene retten.«

»Das glaube ich nicht. Er ist viel zu professionell, um sein eigenes Leben wegzuwerfen und die Sicherheit der Flotte aufs Spiel zu setzen – nur aus Liebe. Wollte er irgendeine besonders wichtige Aktion auf der Planetenoberfläche selbst überwachen? Oder …«

»Oh, Halloway, Halloway!« Neil versuchte, ein hysterisches Kichern zu unterdrücken. »Ich hatte gedacht, Sie hätten das schon längst selbst herausgefunden. Jeremiel besitzt ein paar grundlegende Schwächen. Als Kommandant ist er kühl und berechnend und kann sich von jeder militärischen Niederlage rasch erholen. Aber sobald seine emotionale Basis erschüttert wird, gerät er ins Stolpern. Und genau in diesem Moment ist er höchst verwundbar. Er …«

»Sprechen wir über Syene. Versuchen Sie sich vorzustellen, Dannon, wie ihr letztes Gespräch verlaufen sein muß, damit er bereit war, sie in einen Einsatz zu schicken, bei dem sie getötet werden konnte.«

Neil schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung …« Halloways Finger bohrten sich wieder in seine Kehle. Er schluckte krampfhaft und stieß hervor: »Wahrscheinlich hat er ihr gesagt, wie gefährlich es wäre, und sie hat geantwortet, er wäre zu wichtig, um das Risiko selbst einzugehen.«

»Hätte Syene auch über Sie gesprochen? Sie hegte doch einen Verdacht gegen Sie, oder?«

»Ja, das kann sein. Syene und ich sind nie besonders gut miteinander ausgekommen. Sie mischte sich selbst in den kleinsten Streit, den ich mit Jeremiel hatte …«

Halloway ließ ihn los und stand auf. Ihr Gesicht drückte Haß und Verachtung aus. Abrupt drehte sie sich um und ging davon. Tahn folgte ihr.

Neil rollte sich auf den Bauch und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.

Die Gamant-Chroniken 02 - Die Rebellen von Tikkun
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