EPILOG
Der Rettungsdienst brachte mich von der Siren Bay Bridge direkt ins Sharpsin Memorial, das ich einige Monate zuvor nach meiner kleinen Auseinandersetzung mit Alistar Duncan ja schon ausgiebig kennengelernt hatte. Im Vergleich zu den schweren inneren Verletzungen, die ich damals erlitten hatte, war ich diesmal mit einer Unterkühlung und einem gebrochenen Unterarmknochen relativ glimpflich davongekommen. Nachdem ich die Nacht allein in einem Dreibettzimmer verbracht hatte, schickte man mich am nächsten Morgen mit einem Armgips in Neonpink nach Hause, der nicht nur dem behandelnden Chirurgen Dr. Northgate ein breites Grinsen ins Gesicht zauberte.
Auf meinem Weg nach draußen blieb ich am Empfangstresen stehen, um die Entlassungspapiere zu unterschreiben. Ein paar der Schwestern malten gerade lustige Kommentare und Figuren auf den Gips, als mich jemand von hinten am Ellbogen packte. „Luna.“
Der Geruch war unverwechselbar – immer wieder war er mir in meinen Albträumen in die Nase gekrochen. Ich wirbelte herum und stieß mit der flachen Hand gegen die Brust des Mannes, der mich so unwirsch gepackt hatte. „Wage es ja nicht, mich noch mal anzufassen!“, schrie ich Joshua ins Gesicht.
„Beruhige dich, Luna!“, versuchte er mich mit erhobenen Händen zu beschwichtigen. „Du bist ja gleich auf hundertachtzig. Vielleicht solltest du mal einen Termin beim Seelenklempner machen.“
„Ach ja? Und vielleicht solltest du jetzt machen, dass du schleunigst Land gewinnst, bevor ich deinen Schniedelwutz noch einmal mit einem Elektroschocker toaste, du kleines Stück Scheiße!“ Joshua schien sich über meine Aufregung zu amüsieren – zumindest vermittelte sein Grinsen diesen Eindruck. Nur mit Mühe konnte ich dem Verlangen widerstehen, ihm auf der Stelle meinen Gipsarm ins Gesicht zu rammen. „Ich möchte nur mit dir reden, Luna. In den letzten Tagen hast du nämlich mehr als einmal bewiesen, dass du würdig bist, ein Mitglied der Serpent Eyes zu sein. Also wollte ich dir vorschlagen, dich unserem Rudel anzuschließen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass du für immer eine Insoli bleiben willst. Nicht in diesen Zeiten …“
„Es ist mir scheißegal, was du dir vorstellen kannst!“, schnauzte ich ihn an und wandte mich wieder der Krankenschwester hinter dem Empfangstresen zu. „Vielen Dank für alles, Schwester! Ich gehe jetzt und besorge mir ein Taxi. Wenn dieser Schleimbeutel mir folgen sollte, dann rufen Sie bitte sofort den Sicherheitsdienst, ja?“
Joshua schlich mir trotzdem nach. Als er aber merkte, dass ich nicht stehen bleiben und mit ihm reden würde, packte er meinen gesunden Arm und riss mich herum.
„Bist du etwa taub? Nimm gefälligst deine Dreckspfoten weg!“, explodierte ich.
„Verdammt noch mal! Jetzt hör langsam auf mit dem Theater, Luna!“, schnaubte er. „Anscheinend kapierst du nicht, worum es geht. Ich biete dir gerade die Möglichkeit an, ein normales Leben zu führen. Ein Leben, bei dem du dich nicht dauernd umschauen und auf der Hut sein musst. Es ist wahrscheinlich deine einzige Chance!“ Mit schmalen Augen versuchte er, mich zu dominieren. „Schließ dich unserem Rudel an, Luna“, raunte er, aber ich hielt seinem Blick stand.
„Würde ich dann dir gehören?“, fragte ich.
„Natürlich“, antwortete er feixend. „Ich bin der Rudelführer der Serpent Eyes in Nocturne. Alles, was ich berühre, gehört mir.“
„Wenn das so ist“, erwiderte ich mit einem selbstbewussten Lächeln, „bin ich nicht an einer Mitgliedschaft in deinem Karnevalsverein interessiert.“
„Ich könnte dich mit Gewalt nehmen“, drohte Joshua, und ich spürte, wie er mich mit seinem dominanten Blick in die Knie zu zwingen versuchte.
„Nur zu, wenn du dich traust!“, forderte ich ihn mit gebleckten Zähnen heraus. Sprachlos wich er zurück und glotzte mich entgeistert an. Nachdem ein paar Sekunden vergangen waren, ohne dass er Anstalten machte, seine Drohung in die Tat umzusetzen, wusste ich, dass er mir nichts mehr anhaben konnte. Nach fünfzehn Jahren war ich endlich frei! Durch meinen Triumph ermutigt, drehte ich mich um und streckte den Arm aus, um ein Taxi heranzuwinken. Nur eine Sekunde später packte mich Joshua an der Schulter und riss mich erneut herum.
„Denkst du wirklich, dass wir schon miteinander fertig sind? Noch mal wirst du mir nicht davonlaufen, du Schlampe!“
Aus dem Augenwinkel sah ich ein Motorrad durch den dichten Verkehr heranpreschen. Wild hupend und fluchend bahnte sich der Fahrer seinen Weg und brachte seine Maschine in der Taxispur vor uns zum Stehen. „Wer ist diese Knalltüte?“, knurrte Dmitri und starrte uns durch seine Sonnenbrille an.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich verdutzt und bekam weiche Knie. Einzeln wäre ich sowohl mit Joshua als auch mit Dmitri fertig geworden, aber von einer Situation, in der beide gleichzeitig auf mich einredeten, fühlte ich mich hoffnungslos überfordert.
„Deine Cousine hat mir erzählt, dass du im Krankenhaus liegst“, erklärte er. „Nach unserem Streit habe ich schon befürchtet, dass irgendetwas Schreckliches passieren würde. So läuft das ja meistens bei dir.“
„Kumpel, falls du es nicht bemerkt hast, hier unterhalten sich gerade zwei Erwachsene“, fuhr Joshua ihn an. „Kratz die Kurve, klar?“
„Halt die Klappe, Joshua“, schrie ich und entzog meine Schulter mit einem Ruck seinem Griff. „Ich werde nicht mit dir gehen, und deinen Serpent Eyes kannst du auch bestellen, dass ich auf ihr Rudel pfeife. Meinetwegen kannst du ihnen ruhig erzählen, dass ich eine zickige Schlampe bin, bei der es sich nicht der Mühe lohnt, sie ins Rudel zu holen. Dann erfahren sie wenigstens nicht, was für ein armseliger Waschlappen du in Wirklichkeit bist.“ Ich hob eine Augenbraue und warf einen hämischen Blick auf den Reißverschluss seiner Hose. „Eigentlich kannst du ja nichts dafür … ist eben schwierig, mit einem verkohlten Minischniedel ein Rudel zusammenzuhalten.“
„Das ist Joshua?“, rief Dmitri erstaunt und stieg eilig von seiner Maschine. Seine Bewegungen wirkten etwas steif, sodass ich mir augenblicklich Sorgen machte, dass die Rudelältesten Wind von unserem Rendezvous bekommen und ihn mit einer Tracht Prügel bestraft hatten. Nachdem sich Dmitri in voller Größe vor Joshua aufgebaut hatte, nahm er seine Sonnenbrille ab und starrte ihm in die Augen. „Diese Flachzange hier ist also der heldenhafte Frauenverprügler, der dich gebissen hat …“
„Hör mal, Kumpel, sie wollte es doch so“, verteidigte sich Joshua und warf mir einen anzüglichen Blick zu. „Anscheinend kanntest du unsere wilde Luna damals noch nicht. Sie war eine richtige kleine Nutte, und wenn ich dich so ansehe, hat sie sich kein bisschen verändert. Macht wohl immer noch für jeden die Beine breit, der ein Motorrad fährt und eine große Klappe hat, was?“
Dmitri bleckte knurrend die Zähne und holte zum Schlag aus, aber ich stoppte ihn mit meinem gesunden Arm. „Lass gut sein. Ich mach das.“
„Willst du mir jetzt erzählen, was für ein Arschloch ich bin, oder was soll das werden?“, giftete mich Joshua an. „Gib dir keine Mühe, Kleine, das weiß ich nämlich schon längst, und ehrlich gesagt, bin ich auch verdammt stolz drauf. Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag zur Güte: Du gibst dich einfach weiter mit diesem abgehalfterten Rockerheini ab, und ich suche mir eine richtige Frau. Dann sind alle glücklich und jeder hat bekommen, was er verdient – ich eine anständige Frau und du …“, mit einer sarkastischen Verbeugung wies er auf Dmitri, „… du bekommst diese Witzfigur hier.“
Im Lauf der Jahre hatte ich gelernt, die meisten Provokationen mit einem ironischen Kommentar beiseitezufegen und gelassen meiner Wege zu gehen – aber bei Joshua war das unmöglich.
„So verführerisch dein Vorsehlag auch sein mag, Joshua, er ist nicht ganz das, was mir vorschwebt. Wie war s hiermit?“, antwortete ich und holte aus. Mit der ganzen Kraft einer Werwölfin hämmerte ich eine linke Gerade in sein Gesicht, die so heftig war, dass sie problemlos sein Gebiss in die hinteren Hirnregionen hätte verschieben können. Sofort fiel Joshua um wie ein nasser Sack und streckte alle viere von sich, als sein Hinterkopf mit einem hässlichen Knacken auf den Gehwegplatten aufschlug. Dann versenkte ich meinen Fuß in seinen Rippen und spuckte vor ihm aus. „Ich hoffe, sämtliche Hunde dieser Stadt werden dir in deine stinkende Fresse pissen!“
„Schönes Ding, Babe“, lobte mich Dmitri, während er seinen Arm um meine Hüfte legte und meine Wange küsste.
„Langsam, langsam, langsam!“, sagte ich und stieß ihn zurück. „Was soll dieser Babe-Mist auf einmal? Bei unserem letzten Treffen hast du mich noch gehasst!“
„Kannst du das nicht einfach vergessen, Luna?“, fragte Dmitri kleinlaut und versuchte erneut, mich zu umarmen. Wieder stieß ich ihn von mir, sodass er einen Schritt zurückwich.
„Was rauchst du eigentlich für ein krasses Zeug, Dmitri? Denkst du wirklich, du kannst alles mit diesem Babe-Scheiß und ein paar Umarmungen wiedergutmachen?“
Dmitri zuckte mit den Schultern und sah mit seinem belämmerten Gesicht unglaublich süß aus. „Okay, ich habe einen Fehler gemacht, Luna. Das kann doch mal passieren, oder?“
„Und jetzt erwartest du, dass ich alles andere einfach so vergesse, oder wie?“, fragte ich entrüstet. Dmitri dachte einen Moment lang nach und presste dann ein unglaubliches „Äh … eigentlich schon“ hervor.
„Das ist nicht dein Ernst, oder? Naja, egal …“ Wenn ich nicht schon vorher gewusst hätte, wie Werwolfmännchen tickten, hätte es mir in diesem Moment die Sprache verschlagen. „Du hast Glück, dass ich kein Geld fürs Taxi dabeihabe. Du darfst mich also gern nach Haus fahren. Aber Umarmungen kannst du dir vorerst abschminken!“
„Und später?“ Dmitris Augen wurden schmaler, und im Grün seiner Pupillen lauerte schon wieder das unheimliche Schwarz des Dämons.
„Später“, sagte ich zögernd, während ich auf das Motorrad stieg und mich entschied, ehrlich zu antworten. „Ich habe keine Ahnung, was später kommt.“
Kaum war Dmitri in die Einfahrt zu meinem Haus eingebogen, stürmte Sunny aus der Tür. Noch bevor ich absteigen konnte, umarmte sie mich so ungestüm, dass sich sofort mein schmerzender Gipsarm meldete. „Aua!“, murmelte ich, schlang dann aber doch meinen gesunden Arm um sie und drückte sie fest an mich.
„Hast du schon die Schlagzeilen gesehen?“, fragte Sunny und reichte mir den Nocturne City Post Herald. Der Leitartikel auf Seite eins behandelte den Tod von Seamus O’Halloran, der „nach einem brutalen und gänzlich unprovozierten Angriff auf Mitarbeiter der Stadtverwaltung von Lieutenant McAllister in Notwehr erschossen wurde“.
„Aber hallo!“, murmelte ich. Weiter unten auf derselben Seite beschrieb ein Artikel die desaströse Lage der O’Halloran Group. Eine eingehende Prüfung des Konzerns durch die Steuerbehörde hatte Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung ergeben. In der Folge waren die Vermögenswerte der Unternehmensgruppe eingefroren und Dutzende Haftbefehle für flüchtige Manager ausgestellt worden. Insgesamt schien es nicht sonderlich gut um die mächtigsten Casterhexen in Nocturne City zu stehen.
„Der Inquirer ist noch etwas heftiger“, kommentierte Sunny. „Gleich auf der ersten Seite haben sie ein Foto vom Tatort abgedruckt, auf dem Seamus’ Leiche mit dem Gesicht nach unten im Hafenbecken schwimmt … fürchterlich!“
„Aha“, brummte ich und überflog den Artikel. Eigenartigerweise – und zu meinem Glück – stellte der Bericht die Aussagen anderer Hexenfamilien in den Mittelpunkt, nach denen Seamus O’Hallorans Tod durch eine „nicht näher bekannte bösartige Kraft“ bedingt worden war. Solange mein Bild nicht neben dem von Seamus’ Leiche auftauchte, war mir alles recht. Wenn mein Name irgendwo in diesen Artikeln genannt worden wäre, hätte ich nämlich meine Ersparnisse zusammenkratzen und in einen guten Gesichtschirurgen und eine neue Identität investieren müssen.
Ich ahnte allerdings, dass die ganze Sache unabhängig von ihrer Darstellung in den Medien weitreichende Konsequenzen für Nocturne City haben würde. Mittlerweile war es ein offenes Geheimnis, dass sich unter den gewöhnlichen Menschen von Nocturne nicht nur Hexen und Werwölfe, sondern auch jede Menge anderer Kreaturen tummelten, die zusammen eine Spur der Gewalt und der Verwüstung hinter sich herzogen. Somit war es nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt wieder in Flammen aufgehen und durch eine Neuauflage der Hex Riots dahingerafft werden würde.
Ohne ein Wort zu sagen, nahm mir Dmitri die Zeitung aus der Hand und führte mich zum Sofa. Dort legte er meine Füße hoch und strich mir die Haare aus dem Gesicht. „Ich dachte, ich hätte mich zum Thema Berührungen und Umarmungen bereits geäußert?“
Er setzte sich neben mich und legte seinen Arm um meine Schulter. „Du willst mir also allen Ernstes sagen, dass du meine Streicheleinheiten nicht genießt? Schau dich doch mal um … du … ich … diese Wohnung … das ist doch eine traumhaft kuschelige Szene, oder?“
„Vorsicht, Sandovsky! Wenn du so weitermachst, gewöhne ich mich noch daran“, warnte ich.
„Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht“, erwiderte Dmitri. Ich starrte ihn ungläubig an.
„Sag bloß, der schwarze Ritter hat sich nun doch für eine Burg entschieden, auf der er bleiben will?“
„Vielleicht“, sagte er noch einmal mit einem geheimnisvollen Lächeln.
„Ich mache mich dann wohl besser auf den Weg“, verkündete Sunny mit einem Räuspern, als mich Dmitri gerade küssen wollte.
„Lass uns morgen telefonieren, Sunny, oder komm einfach vorbei, wenn du magst“, sagte ich und winkte ihr zum Abschied zu, während sie sich ihre Handtasche griff und zur Tür ging.
„Ja, aber nicht zu früh“, rief ihr Dmitri immer noch lächelnd nach, und mir fiel auf, dass ich ihn schon lange nicht mehr so gut gelaunt erlebt hatte. Obwohl mich diese Erkenntnis mit Glück erfüllte, spürte ich gleichzeitig auch ein nervöses Zucken in der Magengegend. Es ähnelte diesem Gefühl der Unsicherheit, das mich sonst nur bei dem Gedanken an nicht ausgeschaltete Herdplatten oder unverschlossene Haustüren beschlich.
„Da kommt ein richtig hässliches Auto die Einfahrt hoch“, rief Sunny von der Tür her. „Mit einer blonden Tussi am Steuer …“
„Scheiße!“, rief ich. Ein heftiger Krampf zog mir die Brust zusammen, denn ich ahnte, wer uns da gleich heimsuchen würde. Eine Minute später hämmerte es an der Tür. Bevor ich Sunny zurufen konnte, es nicht zu tun, hatte sie schon geöffnet und den unliebsamen Besuch hereingelassen.
„Dachte ich mir doch, dass ich dich hier finden würde“, fauchte Irina und baute sich auf dem geflochtenen Teppich vor dem Sofa auf.
„Irina“, begrüßte Dmitri sie mit einem Seufzer. „Was willst du von mir?“
„Von dir? Gar nichts. Ich will zu ihr!“, giftete sie zurück und zeigte mit einem ihrer kitschigen Plastikfingernägel auf mich. „Du hast etwas versprochen, Insoli. Hast du dich auch daran gehalten?“
„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Die einzige Chance, die ich hatte, um die Infektion des Dämons aufzuhalten, liegt auf dem Grund der Siren Bay. Aber ich habe eine Idee. Du kannst doch einfach tauchen und danach suchen … am besten ohne Luftflasche.“
„Du hast also versagt“, keifte Irina. „Dmitri, komm, wir gehen. Das Rudel wird sich um die Insoli-Schlampe kümmern.“
An einem Tag zweimal als Schlampe bezeichnet zu werden, war sogar mir zu viel. Von Wut gepackt, wollte ich gerade aufstehen, um ihr zu sagen, dass sie sich auf der Stelle aus meinem Haus scheren solle, als Dmitri plötzlich die Stimme erhob. „Ich werde nirgendwohin gehen, Irina.“
„Was?“, fragte sie ungläubig und begann sofort mit einem maschinengewehrartigen Gezeter auf Ukrainisch.
„Halt die Klappe, Irina! Halt einmal in deinem Leben deine gottverdammte Klappe!“ Dmitri griff an den Kragen seines T-Shirts und zog es mit den gleichen ungelenken Bewegungen aus, die mir schon vor dem Krankenhaus aufgefallen waren.
„Bei den Hex Riots!“, stieß Sunny hervor, während ich einfach nur sprachlos war. Dmitris rechte Schulter war von einem riesigen Bluterguss dunkelblau gefärbt. In seinem Zentrum prangten zwei tränenförmige rote Male. Es waren Bissmale … die Bissmale eines Werwolfs.
Irina schlug sich erschüttert die Hand vor den Mund. „Dmitri …“
„Ich bin jetzt kein Rudelführer mehr … und werde auch nie wieder einer sein“, erklärte Dmitri mit leiser Stimme. „Also geh jetzt lieber, Irina. Renn nach Hause zu Sergej und Yelena!“
Ich erkannte das Bissmal sofort als das, was es war – ein Zeichen der Erniedrigung, eine Markierung durch einen anderen Werwolf. Dieser Biss war nicht dazu gedacht gewesen, Dmitri zu verletzen. Er sollte ihn lediglich zeichnen und seine Degradierung für alle Welt offensichtlich machen. Unter gewöhnlichen Menschen hätte man jemandem den Spruch „Ich hab s nicht drauf!“ auf die Stirn tätowieren müssen, um einen ähnlich demütigenden Effekt zu ereichen.
„Oh mein Gott, Dmitri! Das hättest du nicht tun müssen …“ begann ich, aber schon beim zweiten Satz wurde ich von Irinas Schluchzen unterbrochen. Unter Tränen brach sie direkt vor uns zusammen. Ihr Gesicht war verzerrt – gezeichnet von dem gleichen tiefsitzenden Schmerz des Verrats und der Enttäuschung, der auch mich während der Szene am Bete Noire zerrissen hatte. Sie bot einen jämmerlichen Anblick. Ihre Hände zitterten, ihr Gesicht war kreidebleich, und aus ihrem Mund drangen keine Worte mehr, sondern nur noch unverständliche Zischlaute, die durch die ausgefahrenen Reißzähne ziemlich bedrohlich wirkten. „Du … hast … du hast mir nichts erzählt!“
„Warum hätte ich es dir erzählen sollen? Du hättest sowieso nur versucht, es mir auszureden“, erwiderte Dmitri.
„Aber ich bin deine Partnerin!“, schrie sie. In den letzten Wochen hatte ich fast unentwegt darüber nachgedacht, Irina wehzutun und sie von meinem Schmerz kosten zu lassen. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich jubelnd in die Luft springen würde, wenn ich sie an denselben Qualen zerbrechen sähe, die ich durch den Verlust von Dmitri erlitten hatte. Aber jetzt, da sie wie ein Häufchen Elend vor mir stand, war alles anders. Ich fühlte mich scheußlich und hundsgemein – in gewisser Weise sogar beschämt – bei ihrem Anblick.
„Ich bin aber nicht dein Partner“, erwiderte Dmitri. „Ich bin mit Luna zusammen, und so hätte es eigentlich auch immer sein sollen.“
Sunny, die die ganze Szene schweigend, aber mit weit aufgerissenen Augen verfolgt hatte, trat jetzt an Irina heran und griff nach ihrem Ellbogen. „Ich denke, es ist das Beste für alle Beteiligten, wenn Sie jetzt gehen, Irina.“ Mit langsamen Schritten begleitete sie das schluchzende Redback-Weibchen hinaus zum Auto. Erst als ich die Motorgeräusche nicht mehr hören und somit sicher sein konnte, dass sie tatsächlich verschwunden war, wandte ich mich wieder Dmitri zu.
„Als du nach unserem Streit davongelaufen bist, wurde mir klar, dass du ein Heilmittel für meine Infektion finden wolltest“, sagte Dmitri. „Und ich habe erkannt, dass Irina das niemals für mich getan hätte. Da wusste ich, zu wem ich gehöre und bin zu Sergej gegangen, damit er mich von meinen Verpflichtungen dem Rudel gegenüber befreit.“
„Dann bist du jetzt auch ein Insoli?“, fragte Sunny vorsichtig, und ich war froh, dass sie das Wort ergriff, denn ich stand kurz davor, einen Schreikrampf zu bekommen.
„Nein“, erklärte Dmitri. „Ich bin immer noch ein Redback, aber ich stehe weiter unten in der Rangordnung. Andere Werwölfe können mich jetzt dominieren, sodass ich mich für einige Zeit nicht bei dem Rudel in Nocturne sehen lassen sollte.“ Er drehte sich zu mir und nahm meine Hände in seine. „Und da kommst du ins Spiel, Luna …“
„Dmitri“, unterbrach ich ihn, „das hätte ich nie im Leben von dir verlangt.“
„Wahrscheinlich nicht … aber ich wollte es so. Wenn du dich nicht für mich ändern kannst, Luna, dann muss ich mich eben für dich ändern.“
Einerseits wollte ich ihn wegschicken, ihm sagen, dass ich es nicht wert war, aber noch viel mehr sehnte ich mich einfach danach, ihn endlich wieder an meiner Seite zu haben. Gerührt fiel ich ihm um den Hals und drückte ihn fest an mich, woraufhin auch Dmitri seine Arme um mich schlang. „Ich muss noch ein paar Sachen aus unserem Versteck über dem Bete Noire holen, okay? Danach bleibe ich so lange hier, wie du mich ertragen kannst.“
„Das wird niemals funktionieren“, sagte ich pessimistisch und musste trotzdem lächeln. „Und falls doch, dann wird es unglaublich schwierig.“ Ich wusste, dass die ganze Geschichte Konsequenzen haben würde. Die Rudelältesten der Redbacks würden es sicherlich nicht lange dulden, dass ein ehemaliger Anführer mit einer Insoli zusammenlebte.
„Kann sein“, stimmte Dmitri zu. „Aber das ist mir jetzt egal. Wir müssen es drauf ankommen lassen.“ Mit einem Kuss verabschiedete er sich. „Bin bald wieder da, Süße.“
„Bleib nicht so lange weg“, rief ich ihm nach, und als er zur Tür hinausging, konnte ich selbst noch nicht so richtig daran glauben, dass er wiederkommen würde.
Es dauerte einen Monat, bis mein Arm wieder einigermaßen in Ordnung war. Die Heilkräfte der Werwölfe wirkten zwar Wunder bei Schürf- und Schnittwunden, aber bei Knochenbrüchen halfen sie nicht wirklich weiter. Dr. Northgate nahm davon keine Notiz, denn er war in erster Linie erstaunt darüber, dass ich den Sturz von der Siren Bay Bridge überlebt hatte. Obwohl es mir genauso ging, erzählte ich es ihm nicht.
Genauso wenig erzählte ich, dass die klaffende Wunde in meinem Herzen – die schmerzende Leere, die mich seit fünfzehn Jahren geplagt hatte – verschwunden war. Womöglich wäre Dr. Merriman noch auf die Idee gekommen, dass ich mich dank ihrer Therapie auf dem Weg der Besserung befand, und diesen Triumph wollte ich ihr auf keinen Fall gönnen.
Als ich die erste Schicht nach meiner Krankschreibung antrat, widmete ich mich zuerst dem Papierkram, der sich während meiner Abwesenheit auf meinem Schreibtisch angesammelt hatte. Lustlos füllte ich die Formulare aus und wartete auf das Unvermeidliche. Nach nicht einmal fünfundvierzig Minuten erschien dann wie befürchtet Matilda Morgan im Großraumbüro der Detectives und rief mir von der Tür aus zu: „Wilder, in mein Büro. Sofort!“
Eigentlich war ich mir sicher, jetzt gefeuert zu werden. Schließlich hatte ich nicht nur unzählige Vorschriften des NCPD missachtet und meine Partnerin in die Hände eines wahnsinnigen Geiselnehmers getrieben, sondern auch meinem Captain gegenüber ein äußerst feindseliges Verhalten an den Tag gelegt. Auf dem Weg in Morgans Büro nahm ich mir aber vor, die ganze Sache würdevoll über mich ergehen zu lassen – ohne laute Worte oder zerlegtes Mobiliar.
„Detective“, begrüßte mich Morgan knapp in ihrem Arbeitszimmer. „Eigentlich wollte ich Ihnen nur eine Sache sagen: Sie sind die schlimmste Polizistin, die jemals unter meiner Führung ihren Dienst verrichtet hat.“
Morgans vernichtendes Urteil kam nicht sonderlich überraschend für mich. Mein vorheriger Captain war der gleichen Ansicht gewesen.
„Tut mir leid, das hören zu müssen, Ma’am“, brummte ich und wartete schon auf die dazugehörige Standpauke, die erfahrungsgemäß mit den Worten „und jetzt geben Sie mir bitte Ihre Dienstmarke und die Waffe“ endete.
„Gleichzeitig sind Sie aber auch meine beste Ermittlerin, Wilder, und bei Weitem der hartnäckigste Detective in den Reihen des NCPD.“
Fassungslos blinzelte ich ein paarmal. Morgans Worte hatten mir im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen.
„Sie werden sich sicher freuen zu hören, dass Shelby ihre Geiselnahme souverän überstanden hat“, sagte Morgan. „Ihre Partnerin hat bei der Befreiung der anderen Geiseln sehr beherzt gehandelt. Ich glaube sogar gehört zu haben, dass sich einer ihrer Peiniger jetzt auf der Intensivstation befindet.“
Sehr schön! Anscheinend hatte das ängstliche Barbiepüppchen, das mir vor nicht allzu langer Zeit als Partnerin zugeteilt worden war, eine dramatische Wandlung durchgemacht – dank meines schlechten Einflusses natürlich.
„Gehen Sie jetzt wieder an Ihre Arbeit, Wilder“, sagte Morgan abschließend. „Und versuchen Sie wenigstens eine Woche lang, niemanden zu töten, einverstanden?“
„Ma’am, ich … äh …“, stammelte ich auf der Suche nach einer passenden Antwort. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass sie mich nicht nur weiter im NCPD arbeiten ließ, sondern mir sogar so etwas wie ein Kompliment gemacht hatte. Wenn ich mich tatsächlich nur von einer sechzig Meter hohen Brücke stürzen musste, um keine Scherereien mit den Vorgesetzten zu haben, würde ich das in Zukunft zweimal die Woche tun.
„Sie können jetzt wegtreten, Detective.“ Als sie mich mit einer Handbewegung zur Tür hinauswinkte, glaubte ich sogar, ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen. Als ich aber darüber nachdachte, war ich mir fast sicher, dass ich mir das mit dem Lächeln nur eingebildet hatte.
Zurück an meinem Schreibtisch, starrte ich eine Weile gedankenverloren auf den Bildschirm, wo ein blinkender Cursor darauf wartete, dass ich meinen Bericht zu dem O’Halloran-Fall tippte. Mit einem Mal war ich wieder eine ganz normale Mordermittlerin, und es fühlte sich verdammt gut an, dass mir niemand mehr im Nacken saß und auf einen Ausrutscher von mir wartete, um mich loszuwerden. Ich konnte einfach wieder meiner Arbeit nachgehen.
„Weißt du, was diesem Arbeitsplatz guttun würde?“, fragte Shelby, während sie ihre Tasche neben meine Tastatur plumpsen ließ und sich auf die Kante meines Schreibtischs setzte. „Pflanzen. Große, grüne, duftende Pflanzen. Das würde die ganze Sache gewaltig aufpeppen, meinst du nicht?“
Am liebsten wäre ich Shelby in diesem Moment um den Hals gefallen, aber da ich einen Ruf als knallharte und gefühllose Werwölfin zu verlieren hatte, grinste ich nur. „Schön, dich zur Abwechslung mal nicht gefesselt zu sehen, Detective O’Halloran“
„Schön, dich mal ohne Veilchen zu sehen, Detective Wilder“, erwiderte sie mit einem schelmischen Grinsen. Als mir einfiel, dass sie am Tag ihrer Geiselnahme auch ihren Onkel verloren hatte, verging mir das Lächeln. „Tut mir leid, was mit deinem Onkel passiert ist.“
„Das braucht dir nicht leidzutun“, erwiderte sie. „Er hat mir das Leben zur Hölle gemacht, und ich für meinen Teil bin froh, dass der Mistkerl tot ist.“ Nervös nestelte sie am Saum ihrer Tasche, die wahrscheinlich aus Italien kam und mehr gekostet hatte als die Jahreswartung für den Fairlane.
„Wenn das so ist, bin ich einfach nur froh, dass es dir gut geht“, meinte ich. „Als ich das Video gesehen habe … äh … na ja, da habe ich mir schon ziemliche Sorgen gemacht.“
Mit einer lässigen Handbewegung winkte sie ab. „Dieser Sicherheitstyp, der uns bewacht hat, war ein Witz. Ich hab einfach die schwache Geisel gespielt, die zur Toilette muss, und schon hat er mich losgemacht. So ein Trottel! Hat wahrscheinlich nicht mal mitgekriegt, was ich ihm da über den Schädel gezogen habe.“ Wie auf Kommando prusteten wir beide los und lachten herzhaft. Es tat gut, Shelby endlich als einen fröhlichen und selbstbewussten Menschen zu erleben und nicht mehr als die willenlose Befehlsempfängerin ihrer Familie.
„Wie gesagt, es muss dir nicht leidtun“, wiederholte sie und senkte dann den Blick. „Es gibt da aber eine Sache, die mir leidtut und für die ich mich bei dir entschuldigen muss.“
„Wieso das?“, fragte ich. „Hast du etwa das Lipgloss aus meiner Tasche geklaut oder heimlich meine Schuhe anprobiert?“
„Ich habe dich belogen“, sagte Shelby kleinlaut. Ihr Gesichtsausdruck war so ernst, dass ich Angst hatte, es sei schon wieder jemand gestorben. „Ich habe dir doch erzählt, dass ich von der Sitte zum Morddezernat versetzt worden bin“, begann sie zögernd. „Versetzt wurde ich tatsächlich, aber nicht zum Morddezernat.“
Sofort schnellte mein Puls in die Höhe. „Wohin denn dann?“
Shelby seufzte. „Zum Dezernat für Interne Ermittlungen.“
„Du bist eine interne Ermittlerin?“, fragte ich ungläubig und wäre um ein Haar aus den Latschen gekippt. „Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“
„Morgan hat einen Undercover-Ermittler angefordert, um ihn dir als Partner aufzuhalsen. Sie wollte die Möglichkeiten ausloten, dir was anzuhängen, um dich aus dem NCPD zu schmeißen.“
Verdammte Hexe!, dachte ich. Shelbys Geständnis ließ Morgans nettes Verhalten und ihr Kompliment in einem ganz anderen Licht erscheinen. Schlagartig verwandelte sich meine Überraschung in eine unbändige Wut auf meinen Captain und meine Partnerin. Als ich gerade zu einer Hasstirade ansetzen wollte, blitzte ein Gedanke durch meinen Kopf: Moment mal, Luna … du hast immer noch deinen Job und sitzt nach wie vor an deinem Schreibtisch. Alles halb so schlimm also.
„Hmm … Dann musst du einen ziemlich guten Bericht über mich geschrieben haben.“
Shelby lächelte. „Nur wenige Leute wären für mich mit meinem Onkel in den Ring gestiegen.“
„Verdammt, Shelby …“, brummte ich. „Dabei habe ich doch so viele schreckliche Dinge zu dir gesagt.“
„Das ist doch jetzt egal“, antwortete sie und griff sich beim Aufstehen ihre Tasche. „Eigentlich bin ich nur vorbeigekommen, um dir zu sagen, dass ich mich erst mal beurlauben lasse. Wahrscheinlich für immer.“
„Warum das?“, fragte ich verwundert und stand ebenfalls auf. „Du bist eine großartige Polizistin, Shelby! Du kannst jetzt nicht einfach aufhören, nur weil du dich schuldig dafür fühlst, dass du mir als Interne nachspioniert hast.“
Shelby lachte kurz. „Es ist nicht deswegen. Ich habe trotz allem noch Verpflichtungen gegenüber meiner Familie. Sie brauchen mich, und das Nocturne City Police Department braucht mich nicht. So einfach ist das. Nimm’s bitte nicht persönlich, okay, Luna?“
Dann vergaß ich für einen Moment meinen Ruf und schloss Shelby in die Arme. Etwas zögerlich erwiderte sie die Umarmung – wahrscheinlich hatte auch sie einen Ruf zu verlieren. „Lass dich öfter mal sehen, ja?“, flüsterte ich.
„Mach ich“, versprach Shelby. „Pass auf dich auf, Luna.“ „Du auch“, erwiderte ich und sah ihr noch einen Augenblick nach, bevor ich mich wieder an die Arbeit machte.
Nach dem Ende meiner Schicht fuhr ich nach Hause, und als ich dort ankam, fiel das wohlvertraute Licht aus dem Küchenfenster. Es war fast so wie damals, als ich noch mit Sunny zusammengelebt hatte, nur dass mich Dmitri mit einem Grinsen statt einer Tasse Tee begrüßte. „Hab schon auf dich gewartet, Miss Supercop. Hast du auch an die Handschellen gedacht?“
Obwohl Dmitri jetzt schon einen Monat bei mir wohnte, war es immer noch ein sehr ungewohntes Gefühl, ihn ständig um mich zu haben.
„Handschellen? Denkst du etwa nur an das eine?“, fragte ich zurück, während ich meine Dienstwaffe und die goldfarbene Polizeimarke in der Schublade des Schreibtischs im Vorzimmer einschloss.
„So ziemlich“, antwortete Dmitri und zog mich an sich. „Ich will doch einfach nur ein paar schöne Stunden mit dir verbringen, bevor ich für ein paar Tage verschwinde …“ Endlich sprach er an, was uns beide schon seit einiger Zeit beunruhigte: Der Vollmond stand kurz bevor, und weder er noch ich wussten, was dann mit ihm geschehen würde.
„Das kommt nicht infrage, Dmitri.“ Mit einem energischen Schubser stieß ich ihn weg und hielt ihn auf Armlänge von mir. „Du bleibst hier!“
„Nein“, erwiderte er und schüttelte den Kopf. „Ich bin unberechenbar, Luna. Durch den Biss des Dämons kann weiß Gott was bei der Wandlung passieren. Seit der Infektion habe ich bei jedem Vollmond einen Blackout gehabt. Kompletter Filmriss, verstehst du? Ich hab einfach Angst, dass ich dich verletzen könnte.“
Ich ergriff seine Hände und schaute ihm tief in die Augen. Diesmal würde ich nicht zulassen, dass er seinen Dickkopf durchsetzte. „Du hast mir noch nie wehgetan. Dmitri.“
„Früher war ich auch noch kein Monster“, flüsterte er betrübt. Eine Welle der Traurigkeit überlief meinen Körper. Ein Monster … war es etwa das, wofür er sich hielt? Ich nahm sein Gesicht in meine Hände.
„Dmitri, du bist kein Monster!“
„Das sagst du vielleicht“, murmelte er.
„Ja, genau das sage ich, und tief in dir drin weißt du es auch. Ich will, dass du bleibst, Dmitri. Ich habe keine Angst vor dem Biss des Dämons, und noch weniger habe ich Angst vor dir.“
„Vielleicht solltest du aber lieber Angst haben.“
„Vielleicht“, erwiderte ich -schulterzuckend. „Aber ich will trotzdem, dass du hierbleibst.“
Seine Lippen zitterten nervös, so als wolle er noch etwas einwenden. Aber dann umarmte er mich und drückte meinen Kopf an seine Brust, sodass ich seinen Herzschlag hören konnte. „Ist dir eigentlich klar, dass du wahrscheinlich die dickköpfigste Frau der Welt bist?“
„Ja, aber genau das liebst du doch an mir.“
„Komm“, sagte Dmitri und nahm meine Hand, um mich zur Tür hinauszuführen. In der Einfahrt blieb er stehen und blickte in den klaren Nachthimmel hinauf. Einen Moment später hatte uns das Licht des Mondes mit seinem unheimlichen Versprechen auf die bevorstehende Wandlung in den Bann gezogen, und wir genossen sein silbernes Strahlen. „Jetzt gibt es nur noch dich und mich“, flüsterte Dmitri. „Egal, was passiert, Luna, es gibt nur noch dich und mich. Das verspreche ich dir.“
Gedankenversunken lehnte ich mich an Dmitri und betete lautlos zur Strahlenden Herrscherin des Mondes, dass die Seelen von Vincent Blackburn und all den anderen namens- und gesichtslosen Opfern von Seamus O’Halloran den richtigen Weg finden würden. Dmitri hatte aus tiefstem Herzen gesprochen, und sein Versprechen war weit mehr als eine rührende Geste. Trotzdem wusste ich, dass wir uns nur einer Sache sicher sein konnten: Die Zukunft war mehr als ungewiss. Niemand, noch nicht einmal Dmitri, konnte mir ein Happy End versprechen. Aber so war es schon immer gewesen, und wie immer würde ich mich auch dieses Mal dem Unbekannten stellen. Mit Dmitri an meiner Seite hatte ich jetzt sogar die Hoffnung, es mit offenen Augen tun zu können.
„Luna?“, riss mich seine Stimme aus meinen Gedanken. „Alles okay bei dir?“
„Ja, alles in Ordnung“, murmelte ich und blickte auf den Ozean. „Lass uns reingehen.“
„Hast du was Bestimmtes vor?“, fragte er mit einem verschmitzten Lächeln.
Ich küsste ihn, nahm seine Hand und zog ihn zur Eingangstür. „Eigentlich nicht. Ich will einfach nur mit dir die Zeit genießen, die wir haben.“