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»Es ist also nicht mal ein Vollblut!«, sagte mein
Vater.
Wir saßen auf der Terrasse. Mama hatte eine Flasche
Wein aufgemacht - zur Feier des Tages, wie sie sagte, und
natürlich, um für gute Stimmung zu sorgen.
Ich musste mich zwingen, ruhig zu bleiben, hatte
die Hände zwischen die Knie geklemmt und nahm mir vor, es erst
einmal mit Diplomatie zu versuchen. Wenn das nichts brachte, war
ich entschlossen, den Kampf aufzunehmen.
»Halbblüter sind ausgezeichnete Pferde«, erwiderte
ich. »Und Vollblüter sind sowieso nur für wirklich gute, sichere
Reiter geeignet. Für einen Anfänger wäre ein Vollblutpferd viel zu
gefährlich.«
»Woher hast du diese Weisheit?«, fragte mein
Vater.
»Ich hab’s gelesen. Und der Tierarzt hat gesagt,
dass englische Halbblüter sehr gute Pferde sind, zuverlässig und
ausdauernd.«
Das war geschwindelt. Dr. Jansen hatte nichts
dergleichen gesagt. Ihm war es vermutlich egal, ob ein Pferd von
einem Araber oder einem Maulesel abstammte. Es war Arne gewesen.
Wir hatten uns auf der Rückfahrt im Zug darüber unterhalten. Doch
ich wusste, dass mein Vater dem Urteil eines Tierarztes mehr
vertrauen würde als dem eines siebzehnjährigen Jungen. Er hatte Dr.
Jansens Attest vor sich auf dem Tisch liegen und studierte es mit
nervtötender Genauigkeit. »Sieben Jahre«, murmelte er. »Ich kenne
mich da nicht aus. Welche Lebenserwartung hat ein Pferd?«
»Pferde können ungefähr fünfundzwanzig bis
siebenundzwanzig Jahre alt werden«, erklärte ich. »Manchmal auch
älter. Lara ist also noch ziemlich jung.«
»Strahlfäule … hm, das klingt übel. - Heilung der
Hufe kann bei guten Bedingungen und sorgfältiger Behandlung in
absehbarer Zeit erfolgen. - In absehbarer Zeit! Das ist mal wieder
einer von diesen typischen Gummibegriffen.«
Er griff nach seinem Glas und trank einen Schluck
Rotwein. Meine Mutter, die neben ihm saß, sah kurz von ihrem
Strickzeug auf und warf mir einen warnenden Blick zu, der
bedeutete: Lass ihn, bleib ruhig, dräng ihn nicht! Es wird schon …
In der Abenddämmerung sah sie wieder jung aus. Das sanfte Zwielicht
verwischte die Spuren, die Ronjas Tod in ihrem Gesicht hinterlassen
hatte.
Ich hatte die ganze Zeit den Atem angehalten, das
merkte ich jetzt. Mein Vater pustete eine Fliege vom Papier und las
weiter: »Glatzflechte … Pfui Teufel, was soll das denn sein? Heißt
das, dass die Stute stellenweise kahl ist?«
»Nein«, sagte ich. »Sie hat nur ein paar
verkrustete Stellen im Fell, aber es ist nicht schlimm, man kann es
behandeln. Lara hat ewig in einer dunklen, engen Box gestanden und
ist kaum ins Freie gekommen.«
»Armes Tier!«, warf Mama ein. »So ein Pferd gehört
doch in die freie Natur, es braucht Luft und Licht und Bewegung.
Kein Wunder, dass die Stute krank geworden ist.«
Mein Vater hörte nur mit halbem Ohr zu. »Nicht
ansteckend«, las er. »Gute Heilungschancen durch homöopathische
Behandlung (bereits eingeleitet). Kein Grund, vom Kauf des Pferdes
abzusehen. Bei artgerechter Haltung und ausgewogener Fütterung kann
aus der Stute bis Jahresende ein gutes, gesundes Reitpferd werden
…«
Ich kannte den Text längst auswendig. Am liebsten
wäre ich aufgesprungen und hätte meinen Vater geschüttelt. Wenn nur
Ronja jetzt bei mir gewesen wäre! Sie hätte bestimmt die richtigen
Worte gefunden, um ihn zu überzeugen.
Mama sagte: »Das klingt doch sehr positiv, Jochen,
findest du nicht? Das arme Tier verdient wirklich eine Chance für
ein besseres Leben.«
»Hast du mit dem Besitzer gesprochen?« Mein Vater
sah mich über sein Weinglas hinweg an.
Ich schüttelte den Kopf. »Er war nicht da, aber
Arnes Vater hat versprochen, mit ihm zu telefonieren, wenn du
einverstanden bist. Er kennt sich mit Pferden aus und könnte sicher
einen fairen Preis mit ihm aushandeln.«
Dass Herr Stromberg Lara unbedingt loswerden
wollte, sagte ich nicht. Das hätte meinen Vater nur misstrauisch
gemacht. Noch immer schien er zu zögern, saß mit gerunzelter Stirn
auf dem Korbstuhl und überlegte. Ich wusste, dass es falsch gewesen
wäre, jetzt auf ihn einzureden und ihn zu drängen.
Aus einem der Nachbarhäuser kam Musik. Jemand
spielte auf dem Klavier, eine langsame Melodie aus perlenden,
wehmütigen Tönen.
»Ein Walzer von Chopin«, sagte Mama leise.
»Schön!«
Später sollte ich immer an Lara denken, wenn ich
dieses Klavierstück hörte. Denn es war der Augenblick, in dem mein
Vater seine Entscheidung traf.