3

Nach dem Mittagessen döste Jamie McCloone zufrieden am Feuer. Zu seinen Füßen fraß sich Shep, der Collie, durch die Essensreste seines Herren: ein Hühnerbein, ein angebranntes Würstchen und eine Speckschwarte.

Plötzlich spitzte der Hund die Ohren und schlug an. Jamie erhob sich.

Er freute sich, als er durch das Fenster den gelbbraunen Morris Minor den Hügel hochkommen sah. Das Getriebe krachte, weil ein Gang falsch eingelegt worden war. Als das Fahrzeug am vorderen Tor zum Stehen kam, lief Jamie seinem Freund und Nachbarn Paddy McFadden entgegen.

Paddys Ankunft wurde von allerlei Geräuschen begleitet, die Jamie inzwischen vertraut waren. Erst hupte er warnend, dann quietschte die Autotür in den verrosteten Angeln. Schließlich hievte Paddy seine arthritischen Hüften aus dem Fahrersitz, knallte die Tür zu und band den Türgriff mit einer Paketschnur an den Kofferraumverschluss, bis es auf dem Kies im Garten knirschte und er vor der Tür stand.

»Schöner Tach heute, Jamie.«

Paddy drückte sich an der Schwelle herum, bevor er seine Kappe abnahm. Er war ein sanfter, kleiner, schlecht proportionierter Mann, dessen Beine zu kurz, Arme zu lang und Ohren zu groß waren, so als würde er von zwei wild gewordenen Hunden in entgegengesetzte Richtungen gezerrt. Er rauchte fünfzehn Zigaretten am Tag und trank seinen Whiskey unverdünnt. Er ging durchs Leben, ohne sich allzu viele Gedanken zu machen, aber er wusste mit Sicherheit, dass Gott einen Bart und der Teufel Hörner hatte, und dass sein Schutzengel ihn seit dem Tag seiner Geburt begleitete.

»Wirklich gar nich mal so übel, Paddy«, sagte Jamie. »Setz dich doch da drüben hin.«

»Rose schickt dir ein paar Pfannkuchen.« Er stellte eine braune Papier tüte auf dem Tisch ab und ging mit kurzen Schritten zum Sessel.

»Oh! Geht’s ihr gut?«

»Jawoll, besser geht’s gar nich, Jamie.«

Paddy legte seine Kappe auf die Lehne und sah sich die unbestreitbaren Anzeichen der Verwahrlosung im Haushalt seines Freundes an: den Ruß auf dem Boden, die dicke Staubschicht auf den Möbeln. Er fragte sich, wie Jamie in diesem Schmutz überhaupt leben konnte. Ihm schauderte bei dem Gedanken daran, was Rose sagen würde, wenn sie dieses Zimmer sehen könnte. Das Leben seiner Frau schien sich tagtäglich um das Saubermachen und Aufräumen zu drehen. Paddy war der Meinung, dass ihre dreiundzwanzigjährige Ehe alles in allem so gut gegangen war, weil er sich früh Roses Bedürfnis nach Ordnung und Sauber keit gefügt hatte.

Als er sich Jamies Haus ansah, dachte er, dass dessen zukünftige Frau gerne im Haus arbeiten müsste. Er konnte nicht ahnen, dass Jamie einen guten Grund für seine Vorliebe zur Unordnung hatte. Sie war nämlich eine unausgesprochene Rebellion gegen die auferzwungenen Reinigungs rituale seiner Kindheit. Jamie sprach mit niemandem über diese Zeit seines Lebens. Nicht einmal mit seinem engsten Freund.

»Sie macht sich wirklich Sorgen um dich.«

Paddy schien sich in seiner Haut nicht wohlzufühlen und Jamie begann sich zu fragen, was los war.

»Wer?«, fragte er verwirrt. Die beiden Männer waren in der Kunst der Konversation nicht sonderlich geübt und neigten daher dazu, zwischen ihren Kommentaren und Fragen so lange Pausen zu machen, dass sie oft vergaßen, worüber sie gerade sprachen.

»Rose macht sich Sorgen um dich, Jamie.« Paddy kratzte sich an der Augenbraue und sah in das brennende Feuer. »Rose macht sich Sorgen um dich, ja wirklich.«

Jamie wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. »Na ja, ich denke mal ...«, begann er lahm.

Seit Micks Tod machten sich die McFaddens als gute Nachbarn und Freunde immer mehr Gedanken um Jamie. Eine peinliche Pause entstand und Jamie hoffte, dass Paddy etwas sagen würde.

»Weißt du, Jamie, sie will dir mal ... sie hat gesagt, sie will mal ...«. Er sah sich verwirrt um. »Herrgott nochmal, was hat sie nochmal gesagt?«

»Wollte sie mir mal einen Besuch abstatten?«

»Nee, das wars nich.«

»Mir die Pfannkuchen bringen?«

»Nee, das auch nich, ich meine, sie hat mir schon gesagt, dass ich dir die Pfannkuchen geben soll, aber da war noch was anderes, was ich dir sagen sollte, nachdem sie das mit den Pfannkuchen gesagt hat.« Paddy sah zur rauchvergilbten Decke hoch, von der er sich eine Eingebung erhoffte. »Was hat sie denn noch mal gesagt?«

»Wollte sie vielleicht irgendwohin mit mir?«

Jamie gingen langsam die Ideen aus. Aber da fiel es Paddy wieder ein.

»Ah! Jetzt erinnere ich mich. Sie hat mir gesagt, ich soll dir einen Rat geben.«

»Großer Gott, einen Rat?« Jamie sank tiefer in seinen Sessel und fragte sich, wo das eigentlich hinführen sollte. Er fand, dass Rose eine kluge Frau war und erwartete gespannt ihre Botschaft für ihn. »Einen Rat wozu?«

»Na ja, das ist ja die Sache ... Es geht um ... na ja, das hat Rose mir gesagt, damit ich es dir sage. Es geht um ...« Offensichtlich genierte Paddy sich. Jamie sah sich in dem Chaos um ihn herum um.

»Dass ich hier mal Ordnung schaffen soll?«

»Nee, darum geht’s nich. Na ja, sie hat mir gesagt, dass ich dir ... na, ich soll dir sagen ...« Er nahm die Kappe von der Lehne und untersuchte sie genauestens. »Na ja, sie hat gesagt, dass du dich vielleicht mal langsam nach ... dass du dir mal langsam ...«

»Soll ich mir ein Auto kaufen?«

»Nee, kein Auto, du sollst dir eine ... na ja, sie hat gesagt, dass du dir vielleicht ... eine Frau suchen solltest.«

Jamie zuckte merklich zusammen. Als hätte Paddy ihn in die Weichteile getreten. Niemand hatte je das Thema einer Ehefrau angesprochen. Nicht einmal Onkel Mick auf dem Totenbett, dabei hätte er allen Grund dafür gehabt.

Paddy hustete erleichtert. »Ja, eine Frau, das hat sie gesagt ... Und sie hat gesagt, du müsstest das nich alleine tun.«

Shep hob das Kinn vom Boden und sah Jamie verschlafen an, der mit gerunzelter Stirn ins Feuer starrte, als wollte er ein kompliziertes mathematisches Rätsel lösen.

Eine Frau suchen.

Die Äußerung hing wie eine Sprechblase aus einem Comic im Raum. Paddy bemerkte das Unbehagen seines Freundes, zog eine John-Players-Packung aus der Hosentasche und nahm zwei schon von seinen Hinterbacken gerundete Zigaretten heraus. Er glättete sie und hielt sie Jamie hin, der automatisch ein Streichholz anzündete und beide Zigaretten mit zittriger Hand ansteckte.

»Ach weißt du, einen wie mich sieht doch keine zweimal an«, sagte er schließlich.

»Na ja, weißt du, Rose hat mich da auf was gebracht, auf etwas, das dir helfen kann. Gestern, da sagt sie zu mir: Weißte Paddy, genau das isses, was Jamie braucht.«

Paddy zögerte und zog ein paarmal an seiner Zigarette. Er war nervös, denn ihm war klar, dass er drauf und dran war, seinem Freund vielleicht eine lebensverändernde Idee vorzustellen. Das Problem war nur: Wie sollte er sich ausdrücken?

»Und was war es?«, fragte Jamie.

»Was war was?«

»Die Sache, von der Rose gesagt hat, dass sie genau das is, was ich brauche.«

»Tja nun, das isses ja, sie hat gesagt ... sie hat gesagt, dass du ... sie hat gesagt, dass du gar nich rausgehen und sie inner Kneipe finden müsstest oder so, denn sie hat gesagt, dass du, na, du weißt schon, du kannst die Frau in der Zeitung finden.«

»Junge, Junge!« war alles, was Jamie dazu sagen konnte. Davon hatte er noch nie etwas gehört.

Paddy redete weiter auf ihn ein. »Weißt du, da gibt es welche, die setzen da ... die setzen da richtig Anzeigen rein, um Männer zu kriegen, echt jetzt, Jamie.« Sein Freund sah ihn ungläubig an. »Wirklich, das stimmt. Sie sagen, man braucht nur ein oder zwei Briefe zu schreiben und schon ...« Er machte eine Pause und sah sich die Teeflecken auf Jamies Tisch an. »Was so gesehen echt nich viel is dafür, dass du deinen Tee gemacht kriegst, dein Haus saubergemacht und deine, na ja, dein Kram gewaschen wird und was nich alles ...« Es folgte eine längere Pause, in der Paddy nach den richtigen Worten suchte, um das unangenehme Thema des Geschlechtsverkehrs umschreiben zu können. Dann gab er verlegen auf. »Na ja, und wonach du sonst noch so suchen könntest.«

Jamie fummelte an dem Riss in seiner Hose herum und freundete sich langsam mit dem Gedanken an. Er sah sich im Zimmer um und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, sein Leben mit einer Frau zu teilen. Er erinnerte sich an glücklichere Zeiten, in denen Tante Alice, die immer so gut gerochen hatte, in einem Haus mit sauberen Fensterscheiben, makellosen Böden und blühenden Blumentöpfen auf jedem Fensterbrett zu ihm gesprochen hatte. Ja, entschied er, das konnte eigentlich nur von Vorteil sein. Rose McFadden hatte oft genug gesagt, dass ein Haus die Hand einer Frau brauchte, um zu einem Heim zu werden. Und sie hatte recht.

Er sah zu Paddy hinüber, der in dem Sessel saß, in dem seine zukünftige Frau sitzen könnte. Er dachte an sein einsames Bett, das er mit ihr teilen könnte, und plötzlich verdüsterten sich diese Tagträumereien und die alten Ängste stiegen in ihm auf: die Angst vor Veränderung, voranderen Menschen, vor Frauen, vor Intimität. Kurz, vor allem, was sein Leben eigentlich nur besser machen konnte.

»Ich kann es nich«, platzte es aus ihm heraus, mehr zu sich selbst als zu Paddy.

Paddy zuckte zusammen. »Was kannste nich?«

»Mann, ich kann doch keine Frau hierherbringen!«

»Aber du musst sie doch nicht gleich herbringen«, beharrte Paddy, dem der innere Konflikt seines Freundes verborgen geblieben war. Seine Frau hatte ihm geraten, beharrlich zu bleiben, und er wusste genau: Wenn Jamie nicht einwilligte, würde er zu Hause was zu hören bekommen. »Du könntest sie irgendwo treffen ... in einem Hotel ... oder in einer Kneipe oder so. Ich und Rose würden dir natürlich beim Aufräumen helfen, jedenfalls, wenn du ... wenn du findest, dass sie zu dir passt und du ihr dein Haus zeigen willst.«

»Und in was für ’ner Zeitung hast du gesagt, stehen diese Frauen?« Jamie versuchte, so locker wie möglich zu klingen. Er konnte Paddy seine Befürchtungen einfach nicht erklären.

»Was für einer was?«

»Zeitung, Paddy.«

»Ach, um die Zeitung geht’s. Ich glaube, sie hat vom Mid-Ulster ... dem Mid-Ulster Vindi-irgendwas gesprochen ...«

»Vindicator?«

»Genau, das isses: Der Mid-Ulster Vindicator. Kriegste am Donnerstag unten bei Minnie Sproule.«

Die Asche an Jamies Zigarette war kurz davor hinunterzufallen. Der Rauch stieg zur Decke auf, die sich nur noch etwas gelber färbte.

»Ich verstehe«, sagte er und ließ die Asche auf den Boden fallen. »Weißt du, ich kann’s mir ja mal angucken.«

Der Rauch der Zigaretten hatte sich mit den Kochdünsten, die über dem offenen Feuer aufstiegen, gemischt. Im Zimmer war es so schummrig wie bei einer Séance, sodass Paddy Jamies Gesichtsausdruck nur mit Mühe erkennen konnte. Aber er spürte, dass der dem Ganzen nicht unbedingt ablehnend gegenüberstand.

»Was solls, is doch nichts dabei, dir mal eine anzusehen, Jamie.« Paddy war erleichtert, dass die heikle Nachricht endlich draußen war, und er freute sich, dass Jamie die Idee zu gefallen schien. Jetzt konnte er es kaum erwarten, Rose davon zu erzählen. »Nee, is absolut nich verkehrt, sich mal eine anzusehen. Und Rose sagt ... Rose sagt ... du bist ein gut aussehender Bursche und sie sagt ... es wär ’ne Schande, wenn du dein ganzes Leben nur ... nur ... nur ...«

»Nur ins Feuer starrst?«, fragte Jamie und starrte ins Feuer.

»Genau, ins Feuer.«

Noch so eine endlose Pause. Shep merkte, dass die Unterhaltung beendet war, stand mühsam auf und lief zur Tür.

»Da hat se recht«, sagte Jamie gedankenverloren hinter seiner Mauer aus langjähriger, qualvoller Verdrängung. Der Mauer, aus der Paddy gerade den ersten Stein herausgezogen hatte. Durch diesen Spalt konnte Rose nach ihm greifen und ihm beim Aufbau einer schönen, bis jetzt noch unvorstellbaren Zukunft helfen.