17
Die Dunkelheit brach schon herein, als ich mich auf mein altes Fahrrad schwang und nach Eulenbrook fuhr.
Einer der beiden Torflügel stand weit offen, als würde ich erwartet. Ich stieg ab, lehnte das Rad an den Torpfosten und ging in den verwilderten Garten hinein, über den sich langsam die Schatten der Nacht senkten.
Ich hatte nicht geglaubt, dass ich je wieder hierherkommen würde. Eine Drossel sang noch irgendwo in den Baumwipfeln, Grillen oder Zikaden zirpten durchdringend. Das alte Laub, ausgetrocknet von der Hitze des Sommers, knisterte unter meinen Sandalen.
All die vertrauten Düfte umgaben mich wieder, nach Blättern und Blüten und faulendem Holz, nach dem brackigen Wasser des Teichs und den Buchsbaumhecken, die schon lange keiner mehr stutzte. Doch etwas war anders: Als ich mich dem Haus näherte, merkte ich, dass der säuerliche Geruch des alten Gemäuers verschwunden war.
Ein Gerüst umgab die Fassade. Vor der Freitreppe stand ein großer Wohnwagen mit erleuchteten Fenstern.
Zögernd blieb ich stehen, bis Bonnie bellte. Sie kam wie ein goldener Pfeil aus dem Gebüsch geschossen, sprang auf mich zu und umkreiste mich mit freudigem Gekläff.
Die Tür des Wohnwagens öffnete sich. Arnes Vater erschien im Lichtschein. »Bonnie!«, rief er. »Was ist los! Lass bloß die Igel in Ruhe!«
Ich trat einen Schritt vor. »Ich wollte zu Arne«, sagte ich. »Ich bin Rikke Wagner. Es geht um Lara.«
Jetzt tauchte Arne hinter ihm auf. Rasch drängte er sich an seinem Vater vorbei.
»Rikke, du!«, sagte er. »Alles paletti?«
Ich nickte nur, denn meine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Die Tränen stiegen mir in die Augen, aber in diesem Moment war ich so glücklich, dass ich mich nicht schämte, auch dann nicht, als Arne dicht vor mir stand, meine Hand nahm und sie mit seinen beiden Händen umfasste.
»Mann, Rikke!«, sagte er. Seine Stimme klang leise und atemlos. »Ich hab’s kaum mehr zu hoffen gewagt! Bin ich froh …«
»Was für ein Glück für die arme Stute!«, hörte ich Herrn Theisen sagen. Er stand jetzt hinter Arne und lächelte mich an. Im Lichtviereck, das aus der Tür des Wohnwagens kam, sahen sich die beiden verblüffend ähnlich. Herr Theisen wirkte wie ein älterer Bruder seines Sohnes, schmaler und sehr viel ernster und mit einem traurigen Ausdruck in den Augen, die ebenso braun und golden gesprenkelt waren wie die von Arne.
Wir hielten uns noch immer an den Händen. Jetzt weinte ich richtig, ich hätte abheben können vor Freude und Erleichterung. Und doch musste ich dabei auch an Ronja denken, daran, wie schön es gewesen wäre, wenn sie hier neben mir gestanden und alles miterlebt hätte.
Herr Theisen holte ein Windlicht, und wir setzten uns auf die Campingstühle, die in der ungemähten Wiese hinter dem Wohnwagen standen. Es gab Apfelcidre und italienische Kekse mit Mandelstückchen. Elisa tauchte nicht auf.
Natürlich redeten wir über Lara. »Ich rufe morgen früh bei Laras Besitzer an und verhandle mit ihm über den Preis«, sagte Herr Theisen.
»Es wäre schön, wenn ich nicht mehr als fünfhundert Euro zahlen müsste.« Ich spürte, dass ich rot wurde, aber im trüben Schein des Windlichts sah man das hoffentlich nicht. »Und Arne hat gemeint, Lara könnte umsonst bei Ihnen im Stall und auf der Weide stehen.«
»Klar, das ist abgemacht!« Arne nickte mir zu. »Mein Vater weiß Bescheid. Ich hab dir Lara schließlich aufs Auge gedrückt.«
Jetzt musste ich lachen. »Hast du nicht. Es war meine Entscheidung. Als ich sie sah, wusste ich, dass ich sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen kann.«
Ich erwähnte nichts von meinem Gefühl, dass Lara und ich füreinander bestimmt waren und dass sie auf mich gewartet hatte. Das hätte zu dramatisch geklungen. Die Art, wie sie mich angesehen hatte, war eine Sache zwischen Lara und mir, die sonst keiner verstehen konnte. Nur Arne vielleicht. Eines Tages würde ich es ihm sagen.
Irgendwie kam mir dieser Abend seltsam unwirklich vor. Er hatte etwas Magisches, mit den Nachtfaltern, die um das Windlicht flatterten, dem Flug der Fledermäuse über Eulenbrooks Dach, dem Zirpen der Zikaden und dem sternenbedeckten, samtenen Himmel. Bonnie hatte ihren Kopf auf meine Füße gelegt und schnarchte leise.
Herr Theisen versprach, sich um Laras Transport zu kümmern, sobald der Handel abgemacht war. »Arne und ich holen sie mit dem kleinen Pferdeanhänger ab«, sagte er.
»Es wird bestimmt nicht einfach sein«, fügte Arne hinzu. »Für ein überängstliches Pferd wie Lara ist so ein Transport ziemlich stressig. Vielleicht kann Doktor Jansen ihr ein Beruhigungsmittel geben. Ich möchte nicht, dass sie total daneben ist, wenn sie hier ankommt.«
»Kann ich mitfahren?«, fragte ich.
»Sicher.« Arne rettete einen Nachtfalter, der im Glasbehälter des Windlichts um die Kerzenflamme taumelte. »Aber ich warne dich, es wird nicht besonders romantisch werden. Ein Pferd wie Lara gerät leicht in Panik. Und sie hat so viele üble Erfahrungen gemacht, dass sie fast alles als Bedrohung empfindet und bestimmt nicht freiwillig in den Hänger gehen wird.«
»Trotzdem«, erwiderte ich. »Ich will dabei sein. Ich möchte sie nicht allein lassen.«
Eine Nachtigall sang in Eulenbrooks Garten, als Arne und Bonnie mich zum Tor begleiteten.