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Natürlich kamen sie wieder. Ungefähr jeden zweiten
Tag ritten sie jetzt an Eulenbrooks Koppeln vorbei. Meistens war
Elisa bei ihnen. Lily Vandamme sagte, die Strecke zwischen
Wolfsgrund und Eulenbrook wäre genau richtig für einen Ausritt,
weder zu kurz noch zu weit, und die Wege seien fantastisch, nicht
durchkreuzt von Straßen, und abwechslungsreich, über die Felder, am
Waldsee vorbei und durchs Moor.
Ich wich ihnen aus, so gut ich konnte. Lily winkte
Arne immer schon von Weitem zu, wenn sie aus dem Wald geritten
kamen. Ihr Lachen klang mir in den Ohren, auch wenn ich bis ans
Ende der Koppel ging.
Sie kreuzten meistens zwischen drei und vier Uhr
nachmittags auf. Doch eines Tages, es war ein Freitag, und ich
hatte meinem Vater versprochen, ab vier im Laden zu helfen, kamen
sie ganz gegen ihre Gewohnheit schon um zwei und überraschten uns
mitten in der Reitstunde.
Ich übte gerade wieder einmal Leichttraben. Fee war
nicht besonders gut drauf an diesem Nachmittag. Die Fliegen und
Bremsen plagten sie, denn es war gewittrig, und sie trabte
widerwillig und mit hängendem Kopf über die Koppel.
Ihre Unlust hatte sich auf mich übertragen.
Vielleicht war es auch umgekehrt. Jedenfalls bewegte ich mich
genauso lustlos und linkisch wie sie.
Zu diesem passendsten aller Zeitpunkte trafen Elisa
und die Vandammes ein. Jago, der bei Lara unter den Erlen lag und
Siesta hielt, raste plötzlich an uns vorbei zum Gatter. Jetzt hob
auch Fee den Kopf, spitzte die Ohren und wieherte.
Sie standen am Zaun und riefen »Hallo!« und »Hi!«.
Ich drehte mich nicht zu ihnen um, glaubte, ihre spöttischen Blicke
aber im Rücken zu spüren.
Arne kam ein paar Schritte auf uns zu. Halblaut
sagte er: »Lass dich nicht rausbringen! Kümmere dich einfach nicht
um sie.«
Fee war stehen geblieben. Ich biss die Zähne
zusammen und dachte: Die können mich mal! Tapfer nahm ich die Zügel
wieder auf, drückte Knie und Schenkel an, wie ich es gelernt hatte,
und versuchte, den Rhythmus wiederzufinden, während sich Fee ohne
Begeisterung in Bewegung setzte.
Natürlich konnte nichts daraus werden. Nicht mit
zusammengebissenen Zähnen und den spöttischen Blicken der drei
Zuschauer im Nacken. Es war ganz still am Gatter, und ich stellte
mir vor, wie sie mich beobachteten und sich das Lachen verbissen,
während ich so jämmerlich im Sattel herumhopste wie in meinen
schlimmsten Anfängerzeiten.
Es dauerte wohl nicht mehr als ein paar Minuten,
doch mir kam es wie eine Ewigkeit vor, wie das mit allen peinlichen
Momenten im Leben so ist.
Plötzlich dachte ich: Was tue ich hier eigentlich?
Kein Mensch zwingt mich, hier die Volksbelustigung zu machen! Und
noch während mir diese Erleuchtung kam, zügelte ich Fee, die sofort
erfreut und dankbar stehen blieb, und schwang mich aus dem
Sattel.
Vom Gatter her kam ein Geräusch. Vielleicht war es
das leise Prusten eines Pferdes, vielleicht auch unterdrücktes
Gelächter. Ich zwang mich, nicht hinzusehen, nahm Fee am Zügel und
führte sie in die entgegengesetzte Richtung zu den Erlen, wo Lara
stand. Dabei merkte ich, dass Arne mir folgte.
»Lass dir von denen bloß nicht das Reiten
vermiesen!«, sagte er.
Ich mochte nicht antworten. Dann hörte ich, wie
Lily nach Arne rief. Er drehte sich nicht um. Sie rief ein zweites
Mal, unterstützt von Elisa.
»Willst du nicht hingehen?«, fragte ich. Er
schüttelte den Kopf. Dass er nicht reagierte und mit mir und Fee
zum anderen Ende der Koppel ging, rechnete ich ihm hoch an. Ich
wusste, es fiel ihm nicht leicht, unhöflich zu sein. Bestimmt bekam
er später auch Stress mit seiner Schwester, der doch so viel an der
Freundschaft der Vandammes lag.
Ich an ihrer Stelle hätte die Zeichen verstanden
und das Feld geräumt, doch sie waren selbstbewusst genug, um sich
nicht so leicht abweisen zu lassen. Während wir Fee den Sattel
abnahmen, kamen sie uns plötzlich über die Weide nach. Sie hatten
ihre Pferde am Futterschuppen angebunden, schlenderten auf uns zu
und gaben sich lässig wie immer.
»Hallo!«, sagte Erik und sah mich dabei an. In
seinem linken Nasenflügel funkelte ein winziger Brilliant. »Das war
wohl eben deine erste Reitstunde?«
Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Ich erwiderte nichts, aber er erwartete wohl auch keine
Antwort.
Lily lächelte Arne zu. Sie hatte ihre Wimpern so
stark getuscht, dass sie wie Maikäferfühler aussahen, und blauen
Lidschatten aufgelegt.
»Ich wusste nicht, dass du Reitunterricht gibst«,
sagte sie. »Kann man sich bei dir anmelden?«
»Ich glaube nicht, dass ich dir noch etwas
beibringen könnte«, erwiderte Arne ruhig.
Elisa warf ihm einen ihrer mürrischen Blicke zu.
»Kommst du mit?«, fragte sie. »Wir wollten zur Alten Mühle reiten
und was trinken.«
»Keine Zeit. Ich hab Paps versprochen, ihm zu
helfen, das Brombeergestrüpp im Garten zu roden.«
Lily trug eine cremefarbene Leinenbluse mit weitem
Kragen. Sie war ziemlich tief ausgeschnitten. »Aber bis zum Abend
bist du doch sicher damit fertig?«, fragte sie in einschmeichelndem
Ton. »Um acht ist heute im Café des Reitklubs ›Happy Hour‹. Wir
könnten euch abholen. Erik hat seit Kurzem den Führerschein und
unser Dad hat ihm einen englischen Sportwagen geschenkt.«
»Dad« nannten sie ihren Vater. Im Weggehen hörte
ich Arne antworten: »Tut mir leid, ich muss mich noch auf eine
Prüfung vorbereiten.«
Rasch führte ich Fee an der Schutzhütte vorbei und
den Abhang zum Bach hinunter. Deshalb bekam ich auch nicht mehr
mit, wie das Gespräch weiterging, hörte nur noch Stimmengemurmel
und Lilys Lachen, während ich Fee die Fesseln wusch und zusah, wie
sie trank.
Mein Herz klopfte wie verrückt, weil ich mich so
gedemütigt fühlte. Irgendwie war ich plötzlich total aus dem
Gleichgewicht. Ich wäre am liebsten weggelaufen und hätte mich
versteckt. Früher wäre ich in einer solchen Stimmung in Eulenbrooks
alten Garten geflüchtet, aber das konnte ich jetzt nicht
mehr.
Lara hatte sich bis an den Rand des Wäldchens
zurückgezogen. Sie mochte es nicht, wenn fremde Menschen in ihrer
Nähe waren, und suchte Schutz im Dickicht, weil sie ja wegen der
Zäune nicht vor ihnen flüchten konnte.
Ich ging noch eine Weile zu ihr, kraulte ihre Ohren
und streichelte ihren Hals. Ihre Augen wirkten jetzt wieder klarer,
der trübe Film über den Augäpfeln war verschwunden. Sie tränten
auch nicht mehr.
Noch immer standen Robin und die Pferde der
Vandammes beim Futterschuppen. Ich sah ihre Köpfe zwischen den
Bäumen und beschloss, mein Fahrrad, das ich am Gatter abgestellt
hatte, zurückzulassen und erst abends abzuholen, wenn ich zur
Fütterung kam.
Wie ein Dieb kletterte ich über den Drahtzaun und
zwängte mich durchs Unterholz, bis ich den Pfad erreichte, der zur
Landstraße führte. Von dort waren es noch ungefähr zehn Minuten bis
an den Rand unseres Städtchens und weitere zehn Minuten bis nach
Hause.
»Gut, dass du schon da bist!«, sagte meine Mutter,
als ich durch die Terrassentür kam. »Paps möchte, dass du eine
halbe Stunde früher in den Laden kommst. Ich glaube, er erwartet
einen Vertreter.«
Das war mir auch egal, weil der Tag sowieso
verdorben war. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mir an diesem
Nachmittag wenigstens noch eine Stunde Zeit zu nehmen, um mich auf
eine Klassenarbeit vorzubereiten. Doch ich konnte mich nicht
konzentrieren, dachte dauernd nur daran, was für ein lächerliches
Bild ich auf Fees Rücken abgegeben hatte, und war richtig froh, als
ich kurz vor halb vier das Haus verlassen konnte.