ihren spitzen Reißzähnen und den großen gelben Augen sah sie plötzlich furchterregender aus als die Hexe Baba Jaga.
„Könnten jetzt alle mal mit diesem verdammten Insoli-Mist aufhören?“, schrie ich. „Und du, Dmitri, erzählst mir jetzt gefälligst, was hier los ist, oder es passiert was!“
„Sergej und Yelena sind zwei von den Rudelältesten der Redbacks“, erklärte Dmitri. „Sie haben mich nach Nocturne City zurückgebracht.“
In mir brach ein Vulkan der Wut aus, denn seine Worte bedeuteten nichts anderes, als dass er nicht aus eigenen Stücken nach Nocturne gekommen war – und schon gar nicht meinetwegen. Irina sah mich schelmisch grinsend an und streichelte Dmitris Arm. Ich knurrte sie zwar reflexartig an, aber innerlich fühlte ich mich zerbrochen und geschlagen. Warum war er überhaupt zurückgekommen, nun da er Irina und die Rudelältesten in der Ukraine gefunden hatte?
„Sie haben ernsthafte Probleme, junge Frau“, sprach mich der kleine Mann mit der bräunlich-walnussartigen Hautfarbe und den schwarzen Haaren an. „Dmitri, zeig es ihr.“
Dmitri rollte seinen rechten Hemdsärmel hoch, und noch bevor er die halbmondförmige schwarze Narbe freigelegt hatte, dämmerte mir, weswegen er wirklich zurückgekommen war.
Der Biss war verheilt. Narbengewebe, das aussah wie Lavaglas, bedeckte die einst fleischige Wunde, die ein besessener Werwolf vor drei Monaten in seinen Arm gerissen hatte. Die geriffelten Kanten des Halbmonds zeichneten sich sehr klar und scharf auf seiner Haut ab. Man hätte fast denken können, es würde sich eher um ein Tattoo als um die Erinnerung an einen schmerzhaften Biss handeln.
„Eigentlich hätte die Bisswunde verschwinden müssen“, erklärte Dmitri. „Aber sie ist noch immer sichtbar, und selbst die Ältesten wissen nicht, warum.“
„Tut mir leid“, flüsterte ich. „Hast du Schmerzen?“
„Die meiste Zeit nicht“, antwortete Dmitri mit einem unbehaglichen Gesichtsausdruck. „Aber es … es hat Auswirkungen … negative Auswirkungen.“ Er schaute zu Sergej und Yelena und schluckte das, was er gerade hatte sagen wollen, hinunter. Einmal mehr wünschte ich die Gesetze der Werwolfrudel und diese verdammte Geheimniskrämerei zur Hölle.
„So lange Dmitri infiziert ist, stellt er eine Gefahr für uns alle dar“, warf Yelena ein. „Wir wissen nicht, wozu er alles imstande ist. Vorerst haben wir ihm den Status des Rudelführers aberkannt. Nach unserem Besuch wird er mit uns in unser Hauptquartier nach Kiew zurückkehren, bis wir eine Lösung gefunden haben.“
„Warum bist du dann überhaupt erst zurückgekommen?“, fragte ich Dmitri erschöpft.
„Er hat sich einverstanden erklärt, uns zu Ihnen zu führen … um die Strafe zu vollstrecken“, erwiderte Sergej.
Mein Kopf schnellte in die Höhe. „Welche Strafe?“
Sergej und Yelena tauschten bedeutungsschwere Blicke aus, verloren aber keinen Ton. „Welche Strafe?“, wiederholte ich etwas lauter und starrte Dmitri an, der meinem Blick auszuweichen versuchte.
„Du bist eine Insoli und hast ein hochrangiges Mitglied unseres Rudels verführt“, geiferte Irina und rümpfte voller Verachtung die Nase. „Im Grunde bist du doch nichts weiter als eine armselige Hure. Dachtest du wirklich, dass du ungestraft davonkommen würdest?“
Ich mochte zwar eine Insoli sein, aber das bedeutete nicht automatisch, dass ich mir alles gefallen lassen musste – schon gar nicht von einer überschminkten ukrainischen Importbraut, die nach dem Mann lechzte, den ich für meinen Partner gehalten hatte. Wütend stürzte ich auf Irina zu, die sich mit einem quiekenden Geräusch hinter Dmitri versteckte, sodass mein Faustschlag an seinem Brustkorb abprallte. „Mach den Weg frei!“, keuchte ich. „Wenn sie etwas zu sagen hat, dann soll sie es mir direkt ins Gesicht sagen!“
„Das hab ich doch schon getan“, spottete Irina aus ihrem Versteck. „Du elende Insoli-Schlampe!“
Ich holte zu einem weiteren Schlag aus, aber Dmitri packte mich an den Schultern und schüttelte mich so heftig durch, dass meine Zähne aufeinanderschlugen. „Hör auf damit, Luna!“
„Temperamentvoll“, sagte Yelena zu Sergej, der ihr mit einem Grunzen zustimmte.
„Es tut mir leid, dass es so gekommen ist“, sagte Dmitri. „Aber das ist eine Angelegenheit des Rudels, und ich bin nun mal an die Gesetze der Redbacks gebunden. Die Ältesten haben bereits entschieden, was zu tun ist.“
Dem Plan der alten Käuze zu lauschen, rief in etwa so viel Vorfreude in mir hervor wie ein Besuch beim Zahnarzt, aber allem Anschein nach hatte ich keine andere Wahl, als ihn mir anzuhören.
„Sie sind nicht willkommen im Haus unseres Rudels!“, begann Yelena mit einer wenig überraschenden Ansage. „Wir haben eine neue, eine passende Partnerin für Dmitri ausgesucht, und wenn Sie versuchen sollten, noch einmal Kontakt zu ihm aufzunehmen, dann wird Ihnen nicht mal mehr der allmächtige Herrgott im Himmel helfen können! Nur Dmitris Fürsprache haben Sie es zu verdanken, dass wir nicht wie geplant Jagd auf Sie machen. Und jetzt verschwinden Sie, und halten Sie sich in Zukunft von den Redbacks fern, oder es wird Sie das Leben kosten.“
Mein gesamter Körper begann zu zittern. „Das ist unmöglich!“, stieß ich mit bebender Stimme hervor. „Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter!“
„So sind unsere Gesetze. Gehen Sie lieber, oder Sie werden den Morgen nicht mehr erleben“, erwiderte Sergej. Dann nahm er Yelenas Arm und sagte zu ihr: „Komm, Liebling, wir gehen, sonst holst du dir noch eine Erkältung.“ Gemächlich schlenderten die beiden die Gasse hinunter und verschwanden hinter einer Tür. Fassungslos wandte ich mich an Dmitri. „Das kannst du nicht zulassen!“
Er senkte den Blick, während Irina noch immer grinsend seine Hand hielt. „Wenn ich mich gegen die Gesetze des Rudels auflehne und mich ihrer Gerechtigkeit in den Weg stelle, erwartet mich eine noch härtere Strafe, Luna.“
„Das nennst du Gerechtigkeit? Weißt du, wie ich das nenne? Feigheit! Du bist nichts weiter als ein gottverdammter Feigling!“, fuhr ich ihn an. Dann drehte ich ihm absichtlich den Rücken zu, obwohl – oder gerade weil – ich wusste, dass ich damit seine Dominanz als Werwolfmännchen mit Füßen trat. Die Konsequenzen waren mir egal, denn in mir war alles taub. Außer einer alles verschlingenden Leere und dem trostlosen Asphalt unter meinen Füßen fühlte ich nichts mehr.
„Luna …“
Ohne mich umzudrehen, blieb ich stehen.
„… bitte, hasse mich jetzt nicht!“
„Zu spät“, flüsterte ich und ließ die beiden hinter mir zurück.