9. KAPITEL

Bonapartes Spion

er Rest des Nachmittags verging in solcher Ge-D schäftigkeit, daß ich mir keine großen Gedanken darüber machen konnte, weshalb General Bonaparte sich für Ourida interessierte. Offenbar hatte Onkel Jean ihm unser Abenteuer im unterirdischen Tempel derart anschaulich geschildert, daß der General nun darauf brannte, Ourida kennenzulernen. Während mein Onkel auf dem kürzesten Weg heimwärts strebte, um dort alles für den abendlichen Empfang vorzubereiten, er-füllte ich die Aufträge, die er mir erteilt hatte.

Zunächst galt es, einen europäischen Gastwirt zu finden, der bereit war, am Abend für uns zu kochen, denn wir mochten uns nicht auf die eher einfachen und sehr dem morgenländischen Geschmack verhafteten Kochkünste der alten Zeineb verlassen. Es gab durchaus einige europäische Gasthäuser in der Stadt, denn Bonaparte förderte die Eröffnung solcher Etablisse-ments ebenso wie die von Schauspielbühnen, Kaffee-und Konzerthäusern, um seinen fern der Heimat wei-lenden Soldaten Zerstreuung zu bieten. Doch meine Suche gestaltete sich schwieriger als erwartet, da kaum ein Wirt sein Geschäft am Abend im Stich lassen wollte. Seit die französische Armee in Kairo einmarschiert war, konnte man hier mit europäischer Kochkunst viel Geld verdienen, und die Einnahmen eines einzigen Abends waren durchaus beachtlich.

Dennoch hätte vermutlich jeder es als Ehre betrachtet, für Bonaparte zu kochen, aber mein Onkel hatte mich beschworen, nicht preiszugeben, wer unser Gast war. So mußte ich vage von einer hochstehenden Persönlichkeit sprechen, die es zu bewirten galt.

Nach langem Suchen fand ich schließlich einen österreichischen Wirt, der sein Gasthaus gemeinsam mit seinem Bruder betrieb, dem er die Geschäfte für den Abend zu überlassen bereit war. Allerdings mußte ich dazu meinen Geldbeutel beträchtlich erleichtern.

Blieb mir nur zu hoffen, daß der General etwas für die österreichische Küche übrig hatte. Da zwischen Frankreich und Österreich im Vorjahr der Frieden von Campo Formio geschlossen worden war, hatten die beiden Brüder, im Gegensatz zu vielen anderen Angehörigen Frankreich nicht freundlich gesinnter Staaten, Kairo nicht verlassen. Ihr Gasthaus aufzugeben wäre für sie wohl zu schmerzlich gewesen.

Anschließend suchte ich ein Tuchwarengeschäft auf, um für Ourida neue Kleider zu kaufen. Zeineb hatte ihr ein paar abgetragene Fetzen überlassen, aber die erschienen uns für einen Anlaß wie diesen zu wenig rep-räsentativ. Ich war nicht eben erfahren darin, Kleider für eine Frau zu kaufen; das gehört zu den Dingen, auf die man in einer Klosterschule nicht vorbereitet wird.

Die Fülle der verschiedenen Schnitte und Stoffe verwirrte mich mehr, als mir bei meiner Entscheidung zu helfen. Fast wünschte ich, Ourida wäre mitgekommen, um selbst eine Auswahl zu treffen. Aber außerhalb unseres Hauses war sie in zu großer Gefahr, solange wir nicht wußten, ob in Kairo noch weitere Meuchelmörder ihr Unwesen trieben.

Doch es half mir, an Ourida zu denken. Ich stellte mir vor, welche Kleider sie wohl anziehen würde, und entschied mich schließlich für einige schlichte, aber elegante Modelle. Einen Hang zum Pompösen, zum Herausgeputzten konnte ich mir bei Ourida beim besten Willen nicht vorstellen. Der einzige Schmuck, den sie trug, war die Silberkette mit dem Rosenanhänger.

Ihre natürliche Schönheit bedurfte keines äußerlichen Aufwandes. Ich erwarb zwei Kleider europäischen und drei orientalischen Zuschnitts, und danach sah es in meinem Geldbeutel noch trauriger aus.

Zurück in unserem Haus, wo die Diener emsig mit Putzen und Fegen beschäftigt waren, wollte ich mich sogleich vergewissern, ob ich die richtige Wahl getroffen hatte. Sorgsam darauf bedacht, das Kleiderpaket nicht fallen zu lassen, klopfte ich an Ouridas Tür. Sie öffnete und blickte mich erstaunt an.

»Etwas zum Anziehen für Sie, Mademoiselle«, sagte ich ungelenk. »Wir erwarten heute abend einen hohen Gast und dachten, Sie möchten für diese Gelegenheit vielleicht etwas Neues haben.« Ich streifte das dunkle, abgewetzte Kleid von Zeineb, das Ourida trug, mit einem kurzen Blick. »Die Kleider unserer Dienerin haben ihre besten Tage längst hinter sich.«

Ob sie mich verstanden hatte, war nicht ersichtlich.

Jedenfalls trat sie einen Schritt zur Seite und ließ mich ein. Täuschte ich mich, oder lag ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht? Ich bildete mir nur zu gern ein, daß sie sich freute, mich zu sehen. Aber vermutlich war sie eher über meinen ungelenken Auftritt amüsiert. Dazu mußte sie nicht einmal meine Sprache verstehen.

Ich legte die Kleider auf dem Bett ab und drehte mich zu Ourida um. »Ziehen Sie davon einfach das an, welches Ihnen am besten gefällt. Mein Onkel und ich erwarten Sie dann zum Abendessen.«

Sie gab mit keiner Regung zu erkennen, ob sie mich verstanden hatte. Nun, ich konnte schlecht erwarten, daß sie in meiner Anwesenheit begann, die Kleider der Reihe nach anzuprobieren. Also verließ ich sie, um mich selbst für den Abend herzurichten.

Als ich gerade fertig war, vernahm ich Sergeant Kalfans lautes Organ an der Haustür. Offenbar war er beauftragt worden, die Wachmannschaft vor unserem Haus an diesem Abend zu verstärken, und verlangte nun den Grund zu wissen. Aber mein Onkel weihte auch ihn nicht ein.

Um so größer war Kalfans Erstaunen, als endlich Bonaparte in Begleitung nur weniger Männer die Straße entlanggeritten kam und vor unserem Anwesen hielt.

Außer einer berittenen Wache waren bloß die Generäle Berthier und Lannes bei ihm. Sie folgten ihrem Oberbefehlshaber zum Haus, wo Onkel Jean und ich sie be-grüßten. Bonaparte trug eine feinere Uniform als am Nachmittag, hatte aber kaum einen Orden angelegt.

Mit einer knappen Handbewegung unterbrach er die umständliche Begrüßungsrede meines Onkels. »Lassen Sie uns besser ins Haus gehen, lieber Cordelier. Nehmen Sie es nicht als Unhöflichkeit, aber nach einem langen Tag grollt mein Magen lauter als der Donner unserer Geschütze damals vor Toulon.«

Onkel Jean nahm ihm das keineswegs übel. Bonaparte war für seine direkte Art bekannt. Er nannte Dinge beim Namen, die andere nur umständlich zu umschreiben wagten. Und genauso, hatte ich mir sagen lassen, verhielt er sich auch in der Schlacht. Wo andere Generäle noch zauderten, faßte er blitzschnell seine Entschlüsse und konnte seine Gegner auf diese Weise regelrecht überrumpeln. Als er unser Haus betrat, erforschte sein stets aufmerksamer Blick die Einrichtung; nichts schien ihm zu entgehen. »Schön haben Sie es hier, Cordelier. Ein Glück für uns, daß viele uns weniger wohlgesinnte Europäer Kairo vor unserer Ankunft fluchtartig verlassen haben. Ohne ihre Häuser und ihr Mobiliar bliebe uns so mancher Luxus versagt.«

Wir setzten uns an den gedeckten Tisch im Salon, aber ein Stuhl blieb leer.

Bonaparte heftete seinen Blick auf diesen Stuhl. »Ich vermisse den Gast, den Sie in Ihrem Haus beherbergen, Professor. Die junge Dame, von der Sie mir so wunder-liche Dinge berichtet haben, wird doch nicht unpäßlich sein?«

»Ich glaube nicht, General. Vermutlich ist sie einfach noch nicht fertig. Ich werde gleich nach ihr schicken.«

Rasch erhob ich mich. »Bemühen Sie sich nicht, Onkel, ich erledige das.«

Ich begab mich zu Ouridas Zimmer, und sie öffnete mir, wie schon am Nachmittag, nach kurzem Anklop-fen. Einen Moment lang hatte ich befürchtet, sie würde die neuen Kleider verschmähen, aber dem war nicht so.

Sie trug tatsächlich eins der Gewänder, für die ich meinen Geldbeutel so strapaziert hatte: ein blaßblaues, mit gelber Stickerei verziertes Kleid orientalischen Zuschnitts, dem allerdings auch ein gewisser abendländischer Einfluß anzumerken war.

»Möchten Sie mich zum Abendessen begleiten, Mademoiselle?« fragte ich und spürte zugleich das Absur-de der Situation. Wir befanden uns mitten in Kairo, fern der Heimat und ihren Sitten. Vor mir stand eine Frau unbekannter Herkunft, die vermutlich keins meiner Worte verstand. Ich aber verhielt mich, wie es sich in einem Pariser Salon geschickt hätte.

Auch wenn Ourida meine Sprache nicht verstand, wußte sie doch, was ich wollte, und kam mit mir zu meinem Onkel und unseren Gästen, die sich bei ihrem Eintreten allesamt erhoben. Auf den Gesichtern der drei Generäle sah ich nicht nur Neugier, sondern auch Erstaunen, vielleicht gar Bewunderung. Ouridas Schönheit und ihre – wie mir schien – majestätische Erscheinung verfehlten ihre Wirkung auch bei ihnen nicht.

Bonaparte umrundete den Tisch, blieb vor ihr stehen und küßte ihr die Hand. »Mademoiselle, ich bin entzückt. Allein schon um Ihrer Bekanntschaft willen hat es sich gelohnt, heute abend hierherzukommen.«

In mir begann es zu brodeln. Hegte er Ourida gegenüber irgendwelche Absichten? Es war allgemein bekannt, daß er kein Frauenverächter war. Da seine Gemahlin Josephine ebensowenig als Kostverächterin galt und man munkelte, die in Paris Zurückgebliebene setze ihrem Angetrauten fortwährend Hörner auf, fand niemand das Gebaren Bonapartes anstößig. Es gab Ge-rüchte, denen zufolge in den Uniformen einiger der Soldaten, die ständig um ihn waren, junge Frauen steckten.

Zum Glück traten in diesem Augenblick unser österreichischer Koch und Zeineb ein, um uns eine Muschel-suppe zu kredenzen. Wir nahmen Platz, wobei Ourida zwischen Bonaparte und meinem Onkel saß. Obgleich es lächerlich war, sorgte ich mich wegen dieser Sitzord-nung, weil ich mich nicht in der Lage sah, Ourida im Notfall beizustehen. Während der Suppe erörterten Bonaparte und mein Onkel einige Fragen, die unser Wüstenabenteuer betrafen. Ich konnte der Unterhaltung nicht recht folgen, weil der neben mir sitzende Berthier mich in ein eigenes Gespräch über den Tempel verwickelte. Bonapartes Stabschef schien sich sehr für das Bauwerk zu interessieren.

Nachdem als zweiter Gang eine Fischtorte serviert worden war, versuchte Bonaparte mehrfach, Ourida in das Gespräch einzubeziehen, indem er einfache, kurze Fragen an sie richtete. Sie aber sah ihn nur verständnislos an. Als er partout nicht aufgeben wollte, richtete sich ihr hilfesuchender Blick auf mich. Gern sprang ich in die Bresche und beantwortete, so gut ich konnte, die Fragen, die eigentlich ihr gegolten hatten. Bonaparte nahm das mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis.

»Auf jeden Fall«, sagte er während des dritten Ganges, gebratenem Fisch in Rahm, »sollten wir jenen Tempel genauer erkunden. Ob die Vorgänge dort eine Gefahr für uns darstellen, läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer sagen. Aber wer gemeine Mörder in diese Stadt schickt, kann nicht ungefährlich sein. Was auch immer das Geheimnis des verborgenen Tempels ist, wir sollten es lüften! Eine Aufgabe für Sie, Professor Cordelier. Diesmal werde ich Ihnen eine ganze Kompanie Grenadiere mitgeben, damit Sie nicht noch einmal fürchten müssen, Ihr Leben an diese seltsamen Ritter zu verlieren.«

Onkel Jean zeigte sich angesichts der Aufgabe höchst erfreut, aber ich konnte seine Gefühle nicht teilen. Für mich stand fest, daß ich an der Expedition teilnehmen würde. Doch sosehr ich auch darauf brannte, das Geheimnis des Tempels zu ergründen, schwerer wog für mich der Umstand, daß ich Ourida verlassen sollte.

Allein die Vorstellung, nicht mehr in ihrer Nähe sein zu können, schmerzte mich. Die Aussicht, ihr nicht beistehen zu können, falls sie in Gefahr geriet, erfüllte mich mit Sorge und Angst.

Zuletzt wurde eine opulente, mit Konfitüre überzo-gene Mehlspeise gereicht. Nach dem Mahl zog Ourida sich in ihr Zimmer zurück, während wir Herren in der Bibliothek einen Kognak tranken.

Kaum hatten wir einen Trinkspruch auf den heißer-sehnten Sieg über die Engländer ausgebracht, nahm Bonaparte mich beiseite und führte mich hinaus in den Flur, wo wir allein waren. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Hatte der General bemerkt, wie wütend ich ihn angestarrt hatte, als er Ourida Avancen machte? Hatte ich meine Erleichterung und meinen stillen Triumph, als Ourida sich ihm gegenüber gleichgültig zeigte, nicht gut genug verborgen?

Unter seinem Blick fühlte ich mich wie festgenagelt.

»Mir ist aufgefallen, daß zwischen Ihnen, Bastien, und der ebenso schönen wie mysteriösen Wüstenrose eine besondere Verbindung besteht.«

»Wie meinen Sie das, General? Wir kennen einander kaum, und ich kann mich mit ihr ebensowenig unterhalten wie Sie.«

»Und doch ist da etwas zwischen Ihnen beiden! Das Mädchen hat Zutrauen zu Ihnen gefaßt. Fühlt es sich in die Enge getrieben, sucht es Halt bei Ihnen. Dieses Ver-trauensverhältnis kann uns sehr dienlich sein. Möchten Sie mir helfen, Bastien?«

»Sehr gern, ich weiß nur nicht, wie.«

Bonaparte schnupperte an seinem Glas, ohne jedoch von dem Kognak zu trinken. »Sicherlich würden Sie Ihren Onkel gern zu jenem Tempel begleiten, um bei den Grabungsarbeiten dabeizusein und sie mit dem Zeichenstift zu dokumentieren.«

»Selbstverständlich«, sagte ich, bemüht, meine Abneigung dagegen, Kairo und damit Ourida zu verlassen, zu verbergen.

»Trotzdem möchte ich Sie bitten, in Kairo zu bleiben und sich um Ourida zu kümmern. Sie müssen möglichst viel Zeit mit ihr verbringen und ihr Sprachunterricht erteilen. Auf diese Weise kommen wir vielleicht hinter ihr Geheimnis.«

»Wie Sie befehlen, Bürger General«, entgegnete ich, jetzt in überschwenglicher Stimmung, die ich jedoch ebenfalls vor Bonaparte verheimlichte.

»Ich wußte, daß ich mich auf Sie verlassen kann.

Und wenn Sie etwas über den Tempel oder die Ritter dort in Erfahrung bringen, scheuen Sie sich nicht, sich direkt an mich zu wenden.«

»Natürlich. Aber es wird schwer sein, glaube ich.«

Bonaparte lächelte verschwörerisch. »Ein aufge-weckter junger Mann wie Sie wird schon einen Weg finden. Bringen Sie Ourida unsere Sprache bei, unterhalten Sie sich mit ihr über harmlose Dinge, und dann stellen Sie ihr mittenhinein eine Frage über den Tempel!«

Meine gute Laune verflog schlagartig. Ich fühlte mich miserabel bei dem Gedanken an das, was Bonaparte von mir verlangte. Schlecht und gemein gegen Ourida. In erster Linie würde ich nicht Sprachlehrer sein, sondern Bonapartes Spion!