7
Shelby wartete auf dem Parkplatz. An einen sportlichen weißen Nissan gelehnt, scharrte sie ungeduldig mit den Spitzen ihrer Stöckelschuhe auf dem Asphalt. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass sie ein Paar brandneue Designerschuhe von Jimmy Choo trug, und erlitt einen mittelschweren Neidanfall, bevor ich sie ansprach. „Blackburn hat als Barkeeper in einem Fetischclub gearbeitet, aber mein Freu … äh, ich meine, meine Quelle weiß nicht genau, um welchen Club es sich handelt.“
„Den Laden ausfindig zu machen, sollte eigentlich das geringste Problem sein. Es ist eine ziemlich übersichtliche Branche, sehr spezialisiert und äußerst exklusiv. Da Sie ja ganz offensichtlich nicht von diesem Fall abzubringen sind, sollten wir seinen Arbeitgebern einen Besuch abstatten“, schlug Shelby vor.
„Gute Idee. Wenn ichs mir recht überlege, habe ich schon lange nicht mehr dabei zugesehen, wie ältere Herren ihre Hosen runterlassen und den Hintern versohlt bekommen“, gab ich sarkastisch zurück und schloss den Fairlane auf.
„Das sind nur oberflächliche Klischees. Am besten, Sie warten einfach ab, bis wir einen dieser Läden betreten“, erklärte Shelby mit einem Gesichtsausdruck, den man am ehesten als schadenfroh beschreiben konnte. „Gute Fetischbars haben neben SM-Räumen, Peitsch-Ecken und Fußspielereien noch eine ganze Menge anderer Angebote im Programm.“
„Großartig“, erwiderte ich und quälte mir ein Lächeln ab. „Ich kann es gar nicht erwarten, dass ein Typ mit Hundehalsband und Lederbikini an meinen Zehen lutscht.“
„Wenn ich mich recht erinnere, waren es doch Sie, die den Fall unbedingt weiterverfolgen wollte“, spöttelte Shelby und fügte hinzu: „Vielleicht sollten wir das später noch einmal besprechen. Wie wärs, wenn wir jetzt erst Mal aufs Revier fahren und den Bericht tippen?“
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Eigentlich müssen wir zuerst Vincents Familie benachrichtigen. Je früher, desto besser“, meinte ich mürrisch. In zwei Tagen zwei Familien eine Todesnachricht überbringen zu müssen war keine besonders dankbare Aufgabe. Ich wusste aber, dass wir schnell handeln mussten, denn die Blackburns galten als eine Sippe, die eng zusammenhielt und ihrer Wut und Trauer über den Tod eines Familienmitglieds sicherlich freien Lauf lassen würde, falls sie inoffiziell davon erfahren würde.
„Wenn er überhaupt eine Familie hat. Die Blackburns sind alle untergetaucht. Keiner weiß, wo sie wohnen“, sagte Shelby skeptisch.
Ich setzte mich in den Fairlane und stieß die Beifahrertür auf. „Irrtum. Ich weiß, wo wir sie finden.“ In Ghosttown …
Bildlich gesprochen war Ghosttown ein vor sich hin siechender Faulpilz in den Abgründen von Nocturne City – ein Ort, den nur die endgültig Verzweifelten nicht mieden und an dem gewöhnliche Menschen schneller das Zeitliche segneten als eine Eintagsfliege. Offenbar kannte auch Shelby den Ruf dieses Stadtteils, denn als ich auf dem Expressway die Ausfahrt 43 nahm, griff sie mit entsetztem Blick nach meinen Arm. „Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!“
Zornig blickte ich ihr zuerst ins Gesicht, dann auf ihre Hand, und im Bruchteil einer Sekunde hatte sie ihren Griff gelöst. „Sehe ich vielleicht so aus, als würde mir unser Ausflug Spaß machen, Shelby?“
Der Fairlane holperte über bröckeligen Asphalt und jede Menge sonstigen Unrat, der überall auf dem breiten Boulevard, drin einstigen Herzen von Ghosttown, verstreut lag. Nach einer kurzen Blütezeit dank staatlicher Subventionen Anfang der Sechziger war diese Gegend fast vollständig den Flammen der Hex Riots zum Opfer gefallen.
„Und ich dachte, hier würde überhaupt niemand mehr wohnen“, murmelte Shelby, ohne ihren Blick von den schwarzen Zementblöcken zu wenden, die einst Wohn- und Geschäftshäuser gewesen waren. Als die Scheinwerfer des Fairlane ein paar dürre Gestalten in gekrümmter Haltung erfassten, konnte auch ich meine Anspannung nicht länger verbergen und packte das Lenkrad noch fester.
„Lassen Sie sich nicht vom Namen täuschen, Shelby. Hier draußen gibt es weitaus mehr sonderbare Wesen als nur Geister.“ So wohnte in dieser Gegend neben den Blackburns auch der Großteil von Nocturne Citys Bluthexen. Meine Cousine Sunny kannte als Casterhexe natürlich alle Gerüchte, die sich um den Wohnsitz von Vincents Familie rankten, und hatte sie mir irgendwann einmal erzählt. Von Wächtermarkierungen aus Menschenblut geschützt, regiere in ihrem Haus eine Sittenlosigkeit unvorstellbaren Ausmaßes, bei der ein oder zwei Orgien täglich keine Seltenheit seien … Obwohl ich wusste, dass Sunny ziemlich oft übertrieb, hatten ihre Schilderungen einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ein Detail ihrer Erzählung hatte sich mir ganz besonders gut eingeprägt – der Wohnsitz der Blackburns befand sich irgendwo nahe dem Zentrum bei den Sozialbauten.
„Unglaublich“, murmelte Shelby und ließ ihren Blick über die dunklen Silhouetten schweifen. „Das ist ja wie im Wunderland hier.“
„Wie in der Hölle, meinen Sie wohl“, widersprach ich ihr, denn jedes Mal, wenn ich in die fremdartige Schattenwelt von Ghosttown eintauchte, wurde ich nervös und bekam schwitzige Hände. Ich wusste nur allzu gut, dass neben den berüchtigten Hexenclans auch verschiedene Werwolfrudel in dieser Gegend hausten, die alle bis zum Äußersten entschlossen ihr Territorium verteidigten. Das wird ein herrlicher Ausflug, dachte ich und tat so, als würde mich das alles nichts angehen; als sei es überhaupt kein Problem, dass ich – eine Insoli-Werwölfin – rotzfrech mit meinem Wagen in ihr Gebiet hineinfuhr.
Die Insoli waren Werwölfe, die von ihren Rudeln verstoßen worden waren oder, wie in meinem Fall, vor dem Leben in einer solchen Gemeinschaft davonliefen. Unter den Werwölfen galten sie als die Rudellosen, als die Niedrigsten der Niedrigen – die Ausgestoßenen. Trotz der offensichtlichen Nachteile war ich bisher eigentlich ganz gut damit klargekommen, eine Insoli zu sein. Wahrscheinlich half es, dass ich nie Mitglied eines Rudels gewesen war und eigentlich auch kein Rudel wollte.
Ein Schatten im Scheinwerferkegel riss mich urplötzlich aus meinen Gedanken – offenbar war mir jemand oder etwas vor den Wagen gesprungen. In Sekundenbruchteilen trat ich das Bremspedal durch und brachte den Wagen zum Stehen. Als sich der erste Schreck gelegt hatte, nahm ich den Geruch eines dreckigen Werwolfs wahr, und gleich darauf erblickte ich einen Teenager mit abgewetzten Klamotten, der wild mit den Fäusten auf die Motorhaube des Fairlane hämmerte. Ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen, rannte er dann quer über den Boulevard und verschwand in der Dunkelheit. Allem Anschein nach wurde unser Besuch in Ghosttown noch ereignisreicher, als ich ohnehin schon befürchtet hatte.
„Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Sie wissen, wo wir hin müssen?“, fragte Shelby und blickte dem flüchtenden Werwolf nach. Ich antwortete nicht sofort, sondern betete lautlos, nicht als Nächstes den testosterongeschwängerten Gefährten des beinah überfahrenen Werwolfs zu begegnen. Ein Ford Fairlane war eigentlich nur bedingt dafür ausgelegt, seine Insassen vor einer größeren Gruppe notgeiler Werwolfmännchen zu schützen.
„Nicht so richtig“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „aber ich habe das Gefühl, dass wir das Gebäude erkennen werden, wenn wir es sehen.“ Ohne Shelby nähere Einzelheiten zu unserem Ziel zu nennen, fuhr ich weiter und hielt dabei meine Augen nach allem offen, was auch nur entfernt nach Sigillen, Wächtermarkierungen oder besonders blutarmen Mitbürgern aussah.
Eigentlich hatte ich gehofft, nie wieder nach Ghosttown zurückkehren zu müssen, aber aus dem einen oder anderen Grund tat ich es trotzdem immer wieder. Nicht allzu weit vom Boulevard entfernt hatte ich vor ein paar Monaten Alistair Duncan in einer von den Riots fast vollends verwüsteten Gegend zur Strecke gebracht. Leider war ich zu spät gekommen, um ihn davon abzuhalten, Dmitris Schwester Olya für seinen Zauber zu opfern, aber dafür hatte sich die Wölfin in mir alle Zeit der Welt genommen, um ihn vor seinem Tod die Angst seiner Opfer spüren zu lassen.
„Hör auf damit!“, ermahnte ich mich selbst.
„Womit?“, fragte Shelby, aber ich winkte nur kopfschüttelnd ab und grübelte weiter. Vielleicht hätte ich Alistair Duncan damals einfach mit einem sauberen Kopfschuss töten sollen, anstatt ihm als Werwölfin gegenüberzutreten. Dann würden jetzt zumindest nicht immer wieder jene blutigen Erinnerungen in mir aufsteigen, die mich seither mit Gefühlen von Schuld und Abscheu quälten. Ich wusste, dass diese Gedanken unsinnig waren und es unausweichlich gewesen war, Duncan zu töten – ob mit einer Kugel in den Kopf oder ein paar scharfen Eckzähnen in die Kehle hätte dabei letztlich keine Rolle spielen sollen, denn ich hatte nur getan, was nötig gewesen war und von mir verlangt wurde. Und dennoch: Ich konnte nun einmal nicht verleugnen, dass ich mich damals willentlich der Verwandlung ergeben und der Wölfin in mir freie Hand gelassen hatte … und dass deswegen wieder jemand getötet worden war.
Als dann endlich ein Backsteingebäude mit einer roten Blutsigille an der Tür auftauchte, fühlte ich mich regelrecht erleichtert. Anscheinend war es mittlerweile schon so weit mit mir gekommen, dass ich mich auf die Begegnung mit dem Oberhaupt eines für Schwarzmagie und Menschenopfer berüchtigten Hexenclans freute, nur um meinen eigenen Gedanken aus dem Weg zu gehen.
„Oh Mann“, seufzte Shelby. „An diesem Ort möchte ich wirklich so wenig Zeit wie möglich verbringen.“ Zögerlich stieg sie aus dem Wagen und zog ihr Hemd hoch, sodass man die Waffe in ihrem Gürtelholster unmöglich übersehen konnte.
„Geht mir genauso“, stimmte ich zu und schloss den Fairlane ab, obwohl ich wusste, dass es in dieser Gegend recht wenig nützen würde.
„Sie können sich gar nicht vorstellen, was für Geschichten mir über diese Leute zu Ohren gekommen sind“, flüsterte Shelby auf dem Weg zur Tür. Ich klopfte und erstarrte, als mein Blick auf das rote Zeichen vor mir fiel. Meine Nase gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass es mit echtem Blut auf die Tür gemalt worden war – alt zwar und getrocknet, aber echtes menschliches Blut!
„Doch, ich kann’s mir vorstellen“, brummte ich und wischte meine feuchten Hände an der Jeans ab. „Hören Sie, Shelby, wenn wir jetzt da reingehen, dann versuchen Sie doch einfach … äh … versuchen Sie einfach, nicht so zu sein wie sonst immer. Verstehen Sie? Ich denke, dass wir die Sache dann auch in null Komma nichts hinter uns bringen werden.“
„Sicher doch“, schnaubte Shelby. „Und danach fassen wir uns alle an den Händen und gehen in der Hölle Schlittschuhlaufen.“
Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und ein Gesicht mit eingefallenen Wangen linste nach draußen. „Was wollen Sie?“
Mit einem Lächeln zeigte ich meine Marke, was sich in einer Gegend wie Ghosttown erwartungsgemäß als wenig förderlich erwies.
„Cops sind hier nicht willkommen. Verpisst euch lieber wieder“, raunte mir der Mann mit dem Fahlen Gesicht zu.
Blitzschnell stellte ich meinen Fuß in den Türspalt und schwor mir, dass ich mir das Bürschchen gehörig zur Brust nehmen würde, wenn meine Schuhe auch nur den geringsten Kratzer abbekämen. „Keine Angst, wir werden Sie nicht lange belästigen … ich müsste nur dringend mal mit dem Familienoberhaupt sprechen.“
„Blackburn macht keine Geschäfte mit gewöhnlichen Menschen“, erwiderte der leicht anämisch wirkende Hausangestellte an Shelby gewandt. „Holt euch nen Haftbefehl oder irgendeinen anderen Wisch, wenn ihr hier unbedingt rein wollt … ansonsten schwirrt ab!“
„Hey, du Obergenie“, fuhr ich ihn durch den Türspalt an und packte mit einer raschen Bewegung das Netzhemd meines Gegenübers. „Denkst du vielleicht, dass mich ein blasses Gerippe wie du aufhalten könnte, wenn ich wirklich reinkommen wollte? Ich versuche einfach nur, höflich zu sein, aber in fünf Sekunden ist damit Schluss, mein Lieber. Dann trete ich nämlich die verdammte Tür ein und latsche einfach über deine dämliche Zombievisage drüber, kapiert?“
„Das macht sie wirklich“, versicherte Shelby.
„Kaum gibt man Marionetten wie euch ein bisschen Macht, verwandelt ihr euch in eine Armee von Faschisten!“, schnaubte er voller Verachtung.
„Ja, ja … rede dir das nur weiter ein, wenn’s dich glücklich macht“, erwiderte ich und schob die Tür auf. „Wie war’s, wenn du jetzt einfach das nette Laufbürschchen spielst und Blackburn sagst, dass wir ihn sprechen müssen?“
Erst jetzt konnte ich den ganz in Schwarz gekleideten Mann von Kopf bis Fuß betrachten: Er war groß, käsig weiß und so spindeldürr, dass es schon beim Hinsehen wehtat. „Und was soll ich Blackburn sagen, wenn er fragt, worum es geht?“, wollte er naserümpfend wissen.
„Sag ihm einfach, es geht um Vincent.“
Nach ein paar Minuten kehrte der Hungerhaken zur Tür zurück und winkte uns hinein. Er führte uns eine nicht sonderlich vertrauenerweckende schmale Treppe hinauf und anschließend einen langen Flur entlang, von dem links und rechts kleine Wohnungen abgingen. Die triste Innenausstattung schien noch aus den Fünfzigerjahren zu stammen und zeugte von der ursprünglich industriellen Nutzung des Gebäudes. Weder der schmuddelige Teppich unter meinen Füßen noch die schwarzen Schimmelflecken an den Deckenplatten über mir vermittelten ein sonderlich wohnliches Gefühl. Unweigerlich musste ich husten, da mein Geruchssinn zu rebellieren begann. Die Hand über Mund und Nase gepresst, ging ich weiter.
„Wie viele Menschen hier wohl hausen?“, fragte mich Shelby im Flüsterton, als wir gerade an einer Wohnung ohne Eingangstür vorbeigingen, in der eine Frau mit ihrem Baby auf dem Arm kochte.
„Genug, um uns das Leben zur Hölle zu machen, wenn wir uns danebenbenehmen“, flüsterte ich zurück.
Nach zwei weiteren Treppen erreichten wir das oberste Stockwerk des Gebäudes, das teilweise entkernt worden war, um Platz für einige größere Räume zu schaffen.
Schweigend führte uns der Dürre in eine Art Salon, der mit abgewetzten Perserteppichen und ramponierten Ledersesseln ausgestattet war. Dann murmelte er, dass wir uns setzen sollten, da Mr Blackburn noch einen Moment brauche, und stapfte von dannen. Ich versuchte, es mir irgendwie bequem zu machen, aber als ich sah, dass aus meinem Sessel loses Polstermaterial herausquoll, stand ich entnervt wieder auf.
An der Wand vor mir hatte eine eigentümliche Konstruktion meine Aufmerksamkeit erregt. Anscheinend hatte jemand sämtliche Briefkästen des Gebäudes zusammengesammelt, ihre Türen abgerissen und sie dann dort nebeneinander aufgehängt. In den offenen Fächern dieses improvisierten Regals lagerten jede Menge Gegenstände – neben verschiedenen Flaschen und allerlei Messern waren auch ein oder zwei Caster zu sehen. Ich stutzte, denn eigentlich wurden diese ovalen Scheiben nur von Casterhexen zur Lenkung der Magie benutzt. Zögernd griff sich Shelby einen der Caster und betrachtete das dunkelrote, fast violette Holz. „Das ist Amaranth. Muss mindestens hundert Jahre alt sein. Der Baum, von dem es stammt, ist wahrscheinlich schon ausgestorben.“
„Legen Sie das auf der Stelle wieder zurück!“, ertönte plötzlich eine ungehaltene Stimme von der Tür her. Reflexartig wirbelte ich herum und erblickte einen kleinen Mann mit weißem Haar, schwarzem Hemd und einem mächtig angepissten Gesichtsausdruck.
„Tut mir leid, Mr Blackburn“, sagte ich und schnappte mir die ovale Scheibe, die Shelby in den Händen hielt, um sie wieder an ihren Platz zu stellen. Die Berührung des Casters löste ein ekelhaftes Kribbeln auf meiner Haut aus, das ich erst durch heftiges Händereiben wieder loswurde. Es war ein äußerst unangenehmes, mir aber wohlbekanntes Gefühl, das mich seit jeher wie ein Abwehrreflex beim Kontakt mit Magie oder magischen Gegenständen überkam. „Entschuldigen Sie bitte das unhöfliche Verhalten von Detective O’Halloran, Mr Blackburn.“
„Schon gut“, murrte der Alte und starrte uns einen Augenblick lang an. Er roch auf eigenartige Weise nach Holzkohle, und seine Augen waren fast vollständig schwarz. Nur an ihren Rändern ließ sich eine hellere Farbe erahnen. Blackburn hatte sein gesamtes Leben der Schwarzmagie gewidmet und sah wahrscheinlich des halb so zerschlissen aus, weil die dunklen Mächte seiner Zauber nach und nach das letzte bisschen Menschlichkeit aus seinem Antlitz gesogen hatten.
„Sie könnte ihn ja doch nicht benutzen“, meinte er schließlich, während sich sein runzeliger Mund zu einem süffisanten Lächeln verformte. Zu Shelby gewandt fuhr er fort: „Was da in Ihren Adern fließt, ist nichts weiter als rot gefärbtes Wasser -kraftlos und schwach. Traurige Sache eigentlich. All der Inzest in Ihrer Familie, und trotzdem bringen die O’Hallorans keine magisch begabten Kinder zustande. Vielleicht hat Ihre Sippschaft das mit der Geschwisterliebe ja etwas übertrieben.“
„Sie mieses Dreckstück!“, fauchte Shelby und stürzte auf Blackburn zu. Sofort ließ ich meinen Arm nach vorn schnellen und versperrte ihr den Weg wie die Eisenstange an einem Drehkreuz.
„Mr Blackburn, wir müssen mit Ihnen über Vincent sprechen“, sagte ich.
Seine Lippen kräuselten sich verärgert, und seine Grimasse rutschte in ein verzagtes Lächeln ab. „Was hat mein unwürdiger Sohn nun wieder angestellt? Ist er in Schwierigkeiten?“
„Ich fürchte schon“, erwiderte ich. „Mr Blackburn … äh …“
„Victor, nennen Sie mich doch bitte Victor“, bat er noch immer höflich lächelnd.
„Nun gut, Victor …“, begann ich erneut nach Worten zu suchen, „… Ihr Sohn ist tot.“
Zuerst war in seinen Zügen keine Regung festzustellen, aber dann verschwand das oberflächliche Lächeln aus seinem Gesicht, und sein Körper schwankte, als habe ihm jemand einen Ziegelstein über den Schädel gedroschen. Langsam erschienen farbige Flecken auf seinen fahlen Wangen, während er mit der Hand suchend nach den Briefkästen tastete.
„Victor?“, sprach ich ihn an und bereitete mich schon darauf vor, ihn auffangen zu müssen, falls er gleich ohnmächtig zusammensacken sollte. Sein zierlicher Körper wirkte so instabil, als würde eine leichte Brise genügen, um ihn zu Boden zu werfen.
„Wie ist es passiert?“, flüsterte er und ballte dabei so heftig die Fäuste, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.
„Die offizielle Todesursache steht noch nicht fest“, begann ich, aber Victor unterbrach mich, indem er sich mit dem Daumen quer über die Kehle fuhr und mit erregter Stimme fragte: „Ist er ermordet worden?“
„Mr Blackburn, ich kann wirklich nicht …“
„Ist er ermordet worden?“, brüllte Victor Blackburn noch einmal, während er blitzschnell die nächstbeste Vase vom Regal griff und sie quer durch den Raum schleuderte. Ohne zu antworten, sah ich zu, wie eine dunkle, klebrige Flüssigkeit langsam an der Wand herunterlief.
Erst das leise Geräusch tippelnder Schritte, das vom Flur zu kommen schien, unterbrach unser Schweigen. Einen Augenblick später steckte eine weibliche Version von Vincent Blackburn im Teenager-Alter den Kopf durch die Tür. „Alles in Ordnung bei dir, Daddy?“, fragte das Mädchen und schreckte mit weit aufgerissenen Augen zurück, als es Shelby und mich bemerkte.
Beim Anblick seiner Tochter richtete sich Blackburn wieder auf und presste die Lippen zusammen. Es war offensichtlich, dass er große Mühe hatte, die in ihm rasende Wut zurückzuhalten. „Detectives, das ist meine Tochter Valerie. Valerie, das sind die Detectives O’Halloran und …?“
„Wilder“, sagte ich leise und streckte dem Mädchen die Hand entgegen. „Freut mich, dich kennenzulernen.“
Valerie machte keine Anstalten, meine Hand zu ergreifen, sondern blickte uns nur mit wachsender Unruhe in den Augen an. „Daddy, was ist hier eigentlich los?“.
Blackburn vergrub sein Gesicht in den Händen und ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen.
„Ms Blackburn … äh … ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten …“, begann ich erneut, um die richtigen Worte zu ringen. „Ihr Bruder Vincent ist heute Abend tot aufgefunden worden.“ Obwohl ich wusste, dass es weder Valerie noch Victor in diesem Moment interessieren würde, fügte ich nach einer kurzen Pause hinzu: „Wie es scheint, ist er an einer Überdosis gestorben.“
„Nein!“, schrie Valerie zutiefst getroffen auf und stürzte sich in die Arme ihres Vaters. „Das ist … das ist nicht möglich!“
„Ich fürchte, dass es genau so passiert ist“, bemerkte Shelby leise und ergriff damit zum ersten Mal seit unserem Eintreten das Wort. Hastig zog sie einen Notizblock und einen Stift hervor und kritzelte das Datum auf den oberen Rand des ersten Blattes. „Wenn Sie sich jetzt bitte wieder fassen würden, Ms Blackburn, wir brauchen nämlich ein paar Informationen von Ihnen. Wie lange hat Ihr Bruder bereits Drogen konsumiert?“
Kaum hatte Shelby diese Worte ausgesprochen, riss Victor den Kopf hoch. Mit brennendem Blick fixierte er sie wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. „Wie bitte? Was, bei den sieben Höllenfeuern, soll das bitte schön bedeuten?“
Unwirsch packte ich Shelby am Ellbogen und zog sie in die andere Ecke des Raums, sodass wir mit dem Rücken zu den Trauernden standen. „Sind Sie wahnsinnig? Was soll das werden, wenn’s fertig ist, Shelby?“
„Wie sieht es denn für Sie aus? Ich nehme gerade die Aus sagen von Vincent Blackburns Komplizen auf“, antwortete sie in einem absurd sachlichen Ton.
„Shelby, diese Leute sind keine Komplizen, sondern die Familienangehörigen des Toten! Sie haben gerade erfahren, dass ein geliebtes Familienmitglied verstorben ist, also lassen Sie sie fürs Erste zufrieden, okay?“
„Warum das denn? Damit sie sich gemeinsam eine Geschichte zurechtlegen können?“, schoss Shelby trocken zurück. Ich schüttelte fassungslos und missbilligend den Kopf, doch sie blieb unbeirrbar und marschierte im nächsten Augenblick wieder auf Valerie zu. „Ms Blackburn, würden Sie sagen, dass der Lebensstil Ihres Bruders das Risiko eines solchen Vorfalls mit sich gebracht hat?“
„Sie haben vielleicht Nerven, Sie Miststück!“, schluchzte Valerie, während die ersten Tränen aus ihren Augen kullerten. „Nur weil wir keine Kreise in den Dreck kritzeln, denkt ihr O’Hallorans wohl, dass ihr was Besseres seid? Oder reißen Sie hier die Klappe so weit auf, weil Sie Angst haben, Detective?“ Flink löste sich Valerie aus der schützenden Umarmung ihres Vaters, baute sich vor Shelby auf und tippte mit dem Zeigefinger gegen deren Brust. „Angst davor, was die bösen Bluthexen mit Ihnen anstellen könnten? Ich wette, Sie denken, dass mein Bruder es verdient hat zu sterben. Ist es nicht so, Kreiskritzlerin?“
„Treten Sie zurück, Ms Blackburn!“, blaffte Shelby und legte ihre Hand an den Gürtel.
„Der Teufel soll Sie holen!“, fauchte Valerie, ohne der Aufforderung nachzukommen, während Shelby mit einer hastigen Bewegung ihre Waffe aus dem Holster riss. Ohne viel nachzudenken, stürzte ich mich auf meine Partnerin. Ich griff den Lauf ihrer Pistole und drehte ihn samt Handgelenk und Abzugsfinger zur Seite. Dann schüttelte und zerrte ich an ihrer Hand, bis sie die Waffe losließ, und bog ihr den Arm auf den Rücken.
Shelby schrie vor Schmerz, versuchte sich aber trotzdem mit ganzem Körpereinsatz zu wehren.
„Beruhigen Sie sich, verdammt noch mal!“, knurrte ich mit gefletschten Zähnen, aber Shelby ließ nicht locker und stemmte sich mit aller Kraft und um sich tretend gegen meinen Griff. Ein Stechen in Kiefer und Auge kündigte mir das Unvermeidliche an: Durch die körperliche Auseinandersetzung gereizt, kletterte die Wölfin aus ihrer Höhle, sodass meine Augen goldfarben aufloderten und meine Reißzähne hervortraten.
„Bei den Allmächtigen“, murmelte Victor erstaunt. „Ich an Ihrer Stelle würde tun, was sie sagt, Ms O’Halloran!“
Shelby wandte mir den Kopf zu und erstarrte sofort zur Salzsäule, als sich unsere Blicke trafen. „Ach du Scheiße!“
Ach du heilige Scheiße hätte es wohl besser getroffen, denn ich stand kurz davor, die Kontrolle über die Wölfin in mir zu verlieren. Wild heulend hatte sie ihre Zähne gefletscht und verlangte nun danach, freigelassen zu werden, um meinen Körper von innen nach außen zu kehren und sich in einen Kampf zu stürzen, den sie zwar nicht begonnen hatte, aber nur allzu gern beenden wollte.
„Lassen Sie mich los, Luna!“, schrie Shelby mich panisch an.
„Tun Sie uns beiden einen Gefallen, und bewegen Sie sich nicht“, knurrte ich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, und ich spürte, dass sich die Klauen der Wölfin jeden Moment durch das Fleisch meiner verkrampften Finger bohren konnten. Ich wusste, dass es nach dem Mondkalender noch zwei Wochen bis zur Wandlung waren, aber ich wusste auch dass sich die Wölfin in meinem Körper einen feuchten Dreck um diesen Kalender scherte.
„Luna …“, zischte Shelby noch einmal, und nach einem letzten Knurren gab die Wölfin auf, sodass ich meine eingeschüchterte Partnerin wieder loslassen konnte. Mit erhobenen Händen wich sie taumelnd ein paar Schritte zurück und starrte mich fassungslos mit großen Augen an. Ich war überrascht darüber, Shelby nicht verängstigt und ergeben wie ein Beutetier zu meinen Füßen zu sehen, sondern mit zerzaustem Äußeren und wütendem Blick in der anderen Ecke des Zimmers.
Nachdem ich ein paarmal tief Luft geholt hatte, entkrampften sich meine Hände langsam, und auch meine Augen nahmen wieder ihre menschliche Farbe an.
„Das ist ja mal ganz was Neues“, brach Valerie Blackburn das Schweigen. „Hab ich ja noch nie gesehen, dass sich zwei Cops in die Haare kriegen!“
Victor stand auf und zeigte auf die Tür. „Raus mit Ihnen. Alle beide!“
Ich hob Shelbys Pistole auf und steckte sie in meinen Hosenbund. „Tut mir leid, Mr Blackburn.“
„Glaub ich Ihnen sogar“, erwiderte er mit einem Nicken. „Sie mögen ein Geschöpf mit Ehre, im Herzen sein, Detective Wilder, aber wenn Sie mir dieses dünnblütige Miststück nicht sofort aus den Augen schaffen, dann vergesse ich mich.“ Blitzschnell zog er ein silberfarbenes Messer mit krummer Klinge aus einem Versteck in seiner Kleidung und schien wild entschlossen, seine Drohung wahr zu machen.
„Wir gehen schon“, versicherte ich ihm, und da Shelby offensichtlich wieder Anstalten machte, ihren Mund zu öffnen und die Situation vollends eskalieren zu lassen, zog ich sie unter den zornigen Blicken von Blackburn senior und Valerie am Ellbogen aus dem Zimmer. Auf dem Flur wartete bereits der aschfahle Hausangestellte, um uns mit finsterer Miene nach unten zu begleiten. Anscheinend wollte er sicherstellen, dass wir nach diesem unglaublichen Auftritt wirklich auf dem schnellsten Weg verschwinden würden.
Shelby schrie vor Schmerz, versuchte sich aber trotzdem mit ganzem Körpereinsatz zu wehren.
„Beruhigen Sie sich, verdammt noch mal!“, knurrte ich mit gefletschten Zähnen, aber Shelby ließ nicht locker und stemmte sich mit aller Kraft und um sich tretend gegen meinen Griff. Ein Stechen in Kiefer und Auge kündigte mir das Unvermeidliche an: Durch die körperliche Auseinandersetzung gereizt, kletterte die Wölfin aus ihrer Höhle, sodass meine Augen goldfarben aufloderten und meine Reißzähne hervortraten.
„Bei den Allmächtigen“, murmelte Victor erstaunt. „Ich an Ihrer Stelle würde tun, was sie sagt, Ms O’Halloran!“
Shelby wandte mir den Kopf zu und erstarrte sofort zur Salzsäule, als sich unsere Blicke trafen. „Ach du Scheiße!“
Ach du heilige Scheiße hätte es wohl besser getroffen, denn ich stand kurz davor, die Kontrolle über die Wölfin in mir zu verlieren. Wild heulend hatte sie ihre Zähne gefletscht und verlangte nun danach, freigelassen zu werden, um meinen Körper von innen nach außen zu kehren und sich in einen Kampf zu stürzen, den sie zwar nicht begonnen hatte, aber nur allzu gern beenden wollte.
„Lassen Sie mich los, Luna!“, schrie Shelby mich panisch an.
„Tun Sie uns beiden einen Gefallen, und bewegen Sie sich nicht“, knurrte ich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, und ich spürte, dass sich die Klauen der Wölfin jeden Moment durch das Fleisch meiner verkrampften Finger bohren konnten. Ich wusste, dass es nach dem Mondkalender noch zwei Wochen bis zur Wandlung waren, aber ich wusste auch, dass sich die Wölfin in meinem Körper einen feuchten Dreck um diesen Kalender scherte.
„Luna …“, zischte Shelby noch einmal, und nach einem letzten Knurren gab die Wölfin auf, sodass ich meine eingeschüchterte Partnerin wieder loslassen konnte. Mit erhobenen II linden wich sie taumelnd ein paar Schritte zurück und starrte mich fassungslos mit großen Augen an. Ich war überrascht darüber, Shelby nicht verängstigt und ergeben wie ein Beutetier zu meinen Füßen zu sehen, sondern mit zerzaustem Äußeren und wütendem Blick in der anderen Ecke des Zimmers.
Nachdem ich ein paarmal tief Luft geholt hatte, entkrampften sich meine Hände langsam, und auch meine Augen nahmen wieder ihre menschliche Farbe an.
„Das ist ja mal ganz was Neues“, brach Valerie Blackburn das Schweigen. „Hab ich ja noch nie gesehen, dass sich zwei Cops in die Haare kriegen!“
Victor stand auf und zeigte auf die Tür. „Raus mit Ihnen. Alle beide!“
Ich hob Shelbys Pistole auf und steckte sie in meinen Hosenbund. „Tut mir leid, Mr Blackburn.“
„Glaub ich Ihnen sogar“, erwiderte er mit einem Nicken. „Sie mögen ein Geschöpf mit Ehre im Herzen sein, Detective Wilder, aber wenn Sie mir dieses dünnblütige Miststück nicht sofort aus den Augen schaffen, dann vergesse ich mich.“ Blitzschnell zog er ein silberfarbenes Messer mit krummer Klinge aus einem Versteck in seiner Kleidung und schien wild entschlossen, seine Drohung wahr zu machen.
„Wir gehen schon“, versicherte ich ihm, und da Shelby offensichtlich wieder Anstalten machte, ihren Mund zu öffnen und die Situation vollends eskalieren zu lassen, zog ich sie unter den zornigen Blicken von Blackburn senior und Valerie am Ellbogen aus dem Zimmer. Auf dem Flur wartete bereits der aschfahle Hausangestellte, um uns mit finsterer Miene nach unten zu begleiten. Anscheinend wollte er sicherstellen, dass wir nach diesem unglaublichen Auftritt wirklich auf dem schnellsten Weg verschwinden würden.