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Das Bete Noire befand sich in einem Kellergeschoss unter einem Sccondhand-Klamottenladen und wirkte von außen recht unscheinbar. Nur ein kleiner rosafarbener Neonschriftzug wies darauf hin, dass sich hinter den schwarzen Stahltüren einer dieser kleinen Schmutzflecke der ansonsten auf Hochglanz polierten Innenstadt von Nocturne City befand.
Shelby war schon vor mir angekommen und wartete in ihrem Nissan. Nachdem ich hinter ihr eingeparkt hatte, signalisierte ich ihr kurz mit der Lichthupe, dass es losgehen könne. Dann gingen wir schweigend zum Eingang des Clubs und dachten wahrscheinlich beide darüber nach, was uns hinter diesen Türen erwarten würde. „Bist du schon mal hier gewesen?“, fragte ich Shelby und stellte erschrocken fest, dass ich gerade zum Du übergegangen war.
„In diesem Laden hier bin ich noch nie gewesen“, antwortete sie. „Ich habe aber schon einige Einsätze in anderen Etablissements dieser Art hinter mir. Vor ein paar Monaten haben wir das Top Hat hochgenommen. Das, was ich da gesehen hab, hat mir gereicht.“
„Top Hat?“, hakte ich nach, ohne wirklich mehr über diesen Schuppen erfahren zu wollen.
„Offiziell spezialisiert auf Sadomaso-Geschichten, aber im Hinterzimmer wurden Kinderpornos im Akkord gedreht“, erklärte Shelby.
Nervös rückte ich mein Trägerhemd zurecht und spürte, wie es mir kalt über den Rücken lief, als ich über den von Shelby geschilderten Fall nachdachte. Unter dem Trägerhemd, das von meiner Bikerjacke bedeckt wurde, trug ich ein schwarz-rosafarbenes Bustier. Zur Komplettierung meines Outfits hatte ich mir eine schwarze Jeans rausgesucht, die schon beim Raul vor einigen Jahren recht eng gewesen war. Jetzt saß sie nicht nur eng, sondern hauteng, aber ich hatte sowieso nicht vor, damit irgendwelche akrobatischen Übungen zu machen, schon gar nicht im Bete Noire. Meine geliebten Motorradboots hatte ich gegen ein paar glänzende Lackleder-Stilettos mit gut zehn Zentimeter hohen Stahlstöckeln eingetauscht, wodurch ich gut und gern eins fünfundachtzig groß war und mich neben meiner zierlichen Partnerin wie eine aufgedonnerte Godzilla-Dame fühlte.
Shelby hatte es zwar geschafft, ein unauffälliges, komplett schwarzes Outfit anzulegen, sah aber trotzdem eher nach einer wohlhabenden Hausfrau mit zwei Kindern aus als nach einer typischen Fetischbar-Besucherin. Lediglich ihre roten Manolos mit den Pfennigabsätzen fand ich akzeptabel und für den Anlass passend. Ich konnte nur hoffen, dass wir nicht zu sehr auffallen würden. Mit etwas Glück würde man Shelby im Bete Noire für eine von den Betreibern engagierte Professionelle halten, die die Hausfrauen-Sexfantasien der Gäste beflügeln sollte.
„Schöne Schuhe“, sagte ich.
„Danke schön. Sollen wir jetzt reingehen, oder wollen wir erst mal mit Komplimenten über Haare und Make-up weitermachen?“, erwiderte Shelby trocken. Zähneknirschend stapfte ich die Treppenstufen zur Eingangstür des Clubs hinauf. Als ich meine Hand erhob, um anzuklopfen, bemerkte ich, dass Shelby hinter mir nervös herumzappelte.
„Wie viele solcher Einsätze wie den im Top Hat hast du bei der Sitte mitgemacht?“, fragte ich, um die Spannung mit ein wenig Small Talk zu lösen.
„Keine Ahnung. Will ich auch gar nicht wissen. Der Abschaum in den Clubs hat irgendwie auf mein Aussehen gestanden, und so sind es eine ganze Menge geworden.“
Als ich angesichts ihres abwehrenden Kommentars verwundert eine Augenbraue hob, verfinsterte sich ihre Miene. „Was soll die dumme Fragerei? Weißt du vielleicht genau, wie viele Leichen du schon gefunden hast?“
„Leichen, die ich selbst gefunden habe oder bei denen ich hinzugerufen wurde? Das sind nämlich zwei unterschiedliche Dinge.“
„Ist doch eigentlich auch egal“, wiegelte Shelby genervt ab. „Hör jetzt bloß auf mit deiner Fachsimpelei und knips deine Achtung-hier-kommt-ein-Cop-Ausstrahlung aus. Wenn ich das hier draußen schon merke, dann werden es die Gäste drinnen auch schnell mitkriegen. Leute aus unserer Branche sind in solchen Locations nicht sonderlich willkommen. Wenn wir aufliegen, ketten die uns in Galauniform an einen Pfahl auf der Bühne und peitschen uns aus. Also entspann dich jetzt einfach, wenn du keine Lust darauf hast, dieses Spektakel am eigenen Leib zu erleben.“
Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, ging die Stahltür vor uns auf, und ein auf den ersten Blick recht harmlos wirkender Türsteher mit schwarzem T-Shirt und Jeans fragte nach unseren Ausweisen. Ich reichte ihm meine Fahrerlaubnis. Nachdem er sie unter einer Schwarzlichtlampe auf Echtheit geprüft hatte, trat er zur Seite und winkte uns herein.
„Könnte ich bitte meinen Führerschein wiederhaben?“, fragte ich und streckte ihm auffordernd meine Hand entgegen. Der gute Mann schüttelte aber nur den Kopf, sodass seine zum Pferdeschwanz gebundenen Haare hin und her flogen.
„Den kriegen Sie erst zurück, wenn Sie wieder gehen. Viel Spaß, meine Damen!“
Ich zögerte, aber Shelby drängelte von hinten und schubste mich quasi in den Club hinein, wo wir augenblicklich in ein Meer aus basslastiger Clubmusik, dämmrigem Halblicht und verschiedensten Gerüchen eintauchten.
Weder der traumatische Angriff von Joshua, der mich vor fünfzehn Jahren in eine Werwölfin verwandelt hatte, noch die verstümmelten Leichen, die ich tagtäglich in meinem Job zu sehen bekam, hatten mich genug abgehärtet, um ausreichend auf das Innere des Bete Noire vorbereitet zu sein.
Im Zentrum des Clubs stand ein achteckiger Käfig, um den vier erhöhte Plattformen angeordnet waren. Der Rest des relativ kleinen und ausnahmslos schwarz gestrichenen Raumes war mit Tischen vollgestellt. Die einzige optische Abwechslung boten ein DJ-Pult und die behelfsmäßig aus Sperrholz zusammengezimmerte Bar. Rosafarbenes Licht, der pulsierende Bass der House-Musik und das Gesprächswirrwarr von fast einhundert Menschen erfüllten einen Club, der für weniger als die Hälfte ausgelegt war.
„Verdammt noch mal!“, fluchte Shelby, als ein Mann sie anrempelte, der bis auf ein zerrissenes Netzhemd vollkommen unbekleidet war. Schon nach wenigen Augenblicken im Club erblasste ihr Gesicht scheinbar vollkommen, und der panische Ausdruck in ihren Augen glich dem eines Menschen, der gerade erkannt hat, dass das helle Licht am Ende des Tunnels ein auf ihn zurasender Güterzug ist.
Ich folgte ihrem starrenden Blick und musste schlucken, als ich auf das Geschehen im Zentrum des Raums aufmerksam wurde. Im Käfig stand eine Frau im Korsett, mit verbundenen Augen und Ballknebel im Mund, die man an die Gitterstäbe gekettet hatte. Davor wartete eine Schlange von Gästen beiderlei Geschlechts darauf, zu ihr gelassen zu werden. Im Fünf-Minuten-Takt betraten die Wartenden nacheinander den Käfig und machten sich im wahrsten Sinne des Wortes an der Frau zu schaffen. Manche benutzten Peitschen, andere „Spielzeuge“ vom danebenstehenden Tisch und einige ihre bloßen Hände.
Shelby starrte wie gebannt auf die Vorgänge im Käfig. Erst als Ich sie mit festem Griff am Oberarm packte, schien sie wieder aufzuwachen. „Guten Morgen, Shelby! Warum holst du uns nicht ein paar Drinks?“
Mit einem zögerlichen Nicken schaffte sie es dann endlich, Ihre Augen von der angeketteten Frau loszureißen, und drängelte sich durch die wuselnde Menschenmenge in Richtung Bar. Beruhigt atmete ich auf. Noch so eine auffällige Glotzattacke, und unsere Tarnung war dahin.
Auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit schob ich eine dürre Krau im Bodysuit aus dem Weg und sicherte uns einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen. Die leeren Gläser der vorherigen Gäste musste ich selbst beiseite räumen, wobei ein Pulver von puderzuckerähnlicher Konsistenz an meinen Fingern kleben blieb. Nach einer flüchtigen Geruchsprobe, bei der mir der Geruch von Bleiche und einer nicht identifizierbaren süßlichen Note in die Nase kroch, leckte ich vorsichtig an meinem Zeigefinger. Meine Zungenspitze war sofort taub. Offensichtlich konsumierte man im Bete Noire reichlich hochwertiges Kokain, um die erniedrigenden Fesselspiele noch etwas aufzupeppen. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, starrte ich wieder in die Menge. Selbst wenn die Gäste an den umliegenden Tischen kiloweise weißes Pulver schniefen würden, hätte ich unter diesen Umständen nichts unternehmen können … oder wollen. Das Einzige, was mir übrig blieb, war darauf zu warten, dass Samael auftauchen würde. Was für ein Name!, schoss es mir durch den Kopf. Wahrscheinlich hieß Samael in Wirklichkeit Herbert und hatte genauso viel mit dem Erzengel gleichen Namens gemein wie ich mit Paris Hilton.
„Dürfte ich vielleicht Ihre Schuhe putzen?“
Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimmt« kam, und blickte plötzlich in das Gesicht eines attraktiven jungen Mannes. Mit einem roten Hemd und einer schwarzen Hose bekleidet stand er lächelnd vor mir und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, sodass sein silberfarbenes Piercing zum Vorschein kam.
„Wie bitte?“, fragte ich ungläubig. Der Mann kniete sich vor mich hin und nahm meinen linken Fuß in die Hand. „Darf ich Ihre Schuhe putzen?“, wiederholte er seine Frage und reichte mir ein Getränk, das nach einer Whiskey-Cola aussah. „Vielleicht kann ich Sie ja im Gegenzug mit ein paar Drinks beglücken?“
Obwohl ich schon viele komische Anmachen erlebt hatte – besonders in der Zeit, in der mir weder das Führungszeugnis noch die Nüchternheit meines Partners besonders wichtig gewesen waren –, verschlug mir dieses Angebot regelrecht die Sprache. Meine spontane Reaktion war nicht etwa Ekel, sondern eher ein überraschtes „Was zum Teufel soll das werden?“. Nach einem kurzen Zögern wurde mir aber klar, dass ich ihm seine Bitte unmöglich abschlagen konnte. Tatsache war, dass mein potenzieller Schuhputzer mit dem ans Unwiderstehliche grenzenden Lächeln mir bereits einen Drink spendiert hatte und eine Ablehnung in einem Laden wie dem Bete Noire – auch ohne hysterisch zu schreien und wild herumzufuchteln – höchstwahrscheinlich unser Vorhaben zunichtemachen würde.
„Die Schuhe haben mich dreihundert Dollar gekostet, und ich hänge sehr an ihnen. Also Vorsicht, mein Freund!“, warnte ich den Stiefellecker.
„Vielen Dank!“, rief er erfreut aus und beugte mit einer vornehmen Geste seinen Kopf. „Die meisten Neulinge haben Angst vor dieser Erfahrung“, fügte er hinzu, und als er dann lächelte, wirkte sein Gesicht durch seine Allerweltsschönheit auf eigenartige Weise vertraut.
„Ist das wirklich so offensichtlich, dass ich zum ersten Mal hier bin?“, fragte ich, während er meinen Fuß anhob und behutsam mein Fußgelenk ergriff, als wäre er der Prinz, der dem Aschenputtel das Glaspantöffelchen anzog.
„Ich wollte Sie nicht beleidigen, Miss. Sie mögen zwar neu hier sein, aber Sie sind auch eine der schönste^ Damen im Raum.“
„Vielen Dank …“, sagte ich, ohne meinen Satz beenden zu können, denn in diesem Moment hatte er schon seine Zunge auf meinen Spann gelegt und damit begonnen, meinen Fuß abzulecken. Mit einer Mischung aus Entsetzen und Überraschung lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter, und allein die Tatsache, dass ich schon weitaus verrücktere Situationen erlebt hatte, hielt mich davon ab, sofort meinen Fuß zurückzuziehen. Verrücktheit hin oder her – ich musste meinem Stiefellecker zugutehalten, dass er keine Geräusche machte, sondern einfach auf sehr effiziente Weise leckte, bis er jeden sichtbaren Millimeter meines Schuhs mit seiner Zunge blank geputzt hatte.
„Dürfte ich Ihr Hosenbein etwas hochkrempeln, um auch den Rest des Schuhs genießen zu können?“, bat er mit einem süßen Lächeln. Ich brauchte zwei Sekunden, um mich zu fangen und etwas anderes als ein Quieken hervorpressen zu können.
„Äh … sicher doch.“
„Was geht denn hier ab?“, fragte jemand hinter mir mit lauter Stimme. Ich drehte mich vorsichtig um, um den Stiefelnarren nicht aus dem Konzept zu bringen, und sah Shelby, die zwei Club Soda in den Händen hielt.
„Shelby, das ist …“
„Mark“, ergänzte der Stiefellecker, ohne von meinen Schuhen abzulassen.
„Mark, genau …“, wiederholte ich. „Wir haben gerade mit einer kleinen Stiefelputz-Session begonnen. Danke für den Drink übrigens.“ Mit meinem Blick flehte ich Shelby an, ruhig zu bleiben, da mir ihre Körperhaltung verriet, dass sie am liebsten sofort schreiend aus dem Club gerannt und nach Mexiko geflüchtet wäre.
„Nun … äh … das ist … das ist einfach großartig!“, stammelte sie und ließ sich auf ihren Stuhl plumpsen. Schon lange hatte ich niemanden mehr mit einem derart elenden Gesichtsausdruck gesehen, und ich würde lügen, wenn ich behauptete, den Anblick meiner Partnerin in diesem Moment nicht auch ein klein wenig genossen zu haben.
Nachdem Mark mit beiden Schuhen fertig war, ging er von der knienden Position in die Hocke über und sagte: „Danke sehr, Miss! Es war ein Hochgenuss. Würde Ihre Begleitung etwas dagegen einzuwenden haben, wenn ich bei ihr fortfahre?“
„Oh ja, das würde sie sehr wohl!“, geiferte Shelby ihn an und zog damit die Blicke der Nachbartische auf sich. Mit einem leichten Stupser in die Rippen bedeutete ich ihr, sich zusammenzunehmen, da unsere Tarnung vollkommen aufzufliegen drohte.
„Mark, vielleicht können Sie uns helfen“, tastete ich mich behutsam vor.
„Was auch immer Sie verlangen, Miss“, antwortete er, während er sich beim Aufstehen die Hose abputzte.
„Wir suchen nach Samael. Er arbeitet doch hier, nicht wahr?“
Ein kurzer Schatten glitt über Marks Gesicht, den er aber mit einem Blinzeln und seinem bezaubernden Lächeln sofort wieder verschwinden ließ. „Für einen Neuling gehen Sie aber gleich aufs Ganze“, begann Mark, und ich ahnte bereits, was er uns damit sagen wollte. „Samael wird nur für private VIP-Verabredungen gebucht und hat für die nächsten Monate keine freien Termine mehr anzubieten. Wenn Sie aber an einer persönlichen Betreuung interessiert sind, können Sie sich jederzeit jemanden von der Wand aussuchen“, erklärte Mark freundlich und zeigte auf ein paar Schwarz-Weiß-Fotografien über der Bar.
„Vielen Dank, Mark!“
Nach einer kurzen Verbeugung verschwand er in der Menge. Shelby griff nach meinem Ellbogen. „Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?“, fauchte sie.
„Wie bitte? Du bist es doch, die sich hier aufführt wie eine Jungfrau bei ihrem ersten Date. Ich habe gedacht, du hättest Erfahrung in solchen Locations“, schoss ich zurück und riss meinen Arm los.
„Das Top Hat war ganz anders als das hier“, erwiderte Shelby kleinlaut und starrte wie gebannt auf die nächstgelegene Plattform, auf der sich zwei Männer bei einem Sadomasospielchen vergnügten.
„Ich werde mir mal die Wand mit den Fotos anschauen“, kündigte ich Shelby an. „Wenn du nicht willst, dass dich jemand von oben bis unten abschleckt, rate ich dir, bei mir zu bleiben.“
Sofort sprang sie auf und folgte mir so dicht auf den Fersen, dass ich mir vorkam, als sei ich wieder im Kindergarten und würde Huschebahn spielen. Langsam begann mich nicht nur Shelby, sondern auch der Lärm und der intensive Geruch der auf engstem Raum zusammengepferchten Menschen zu nerven. Es roch fast wie im Quartier eines Werwolfrudels – eine widerliche Mischung aus Pheromonen und Schweißgestank ließ mir fast die Tränen in die Augen treten und meinen Kopf brummen.
An der Wand über der Bar hingen ungefähr zwanzig Fotos. Auf einigen waren Gesichter, auf anderen gut ausgeleuchtete Geschlechtsorgane zu sehen. Anscheinend wollten sich die Angestellten des Bete Noire nicht vorwerfen lassen, die Zeit ihrer Gäste zu verschwenden.
„Ich glaube, unser Besuch hier ist sinnlos“, nörgelte Shelby, die neben mir stand und die Bilder anstarrte. „Wenn sich dieser Samael nicht öffentlich zeigt, frage ich mich, was wir hier eigentlich noch machen?“
Ich wollte ihr gerade zustimmen, als mein Blick ein vertrautes Gesicht in der Fotogalerie entdeckte. Wenn man sich das lederne Hundehalsband und das Make-up wegdachte, bestand kein Zweifel, dass die kantigen und frühzeitig gealterten Züge auf dem Foto zu dem Junkie gehörten, der mir vor ein paar Tagen ein Messer ins Auge hatte rammen wollen.
„Edward!“, stieß ich hervor und zeigte auf das Foto.
„Wer, bei den Hex Riots, ist Edward?“
„In der Nacht, in der ich Bryan Howard gefunden habe, hat mich ein Junkie mit einem Messer angefallen. Es ist der Typ auf dem Foto da gewesen. Edward!“ In meiner Aufregung griff ich mir den erstbesten Barkeeper und fragte ihn ohne Umschweife: „Was wissen Sie über Edward?“
„Dass er nicht auf Sie stehen würde, zum Beispiel“, raunzte mich der Mann an und zog mit einem verächtlichen Blick seinen Arm aus meiner Hand. „Er nimmt nur Männer.“
„Es geht nicht um mich persönlich“, versuchte ich zu erklären. „Ich muss einfach nur wissen, wie lange er schon hier arbeitet und wer seine Partner sind.“
Der Barkeeper presste die Lippen zusammen. „Hören Sie mal, Sie Frischling, wenn Sie nach einer Story suchen, um Ihre mausgrauen Freundinnen mit Eigenheim in der Vorstadt beeindrucken zu können, dann besaufen Sie sich doch einfach und lassen sich in Waterfront auf der Straße vergewaltigen. Was wir machen, ist absolut privat, und Ihre neugierige Visage können wir hier absolut nicht brauchen.“
Reizend! Offensichtlich würde ich hier nur bedingt mit meinem weiblichen Charme weiterkommen. Kurzerhand kramte ich in meinem Portemonnaie, holte fünf Zwanziger heraus und knallte sie auf den Sperrholz-Tresen. „Hundert Dollar, wenn Sie mir heute Nacht noch ein Date mit Samael arrangieren!“
Er schaute mich und Shelby verwundert an. „Wer seid ihr?“, fragte er mit schmalen Augen.
„Wir sind zwei Frauen, die wissen, was sie wollen!“, antwortete Ich. „Samael. Heute Nacht. Kriegen Sie das hin, oder schleppen Sie hier nur den Fusel durch die Gegend?“
Mit einer raschen Bewegung schnappte er sich die Scheine vom Tresen, öffnete den Durchgang zur Bar und sagte: „Kommen Sie mit nach hinten, da verhandeln wir die Sache. Ihre Begleitung muss aber draußen warten. Ich kann mich unmöglich mit jemandem sehen lassen, der so ein erbärmliches Outfit trägt.“
Ich nickte Shelby zu, um sie wissen zu lassen, dass es okay war. Widerwillig trat sie einen Schritt zurück und schaute mich mit einem ernsthaft besorgten Blick an. „Okay, ich warte hier.“
Der Barkeeper führte mich in einen Lagerraum, verschloss die Tür hinter uns und steckte den Schlüssel in die Hosentasche.
Vielleicht war es doch nicht so okay, wie ich gedacht hatte, denn kaum war die Tür verschlossen, holte er eine Tüte aus seiner Gesäßtasche, in der definitiv kein Puderzucker war. „Hier, ein kleine Linie zur Entspannung gefällig?“
„Nein. Ich will Samael.“
Er verdrehte die Augen. „Du könntest ruhig versuchen, etwas netter zu mir zu sein, Süße.“
„Sony!“, erwiderte ich. „Bei sprechenden Nagetieren auf zwei Beinen vergesse ich hin und wieder meine Manieren.“
Er lachte und rieb sich den Koks auf sein Zahnfleisch. „Auch egal, Samael wirst du sowieso nicht so schnell zu Gesicht bekommen.“ Nachdem das Tütchen wieder in seiner Tasche verschwunden war, kam er auf mich zu und drückte meine Schultern gegen die Wand. „Was jetzt kommt, wird deinen Horizont zur Genüge erweitern. Da brauchst du keinen Samael, glaub mir! Außerdem hast du mich bereits für meine Liebesdienste bezahlt.“ Stöhnend fuhr er mit seiner nassen Zunge über meinen Hals und lachte erneut. „Oh mein Gott, ist das geil! Ich liebe so dämliche Hetero-Bräute!“
Als Nächstes glitt seine Hand an meinem Oberkörper hinab und begrapschte gierig meinen Busen und meine Hüfte, während ich, zur Salzsäule erstarrt, alles regungslos über mich ergehen ließ. Ich brauchte einen Moment, um den Schock zu verarbeiten und zu begreifen, was da eigentlich passierte. Dann dämmerte mir langsam, dass er ganz offensichtlich keine Ahnung hatte, wer ich war, und mich für eine naive Karrieretussi hielt, die sich in etwas hineinmanövriert hatte, dem sie nicht gewachsen war, und jetzt den Preis dafür bezahlen musste.
Als die Wölfin in mir endlich erwachte, fletschte ich unwillkürlich die Zähne und stieß ein derart furchterregendes Knurren aus, dass der Barkeeper sofort vom Reißverschluss meiner Hose abließ und mich mit weit aufgerissenen Augen angaffte.
Blitzschnell packte ich seinen Nacken mit einer solchen Kraft, dass ich spürte, wie die Sehnen unter meinem Griff nachgaben. Dann raste mein Knie nach vorn zwischen seine Beine und zermalmte seine Weichteile. Seine Schmerzensschreie klangen so erbärmlich und verzweifelt, dass man hätte meinen können, ich würde sein bestes Stück in einem Schraubstock zu Brei zerquetschen.
„Bei den Göttern im Himmel!“, stöhnte er, bevor ich mein Knie noch einmal mit voller Kraft in seine empfindlichste Stelle rammte.
„Die Götter haben damit recht wenig zu tun, du kleines Stück Dreck.“
Wieder heulte er auf und sackte dann wie ein schlampig aufgestelltes Zelt zusammen. Am Boden begann er plötzlich so heftig zu zucken, dass es den Anschein hatte, er würde einen mittelschweren Krampfanfall erleiden, aber ich war mir sicher, dass er nur simulierte. Erbarmungslos riss ich ihm seinen rechten