2
Nachts träumte ich wieder von Ronja. Sie lag
blutüberströmt auf der Straße, das Fahrrad quer über ihren Beinen
und ihrem Becken, um sie herum ein Pulk von neugierigen,
erschrockenen Menschen.
Ich hatte sie in Wirklichkeit nie so gesehen, aber
in meiner Fantasie hatte ich mir die Szene immer wieder ausgemalt.
Und natürlich hatte sich damals rasch herumgesprochen, wie alles
abgelaufen war, denn unsere Stadt war klein, und die Leute kannten
einander.
Ich war erst nach dem Unfall bei Ronja gewesen,
doch da war sie bewusstlos und schon weit fort, in einer anderen
Welt. Wir hatten eine Nacht lang an ihrem Bett gesessen, meine
Eltern und ich, bis sie um drei Uhr morgens zu atmen
aufhörte.
Es regnete, als ich aus dem Bett stieg und ans
Fenster trat. Das Fensterbrett war nass. Ich stand eine Weile da,
spürte die Tropfen auf meiner Haut, die der Wind hereintrieb, und
dachte an Ronja und Lara.
Ronja hatte sich immer ein eigenes Pferd gewünscht.
Meine Zwillingsschwester wollte schon reiten lernen und ein eigenes
Pferd haben, als wir noch nicht einmal zehn Jahre alt waren. Jetzt
hatte sich ihr größter Wunsch erfüllt, zwei Jahre zu spät. Ob es
sie noch irgendwo gab, ob sie wusste, dass ich eine Stute hatte,
die Lara hieß? Ronja wäre sicher ein perfektes Pferdemädchen
gewesen.
Mit mir war es anders. Ich glaubte, dass niemals
eine gute Reiterin aus mir werden würde; und tief in mir saß ein
nagender Zweifel, ob ich den Problemen, die ein krankes und
verstörtes Tier wie Lara mit sich brachte, überhaupt gewachsen
war.
Die meisten Menschen kaufen ein Pferd, weil sie
reiten möchten. Bei mir war es anders gewesen. Ich hatte Lara
gekauft, um ihr Leben zu retten. Selbst wenn ich nie richtig reiten
lernte und wenn aus Lara nie wieder ein normales, angstfreies Pferd
wurde, hatte ich doch das Richtige getan.
Wenigstens daran zweifelte ich nicht.
Am nächsten Morgen wollten meine Eltern, dass ich
mit ihnen auf der Terrasse frühstückte. Eigentlich hätte ich am
liebsten nur rasch ein Brot und einen Apfel gegessen, aber mein
Vater sagte, am Sonntag sollte die Familie vollständig am Tisch
versammelt sein.
Ich merkte, wie meine Mutter bei diesem Satz
zusammenzuckte. Auch mein Vater verstummte. Sicher wurde ihm klar,
dass wir längst keine vollständige Familie mehr waren und auch nie
wieder sein würden, seit Ronja verunglückt war.
Er wechselte hastig das Thema und meinte: »Seit
Rikke das Pferd hat, sieht man sie kaum noch zu Hause. Oder geht es
in Wirklichkeit um diesen Jungen?«
Damit meinte er natürlich Arne. Ich erwiderte: »Es
geht um Lara. Du hast selbst gesagt, dass ein Pferdekauf eine große
Verantwortung bedeutet, der ich mich stellen muss. Das tue ich
jetzt. Außerdem hab ich heute Reitstunde. Dafür helfe ich Theisens
beim Heueinbringen.«
Mama erklärte, sie fände das ganz in Ordnung.
»Schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass Rikke
Reitunterricht bekommt. Wenn Arne schon nichts dafür verlangt, muss
sie ihm dafür eben helfen, sooft sie kann.«
Mein Vater kaute an seinem Toastbrot und murmelte
etwas Unverständliches. Dann schluckte er den Bissen hinunter und
sagte: »Übrigens, nächste Woche brauche ich dich wieder am
Samstagvormittag im Laden, Rikke. Und außerdem noch am Dienstag von
drei bis sechs. Ich muss zum Steuerberater.«
Mein Vater hatte ein Fotogeschäft. Seit Kurzem half
ich ihm jede Woche mehrere Stunden, um Geld für Laras Unterhalt zu
verdienen. Allerdings hatte ich bis jetzt noch nie allein im Laden
gestanden.
»Glaubst du, ich schaffe das, drei Stunden lang
allein?«, fragte ich. »Was ist, wenn sich jemand fotografieren
lassen will?«
»Dann muss er eben um sechs wiederkommen oder am
nächsten Tag. Aber die Kunden können ihre entwickelten Filme
abholen und mit dem Verkauf kommst du doch auch gut klar. Falls
etwas Außergewöhnliches ist, erreichst du mich übers Handy, ich bin
ja nicht aus der Welt.«
Ich nickte. Eigentlich passte es mir nicht, dass er
so über meine Zeit verfügte. Er hätte mich zumindest vorher fragen
und sich mit mir absprechen können, ehe er den Termin beim
Steuerberater vereinbart hatte. Trotzdem sagte ich nichts. Ich
musste froh sein, dass ich diesen Job hatte, er war die
Voraussetzung dafür gewesen, dass ich Lara zu mir nehmen konnte.
Doch meine Befürchtung, ich könnte durch Lara in eine stärkere
Abhängigkeit zu meinem Vater geraten, war sicher nicht unbegründet
gewesen.
Als ich zur Koppel kam, hatte Arne die Pferde schon
gefüttert, auch Lara. Das tat er jeden Morgen. Für ihn war es
einfacher als für mich, er hatte ja nur ein paar Minuten vom
Wohnwagen bis zur Weide, und meistens half ihm auch seine Schwester
dabei, während ich erst mit dem Rad durchs ganze Städtchen und über
die Landstraße strampeln musste.
Abends aber war ich zur Fütterungszeit immer da.
Ich wollte Arne nicht alle Arbeit überlassen. Außerdem war es
wichtig für die Bindung zwischen Lara und mir, dass sie ihren Hafer
und ihre Karotten von mir bekam.
»Lara hat wieder mal Durchfall«, sagte Arne,
während ich neben Bonnie kniete und sie begrüßte. »Aber mach dir
keine Sorgen, das kommt sicher noch von der
Futterumstellung.«
»Dann ist das bisschen Fett, das sie langsam auf
die Rippen kriegt, gleich wieder weg«, murmelte ich düster, und es
war, als würde ich von mir selbst und meinen eigenen Problemen
reden, ein paar Pfunde zuzunehmen und das Gewicht dann auch zu
halten.
»Durchfall ist nicht unbedingt immer was Negatives.
Es kann auch ein Reinigungsprozess sein.« Arne krempelte seine
Ärmel hoch. »Und normalerweise dauert’s bei ihr ja auch immer nur
einen Tag.«
»Ich hab Äpfel für sie mitgebracht. Darf sie die
haben?«
»Einen oder zwei, wenn sie nicht unreif sind. Aber
gib Fee bitte auch was, damit sie nicht eifersüchtig wird. Ich hab
sie heute zu Lara auf die Weide gebracht.«
»Klar«, sagte ich. »Das hätte ich sowieso
gemacht.«
Arnes Haare waren irgendwie anders als sonst. Er
bemerkte meinen Blick, fasste sich an den Kopf und fragte: »Ist es
dir aufgefallen? Ich hab gestern Abend ein Stück weggesäbelt, weil
sie so blöd nach allen Seiten abgestanden sind und mich total
genervt haben. Aber ganz optimal ist’s nicht geworden. Ein Friseur
wird nie aus mir.«
Ich musste lachen. »Etwas unegal sind sie schon,
aber vielleicht hast du ja einen neuen Haarschnitt erfunden. Wann
fangen wir mit der Heuarbeit an?«
»Gleich, wenn du magst.«
»Okay, ich gehe nur noch rasch zu Lara und Fee.« In
einiger Entfernung sah ich Elisa, Arnes Schwester, auf der großen
Koppel stehen. Sie bürstete Robins rotes Fell und tat, als hätte
sie mich nicht bemerkt. Vielleicht war es ja auch so. Sie schien
ganz in ihre Arbeit vertieft zu sein.
Doch was Elisa betraf, war ich ziemlich empfindlich
und hörte die Flöhe husten. Ich hätte schwören können, dass sie
mich nicht mochte und eifersüchtig auf mich war, weil Arne so viel
Zeit mit mir verbrachte.
Eigentlich hätte es mir egal sein sollen, wie sie
zu mir stand. Trotzdem verunsicherte mich ihre hartnäckige
Ablehnung. Ich nahm mir vor, mit Arne darüber zu reden, sobald sich
eine Gelegenheit dazu ergab. Langsam schlenderte ich zur kleinen
Koppel, die auf der einen Seite an den Waldrand und auf der anderen
an den Bach grenzte.
Fee und Lara grasten nicht weit voneinander
zwischen den Haselnusssträuchern. Im Näherkommen bemerkte ich die
Kotspuren auf Laras Hinterteil und ihren Beinen. Es roch
durchdringend. Ich nahm mir vor, sie zum Bach zu führen und mit
einem Schwamm abzuwaschen, wenn wir mit der Heuarbeit fertig
waren.
Lara liebte rotbackige, saftige Äpfel. Sie nahm mir
die Apfelstücke ungewöhnlich schnell von der Handfläche und
behauptete sogar ihre Stellung, als Fee sie zur Seite drängen
wollte.
»Prima, Mädchen!«, sagte ich. »Lass dich nicht
wegschubsen. Die anderen müssen lernen, dich zu
respektieren.«
Ihre Lidränder waren wieder leicht gerötet. Ich
drückte ein paar von den winzigen homöopathischen Kügelchen, die
Dr. Jansen uns mitgegeben hatte, in die aufgeschnittene Fläche
eines Apfelviertels und gab es ihr. Die Globuli sollten zwar gegen
Laras Hautkrankheit helfen, die den ekelhaften Namen »Glatzflechte«
hatte, doch ich hoffte, dass sie auch für ihre Augen gut
waren.
»Wir haben noch einen Rest Augentropfen in unserer
Hausapotheke«, sagte Arne, als wir, mit den Heurechen bewaffnet,
die kleine Anhöhe hinaufstiegen. »Die helfen meistens, bei
Zweibeinern und bei Vierbeinern. Ich hole sie später.«
Ich nickte. »Von der Hufsalbe ist auch nicht mehr
viel im Topf. Ich muss sie in der Apotheke mischen lassen. Hast du
das Rezept noch?«
»Nein, aber ich weiß es auswendig: Zinkchlorid,
Zinkoxid und destilliertes Wasser.«
Das Heu lag wie ein hellgrüner Teppich über der
großen Wiese verteilt und duftete so stark und würzig, dass man
ganz benebelt wurde. Wir wollten es zu langen Reihen
zusammenrechen, damit der Bauer morgen mit dem Traktor kommen und
es aufladen konnte.
Zum Glück mussten wir nicht in der prallen Sonne
arbeiten. Der Himmel war voller dicker weißer Wolken. Trotzdem
schwitzten wir bald heftig und der Rücken tat mir weh. Fliegen und
winzige geflügelte Insekten, die im Heu gesessen hatten, schwirrten
um uns herum.
»Ich hab mir das romantischer vorgestellt«, sagte
ich und scheuchte zum hundertsten Mal einen Schwarm Fliegen von
meiner schweißnassen Haut. »Jetzt weiß ich wenigstens, wie man sich
als Pferd fühlt.«
»Erntemaschinen erledigen das in einer halben
Stunde.« Arne nieste. »Aber früher haben die Bauern
jahrhundertelang so geschuftet.«
Die Kirchenglocken schlugen elfmal vom Städtchen
herüber, als wir Pause machten und kalten Pfefferminztee tranken.
Bonnie wälzte sich im Heu und ruderte mit allen vier Pfoten in der
Luft herum. Ich flocht meine Haare zu einem Zopf und steckte ihn
hoch, um den Nacken frei zu haben.
Arne sah mir dabei zu. »Du hast schönes Haar«,
sagte er, »aber das weißt du sicher. Es hat die gleiche Farbe wie
die Rosskastanien, die ich als Junge immer für die Pferde gesammelt
habe.«
»Ja, auf meine Haare bin ich stolz. Sie sind das
Beste an mir.«
Er schwieg eine Weile, ehe er erwiderte: »Du hältst
nicht besonders viel von dir, was?«
Ich unterdrückte einen Seufzer. »Manchmal wünsch
ich mir, ich könnte einfach meine Haut abstreifen und mir eine neue
aussuchen.«
»Das wär echt schade. Lass doch deine Haut so, wie
sie ist!«
Er lag auf dem Rücken, hatte die Hände hinter dem
Kopf verschränkt und sah zum Himmel auf. Zwischen ihm und mir lag
Bonnie und schlief und von der anderen Seite des Hügels hörten wir
Fees helles Gewieher.
»Denkst du, es macht Spaß, überall als
Knochengestell zu gelten?«
Es war heraus, ehe ich es verhindern konnte. Dabei
war Arne so ziemlich der Letzte, mit dem ich über meine Essstörung
reden wollte. Doch jetzt konnte ich es nicht mehr
zurücknehmen.
Er griff nach einem Heuhalm, steckte ihn sich
zwischen die Lippen und kaute darauf herum. Erst nach einer Weile
antwortete er: »Nein, das denke ich nicht. Aber du weißt sicher
besser als ich, woher deine Probleme mit dem Essen kommen. Wenn du
den Tod deiner Schwester akzeptiert hast und der Schock endgültig
überwunden ist, kannst du sicher auch wieder normal essen. Lass dir
Zeit und hör nicht auf den Schwachsinn, den die Leute reden. Viele
sind vielleicht nur neidisch, weil du dich so anmutig bewegst und
weil deine Augen diesen besonderen Schimmer haben.«
Ich starrte ihn an und sah dann gleich wieder weg.
Nie hatte jemand etwas so Schönes über mich gesagt. Noch keiner
hatte jemals eine Bemerkung über meine Bewegungen gemacht. Und was
meinte er damit, dass meine Augen, die ich selbst langweilig und
schmutzig braun fand, »diesen besonderen Schimmer« hatten?
Mir war plötzlich sehr heiß. Die ganze Hitze
während der Heuarbeit schien sich aufgestaut zu haben und in mir zu
explodieren. Ich trank einen Riesenschluck Pfefferminztee,
verschluckte mich und hustete krampfhaft.
»Tut mir leid, wenn ich dich verunsichert habe.«
Arne spuckte den Strohhalm aus und richtete sich auf. »Aber das
musste mal gesagt werden.«
Dann kam Elisa. Wie immer sah sie richtig edel aus.
Sie hatte ihr langes silberblondes Haar locker hochgesteckt und
trug ein jadegrünes Leinentop mit Spaghettiträgern zu weit
geschnittenen Shorts. Ihre Arme und Beine waren wohlgeformt und
makellos braun. Eine runde Sonnenbrille mit dunklen Gläsern verbarg
ihre Augen.
Sie hatte einen Rechen dabei, dem drei Zähne
fehlten. Wahrscheinlich stammte er aus dem Geräteschuppen von
Eulenbrook, wo noch jede Menge alte Gartengeräte und ein
museumsreifer Rasenmäher vor sich hin gammelten.
Alles, was sie sagte, als sie mich sah, war »Hi!«,
und ich erwiderte »Hallo«. Dann machten wir uns zu dritt auf der
schier endlosen Wiese wieder an die Arbeit. Meine Beine waren
inzwischen ziemlich zerstochen und der Heustaub juckte teuflisch
auf meiner schweißnassen Haut.
Stumm scharrte ich das Heu zusammen, während Elisa
sich mit Arne über einen Reitklub ganz in unserer Nähe unterhielt,
in dem ein Turnier stattfinden sollte, an dem sie vielleicht mit
Robin teilnehmen wollte.
»Das musst du selbst entscheiden«, sagte Arne. »Du
weißt, wie ich zu solchen Reitturnieren stehe. Ich mag’s nicht,
wenn Pferde gedrillt werden und wenn man sie dazu benutzt, um den
sportlichen Ehrgeiz ihrer Besitzer zu befriedigen und irgendwelche
albernen Pokale für sie zu gewinnen. Alles, was übers
Freizeitreiten hinausgeht, lehne ich total ab. Also frag mich
nicht, ob du mitmachen sollst.«
»Ich würde endlich neue Leute kennenlernen«,
erwiderte Elisa. »Es nervt tierisch, ewig allein rumzuhängen. Wir
sind schließlich neu in der Gegend. Vielleicht gibt’s in diesem
Reitklub ein paar nette Typen. Komm doch wenigstens mal mit und
sieh dir den Laden an!«
Arne schüttelte den Kopf. »Danke, kein Bedarf. Aber
natürlich kannst du hingehen, wenn du willst. Lass dich nicht
aufhalten.«
Wir hatten gerade erst eine weitere lange Heureihe
geschafft, da fing Elisa an zu niesen. »Mist!«, sagte sie. »Ich bin
allergisch gegen das Heu, ihr müsst ohne mich weitermachen.« Und
sie nahm den Rechen und ging davon. Bonnie folgte ihr.
Arne presste die Lippen zusammen. Eine Weile
arbeiteten wir schweigend weiter, er rechts und ich links von dem
Heuwall. »Sie war nicht immer so«, sagte er plötzlich, als hätte
ich seine Schwester angeklagt. »Früher hatten wir meistens die
gleiche Wellenlänge, gerade auch, was Tiere angeht. Aber sie hat
sich verändert. Vielleicht durch diesen Freund, mit dem sie mal ein
paar Monate zusammen war, ein richtiger Yuppie-Schnösel, der einen
Sportwagen fuhr und sich für irre cool hielt.« Er stockte.
»Außerdem hat sie die Trennung von unserer Mutter noch nicht
überwunden. Sie wäre damals nach der Scheidung am liebsten mit ihr
nach England gezogen, aber der Freund unserer Mutter wollte es
nicht. Das hängt ihr noch sehr nach - dass Mutter sich gegen sie
entschieden hat, für diesen Mann. Jedenfalls sieht Elisa es
so.«
Ich nickte nachdenklich. Jetzt verstand ich manches
besser. Was ich für Überheblichkeit gehalten hatte, konnte auch so
etwas wie Verzweiflung oder Unfähigkeit sein, mit der neuen
Situation klarzukommen.
»Vielleicht findet sie in der Schule Freunde«,
sagte ich.
Arne starrte stirnrunzelnd auf seine Handflächen,
die gerötet und zerstochen waren. »Ich glaub’s eher nicht. Sie
sucht immer nach Leuten, die älter sind als sie. Gleichaltrige
findet sie unreif und albern.«
»Wie alt ist Elisa?«
»Genau ein Jahr jünger als ich,
sechzehneinhalb.«
Als das Geläut der Mittagsglocken verklang, waren
wir endlich fertig. Das Heu lag in langen Reihen auf der Wiese. Von
oben sah es aus wie ein gerippter Schal, wenn die Rippen auch
ziemlich krumm und schief waren. Hoch über uns kreiste ein
Raubvogelpaar auf der Suche nach Beute. Ein leichter Luftzug strich
über unsere roten, erhitzten Gesichter.
Eigentlich wartete meine Mutter jetzt darauf, dass
ich zum Mittagessen nach Hause kam, aber ich hatte mir vorgenommen,
Laras verklebtes Hinterteil abzuwaschen, damit die Fliegen sie
nicht zu sehr plagten.
»Wir träufeln ihr auch noch mal Tropfen in die
Augen«, sagte Arne. »Morgen kaufe ich dann ein neues
Fläschchen.«
»Nein, das übernehme ich. Du sollst jetzt nicht
auch noch für Lara die Medikamente besorgen. Übrigens, am Dienstag
komme ich eine halbe Stunde später zur Abendfütterung. Ich muss
meinen Vater im Laden vertreten.«
»Vielleicht tauche ich auf und kauf dir was ab.«
Arne lächelte mich an. »Ich brauch einen neuen Farbfilm. Ich möchte
Lara fotografieren. Eine Art Vorher-Nachher-Foto, damit wir später
wissen, wie sie mal ausgesehen hat.«
»Du meinst also, sie wird sich verändern und wieder
schön und gesund werden?«
»Klar«, sagte Arne. »Wollen wir wetten?«