3
Vorerst sah es nicht so aus, als würde Arne die
Wette gewinnen. Laras Durchfall hielt auch am Montag noch an,
obwohl wir den Inhalt von zwei Bechern Joghurt unter ihr Futter
mischten.
Arnes Vater meinte, wir sollten noch etwas warten,
ehe wir den Tierarzt holten. »Meistens gehen die Durchfälle von
selbst wieder weg«, sagte er. »Und die Tierärzte verordnen für
gewöhnlich Medikamente, die den Darm wie ein Korken verschließen
und hinterher genau das Gegenteil bewirken, nämlich dass die Tiere
Verstopfung kriegen. Ganz abgesehen davon ist man auch gleich einen
Batzen Geld los.«
Ein Lächeln erhellte sein hageres Gesicht. Immer
wenn ich Herrn Theisen ansah, konnte ich mir vorstellen, wie Arne
in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen würde. Heute war ein
angespannter Ausdruck in seinen Augen, den ich vorher nie bemerkt
hatte. Vielleicht nervten ihn die Renovierungsarbeiten am alten
Gutshaus von Eulenbrook, die jetzt seit fast einem Monat im Gang
waren. Von Arne wusste ich, dass ständig neue Mängel zum Vorschein
kamen, mit denen vorher keiner gerechnet hatte.
»Wenn das so weitergeht, hab ich keine Ahnung, wie
mein Vater das bezahlen soll«, hatte er erst vor ein paar Tagen zu
mir gesagt.
Noch zu Beginn dieses Sommers hätte ich mich
vielleicht darüber gefreut, dass der neue Besitzer von Eulenbrook
in Geldproblemen steckte. Der alte Gutshof mit dem verwilderten
Garten und dem Haus, das mehrere Jahrzehnte leer gestanden hatte,
war eine Geschichte für sich. Eigentlich hatte damit alles
angefangen - mit meiner Liebe zu Eulenbrook, dem verlassenen
Gemäuer, in dem Ronja und ich so viele Stunden unserer Kindheit und
Jugend verbracht hatten.
Bis vor Kurzem war es mir noch vorgekommen, als
würde Eulenbrook mir gehören, mir und den Wildtieren, die dort
lebten. Dann waren unversehens die Theisens aufgetaucht, hatten
ihren Wohnwagen auf dem Grundstück geparkt und angefangen, das Haus
zu renovieren.
Sie hatten den Gutshof von einem entfernten
Verwandten geerbt. Anfangs hasste ich sie dafür, dass sie
Eulenbrook besetzten und mich daraus vertrieben. Ich wollte, dass
alles so blieb, wie es war, dass Haus und Garten weiter in ihrem
Dornröschenschlaf vor sich hin träumten.
Dann lernte ich Arne kennen und stellte fast gegen
meinen Willen fest, dass ich ihn mochte, dass er nicht mein Feind
war. Auch sein Vater war nicht der Mann, für den ich ihn gehalten
hatte, keiner, der eine protzige Villa aus dem einstigen Gutshaus
machen wollte und ein Schild mit der Aufschrift »Betreten verboten«
am Gittertor befestigte.
Ich sah Herrn Theisen an und spürte, dass ich ihm
keine Geldsorgen an den Hals wünschte. Er versuchte, hier für sich
und seine Familie, Bonnie und die Pferde wieder ein Zuhause zu
schaffen und ein neues Leben aufzubauen, nachdem seine Ehe
gescheitert war.
Eulenbrook, so wie es gewesen war, mein Versteck
und meine Zuflucht, der Ort, an dem ich mich Ronja nahe gefühlt
hatte, war nun für alle Zeit verloren. Doch dafür hatte ich Arne
kennengelernt. Und durch Arne war Lara zu mir gekommen.
Auf Herrn Theisens Rat hin versuchte ich, Laras
Durchfälle mit getrocknetem Oreganokraut aus der Apotheke zu
behandeln, das ich ihr unter den Hafer mischte. Vorsichtshalber
brachten wir Fee wieder zu Jago und Robin auf die große Koppel,
weil wir die Ursache für Laras Darmprobleme nicht kannten.
Am Dienstagmorgen radelte ich noch vor der Schule
nach Eulenbrook, um zu sehen, wie es Lara ging. Arne war gerade mit
der Fütterung fertig. Er sagte, sie hätte gefressen, aber mit den
Durchfällen wäre es noch immer nicht besser geworden.
»Ich glaube, wir müssen jetzt doch den Tierarzt
holen, Rikke. Ich sag meinem Vater noch rasch Bescheid, damit er
vormittags Doktor Eisner anruft und einen Termin vereinbart. Ob er
ein guter Tierarzt ist, weiß ich allerdings nicht. Er war erst
einmal hier und hat Robin eine Spritze gegeben. Schade, dass Doktor
Jansen nicht in unserer Nähe wohnt.«
Meine böse Vorahnung hatte sich bestätigt. Lara war
wirklich krank!
»Es ist sicher nichts Schlimmes«, sagte Arne
beruhigend. »Aber du musst vielleicht eine Blutuntersuchung machen
lassen, damit Laras Eiweißwerte bestimmt werden.«
»Mist - ich hab meinem Vater versprochen, heute ab
drei im Laden zu sein! Das kann ich nicht mehr rückgängig machen,
er verlässt sich darauf...«
»Keine Panik!« Arne legte eine Hand auf den Lenker
meines Fahrrads. »Vielleicht kann der Tierarzt gleich mittags
kommen. Ich rufe dich nach der Schule an und sag dir Bescheid.
Falls es vor drei nicht mehr klappt, bin ich da und kümmere mich um
alles.«
Arne war wirklich ein guter Freund. Auf ihn konnte
ich mich verlassen. Sicher hing es damit zusammen, dass er sich für
Lara verantwortlich fühlte, denn er hatte mir schließlich geraten,
sie zu kaufen.
Lara hatte lange Jahre im gleichen Reitstall
gestanden, in dem die Pferde der Theisens untergebracht gewesen
waren, und Arne kannte ihr Schicksal. Er wusste, wie selten sie aus
ihrer engen Box herausgekommen war und wie schlecht ihr letzter
Besitzer mit ihr umging. Dann sollte Lara verkauft werden, aber
keiner hatte sie haben wollen, weil sie krank, unansehnlich und
handscheu war. Ohne Arnes Vermittlung hätte sie das Ende dieses
Sommers wohl nicht mehr erlebt.
»Danke!«, sagte ich.
Plötzlich kam es mir so vor, als würde ich für all
das, was er für mich tat, tief in seiner Schuld stehen - angefangen
bei den Reitstunden bis hin zu seiner ständigen Hilfe mit Lara,
ohne die mir meine neue Rolle als Pferdebesitzerin längst über den
Kopf gewachsen wäre.
»Mach nicht so ein Gesicht, als müsstest du mir vor
Dankbarkeit die Füße küssen!« Er lächelte, aber seine Augen blieben
ernst. »Ist doch klar, dass ich das übernehme, du kannst
schließlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Umgekehrt
würdest du das doch auch für mich tun. Irgendwann brauch ich
bestimmt wieder deine Hilfe, falls dich das beruhigt. Der nächste
Koppelzaun kommt ganz sicher …«
Der Gedanke an Lara ließ mich den ganzen Vormittag
lang nicht los. Ich vermasselte eine Klassenarbeit in Geschichte
und schwänzte den Sportunterricht, der von zwölf bis eins
stattfand.
Zu Hause hatte ich eine Nachricht von Herrn Theisen
auf dem Anrufbeantworter. Er hatte für vier Uhr einen Termin mit
dem Tierarzt vereinbart. Ich fuhr zur Koppel, brachte Lara einen
von den rotbackigen Äpfeln, die sie so liebte, und säuberte ihr
verklebtes Hinterteil. Eigentlich kam sie mir vor wie sonst auch
immer. Sie zeigte keine Anzeichen von Schmerzen oder Schwäche, so
genau ich sie auch beobachtete; nur in ihrem Bauch gurgelte es
manchmal verdächtig.
Fee, Jago und Robin standen am Zaun, der die Weiden
voneinander trennte, sahen herüber und prusteten und scharrten, bis
ich ihnen ein paar Karotten gab.
»Lara«, flüsterte ich, »was ist bloß mit dir los?
Du wirst doch nicht krank werden? Hier geht es dir doch gut, was
haben wir falsch gemacht?«
Wie meistens stand sie mit hängendem Kopf zwischen
den Haselnusssträuchern. Sie mied die Sonne, das war mir schon
öfter aufgefallen, und hielt sich am liebsten im Schatten auf.
Immerhin sahen ihre Augen und ihre Lidränder besser aus. Arnes
Augentropfen schienen gewirkt zu haben.
Als ich vorsichtig ihre Flanken berührte, spürte
ich die Rippen deutlich unter dem Fell und dachte: Sie darf nicht
weiter abnehmen, sie ist sowieso viel zu dünn! Hoffentlich kann der
Tierarzt den Durchfall stoppen...
Heute war einfach nicht mein Tag. Normalerweise
verlief der Dienstagnachmittag im Fotoladen schnarchlangweilig.
Mein Vater hatte sich oft genug darüber beklagt, dass manchmal
stundenlang kein Kunde kam, höchstens einmal jemand, der eine
Postkarte kaufte.
Doch diesmal war es wie verhext. Die Leute gaben
sich die Türklinke in die Hand, stellten Fragen, die ich nicht
beantworten konnte, und verlangten nach Ware, die wir nicht
vorrätig hatten oder die ich nicht fand.
Schließlich tauchte als Krönung des Nachmittags ein
dicker rotgesichtiger Mann auf und verlangte, ich sollte Passbilder
von ihm machen, und zwar sofort.
»Tut mir leid«, sagte ich, »das geht jetzt nicht.
Wenn es dringend ist, können Sie gegen sechs wieder kommen, dann
ist mein Vater zurück. Oder morgen früh. Ich kann leider keine
Aufnahmen machen, weder Passfotos noch andere.«
Er blies die Backen auf, veranstaltete einen
Riesenaufstand und sagte, es wäre doch wohl nichts dabei, ein paar
einfache Passbilder zu machen, schließlich wäre das ein
Fotogeschäft, er würde sich beschweren. Dabei trampelte er im Laden
auf und ab wie ein wütender Elefant.
»Tut mir leid«, wiederholte ich, schon weniger
höflich. »Ich bin hier nur zur Aushilfe. Wenn Sie die Passbilder
undingt sofort brauchen, müssen Sie nach Michelsburg fahren, da
gibt es zwei Fotogeschäfte und einen Automaten im Bahnhof.«
Er wurde so puterrot, dass ich dachte, ihn würde
gleich der Schlag treffen. Eine andere Kundin, die schon eine Weile
ungeduldig wartete, murrte, sie hätte ihre Zeit nicht gestohlen und
wollte jetzt endlich ihre Filme abholen. Während ich nach dem
Umschlag suchte, blieb der rotgesichtige Mann im Laden stehen und
beobachtete mich mit finsterem Blick.
»Ich werde mich beschweren!«, wiederholte er
ständig. »Sie werden doch wohl in der Lage sein, auf ein Knöpfchen
zu drücken?! Reicht Ihr IQ nicht so weit?«
»Nein«, sagte ich genervt. »So weit reicht er eben
nicht. Und in Ihrem jetzigen Zustand wäre es auch höchst
unvorteilhaft, wenn jemand Sie fotografieren würde, denn die Bilder
würden Sie sich bestimmt nicht hinter den Spiegel stecken,
geschweige denn für Ihren Reisepass benutzen.«
Seine Stirnadern schwollen an. Er öffnete den Mund,
glotzte mich an, klappte den Mund wieder zu, drehte sich um und
trampelte aus dem Laden, wobei er die Tür so heftig hinter sich
zuknallte, dass ich dachte, das Glas würde aus dem Rahmen
fallen.
»Leute gibt’s!«, sagte die Frau, die ich gerade
bedient hatte. »Du hast Glück gehabt, dass er dich nicht hinter dem
Ladentisch hervorgezerrt und geohrfeigt hat.«
Jetzt merkte ich erst, dass ich vor Ärger und
Aufregung zitterte. Trotzdem fand ich, dass ich mich tapfer
geschlagen hatte.
Gegen fünf wurde es ruhiger. Ich konnte einiges
aufräumen, was ich im Eifer des Gefechts unter dem Ladentisch und
in den Regalen abgestellt hatte. Zwei Abholzettel für Filme waren
verschwunden, und ich kroch gerade auf dem Boden herum, um sie zu
suchen, als sich die Tür öffnete und Arne hereinkam.
»Hi!«, sagte er. »Was machst du da unten?«
»Ich suche was.« Ich richtete mich auf und strich
mir die Haare aus dem Gesicht. »Was hat der Tierarzt gesagt?«
»Nicht viel. Lara hat ihn gar nicht erst an sich
herangelassen.«
Vor Schreck setzte ich mich auf den Boden. »Echt?
Und? Was hat er dann gemacht?«
»Er hat gesagt, um sie gründlich zu untersuchen,
müsste er sie betäuben, und das kam mir dann doch zu hammermäßig
vor. Ich hätte es auch nicht entscheiden können, da hätte ich dich
erst fragen müssen. Eigentlich fand ich den Typen ziemlich
arrogant. Außerdem kann er nicht mit schwierigen Pferden umgehen.
Er hatte Angst, dass Lara ihn in die Hand beißt, und hat sie
angesehen, als wäre sie ein Monster.«
»Das heißt also, er hat ihr kein Blut
abgenommen?«
»Nein. Er hat nur ein Mittel gegen Durchfall
dagelassen, das ich von früher kenne. Es ist die reine chemische
Keule. Gegeben hab ich ihr noch nichts davon.«
Ich stand auf. Ratlos sahen wir uns an. »Vielleicht
könnte ich Doktor Jansen anrufen?«, fragte ich. »Ich meine, er
kennt Lara doch, er hat ihr das Attest ausgestellt, als ich sie
gekauft habe. Außerdem behandelt er die Pferde hauptsächlich mit
Naturheilmitteln.«
»Du meinst, er soll uns am Telefon sagen, was wir
Lara geben sollen?« Arne machte ein zweifelndes Gesicht. Er musste
direkt von der Koppel gekommen sein, denn seine Jeans und sein
Sweatshirt waren schmutzig, und er roch durchdringend nach
Pferden.
»Ich weiß nicht, ob er das macht. Ferndiagnose ist
so eine Sache. Aber vielleicht kennt er einen Kollegen, der hier in
der Gegend arbeitet. Am besten wäre natürlich eine Frau. Lara hat
einfach Angst vor Männern, die sie nicht kennt.«
»Okay«, sagte ich. »Ich ruf ihn gleich an. Weißt du
die Nummer?«
Wir gingen zum Telefon. In diesem Augenblick kamen
zwei Frauen mit einem kleinen Mädchen in den Laden und sagten, sie
wollten eine Kinderkamera kaufen, stabil, aber leicht und möglichst
einfach zu handhaben.
Arne und ich wechselten einen Blick. »Soll ich für
dich anrufen?«, fragte er halblaut. Ich nickte ihm zu und führte
die beiden Frauen und das Kind zu dem Regal neben dem Schaufenster,
in dem die preiswerten kleinen Kameras lagen. Von den insgesamt
fünf Apparaten, die infrage kamen, wollten sie jeden einzelnen
gezeigt und erklärt bekommen. Ich sagte nicht, dass ich mich selbst
nicht besonders gut auskannte, sondern las mit ihnen die
Beschreibungen durch, während ich mit einem Ohr auf Arnes Stimme
lauschte.
Er hatte Dr. Jansen offenbar erreicht und erzählte
ihm von Laras Durchfällen und den Problemen mit dem hiesigen
Tierarzt.
»Doktor Eisner, ja«, sagte er. »Ein typischer
Schulmediziner … Nein, der Eiweißgehalt im Blut ist noch nicht
untersucht worden. Wir dachten …«
Jetzt fragte mich die ältere der beiden Frauen nach
dem Preis für die kleinste Kamera, die dem Mädchen gefiel, weil sie
nicht schwarz, sondern pinkfarben war und eine bunte Kordel zum
Umhängen hatte. Das Preisschild musste auf der Schachtel kleben,
aber die war irgendwie verschwunden, und während ich sie suchte,
hörte ich Arne sagen: »Ja, das wäre prima, ich schreib es nur rasch
auf...«
Er sah sich nach einem Zettel um. Ich deutete auf
den Tisch neben dem Telefon, worauf er nickte und etwas aufs Papier
kritzelte.
»Friedrun?«, fragte er. »Ist das der Nachname? Und
haben Sie die Nummer?«
Endlich hatte ich die Schachtel gefunden. Sie war
mit einem riesigen Tyrannosaurus verziert, der einen kleineren Dino
in seinen Pranken hielt. Das Preisschild klebte auf dem
Deckel.
Die Mutter und Großmutter des kleinen Mädchens
überlegten, ob sie die pinkfarbene Kamera nehmen sollten oder eine
schwarze, die etwas teurer war. Während sie noch diskutierten,
legte Arne den Hörer auf und nickte mir zu.
»Alles paletti!«, sagte er.
Noch ehe die Frauen eine Entscheidung getroffen
hatten, kam mein Vater zurück.
Er nahm sich kaum Zeit, seine Aktenmappe
wegzulegen, und stürzte sich sofort auf die beiden Kundinnen, wobei
er Arne und mir misstrauische Blicke zuwarf.
»Wir suchen nach einer Kamera für meine Tochter«,
sagte die junge Frau. »Aber Ihre Mitarbeiterin hat uns schon sehr
gut beraten. Wir wissen nur noch nicht, ob wir das pinkfarbene oder
das schwarze Modell nehmen sollen.«
Natürlich pries mein Vater sofort die schwarze
Kamera an, nicht weil sie teurer war, sondern weil er sie für
»solider« hielt. Arne stand jetzt bei mir am Ladentisch und sagte:
»Ich wollte noch zwei Filme mitnehmen, jeweils mit 24 Bildern.«
Halblaut fügte er hinzu: »Doktor Jansen hat mir die Nummer einer
Tierheilpraktikerin gegeben, die in Moosheim ihre Praxis hat. Er
sagt, er kennt sie von seiner homöopathischen Zusatzausbildung. Sie
hat sich offenbar auf Pferde spezialisiert.«
Moosheim war nicht allzu weit von unserem Städtchen
entfernt. Jetzt kamen die Frauen mit dem kleinen Mädchen, stellten
sich neben Arne und sagten, sie hätten sich für die pinkfarbene
Kamera entschieden.
»Tanja soll die haben, die ihr am besten gefällt«,
sagte die Großmutter. Die Kleine lächelte mich an, sodass ich ihre
Zahnlücken sah, und ich lächelte zurück.
Arne zahlte für die Filme. »Der Zettel liegt beim
Telefon«, murmelte er, während mein Vater den Garantieschein für
die Kamera ausfüllte. »Am besten, du rufst heute noch an,
vielleicht kann sie gleich morgen vorbeikommen.«
Ich begleitete ihn zur Tür. Dann fiel mir plötzlich
etwas ein, und ich fragte: »Hast du noch ein paar Minuten Zeit? Ich
möchte dich meinem Vater vorstellen, wenn du nichts dagegen
hast.«
Er lächelte. »Klar hab ich nichts dagegen.
Allerdings sind meine Hände nicht besonders sauber.«
Als die Kundinnen den Laden verließen, ging ich mit
Arne zum Ladentisch zurück. Mein Vater schob seine Lesebrille auf
die Stirn.
»Papa, das ist Arne Theisen«, sagte ich.
Arne wischte seine rechte Hand an der Seitennaht
seiner Jeans ab. »Tut mir leid, ich komme gerade von der
Pferdekoppel. Man riecht es sicher meilenweit. Ich bin der Typ, der
Rikke überredet hat, Lara zu kaufen.«
»Hast du nicht!«, sagte ich. »Du hast es mir nur
vorgeschlagen. Entschieden hab ich es selbst.«
Mein Vater legte das Gesicht in freundliche Falten.
»Hallo«, sagte er. »Das ist schön, dass ich Sie mal persönlich
kennenlerne. Wir haben in letzter Zeit viel von Ihnen gehört, meine
Frau und ich.«
»Hoffentlich nichts Übles.«
Papa schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, im
Gegenteil. Und es ist auch sehr nett von Ihnen, dass Sie unserer
Tochter Reitunterricht geben.«
»Ich tu’s gern.«
Damit war die Vorstellung beendet. Arne
verabschiedete sich. Wir waren beide erleichtert. Ich brachte ihn
wieder zur Tür und sagte: »Danke, bis später.« Und er lächelte sein
verstecktes Lächeln und ging.
»Er scheint ja recht nett zu sein. War er lange
da?«, fragte mein Vater, sobald sich die Tür hinter Arne
geschlossen hatte.
»Nein, er wollte mir nur rasch etwas wegen Lara
sagen und Filme kaufen. Ich hätte auch keine Zeit gehabt, mich
länger mit ihm zu unterhalten, falls du das meinst. Hier war
allerhand los.«
»Das dachte ich mir schon, man sieht es an den
Einnahmen. Du hast gute Geschäfte gemacht. Und die beiden Kundinnen
eben waren auch zufrieden.« Er strich mir mit der Hand über die
Schulter. »Hoffentlich war’s nicht zu stressig für dich so ganz
allein.«
»Es ging«, sagte ich. »Bis auf einen Mann, der
unbedingt Passfotos haben wollte.« Ich erzählte ihm die Story von
dem wutschnaubenden Typen. »Vielleicht beschwert er sich ja noch
über mich.«
»Das soll er ruhig tun.« Mein Vater lachte, was
selten bei ihm vorkam. »Es gibt schon manchmal komische Käuze unter
den Kunden!«
Er zog seine Brieftasche heraus und gab mir Geld
für die Stunden, die ich ausgeholfen hatte; mehr, als mir
eigentlich zustand. »Die restliche halbe Stunde schenke ich dir«,
sagte er. »Du kannst verschwinden.«
So gut hatten wir uns lange nicht mehr verstanden.
Ich war so froh und erleichtert, dass ich beinahe den Zettel
vergaß, den Arne beim Telefon zurückgelassen hatte. Im Laden wollte
ich nicht telefonieren, denn mein Vater mochte es nicht, wenn von
seinem Geschäftstelefon unnötige Privatgespräche geführt wurden.
Deshalb ging ich zur nächsten Telefonzelle und wählte die Nummer,
die Arne neben den Namen »Friedrun« gekritzelt hatte.
Eine warme, sympathische Frauenstimme meldete sich.
Es war Frau Friedrun selbst. Ich erklärte, dass ich ihre
Telefonnummer von Dr. Jansen bekommen hatte.
»Meine Stute hat Durchfall. Sie ist sowieso viel zu
mager. Ich hab sie erst seit einigen Wochen. Sie ist nicht sehr
gesund und außerdem total schreckhaft. Heute war schon ein Tierarzt
da, Doktor Eisner, aber sie hat ihn nicht an sich
herangelassen.«
Sie notierte sich meinen Namen, meine Telefonnummer
und die Wegbeschreibung nach Eulenbrook. »Morgen Nachmittag hätte
ich Zeit«, sagte sie. »Irgendwie werden wir das schon hinkriegen;
deine Stute ist nicht das erste ängstliche Pferd, das ich
behandle.«
Wir verabredeten, dass ich um zwei Uhr am Tor von
Eulenbrook auf sie warten sollte. Noch hatte ich sie nicht gesehen
und nur ein paar Worte mit ihr gewechselt. Trotzdem spürte ich,
dass sie genau richtig für Lara war.