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Vorerst sah es nicht so aus, als würde Arne die Wette gewinnen. Laras Durchfall hielt auch am Montag noch an, obwohl wir den Inhalt von zwei Bechern Joghurt unter ihr Futter mischten.
Arnes Vater meinte, wir sollten noch etwas warten, ehe wir den Tierarzt holten. »Meistens gehen die Durchfälle von selbst wieder weg«, sagte er. »Und die Tierärzte verordnen für gewöhnlich Medikamente, die den Darm wie ein Korken verschließen und hinterher genau das Gegenteil bewirken, nämlich dass die Tiere Verstopfung kriegen. Ganz abgesehen davon ist man auch gleich einen Batzen Geld los.«
Ein Lächeln erhellte sein hageres Gesicht. Immer wenn ich Herrn Theisen ansah, konnte ich mir vorstellen, wie Arne in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen würde. Heute war ein angespannter Ausdruck in seinen Augen, den ich vorher nie bemerkt hatte. Vielleicht nervten ihn die Renovierungsarbeiten am alten Gutshaus von Eulenbrook, die jetzt seit fast einem Monat im Gang waren. Von Arne wusste ich, dass ständig neue Mängel zum Vorschein kamen, mit denen vorher keiner gerechnet hatte.
»Wenn das so weitergeht, hab ich keine Ahnung, wie mein Vater das bezahlen soll«, hatte er erst vor ein paar Tagen zu mir gesagt.
Noch zu Beginn dieses Sommers hätte ich mich vielleicht darüber gefreut, dass der neue Besitzer von Eulenbrook in Geldproblemen steckte. Der alte Gutshof mit dem verwilderten Garten und dem Haus, das mehrere Jahrzehnte leer gestanden hatte, war eine Geschichte für sich. Eigentlich hatte damit alles angefangen - mit meiner Liebe zu Eulenbrook, dem verlassenen Gemäuer, in dem Ronja und ich so viele Stunden unserer Kindheit und Jugend verbracht hatten.
Bis vor Kurzem war es mir noch vorgekommen, als würde Eulenbrook mir gehören, mir und den Wildtieren, die dort lebten. Dann waren unversehens die Theisens aufgetaucht, hatten ihren Wohnwagen auf dem Grundstück geparkt und angefangen, das Haus zu renovieren.
Sie hatten den Gutshof von einem entfernten Verwandten geerbt. Anfangs hasste ich sie dafür, dass sie Eulenbrook besetzten und mich daraus vertrieben. Ich wollte, dass alles so blieb, wie es war, dass Haus und Garten weiter in ihrem Dornröschenschlaf vor sich hin träumten.
Dann lernte ich Arne kennen und stellte fast gegen meinen Willen fest, dass ich ihn mochte, dass er nicht mein Feind war. Auch sein Vater war nicht der Mann, für den ich ihn gehalten hatte, keiner, der eine protzige Villa aus dem einstigen Gutshaus machen wollte und ein Schild mit der Aufschrift »Betreten verboten« am Gittertor befestigte.
Ich sah Herrn Theisen an und spürte, dass ich ihm keine Geldsorgen an den Hals wünschte. Er versuchte, hier für sich und seine Familie, Bonnie und die Pferde wieder ein Zuhause zu schaffen und ein neues Leben aufzubauen, nachdem seine Ehe gescheitert war.
Eulenbrook, so wie es gewesen war, mein Versteck und meine Zuflucht, der Ort, an dem ich mich Ronja nahe gefühlt hatte, war nun für alle Zeit verloren. Doch dafür hatte ich Arne kennengelernt. Und durch Arne war Lara zu mir gekommen.
Auf Herrn Theisens Rat hin versuchte ich, Laras Durchfälle mit getrocknetem Oreganokraut aus der Apotheke zu behandeln, das ich ihr unter den Hafer mischte. Vorsichtshalber brachten wir Fee wieder zu Jago und Robin auf die große Koppel, weil wir die Ursache für Laras Darmprobleme nicht kannten.
Am Dienstagmorgen radelte ich noch vor der Schule nach Eulenbrook, um zu sehen, wie es Lara ging. Arne war gerade mit der Fütterung fertig. Er sagte, sie hätte gefressen, aber mit den Durchfällen wäre es noch immer nicht besser geworden.
»Ich glaube, wir müssen jetzt doch den Tierarzt holen, Rikke. Ich sag meinem Vater noch rasch Bescheid, damit er vormittags Doktor Eisner anruft und einen Termin vereinbart. Ob er ein guter Tierarzt ist, weiß ich allerdings nicht. Er war erst einmal hier und hat Robin eine Spritze gegeben. Schade, dass Doktor Jansen nicht in unserer Nähe wohnt.«
Meine böse Vorahnung hatte sich bestätigt. Lara war wirklich krank!
»Es ist sicher nichts Schlimmes«, sagte Arne beruhigend. »Aber du musst vielleicht eine Blutuntersuchung machen lassen, damit Laras Eiweißwerte bestimmt werden.«
»Mist - ich hab meinem Vater versprochen, heute ab drei im Laden zu sein! Das kann ich nicht mehr rückgängig machen, er verlässt sich darauf...«
»Keine Panik!« Arne legte eine Hand auf den Lenker meines Fahrrads. »Vielleicht kann der Tierarzt gleich mittags kommen. Ich rufe dich nach der Schule an und sag dir Bescheid. Falls es vor drei nicht mehr klappt, bin ich da und kümmere mich um alles.«
Arne war wirklich ein guter Freund. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Sicher hing es damit zusammen, dass er sich für Lara verantwortlich fühlte, denn er hatte mir schließlich geraten, sie zu kaufen.
Lara hatte lange Jahre im gleichen Reitstall gestanden, in dem die Pferde der Theisens untergebracht gewesen waren, und Arne kannte ihr Schicksal. Er wusste, wie selten sie aus ihrer engen Box herausgekommen war und wie schlecht ihr letzter Besitzer mit ihr umging. Dann sollte Lara verkauft werden, aber keiner hatte sie haben wollen, weil sie krank, unansehnlich und handscheu war. Ohne Arnes Vermittlung hätte sie das Ende dieses Sommers wohl nicht mehr erlebt.
»Danke!«, sagte ich.
Plötzlich kam es mir so vor, als würde ich für all das, was er für mich tat, tief in seiner Schuld stehen - angefangen bei den Reitstunden bis hin zu seiner ständigen Hilfe mit Lara, ohne die mir meine neue Rolle als Pferdebesitzerin längst über den Kopf gewachsen wäre.
»Mach nicht so ein Gesicht, als müsstest du mir vor Dankbarkeit die Füße küssen!« Er lächelte, aber seine Augen blieben ernst. »Ist doch klar, dass ich das übernehme, du kannst schließlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Umgekehrt würdest du das doch auch für mich tun. Irgendwann brauch ich bestimmt wieder deine Hilfe, falls dich das beruhigt. Der nächste Koppelzaun kommt ganz sicher …«
Der Gedanke an Lara ließ mich den ganzen Vormittag lang nicht los. Ich vermasselte eine Klassenarbeit in Geschichte und schwänzte den Sportunterricht, der von zwölf bis eins stattfand.
Zu Hause hatte ich eine Nachricht von Herrn Theisen auf dem Anrufbeantworter. Er hatte für vier Uhr einen Termin mit dem Tierarzt vereinbart. Ich fuhr zur Koppel, brachte Lara einen von den rotbackigen Äpfeln, die sie so liebte, und säuberte ihr verklebtes Hinterteil. Eigentlich kam sie mir vor wie sonst auch immer. Sie zeigte keine Anzeichen von Schmerzen oder Schwäche, so genau ich sie auch beobachtete; nur in ihrem Bauch gurgelte es manchmal verdächtig.
Fee, Jago und Robin standen am Zaun, der die Weiden voneinander trennte, sahen herüber und prusteten und scharrten, bis ich ihnen ein paar Karotten gab.
»Lara«, flüsterte ich, »was ist bloß mit dir los? Du wirst doch nicht krank werden? Hier geht es dir doch gut, was haben wir falsch gemacht?«
Wie meistens stand sie mit hängendem Kopf zwischen den Haselnusssträuchern. Sie mied die Sonne, das war mir schon öfter aufgefallen, und hielt sich am liebsten im Schatten auf. Immerhin sahen ihre Augen und ihre Lidränder besser aus. Arnes Augentropfen schienen gewirkt zu haben.
Als ich vorsichtig ihre Flanken berührte, spürte ich die Rippen deutlich unter dem Fell und dachte: Sie darf nicht weiter abnehmen, sie ist sowieso viel zu dünn! Hoffentlich kann der Tierarzt den Durchfall stoppen...
Heute war einfach nicht mein Tag. Normalerweise verlief der Dienstagnachmittag im Fotoladen schnarchlangweilig. Mein Vater hatte sich oft genug darüber beklagt, dass manchmal stundenlang kein Kunde kam, höchstens einmal jemand, der eine Postkarte kaufte.
Doch diesmal war es wie verhext. Die Leute gaben sich die Türklinke in die Hand, stellten Fragen, die ich nicht beantworten konnte, und verlangten nach Ware, die wir nicht vorrätig hatten oder die ich nicht fand.
Schließlich tauchte als Krönung des Nachmittags ein dicker rotgesichtiger Mann auf und verlangte, ich sollte Passbilder von ihm machen, und zwar sofort.
»Tut mir leid«, sagte ich, »das geht jetzt nicht. Wenn es dringend ist, können Sie gegen sechs wieder kommen, dann ist mein Vater zurück. Oder morgen früh. Ich kann leider keine Aufnahmen machen, weder Passfotos noch andere.«
Er blies die Backen auf, veranstaltete einen Riesenaufstand und sagte, es wäre doch wohl nichts dabei, ein paar einfache Passbilder zu machen, schließlich wäre das ein Fotogeschäft, er würde sich beschweren. Dabei trampelte er im Laden auf und ab wie ein wütender Elefant.
»Tut mir leid«, wiederholte ich, schon weniger höflich. »Ich bin hier nur zur Aushilfe. Wenn Sie die Passbilder undingt sofort brauchen, müssen Sie nach Michelsburg fahren, da gibt es zwei Fotogeschäfte und einen Automaten im Bahnhof.«
Er wurde so puterrot, dass ich dachte, ihn würde gleich der Schlag treffen. Eine andere Kundin, die schon eine Weile ungeduldig wartete, murrte, sie hätte ihre Zeit nicht gestohlen und wollte jetzt endlich ihre Filme abholen. Während ich nach dem Umschlag suchte, blieb der rotgesichtige Mann im Laden stehen und beobachtete mich mit finsterem Blick.
»Ich werde mich beschweren!«, wiederholte er ständig. »Sie werden doch wohl in der Lage sein, auf ein Knöpfchen zu drücken?! Reicht Ihr IQ nicht so weit?«
»Nein«, sagte ich genervt. »So weit reicht er eben nicht. Und in Ihrem jetzigen Zustand wäre es auch höchst unvorteilhaft, wenn jemand Sie fotografieren würde, denn die Bilder würden Sie sich bestimmt nicht hinter den Spiegel stecken, geschweige denn für Ihren Reisepass benutzen.«
Seine Stirnadern schwollen an. Er öffnete den Mund, glotzte mich an, klappte den Mund wieder zu, drehte sich um und trampelte aus dem Laden, wobei er die Tür so heftig hinter sich zuknallte, dass ich dachte, das Glas würde aus dem Rahmen fallen.
»Leute gibt’s!«, sagte die Frau, die ich gerade bedient hatte. »Du hast Glück gehabt, dass er dich nicht hinter dem Ladentisch hervorgezerrt und geohrfeigt hat.«
Jetzt merkte ich erst, dass ich vor Ärger und Aufregung zitterte. Trotzdem fand ich, dass ich mich tapfer geschlagen hatte.
Gegen fünf wurde es ruhiger. Ich konnte einiges aufräumen, was ich im Eifer des Gefechts unter dem Ladentisch und in den Regalen abgestellt hatte. Zwei Abholzettel für Filme waren verschwunden, und ich kroch gerade auf dem Boden herum, um sie zu suchen, als sich die Tür öffnete und Arne hereinkam.
»Hi!«, sagte er. »Was machst du da unten?«
»Ich suche was.« Ich richtete mich auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Was hat der Tierarzt gesagt?«
»Nicht viel. Lara hat ihn gar nicht erst an sich herangelassen.«
Vor Schreck setzte ich mich auf den Boden. »Echt? Und? Was hat er dann gemacht?«
»Er hat gesagt, um sie gründlich zu untersuchen, müsste er sie betäuben, und das kam mir dann doch zu hammermäßig vor. Ich hätte es auch nicht entscheiden können, da hätte ich dich erst fragen müssen. Eigentlich fand ich den Typen ziemlich arrogant. Außerdem kann er nicht mit schwierigen Pferden umgehen. Er hatte Angst, dass Lara ihn in die Hand beißt, und hat sie angesehen, als wäre sie ein Monster.«
»Das heißt also, er hat ihr kein Blut abgenommen?«
»Nein. Er hat nur ein Mittel gegen Durchfall dagelassen, das ich von früher kenne. Es ist die reine chemische Keule. Gegeben hab ich ihr noch nichts davon.«
Ich stand auf. Ratlos sahen wir uns an. »Vielleicht könnte ich Doktor Jansen anrufen?«, fragte ich. »Ich meine, er kennt Lara doch, er hat ihr das Attest ausgestellt, als ich sie gekauft habe. Außerdem behandelt er die Pferde hauptsächlich mit Naturheilmitteln.«
»Du meinst, er soll uns am Telefon sagen, was wir Lara geben sollen?« Arne machte ein zweifelndes Gesicht. Er musste direkt von der Koppel gekommen sein, denn seine Jeans und sein Sweatshirt waren schmutzig, und er roch durchdringend nach Pferden.
»Ich weiß nicht, ob er das macht. Ferndiagnose ist so eine Sache. Aber vielleicht kennt er einen Kollegen, der hier in der Gegend arbeitet. Am besten wäre natürlich eine Frau. Lara hat einfach Angst vor Männern, die sie nicht kennt.«
»Okay«, sagte ich. »Ich ruf ihn gleich an. Weißt du die Nummer?«
Wir gingen zum Telefon. In diesem Augenblick kamen zwei Frauen mit einem kleinen Mädchen in den Laden und sagten, sie wollten eine Kinderkamera kaufen, stabil, aber leicht und möglichst einfach zu handhaben.
Arne und ich wechselten einen Blick. »Soll ich für dich anrufen?«, fragte er halblaut. Ich nickte ihm zu und führte die beiden Frauen und das Kind zu dem Regal neben dem Schaufenster, in dem die preiswerten kleinen Kameras lagen. Von den insgesamt fünf Apparaten, die infrage kamen, wollten sie jeden einzelnen gezeigt und erklärt bekommen. Ich sagte nicht, dass ich mich selbst nicht besonders gut auskannte, sondern las mit ihnen die Beschreibungen durch, während ich mit einem Ohr auf Arnes Stimme lauschte.
Er hatte Dr. Jansen offenbar erreicht und erzählte ihm von Laras Durchfällen und den Problemen mit dem hiesigen Tierarzt.
»Doktor Eisner, ja«, sagte er. »Ein typischer Schulmediziner … Nein, der Eiweißgehalt im Blut ist noch nicht untersucht worden. Wir dachten …«
Jetzt fragte mich die ältere der beiden Frauen nach dem Preis für die kleinste Kamera, die dem Mädchen gefiel, weil sie nicht schwarz, sondern pinkfarben war und eine bunte Kordel zum Umhängen hatte. Das Preisschild musste auf der Schachtel kleben, aber die war irgendwie verschwunden, und während ich sie suchte, hörte ich Arne sagen: »Ja, das wäre prima, ich schreib es nur rasch auf...«
Er sah sich nach einem Zettel um. Ich deutete auf den Tisch neben dem Telefon, worauf er nickte und etwas aufs Papier kritzelte.
»Friedrun?«, fragte er. »Ist das der Nachname? Und haben Sie die Nummer?«
Endlich hatte ich die Schachtel gefunden. Sie war mit einem riesigen Tyrannosaurus verziert, der einen kleineren Dino in seinen Pranken hielt. Das Preisschild klebte auf dem Deckel.
Die Mutter und Großmutter des kleinen Mädchens überlegten, ob sie die pinkfarbene Kamera nehmen sollten oder eine schwarze, die etwas teurer war. Während sie noch diskutierten, legte Arne den Hörer auf und nickte mir zu.
»Alles paletti!«, sagte er.
Noch ehe die Frauen eine Entscheidung getroffen hatten, kam mein Vater zurück.
Er nahm sich kaum Zeit, seine Aktenmappe wegzulegen, und stürzte sich sofort auf die beiden Kundinnen, wobei er Arne und mir misstrauische Blicke zuwarf.
»Wir suchen nach einer Kamera für meine Tochter«, sagte die junge Frau. »Aber Ihre Mitarbeiterin hat uns schon sehr gut beraten. Wir wissen nur noch nicht, ob wir das pinkfarbene oder das schwarze Modell nehmen sollen.«
Natürlich pries mein Vater sofort die schwarze Kamera an, nicht weil sie teurer war, sondern weil er sie für »solider« hielt. Arne stand jetzt bei mir am Ladentisch und sagte: »Ich wollte noch zwei Filme mitnehmen, jeweils mit 24 Bildern.« Halblaut fügte er hinzu: »Doktor Jansen hat mir die Nummer einer Tierheilpraktikerin gegeben, die in Moosheim ihre Praxis hat. Er sagt, er kennt sie von seiner homöopathischen Zusatzausbildung. Sie hat sich offenbar auf Pferde spezialisiert.«
Moosheim war nicht allzu weit von unserem Städtchen entfernt. Jetzt kamen die Frauen mit dem kleinen Mädchen, stellten sich neben Arne und sagten, sie hätten sich für die pinkfarbene Kamera entschieden.
»Tanja soll die haben, die ihr am besten gefällt«, sagte die Großmutter. Die Kleine lächelte mich an, sodass ich ihre Zahnlücken sah, und ich lächelte zurück.
Arne zahlte für die Filme. »Der Zettel liegt beim Telefon«, murmelte er, während mein Vater den Garantieschein für die Kamera ausfüllte. »Am besten, du rufst heute noch an, vielleicht kann sie gleich morgen vorbeikommen.«
Ich begleitete ihn zur Tür. Dann fiel mir plötzlich etwas ein, und ich fragte: »Hast du noch ein paar Minuten Zeit? Ich möchte dich meinem Vater vorstellen, wenn du nichts dagegen hast.«
Er lächelte. »Klar hab ich nichts dagegen. Allerdings sind meine Hände nicht besonders sauber.«
Als die Kundinnen den Laden verließen, ging ich mit Arne zum Ladentisch zurück. Mein Vater schob seine Lesebrille auf die Stirn.
»Papa, das ist Arne Theisen«, sagte ich.
Arne wischte seine rechte Hand an der Seitennaht seiner Jeans ab. »Tut mir leid, ich komme gerade von der Pferdekoppel. Man riecht es sicher meilenweit. Ich bin der Typ, der Rikke überredet hat, Lara zu kaufen.«
»Hast du nicht!«, sagte ich. »Du hast es mir nur vorgeschlagen. Entschieden hab ich es selbst.«
Mein Vater legte das Gesicht in freundliche Falten. »Hallo«, sagte er. »Das ist schön, dass ich Sie mal persönlich kennenlerne. Wir haben in letzter Zeit viel von Ihnen gehört, meine Frau und ich.«
»Hoffentlich nichts Übles.«
Papa schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, im Gegenteil. Und es ist auch sehr nett von Ihnen, dass Sie unserer Tochter Reitunterricht geben.«
»Ich tu’s gern.«
Damit war die Vorstellung beendet. Arne verabschiedete sich. Wir waren beide erleichtert. Ich brachte ihn wieder zur Tür und sagte: »Danke, bis später.« Und er lächelte sein verstecktes Lächeln und ging.
»Er scheint ja recht nett zu sein. War er lange da?«, fragte mein Vater, sobald sich die Tür hinter Arne geschlossen hatte.
»Nein, er wollte mir nur rasch etwas wegen Lara sagen und Filme kaufen. Ich hätte auch keine Zeit gehabt, mich länger mit ihm zu unterhalten, falls du das meinst. Hier war allerhand los.«
»Das dachte ich mir schon, man sieht es an den Einnahmen. Du hast gute Geschäfte gemacht. Und die beiden Kundinnen eben waren auch zufrieden.« Er strich mir mit der Hand über die Schulter. »Hoffentlich war’s nicht zu stressig für dich so ganz allein.«
»Es ging«, sagte ich. »Bis auf einen Mann, der unbedingt Passfotos haben wollte.« Ich erzählte ihm die Story von dem wutschnaubenden Typen. »Vielleicht beschwert er sich ja noch über mich.«
»Das soll er ruhig tun.« Mein Vater lachte, was selten bei ihm vorkam. »Es gibt schon manchmal komische Käuze unter den Kunden!«
Er zog seine Brieftasche heraus und gab mir Geld für die Stunden, die ich ausgeholfen hatte; mehr, als mir eigentlich zustand. »Die restliche halbe Stunde schenke ich dir«, sagte er. »Du kannst verschwinden.«
So gut hatten wir uns lange nicht mehr verstanden. Ich war so froh und erleichtert, dass ich beinahe den Zettel vergaß, den Arne beim Telefon zurückgelassen hatte. Im Laden wollte ich nicht telefonieren, denn mein Vater mochte es nicht, wenn von seinem Geschäftstelefon unnötige Privatgespräche geführt wurden. Deshalb ging ich zur nächsten Telefonzelle und wählte die Nummer, die Arne neben den Namen »Friedrun« gekritzelt hatte.
Eine warme, sympathische Frauenstimme meldete sich. Es war Frau Friedrun selbst. Ich erklärte, dass ich ihre Telefonnummer von Dr. Jansen bekommen hatte.
»Meine Stute hat Durchfall. Sie ist sowieso viel zu mager. Ich hab sie erst seit einigen Wochen. Sie ist nicht sehr gesund und außerdem total schreckhaft. Heute war schon ein Tierarzt da, Doktor Eisner, aber sie hat ihn nicht an sich herangelassen.«
Sie notierte sich meinen Namen, meine Telefonnummer und die Wegbeschreibung nach Eulenbrook. »Morgen Nachmittag hätte ich Zeit«, sagte sie. »Irgendwie werden wir das schon hinkriegen; deine Stute ist nicht das erste ängstliche Pferd, das ich behandle.«
Wir verabredeten, dass ich um zwei Uhr am Tor von Eulenbrook auf sie warten sollte. Noch hatte ich sie nicht gesehen und nur ein paar Worte mit ihr gewechselt. Trotzdem spürte ich, dass sie genau richtig für Lara war.