10
Obwohl ich nachmittags lange in der Badewanne gelegen hatte, tat mir am nächsten Morgen von der Hüfte abwärts alles weh, besonders die Pobacken und die Innenseiten der Schenkel.
Meine Eltern waren richtig froh, das sah ich ihnen an. Sie fragten, wie der Reitunterricht gewesen sei und ob er mir Spaß gemacht hätte. Vor allem erkundigten sie sich nach Arne Theisen.
»Es ist kaum zu glauben, dass er kein Geld verlangt!«, sagte mein Vater. »Besonders heutzutage, wo man für jede Kleinigkeit zahlen muss. Hoffentlich will er nicht was anderes von dir?«
Ich musste lachen. »Nein, du, bestimmt nicht. So ein Typ ist er nicht.«
Er sah mich zweifelnd an. »Aber irgendwie müssen wir uns schon revanchieren, das geht so nicht.«
»Ich helfe ihm doch mit dem Koppelzaun.«
»Trotzdem. Wenn du jetzt wirklich regelmäßig Reitunterricht bekommst, müssen wir uns etwas überlegen.«
»Vielleicht könnte Rikke ihm etwas für die Pferde schenken«, schlug meine Mutter vor. »Irgendein besonderes Futter oder eine schöne Pferdedecke. Überleg doch mal, Rikke. Es muss ja nicht sofort sein.«
Ich dachte, dass ich Arne eine größere Menge Pferdepellets geben konnte. Vielleicht kam mir auch noch eine andere Idee für ein Geschenk, wenn ich ihn erst besser kannte. Außerdem hatte ich so eine Ahnung, dass das mit dem Zaun ein ziemliches Stück Arbeit werden würde.
Und das war es auch. Nicht so sehr der neue Zaun. Viel stressiger war es, den alten Stacheldraht zu entfernen.
Arne hatte gleich mehrere Paar Arbeitshandschuhe besorgt. Er war schon mit einer Zange unterwegs und zwickte den Draht in Abständen von ungefähr fünfzig Zentimetern ab.
Seine Schwester war nirgends zu sehen, aber die drei Pferde grasten friedlich auf der Koppel, dicht bei der alten Schutzhütte, und Bonnie sprang mir kläffend entgegen.
Arne schien sich zu freuen, als er mich kommen sah. »Hi!«, sagte er und lächelte sein verstecktes Lächeln. »Das wird leider eine ziemlich heftige Schufterei. Der Draht ist höllisch stark. Überleg dir gut, ob du wirklich mitmachen willst. Es ist echt keine angenehme Arbeit.«
Ich kniete neben Bonnie und fütterte sie mit einem Stück Leberwurst, das ich beim Frühstück für sie eingesteckt hatte. Sie fraß es mit begeistertem Schmatzen, versuchte, mich dann zu küssen und mir die Hände abzulecken.
»Was ich versprochen habe, halte ich auch«, erwiderte ich.
In der Nähe des Koppelgatters, das zum Glück aus Holzlatten bestand, lagen mehrere große Rollen Draht, der mit grünem Kunststoff ummantelt war. Arne gab mir Handschuhe und eine Zange.
»Ich hab die stärksten Arbeitshandschuhe genommen, die ich kriegen konnte«, sagte er. »Aber pass auf, die Stacheln bohren sich durch, wenn man nicht richtig hinfasst.«
Mit der Zange versuchte ich, den alten Draht aus den Verankerungen an den Zaunpfosten zu lösen. Es ging ganz gut, aber ich lernte den Stacheldraht bald hassen, als ich ihn aufrollte. Er war widerspenstig und rostig und immer wieder pikte ich mich an den Stacheln. Es war ein richtiger Kampf. Das Abzwicken, wie Arne es machte, hatte allerdings auch seine Tücken. Man brauchte jede Menge Kraft, um die Zange zu handhaben.
Wir stöhnten beide abwechselnd, schwitzten und schimpften auf die Stacheldrahtmafia. Zum Glück spendeten die Bäume Schatten, doch da, wo die Sonne durch das Laubdach schien, wurde es bald unerträglich heiß. Auch die Fliegen, angelockt von den Pferden, begannen, lästig zu werden.
Nach ungefähr einer Stunde Schufterei tauchte Arnes Schwester Elisa auf und wurde von Bonnie stürmisch begrüßt. Sie nickte mir zu und murmelte etwas Unverständliches, kam aber nicht in meine Nähe und gab mir auch nicht die Hand.
»Besonders weit seid ihr ja noch nicht gekommen«, sagte sie nur.
Ich ärgerte mich, aber Arne blieb cool. »Fang erst mal an, dann siehst du schon, ob du schneller vorwärtskommst als wir«, erwiderte er. »Die Handschuhe und eine Zange liegen beim Gatter.«
Robin, der Rotfuchs, trabte zu uns herüber, als er Elisa sah. Sie streichelte ihn und rieb ihn zum Schutz gegen die Fliegen und Bremsen mit Citronell-Öl ein. Vielleicht mochte sie Pferde ja lieber als Menschen. Jedenfalls verhielt sie sich so. Oder konnte es sein, dass sie mich einfach unsympathisch fand?
Verstohlen beobachtete ich sie. Sie sah mit ihrer gebräunten, samtig schimmernden Haut, den langen silberblonden Haaren und der kleinen, kindlichen Nase wirklich gut aus. Nur ihre Augen waren seltsam - ein verwaschenes Graublau, das mich an Nebelschwaden erinnerte. Arnes Augen dagegen hatten einen warmen Braunton mit Sprenkeln darin, die in der Sonne golden wirkten.
Elisa fing ein ganzes Stück von uns entfernt zu arbeiten an. Nach einer Weile hörte ich sie sagen: »Das ist echte Sklavenarbeit. Warum lassen wir keine Handwerker kommen?«
»Weil wir dafür nicht auch noch Geld ausgeben können«, erwiderte Arne leicht genervt. »Der Umbau des Hauses kostet schon mehr als genug.«
Jago, der Apfelschimmel, wälzte sich in einer Mulde unter den Erlen. Er streckte die langen, knochigen Beine in die Luft und scheuerte seinen Rücken im Gras. Man sah ihm richtig an, wie wohl er sich fühlte.
Bonnie wühlte in einem Maulwurfshügel. Es wurde von Minute zu Minute heißer, selbst im Schatten der Bäume. Meine Hände waren feucht und klebrig in den dicken Handschuhen.
Schließlich legte Arne die Zange weg, streifte seine Handschuhe ab und sagte, er hätte Mineralwasser und kalten Pfefferminztee mitgebracht.
Ich war froh über die Pause. Meine Handgelenke schmerzten und einer meiner Daumen blutete. Noch hatten wir erst knapp die Hälfte des Stacheldrahts entfernt. Arne gab mir ein Tütchen mit einem Wundreinigungstuch, damit ich den Riss am Daumen säubern konnte. Er hatte an alles gedacht. In seinem Rucksack waren auch Rosinenbrötchen und Butterbrezen.
»Die Butter hab ich ganz dünn gestrichen«, sagte er mit einem Lächeln. »Extradünn!«
Wir setzten uns ins Gras unter den Erlen. Bonnie und die Pferde kamen, um sich ihren Anteil an den Rosinenbrötchen zu holen, und wir verjagten die Fliegen, die den Pferden mit bösartiger Hartnäckigkeit um die Augen schwirrten. Als wir gerade nicht hinsahen, fraß Bonnie eine ganze Butterbreze.
Elisa trank nur Mineralwasser. Dann legte sie sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. Ein mürrischer Ausdruck lag auf ihren ebenmäßigen Zügen.
»Was macht der Muskelkater?«, fragte Arne.
»Es ist auszuhalten«, sagte ich.
»Möchtest du denn weitermachen?«
»Ja«, sagte ich. »Ich will’s versuchen. Wenn ich dich nicht zu sehr nerve.«
Unvermittelt sprang Elisa auf. »Ich hab jetzt keinen Bock mehr!«, murmelte sie. »Wenn ihr noch arbeiten wollt, bitte.«
»Du weißt, dass das ziemlich unfair ist.« Wie immer blieb Arne ruhig, aber ein Muskel an seiner Kinnlade zuckte und verriet mir, dass er sich einfach nur zusammennahm.
Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu und schüttelte ihr Haar mit einer selbstbewussten Bewegung zurück, lässig wie ein Model bei einem Fototermin.
»Dafür versorge ich abends die Pferde und putze sie.«
»Danke, aber um Fee brauchst du dich nicht zu kümmern. Das mach ich lieber selbst.«
Elisa zuckte mit den Schultern. »Auch recht. Ich reite jetzt mit Robin zum See. Wie ich diese Affenhitze hasse!«
Arne gab keine Antwort. Ich trank meinen letzten Schluck Tee und beobachtete, wie Elisa ihren Rotfuchs über die Koppel führte. Mit hängendem Kopf trottete er neben ihr her. Wahrscheinlich wäre er lieber bei den anderen Pferden geblieben und hätte im Schatten gedöst. Auch Bonnie schien keine Lust auf einen Spaziergang zu haben. Obwohl Elisa nach ihr rief, blieb sie bei uns liegen, den Kopf auf den Vorderpfoten, und verdaute die Breze.
Später gingen Arne und ich zum Bach am anderen Ende der Koppel. Es war ein kleiner Nebenarm unseres Wildbachs, dessen Quelle irgendwo in den nahen Bergen entsprang. Im Sommer führte der Bach nur wenig Wasser, doch er war immer klar und ziemlich kalt, sogar jetzt.
Wir wuschen unsere Gesichter, Arme und Beine und tauchten die schmerzenden, geschwollenen Hände lange ins Wasser. Nach einer Weile erschien auch Fee am Bach, um zu trinken, und mit ihr der Apfelschimmel Jago, der Arnes Vater gehörte. Er war ein schwerer, knochiger Wallach, ziemlich schreckhaft und total auf Arnes Vater fixiert, wie Arne erzählte.
»Jago würde schon nicht mehr leben, wenn wir ihn nicht gekauft hätten«, sagte er. »Er leidet an Hufrollenentzündung, einer chronischen Entzündung des Hufgelenks, und kann kaum noch geritten werden. Seine frühere Besitzerin wollte ihn unbedingt loswerden. Sie hatte ihn schon halbwegs einem Händler versprochen, der in unserer Gegend Pferde aufkaufte und zum Schlachten nach Frankreich brachte. Irgendwie kommt es mir so vor, als hätte Jago begriffen, dass mein Vater ihn gerettet hat. Er hängt unheimlich an ihm, mehr, als ich das je bei einem Pferd erlebt habe.«
Mir gegenüber war Jago total misstrauisch. Er kam nicht in meine Nähe und beobachtete mich argwöhnisch, ehe er den Kopf senkte und trank. Fee dagegen platschte dicht neben mir im Wasser herum, schnaubte und prustete und scharrte spielerisch mit dem Vorderhuf zwischen den Steinen.
Bonnie hatte sich flach in eine Vertiefung gelegt, die wie ein kleiner Teich zwischen Baumwurzeln entstanden war.
»Sie ist total verrückt aufs Wasser«, sagte Arne. »Ich hab überlegt, ob ich den Bach irgendwo stauen könnte, damit sich eine Art Weiher bildet. Im nächsten Sommer vielleicht.«
Wir beschlossen, uns heute nicht länger mit dem Stacheldraht abzuplagen, sondern stattdessen den neuen grünen Draht zwischen die Pfosten zu spannen. Das ging vergleichsweise leicht, auch wenn der Draht immer wieder ringförmig in seine ursprüngliche Form zurückschnellen wollte. Wir befestigten ihn an den alten Haken, die noch in den Zaunpfosten steckten.
Mittlerweile fühlten sich meine Hände richtig taub an, aber ich hielt durch. Die Koppel musste eingezäunt sein, damit die Pferde dort unbeaufsichtigt weiden konnten, das wusste ich; und ich wollte Arne nicht mit dem Rest der Arbeit alleinlassen.
Am späten Nachmittag war eine Hälfte der Weide mit Stacheldraht und die andere mit einfachem grünem Draht umfriedet. Wir waren beide total geschafft.
»Mann!«, sagte Arne und streckte sich. »So hab ich schon lange nicht mehr geschuftet. Und du hast mit durchgehalten! Sicher bist du fix und fertig.«
»Es geht so. Aber irgendwie spüre ich meine Hände nicht mehr.«
Die Bewunderung in seinen Augen tat mir gut. »Gibt’s hier irgendwo in der Nähe eine Gartenwirtschaft?«, fragte er.
Ich nickte. »Die Alte Mühle. Aber da wird jetzt unheimlich viel Betrieb sein.«
»Wir finden schon einen Platz. Kommst du mit? Wir trinken was und essen eine Kleinigkeit. Ich lade dich ein.«
Ich hatte keinen Hunger, aber umso mehr Durst. Wir gingen noch einmal zum Bach, wateten darin herum und wuschen uns, so gut es ging.
Arne füllte seine Mineralwasserflasche und goss sich das Wasser über den Kopf. Er sah nett aus, wie er dastand und lachte, während ihm das Wasser übers Gesicht lief.
Bonnie verfolgte eine Libelle, und als Arne ins Gebüsch verschwand, um zu pinkeln, wie er locker verkündete, zog ich rasch mein T-Shirt aus und wusch meinen verschwitzten Oberkörper.
Abends lag ich lange wach im Bett und sah mich selbst hinter Arne auf dem Gepäckträger meines Fahrrads sitzen und auf gewundenen Wegen durch die Felder und den Wald radeln, den warmen Sommerwind im Gesicht, während Bonnie glücklich neben uns herrannte.
Doch mehr als alles andere war mir in Erinnerung geblieben, was Arne im Gasthof zur Alten Mühle zu mir gesagt hatte: »Rikke, ich wüsste ein Pferd für dich.«