23. KAPITEL
Die Beduinen
nsere Verkleidung war gut, aber nicht alle Sara-U zenenposten fielen auf sie herein. Bevor wir das Gebiet von Hattin verlassen hatten, wurden wir zweimal von Wachtposten angesprochen, die uns zum Glück zahlenmäßig unterlegen waren. Beide Male gelang es uns, die Ungläubigen zu überwältigen und zu töten, ohne daß wir ernsthafte Schäden erlitten. Das Schlimmste war eine Schnittwunde, die Ludwig von Kirchheim sich am rechten Arm zuzog.
Als die Dunkelheit über das Heilige Land herein-brach, waren die Hörner von Hattin für uns nur noch zwei schemenhafte Erhebungen in der Ferne. Allerdings sahen wir dort zahlreiche Feuer brennen und zweifelten nicht daran, daß es die Freudenfeuer der siegreichen Sarazenen waren.
Wir überlegten, ob wir die Nacht durchreiten sollten, um in ihrem Schutz einen möglichst großen Abstand zu Saladins Heer zu gewinnen. Aber wir waren nach einem Tag des Kämpfens und Reitens am Ende unserer Kräfte, und unseren Pferden ging es nicht besser. Also schlugen wir unser Lager auf, in einer mit Gestrüpp bewachsenen Senke, wo wir vor fremden Blicken weitgehend geschützt waren. Falls jemand im Dunkeln hierherkam, mußte er schon über uns stol-pern, um uns zu entdecken.
Ein Feuer entfachten wir aus Sicherheitsgründen nicht, und so gab es nur getrocknete Datteln und alten, harten Schafskäse zu essen. Wenigstens hatten wir den überwältigten Wachen ihre Wasserschläuche abgenommen, so daß wir unseren ärgsten Durst löschen konnten. Allerdings gingen wir sparsam mit dem kostbaren Naß um, weil wir nicht wußten, wie lange wir mit diesem begrenzten Vorrat auskommen mußten.
Früh am nächsten Morgen setzten wir unseren Weg fort und waren mehrmals gezwungen, die Richtung zu ändern, weil immer wieder muslimische Einheiten vor uns auftauchten. Sie durchstreiften das gesamte Gebiet, und wir konnten von Glück sagen, daß wir sie entdeck-ten und nicht sie uns. Auch die Suche nach Wasser gestaltete sich schwierig. In den Ortschaften rings um Hattin, wo wir fündig geworden wären, hatte Saladin mit hoher Wahrscheinlichkeit Truppen stationiert.
Schon allein, damit versprengte Christen keinen Unterschlupf fanden. Also konnten wir nur darauf hoffen, auf einen Bach oder ein Wasserloch zu stoßen. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Als wir unser zweites Nachtlager aufschlugen, waren unsere Schläuche fast leer, und wir waren der Stadt Tiberias aufgrund der vielen Richtungsänderungen noch keinen Schritt näher gekommen.
»Wir sollten unseren Plan ändern«, sagte Gilbert, als wir am nächsten Morgen unser karges Frühstück mit den letzten Wasserresten hinunterspülten. »Es hilft uns nichts, uns nach Tiberias durchzuschlagen. Sollte die Zitadelle inzwischen von den Sarazenen erobert worden sein, können wir dort ohnehin keine Hilfe erwarten. Halten die Verteidiger aber noch stand, wird der Ring der Belagerer so eng sein, daß es für uns kaum einen Weg durch ihre Linien geben dürfte. Und selbst wenn uns das gelänge, was wäre damit gewonnen? Es bestünde erneut die Gefahr, daß das Wahre Kreuz den Ungläubigen in die Hände fällt.«
Ich stimmte ihm zu und fragte: »Was schlägst du vor, Gilbert?«
Er zog seinen Dolch und zeichnete mit der Spitze eine grobe Karte des Landes in den Sand. Ein länglicher Ring stellte den See Genezareth dar, an dessen Westufer er ein dickes Kreuz malte: Tiberias. Noch ein Stück weiter westlich ritzte die Dolchspitze ein zweites Kreuz in den Sand.
»Hier ungefähr befinden wir uns«, sagte er. »Zwischen uns und Tiberias sind jede Menge sarazenischer Truppen unterwegs, wie wir in den vergangenen zwei Tagen gemerkt haben.«
Er zog eine lange, fast gerade Linie nach Süden, bis hin zu einem großen, länglichen Gebilde: der Fluß Jordan und das Tote Meer. Ein Stück westlich der Stelle, wo der Jordan ins Tote Meer floß, entstand ein drittes Kreuz: Jerusalem.
»Wir sollten uns strikt südwärts halten, bis der See Genezareth hinter uns liegt«, fuhr Gilbert fort. »Dann könnten wir versuchen, den Jordan zu erreichen und uns am Fluß ein Boot besorgen, das uns mit etwas Glück bis zum Toten Meer bringt, bis nach Jerusalem.«
Udaut verdrehte schwärmerisch die Augen. »Beim Jordan denke ich an Wasser, an viel Wasser. Ich bin für deinen Vorschlag, Bruder!«
Wir alle waren dafür, und beseelt von neuem Mut brachen wir auf.
Wir durchzogen ein karges Gebiet, das von wellen-förmigen Erhebungen durchzogen und nur spärlich bewachsen war. Nach einer Wasserstelle hielten wir vergebens Ausschau. In der Mittagszeit errichteten wir aus unseren Waffen und Decken ein behelfsmäßiges Zelt, das uns ein wenig Schutz vor der größten Hitze gewährte.
Als wir das Zelt am Nachmittag abbrachen und ich meine Decke hinter dem Sattel verstaute, hörte ich plötzlich einen Schmerzensschrei. Alarmiert fuhr ich herum und sah Ludwig von Kirchheim rückwärts taumeln und mit der rechten Hand seinen linken Arm halten.
»Eine Schlange!« Er blickte mit weit aufgerissenen Augen auf den Boden. »Sie hat mich gebissen!«
Ich war als erster bei ihm und sah eine rötlich-braun gefleckte Schlange mit einer spitzen Erhebung vorn am Kopf, die sich seitlich von dem Johanniter fortbewegte, indem sie in einem schnellen Rhythmus abwechselnd ein Stück des vorderen Leibes und den Schwanz anhob und wieder absetzte. Dieses zügige, fremdartige Da-hingleiten erhöhte noch meinen Abscheu vor dem Tier, das Ludwig offenbar versehentlich in seiner Mittagsru-he gestört hatte. Die Waffe, die ich am schnellsten zur Hand hatte, war die Streitaxt mit dem Wahren Kreuz.
Diesmal zögerte ich nicht, sie zu gebrauchen. Mit zwei flinken Sprüngen holte ich die Schlange ein. Ein Schlag mit der Axt, und ihr Kopf flog im hohen Bogen durch die Luft. Der Schlangenleib bewegte sich noch ein Stück weiter, bevor er vor einem spitzen Felsen liegenblieb.
»Recht so, Roland!« rief Udaut. »So hätte Adam schon mit der Schlange im Paradies verfahren sollen!«
»Vielleicht hatte er keine Streitaxt«, sagte ich und betrachtete den Schlangenkopf mit der leicht gebogenen Zuspitzung. »Eine Hornviper, ein sehr giftiges Untier!«
»Aber nicht immer verteilt sie ihr Gift«, sagte einer der Johanniter, Antoine de Barrault, der durch seine feingeschnittenen, fast weiblichen Gesichtszüge auffiel.
»Wenn die Hornviper aufgeschreckt wird und sich verteidigt, beißt sie manchmal nur zu, ohne das Blut des Gebissenen mit ihrem Gift zu verseuchen. Vielleicht hat Bruder Ludwig Glück gehabt.«
Es stellte sich heraus, daß Ludwig von Kirchheim kein Glück gehabt hatte. Die Schlange hatte ihn in den Arm gebissen, in der Nähe des Ellbogens, und schon bald zeigte sich eine starke Rötung und Schwellung, die auf eine Vergiftung hindeutete. Die Wunde schmerzte und blutete heftig. De Barrault, der sich von uns am besten mit Schlangenbissen auskannte, nahm eine der Kordeln, die seine Gewänder zusammenhielten, und band damit den verletzten Arm unterhalb der Schulter ab, damit das Gift nicht zum Herzen vordrang.
Ich ging derweil zum nächsten Gebüsch und suchte ein paar besonders kräftige Äste, die ich abschnitt, um daraus eine Schiene für von Kirchheims Arm anzuferti-gen. Je ruhiger der Arm lag, desto besser, erklärte de Barrault.
Simon de Lacey, ein sehr kräftiger Mann mit einem runden, fleischigen Gesicht, verfolgte unsere Bemühungen eher skeptisch. »Sollten wir die Wunde nicht aus-saugen, damit das Gift herauskommt?«
De Barrault schüttelte den Kopf. »Das schadet dem, der sich daran zu schaffen macht, oft mehr, als es dem Verletzten hilft. Das Gift kann dadurch auch in den Körper des anderen gelangen. Ich habe einmal miterlebt, wie auf diese Weise zwei Männer statt einem qualvoll ums Leben gekommen sind.«
Von Kirchheim, der lang ausgestreckt auf dem Boden lag, den Kopf auf eine zusammengerollte Decke gebettet, fragte stöhnend: »Und was für eine Schlange war das damals, Bruder Antoine?«
De Barrault senkte den Blick und antwortete leise:
»Auch eine Hornviper.«
Von Kirchheim schien noch blasser zu werden.
»Ihr müßt mich hier zurücklassen«, sagte er und sah zu der Streitaxt, die wieder an meinem Waffengurt hing. »Unsere Mission ist wichtiger, Brüder. Bringt das Kreuz Jesu vor den Ungläubigen in Sicherheit!«
»Nein«, entgegnete ich. »Wir wissen nicht, was für Gefahren noch auf uns warten. Wir müssen einander beistehen, wenn wir unseren Auftrag erfüllen wollen.
Vielleicht ist die Vergiftung weniger stark, als es im Augenblick aussieht. Etwas Ruhe wird dir guttun, Bruder Ludwig. Wir sollten das Zelt wieder aufbauen, um dich und uns vor der Sonne zu schützen.«
Mein Vorschlag, an diesem Ort zu bleiben, wurde nicht von allen befürwortet. De Lacey wies auf die Dringlichkeit unserer Mission hin und Udaut auf den Umstand, daß wir kein Wasser mehr hatten.
»Das Wasser müssen wir uns eben suchen«, erwiderte ich. Udaut war nicht überzeugt. »Das können wir auch, wenn wir weiterziehen und Bruder Ludwig mitnehmen.«
»Jeder Transport wird ihm schaden. Ist es nicht so, Bruder Antoine?«
De Barrault nickte. »Doch, Bruder Roland hat recht.«
Nach einigem Hin und Her wurde mein Vorschlag schließlich doch angenommen, und wir machten uns daran, das Zelt neu zu errichten.
Mitten in der Arbeit hielt de Lacey inne und zeigte nach Norden: »Da, wir bekommen Besuch!«
Über eine mit niederem Gestrüpp bewachsene Bo-denwelle kamen zwei Kamelreiter auf uns zu, der Kleidung nach Beduinen. Als sie uns erblickten, hielten sie ihre großen Reittiere an.
»Vielleicht können sie uns helfen«, sagte ich hoff-nungsvoll, trat einen Schritt vor und winkte ihnen zu.
Die Reiter berieten sich kurz und setzten dann ihren Weg fort. Offenbar erschienen wir ihnen in unserer orientalischen Gewandung ungefährlich. Es waren zwei Männer mittleren Alters mit hageren, sonnenverbrannten Gesichtern. Am Rande unseres Lagerplatzes hielten sie ihre Kamele abermals an. » Es-salâm ’aleikum –
Friede sei mit euch!« grüßte einer der beiden, während er uns forschend anblickte. In der Wüste war es immer geboten, Fremden gegenüber vorsichtig zu sein.
» We ’aleikum es salâm! – Und Friede sei mit euch!«
antwortete ich und sah ihm an, daß er sogleich in mir den Franken erkannt hatte. Zwar beherrschte ich, wie die meisten meiner Brüder, die arabische Sprache gut genug, um mich mit Einheimischen zu verständigen, aber mein Zungenschlag verriet doch zu deutlich den Abendländer.
» Wallâhi – bei Gott, was hat das zu bedeuten?« entfuhr es dem Beduinen. »Du trägst die Kleidung eines Gläubigen und sprichst mit der Zunge eines Ungläubigen!«
»Wir sind Franken und glauben an den Gott der Christen, das ist wahr. Doch wir alle sind Wanderer in der Wüste, einer auf die Hilfe des anderen angewiesen.« Ich zeigte auf von Kirchheim. »Mein Bruder hier ist von einer Schlange gebissen worden. Wir bitten dich und die Deinen um Hilfe und um Wasser, denn unsere Schläuche sind leer.«
Der Beduine ließ seinen Blick über unser kärgliches Lager und meine Gefährten schweifen, bevor seine schmalen, dunklen Augen wieder mich fixierten.
»Genießen die Meinen und ich das Gastrecht in eurem Lager?«
»Selbstverständlich, mein Wort darauf.«
»So wollen wir euch helfen. Der Koran gebietet, auch dem Wanderer gegenüber barmherzig zu sein. Wir Söhne der Wüste wissen nur zu gut, daß die Beachtung dieses Gebots über Leben und Tod entscheiden kann.«
Er gab seinem Begleiter eine kurze Anweisung, woraufhin dieser sein Kamel wendete und in die Richtung zurückritt, aus der sie gekommen waren.
»Mein Bruder Okba reitet zurück, um die Unsrigen herbeizuholen«, erklärte der erste. »Mein Name ist Rassam.«
Ich nannte meinen Taufnamen und die meiner Ge-fährten, fragte mich aber, ob unsere ungewohnten Namen dem Sohn der Wüste etwas sagten.
Rassam ließ sein Kamel niederknien, stieg ab, nahm seinen Wasserschlauch und gab von Kirchheim etwas zu trinken. Danach ließ er den Schlauch herumgehen, während er sich unseren Kranken genauer ansah.
»Die Schlange hat eurem Bruder einiges von ihrem Gift hinterlassen, aber ihr habt klug an ihm gehandelt.
Vielleicht wird er gesund. Sobald die Meinen hier sind, wird meine Tochter sich um ihn kümmern.«
»Wieso deine Tochter?« fragte ich.
»Jeder Mensch versteht sich auf einige Dinge besonders gut. Eine ihrer besonderen Gaben ist es, Kranke zu heilen.« Nach weniger als einer halben Stunde tauchte Rassams Bruder wieder auf und brachte weitere Beduinen mit, die einige Kamele sowie eine große Herde Ziegen und Schafe mit sich führten. Es war kein großer Stamm, wie ich erwartet hatte, sondern nur eine Gruppe von nicht mehr als zehn oder zwölf Personen. Offenbar mußten die Beduinen sich aufteilen, um in diesem Landstrich genügend Weideplatz für ihre Herden zu finden.
Schnell war ein großes Zeltdach errichtet, viel halt-barer als unsere behelfsmäßige Konstruktion, und eine junge Frau, Rassams Tochter, ließ sich neben von Kirchheim nieder. Sie verbrachte einige Stunden mit dem Kranken, sprach mit ihm, strich ihm über die Stirn und flößte ihm wiederholt ein Getränk aus einer schmalen Lederflasche ein.
Der Abend war längst hereingebrochen, als sie sich vom Krankenbett erhob und uns die gute Nachricht brachte: »Euer Bruder wird noch etwas fiebern, aber er wird sich von dem Schlangenbiß erholen.«
Ihr unverschleiertes Gesicht, sehr ebenmäßig geschnitten, mit hohen Wangenknochen und vollen, sanft geschwungenen Lippen, beeindruckte mich durch seine natürliche Schönheit, die keinerlei künstlicher Hilfsmittel bedurfte, um das Herz eines Mannes zu entflammen.
»Ich danke dir in unser aller Namen«, sagte ich.
»Verrätst du mir, wie du heißt, damit ich dich in meine Gebete einschließen kann?«
Erstaunt sah sie mich an. »Ich bin für dich eine Un-gläubige, und doch willst du mich in deine Gebete einschließen?«
»Du bist ein guter Mensch, und Gott wird das erkennen.«
»Ich danke dir, Mann mit dem kupfernen Haar.« Sie lächelte, und mir wurde noch wärmer ums Herz.
»Mein Name ist Ourida.«