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Ich erfuhr nicht, ob Arne an diesem Freitag mit Elisa und den Geschwistern Vandamme zur »Happy Hour« in den Reitklub fuhr. Wir redeten nicht darüber und ich wollte es auch nicht wissen. Wir waren beide ziemlich schweigsam, als wir abends die Pferde fütterten, und das lag sicher nicht nur an Elisas Gegenwart.
Erst ein paar Tage später sagte Arne wie beiläufig: »Übrigens, du brauchst keine Angst zu haben, dass wir bei den Reitstunden noch mal Zuschauer kriegen. Ich hab das geregelt.«
Am liebsten hätte ich alles vergessen und kein Wort mehr darüber verloren, aber das war natürlich keine Lösung. »Geregelt?«, wiederholte ich. »Wie denn? Was hast du gemacht?«
»Ich hab den Vandammes gesagt, dass wir beim Reitunterricht keine Zuschauer brauchen können.«
Wir sammelten gerade Mist von der Koppel und ich bohrte mir um ein Haar einen Zinken der Mistgabel in die große Zehe. »Echt? Und das haben sie verstanden?«
»Ob sie’s kapiert haben, weiß ich nicht, aber gehört haben sie es jedenfalls, und ich denke, sie werden sich auch daran halten.«
Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. »Danke!«, murmelte ich.
»Du brauchst dich nicht zu bedanken.« Arne schob die Schubkarre vor sich her und sah mich mit gerunzelter Stirn von der Seite an. »Das war kürzlich echt eine beschissene Situation. Ich hätte sie am liebsten alle drei in die Pampa geschickt. So was kann einem jede Freude am Reiten vermiesen. Dieser Erik ist ein aufgeblasener, hohlköpfiger Wicht.«
Von Lily sagte er nichts. »Deiner Schwester scheint er zu gefallen«, erwiderte ich nur.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich hab’s dir doch gesagt, sie hat keine Spur von Menschenkenntnis. Und sie lässt sich von solchen gelackten Typen leicht blenden. Wahrscheinlich muss sie erst noch ein paar üble Erfahrungen machen, um gewisse Leute besser einordnen zu können.«
Damit war das Thema erledigt und es ging mir jetzt besser damit. Lily und Erik kamen auch weiterhin auf ihren Ausritten an Eulenbrooks Koppeln vorbei, manchmal mit Elisa, manchmal ohne sie, und meistens machten sie halt und unterhielten sich mit Arne.
Eines Nachmittags saß ich wieder auf Fees Rücken und übte den Wechsel vom Schritt zum Trab und vom Trab zum Galopp, als die Vandammes mit ihren Pferden am Waldrand auftauchten.
Doch sie ritten vorbei und winkten uns nur aus der Ferne zu.
Elisa ging mir aus dem Weg. Bis vor Kurzem hatte sie sich einfach nicht um mich gekümmert und versucht, mich zu übersehen, so gut es ging. Jetzt wich sie mir eindeutig aus. Wenn wir uns zur Fütterungszeit auf der Koppel oder im Futterschuppen begegneten, grüßte sie mich kaum und sah mit abweisendem Gesicht an mir vorbei.
Sicher machte sie mich dafür verantwortlich, dass sich die Dinge zwischen ihrem Bruder, Lily und Erik nicht so entwickelten, wie sie sich das wünschte.
Ich hatte in dieser Hinsicht bestimmte Vermutungen, mit denen ich wahrscheinlich nicht ganz falsch lag. Am liebsten wäre es Elisa wohl gewesen, wenn Arne ebenfalls Mitglied im Reitklub Dianenruh geworden wäre und wenn sich zwischen ihm und den Vandamme-Geschwistern eine Freundschaft entwickelt hätte. Sie und Erik, Arne und Lily - das war es vielleicht, was ihr vorschwebte. Doch Arne machte bei diesem Spiel nicht mit. Ich war sicher, dass seine Zurückhaltung nichts mit mir zu tun hatte. Elisa aber schien anderer Meinung zu sein.
Eines Tages hörte ich, wie sie zu Arne sagte: »Kann sie nicht anderswo Reitunterricht nehmen? Es reicht doch wohl, dass sie Lara bei uns untergestellt hat …«
Vielleicht hatte sie wirklich nicht bemerkt, dass ich gerade in der Nähe stand, aber ich glaubte es nicht. Arne reagierte ungewöhnlich scharf.
»Das ist meine Sache!«, erwiderte er halblaut. »Misch dich da nicht ein! Du machst auch allerhand, was ich nicht gut finde, und ich rede dir nicht dazwischen. Übrigens hat Rikke mir mit den Pferden und der Arbeit auf der Koppel viel mehr geholfen als du, seit wir in Eulenbrook sind …«
Mehr hörte ich nicht. Später, als wir Laras Hufe mit der Heilsalbe behandelten, sagte Arne zu mir: »Du hast es mit angehört, nicht?«
Als ich nickte, fügte er hinzu: »Nimm’s nicht persönlich. Ich glaube, dahinter stecken ganz andere Dinge.«
Das glaubte ich auch. Trotzdem war es persönlich gemeint und das wusste er genauso wie ich.
»Elisa mag mich nicht«, sagte ich leise.
Er leugnete es nicht ab. »Anfangs war sie eifersüchtig«, erklärte er. »Sie hatte hier ja keinen außer Paps und mir und ich hab mich ihrer Meinung nach nicht genug um sie gekümmert. Sie war unglücklich, aber was hätte ich machen sollen? Sie hat mir übel genommen, dass ich mit dem Umzug besser klargekommen bin als sie und dass ich so viel Zeit mit dir verbracht habe.«
Während er redete, hatte er den Blick abgewandt. Eine seltsame Stimmung schwang zwischen uns, eine Art Scheu oder Verlegenheit, als hätten wir ein verbotenes Thema berührt.
»Und jetzt geht es um diese komischen Vandammes. Elisa meint, ich müsste die beiden genauso cool finden wie sie und vor Begeisterung im Viereck springen, weil sie uns mit ihrer Gunst beglücken.« Arne schnitt eine spöttische Grimasse. »Ich glaube, sie hat Angst, dass Lily sie wieder fallen lässt, wenn ich mich weiter so abweisend verhalte.«
Ich hatte mich also nicht geirrt. »Das wird sie nicht tun, wenn ihr wirklich etwas an Elisa liegt.«
»Sicher. Das ist eben die Frage.«
»Leute wie die Vandammes sind daran gewöhnt, immer alles zu kriegen, was sie haben wollen«, sagte ich nach kurzem Schweigen.
»Dann müssen sie endlich lernen, dass nicht jeder käuflich ist oder sich von ihrem Geld und ihrem großspurigen Auftreten blenden lässt.«
Ich dachte daran, wie herablassend, fast verächtlich sie mich behandelt hatten. Der Stachel saß tief und hatte mein ohnehin schwaches Selbstbewusstsein ziemlich angekratzt. Arne ahnte natürlich, dass ich die Erfahrung noch nicht verarbeitet hatte.
»Man muss lernen, sich von solchen Typen abzugrenzen«, sagte er. »Ich glaube, es ist wichtig, dass man seinen eigenen Wert kennt und sich nicht jeden Mist reinzieht, den andere ablassen. Klar ist es ätzend, wie sie sich dir gegenüber verhalten haben, aber das sagt eine Menge über sie aus. Sie disqualifizieren sich damit nur selbst.«
»Disqualifizieren«, das Wort gefiel mir. Es passte gut.
»Wenn man seinen eigenen Wert nicht kennt, kann jeder schwachköpfige Fuzzi auf einem herumtrampeln und einen zerquetschen wie eine Laus«, fügte Arne hinzu. »Das hab ich gelernt. Mach’s doch wie ich, ich nehme solche Typen wie Erik und Lily einfach nicht ernst.«
Und Elisa?, dachte ich. Was ist mit ihr? Sollte ich sie auch nicht ernst nehmen mit ihrer Abneigung gegen mich und der unausgesprochenen Botschaft, ich sollte am besten verschwinden und mich in Eulenbrook nicht mehr blicken lassen? Doch sie war Arnes Schwester und ich erwähnte nichts mehr davon.
Wir waren wohl beide erleichtert, das Thema wechseln zu können. Es wurde Zeit, dass wir uns wegen Laras Hufen etwas einfallen ließen. Die Strahlfäule war inzwischen fast ausgeheilt, doch jetzt konnten wir eine gründliche Hufpflege nicht länger hinauszögern.
»Ihre Hufe müssen dringend ausgeschnitten werden«, sagte Arne. »Mein Vater hat mich letzte Woche noch mal darauf aufmerksam gemacht. Die Frage ist nur, wer das machen soll. Sie wird weder einen Hufschmied noch einen Tierarzt an sich heranlassen.«
Ich seufzte innerlich, als ich mir Laras Angst vor einer solchen Prozedur vorstellte. »Ja, sie würde die totale Panik kriegen!«
»Wenn es nicht anders geht, muss sie betäubt werden.«
»Nein!«, sagte ich. »So eine Betäubung ist der absolute Hammer, das möchte ich ihr nicht zumuten. Wir müssen eine andere Lösung finden.«
»Meinst du nicht, dass es auch ein Hammer für sie ist, wenn sie vor Angst durchdreht und womöglich gefesselt werden muss, damit sie nicht um sich schlägt oder beißt?«
Mir wurde richtig flau im Magen. »Nein, das eine ist so übel wie das andere. Ich rufe Frau Friedrun an. Sie hat doch Erfahrung mit schwierigen Pferden. Bestimmt kennt sie sich auch mit Hufpflege aus. Vielleicht kann sie kommen und es machen. Lara hat ihr doch einigermaßen vertraut.«
»Schon, aber du weißt, wie sie sich anstellt, wenn man an ihre Hufe geht. An die Salbe hat sie sich inzwischen schon gewöhnt; sie hat begriffen, dass es ihr nicht wehtut, wenn wir sie auftragen. Aber das Ausschneiden des Horns ist eine andere Sache …«
»Ich rufe sie an«, sagte ich noch einmal. »Wenn es jemand machen kann, dann sie!«
Arne seufzte. »Okay, versuch es. Aber eine kurze Betäubung ist meiner Meinung nach immer noch das kleinere Übel. Das Ausschneiden der Hufe wäre für Lara ein richtiger Gewaltakt. Wir können ihr ja nicht klarmachen, dass ihr keiner etwas Böses antun will. Möglicherweise verliert sie dadurch wieder das Vertrauen zu uns. Willst du das riskieren?«
Ich grübelte den ganzen restlichen Tag über dieses Problem nach und war nachmittags im Laden meines Vaters so geistesabwesend, dass ich einer Kundin falsch herausgab. Zum Glück machte sie keinen Aufstand.
»Du musst besser aufpassen, Rikke!«, sagte mein Vater hinterher. »Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«
Ich sagte ihm nicht, dass sie bei Lara waren, das hätte ihn nur gegen sie aufgebracht. Lara war sowieso immer noch ein heikles Thema zwischen uns. Er fand, dass ich mir mit ihr nur Schwierigkeiten aufgehalst hatte, dass sie zu viel Geld und Zeit kostete und mich vielleicht auch davon abhielt, mich richtig auf die Schule zu konzentrieren.
Nur meiner Mutter vertraute ich später alles an, während mein Vater vor dem Fernseher saß und sich die Nachrichten ansah.
»Rede mit dieser Frau Friedrun«, riet sie mir. »Das scheint eine Frau zu sein, die gut mit Pferden umgehen kann. Sie hat Lara doch auch gleich das richtige Mittel gegen die Durchfälle gegeben. Und wenn sie sagt, dass Lara betäubt werden muss, solltest du das auch akzeptieren.«
»Ich find’s einfach nicht gut, dass wir Menschen so über die Tiere bestimmen«, murmelte ich. »Wir beschließen, was mit ihnen passiert, und sie müssen es über sich ergehen lassen, ganz gleich, ob wir sie klonen oder medizinische Versuche mit ihnen machen oder sie ins Schlachthaus bringen.«
Mama wollte gerade einen Teller in den Schrank stellen und hielt mitten in der Bewegung inne. »Aber das kannst du doch nicht vergleichen! Wenn Lara die Hufe ausgeschnitten werden, ist das schließlich nur zu ihrem Besten, damit sie wieder gesunde Hufe hat und ohne Beschwerden herumlaufen kann, so wie die anderen Pferde. Das ist eine Entscheidung, die du für sie treffen musst, weil sie es selbst nicht kann. Und wenn sie betäubt wird, tut ihr das auch nur, um ihr den schlimmsten Stress zu ersparen.«
Ich nahm das Mobiltelefon mit in mein Zimmer. Bei Frau Friedrun meldete sich nur der Anrufbeantworter. Gegen neun erreichte ich sie endlich, und sie hörte sich meine Zweifel und Befürchtungen wegen Lara an, ohne mich zu unterbrechen.
»Ich schicke dir ein homöopathisches Mittel für deine Stute, das sie ruhiger macht und ihr die Angst nehmen wird«, sagte sie dann. »Das gibst du ihr zweieinhalb Tage lang. Ich lege einen Zettel bei, auf dem steht, wie oft du ihr die Globuli geben sollst und wie viele. Wenn ich das Mittel morgen früh mit der Post losschicke, müsste es übermorgen bei dir sein, also am Mittwoch. Dann gibst du ihr gleich nachmittags und abends etwas davon und dann noch Donnerstag und Freitag. Am Samstag komme ich und wir versuchen es mit den Hufen. Ich denke, es geht auch ohne Betäubung.«
Rasch sagte ich: »Hätten Sie am Samstag nach zwei Uhr Zeit? Vormittags helfe ich meinem Vater im Laden. Ich verdiene mir damit das Geld für Laras Unterhalt.«
Sie sah in ihrem Terminkalender nach. »Um halb drei könnte ich kommen. Gib Lara morgens ruhig noch etwas von dem Mittel, das ich dir schicke. Wir kriegen das schon hin, mach dir keine Sorgen.«
Erleichtert legte ich auf. Nachts hatte ich einen wunderbaren Traum, in dem ich auf Lara durch eine blühende Landschaft ritt, schnell wie der Wind. Wir kamen zu einer Schlucht, in der Quellen über bemooste Felsen in steinerne Becken sprudelten. Das Wasser funkelte wie edles Geschmeide, türkisfarben und smaragdgrün. Von überall her kamen Tiere, um zu trinken - Luchse und Hasen und Rehe, Wölfe und Eisvögel und Braunbären; und alle waren friedlich und ohne Angst.
Ich wusste, das war das Paradies. Auch Lara zeigte keinerlei Furcht. Ich schwang mich aus dem Sattel und führte sie zu einem der Becken, die das Wasser aus dem Stein gehöhlt hatte. Zwischen all den Tieren beugten wir uns über den Rand, um zu trinken.
Ich schöpfte das Wasser mit der hohlen Hand; es hatte einen unvergleichlichen Geschmack, besser als alles andere, was ich je getrunken hatte. In der Tiefe glitzerten Bergkristalle, und ich sah mein Spiegelbild, umgeben von den sanften, geheimnisvollen Tiergesichtern.
Plötzlich zerfloss das Gesicht eines Rehs und verwandelte sich in Ronjas Gesicht - ihre dunklen Augen, ihr lächelnder Mund, ihr goldbraunes Haar. Ich richtete mich auf und da stand sie zwischen Lara und mir, streckte die Hand aus und berührte meine Wange.
»Ronja!«, sagte ich. »Das ist Lara.«
»Ich weiß«, erwiderte sie und lachte. »Ich hab sie dir doch geschickt!«
»Wo warst du die ganze Zeit?«, fragte ich.
»Hier«, sagte sie.
Dann wachte ich auf und merkte, dass ich in meinem Bett lag und allein war. Im Zimmer herrschte Finsternis. Ich hörte die Kirchturmuhr dreimal schlagen, schloss die Augen, drückte das Gesicht ins Kissen und versuchte, wieder einzuschlafen und den schönen Traum weiterzuträumen. Doch ich fand den Weg in das paradiesische Land nicht mehr zurück und Ronja kam nicht wieder.
Morgens holte mich meine Mutter aus dem Bad und sagte, Arne Theisen wäre am Telefon und wollte mich sprechen.
Lara!, dachte ich sofort. Irgendwas ist mit Lara passiert, sie ist krank geworden oder er hat sie tot auf der Koppel gefunden...
Doch es ging um Jago. Jago war fort.