13
Nachmittags bekam ich meine zweite
Reitstunde.
Ich rechnete damit, dass Arne mich sofort fragen
würde, ob ich mir die Sache mit Lara überlegt hätte, aber er sagte
nichts, und das gefiel mir. Offenbar wollte er mich nicht drängen,
auch wenn es ihm wichtig war.
Fee wirkte nicht besonders begeistert, als wir ihr
den Sattel auflegten, denn es war noch immer ekelhaft schwül. Wir
beschlossen, dass ich diesmal versuchen sollte, ohne Sattel zu
reiten.
»Das ist sicher nicht so übel. Du kriegst dadurch
ein besseres Gefühl für das Pferd und seine Bewegungen«, meinte
Arne.
Ich dachte an die Indianer, die so großartige
Reiter waren und keine Sättel benutzt hatten. »Okay, aber wie soll
ich ohne Steigbügel auf Fees Rücken kommen?«
»Das ist kein Problem, ich helfe dir. Du bist ja
leicht wie eine Feder.«
Feder - der Vergleich tat mir gut, denn ich war
daran gewöhnt, als Knochengestell bezeichnet zu werden. Bonnie
sprang an mir hoch und schnupperte an meiner rechten Hosentasche,
bis ich ihr das Stückchen Käse gab, das ich für sie eingesteckt
hatte.
»Leg dein linkes Knie in meine Hände - ja, so«,
sagte Arne. »Und jetzt gib dir einen kräftigen Schwung, während ich
dich hochstemme.«
Ich kam derart schwungvoll in die Höhe, dass ich
fast über Fees Rücken segelte und beinahe auf der anderen Seite
wieder nach unten rutschte. Wir lachten, und die Stute nickte
ungeduldig mit dem Kopf, als hätte sich eine besonders große und
lästige Fliege auf ihr niedergelassen.
Während Arne mir die Zügel in die Hand gab und mir
noch einmal zeigte, wie ich sie vorschriftsmäßig halten sollte,
sagte ich: »Du hast gestern nicht erwähnt, was dieser Typ für Lara
verlangt.«
Ich merkte richtig, wie er den Atem anhielt. Ein
weicher Ausdruck trat in seine Augen.
»Du hast es dir also doch überlegt?«
»Es geht nicht um mich«, sagte ich und vergaß ganz,
mich schwindlig und unsicher zu fühlen. »Ich würde sie sofort
nehmen, wenn ich Geld hätte. Meine Eltern müssen einverstanden
sein, das ist das Problem. Aber ich tue, was ich kann.«
Er sah lächelnd zu mir auf. »Ursprünglich wollte
der Besitzer sechshundertfünfzig. Aber ich denke, wir könnten mit
ihm handeln. Mein Vater kann so was ganz gut. Wenn wir Glück haben,
geht er auf fünfhundert Euro runter.«
Fünfhundert - das war immer noch eine verteufelte
Menge Geld. Trotzdem, vielleicht konnte ich die Summe
zusammenbringen, wenn ich von Großvater zweihundert für das Fahrrad
bekam und meine Eltern mir den Rest vorstreckten...
Wir drehten ein paar Runden innerhalb des
Koppelzauns. Dabei ging Arne wieder neben Fee her und hielt sie am
Führstrick. Bonnie hatte sich zu Jago und Robin in den Schatten
zurückgezogen, lag auf der Seite und döste friedlich.
Es war ein seltsames Gefühl, direkten Kontakt mit
dem Pferderücken zu haben. Es machte das Reiten nicht einfacher als
mit Sattel, es war eben nur anders. Immerhin bekam ich dadurch mit
den Oberschenkeln und den Knien besseren Halt. Arne meinte, ich
könnte so auch leichter auf Fee »einwirken«.
Nach vier Runden machte er den Führstrick los, und
wir gingen allein weiter, erst langsam, dann schneller. Schließlich
fragte Arne, ob ich mutig genug wäre, es mit dem Traben zu
versuchen.
Ich mochte nicht zugeben, dass sich mein Mut sehr
in Grenzen hielt. Es begann auch äußerst bescheiden, schlimmer, als
ich es mir vorgestellt hatte.
Ich hopste wie ein Sack voller Kartoffeln auf Fees
Rücken herum und fühlte mich total bescheuert. Am liebsten wäre ich
vom Pferd gesprungen und hätte das Reiten wieder aufgegeben, noch
ehe ich richtig damit angefangen hatte.
Eine Haarsträhne kam unter dem Reithelm hervor und
fiel mir in die Augen, aber ich wagte es nicht, die Zügel
loszulassen. Bald schwitzte ich am ganzen Körper. Vor Verlegenheit,
weil ich so eine lächerliche Figur abgab, stieg mir das Blut ins
Gesicht.
»Entspann dich!«, sagte Arne. »Versuch, dich auf
Fees Rhythmus zu konzentrieren. Ihr Trab hat einen ganz bestimmten
Takt. Du musst den Po abwechselnd links und rechts leicht heben und
so in der Bewegung mitgehen. Das klingt kompliziert, ist es aber im
Grunde nicht. Das Wichtigste ist, dass du dabei ganz locker
bleibst, dann hört das Hüpfen auf.«
Er gab sich wirklich alle Mühe mit mir, aber ich
hatte langsam den Verdacht, dass ich ein hoffnungsloser Fall war.
Alles an mir hüpfte und wackelte und ich konnte trotz Arnes Tipps
keine Sekunde ruhig sitzen bleiben.
»Das lern ich nie!«, murmelte ich
verzweifelt.
»Sicher lernst du es. Was meinst du, wie schwierig
es für ein kleines Kind ist, sich aufzurichten und Laufen zu
lernen? Reiten lernen ist bestimmt nicht komplizierter.«
Der Schweiß lief mir nur so übers Gesicht. Mein
T-Shirt klebte am Rücken. Die Gummistiefel waren heiß wie
Bratröhren.
Ich atmete auf, als Fee unvermittelt stehen blieb,
die Ohren anlegte und sich weigerte, auch nur einen einzigen
Schritt weiterzugehen.
»Sie hat keine Lust mehr«, sagte Arne. »Und zwingen
mag ich sie nicht. Lass uns morgen weitermachen, ja?«
Er half mir beim Absitzen. Ich war zugleich
erleichtert und frustriert.
»So schwierig hab ich mir das echt nicht
vorgestellt«, murmelte ich, während ich den Reithelm
absetzte.
Auch Arne wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Der Sonnenbrand auf seinem Nasenrücken leuchtete.
»Nächstes Mal probieren wir das Traben mal mit
Sattel. Du wirst sehen, das ist leichter. Im Übrigen ist Reiten
Übungssache, wie alles andere auch. Natürlich gehört
Einfühlungsvermögen dazu, aber das hast du. Und du bist leicht und
beweglich. Ich gehe jede Wette ein, dass aus dir eine gute Reiterin
werden kann. Hast du Lust, mit mir Eis essen zu gehen, wenn wir Fee
trocken gerieben haben?«
Ich schüttelte den Kopf. »Morgen vielleicht.«
Jetzt wollte ich nur noch nach Hause und duschen
und mich in meinem Zimmer verkriechen. Der Frust über mein
lächerliches Gehopse hatte sich in mir festgesetzt, egal was Arne
auch sagte. Ronja hätte sich bestimmt nicht so dumm angestellt. Sie
war ja auch im Sportunterricht immer viel besser gewesen als
ich.
Eigentlich hat sie alles besser gekonnt, dachte ich
auf dem Nachhauseweg düster. Wir waren wie die zwei Seiten des
Mondes gewesen, sie die helle und ich die dunkle. Jedenfalls kam es
mir manchmal so vor.
Abends gab es eine längere Diskussion zwischen
meinem Vater und mir. Natürlich ging es dabei um Lara.
»Das Tier ist krank!«, sagte er. »Fünfhundert Euro
oder mehr für ein krankes Pferd, von dem man nicht weiß, ob es je
wieder ganz gesund wird, das ist ein hohes Risiko. Wir wissen auch
nicht, was an Tierarztkosten auf uns zukommen würde. Hast du dir
das mal überlegt?«
Mama war auf meiner Seite, das spürte ich, doch sie
war klug genug, es zu verbergen. »Vielleicht wäre es gut, wenn sich
ein Tierarzt die Stute ansehen würde, ehe man sie kauft«, schlug
sie vor. »Rede doch mal mit Arne Theisen darüber, Rikke. Die
Theisens hatten ihre Pferde bis vor Kurzem in diesem Stall stehen
und kennen dort bestimmt noch einen Tierarzt, der Lara untersuchen
kann.«
Ich sagte, das wäre eine gute Idee. Mein Vater saß
da und musterte mich mit gerunzelter Stirn.
»Bist du sicher, dass du dir die ganze Arbeit und
Verantwortung aufhalsen willst und das auch durchhalten würdest?
Ein Pferd Tag für Tag versorgen, es putzen und füttern, seinen
Stall ausmisten und mit ihm ausreiten - das ist keine Kleinigkeit.
Du hast doch schon jede Menge für die Schule zu tun! Und dann
denkst du, du könntest mir auch noch im Laden helfen … Wie willst
du das alles auf die Reihe kriegen?«
»Ich gebe den Kurs im Jazztanzen auf«, sagte ich.
»Der macht mir sowieso keinen Spaß mehr. Das sind schon mal drei
Stunden pro Woche und fünfundzwanzig Euro im Monat, die ich
einspare.«
»Aha. Und wie willst du die Kaufsumme
zusammenkriegen?«
»Ich hab vor zwei Stunden mit Großvater
telefoniert. Er sagt, ich könnte das Geld, das er mir fürs Fahrrad
schenken wollte, auch für ein Pferd ausgeben.«
Das mit den Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken,
auf die ich in den kommenden Jahren verzichten wollte, hörte sich
mein Vater kommentarlos an. Doch sein Gesichtsausdruck kam mir
jetzt nicht mehr ganz so abweisend vor wie am Anfang.
»Natürlich könnte ich deine Hilfe im Laden
brauchen«, sagte er. »Drei oder vier Stunden pro Woche wären prima.
Mit dem Geld, das du dabei verdienen würdest, wären die monatlichen
Kosten für das Pferd abgedeckt. Ist denn dieser junge Typ
zuverlässig? Ich meine, bist du sicher, dass er nicht eines schönen
Tages daherkommt und sagt, er oder sein Vater hätten sich die Sache
anders überlegt und wollten jetzt Geld dafür haben, dass die Stute
in ihrem Stall steht?«
Jetzt hatte sich das Blatt gewendet, das wusste
ich. Mama lächelte mir verstohlen zu.
»Total sicher, ja!«, erwiderte ich und gab mir
Mühe, ruhig und vernünftig zu bleiben. »Arne liebt Tiere. Und es
ist ihm wichtig, dass die Stute weiterleben darf und einen guten
Platz hat. Er würde sie ja selbst nehmen, wenn sie nicht schon drei
Pferde hätten.«
»Du weißt doch überhaupt nicht, wie man ein Pferd
versorgt!«
»Das kann man lernen. Arne hilft mir dabei, er hat
es versprochen.«
Mein Vater warf mir einen scharfen Blick zu. »Arne
hier, Arne da. Man hört ja in letzter Zeit fast nichts anderes mehr
von dir. Ich hoffe, das ist ein anständiger junger Mensch. Man
kennt diese Leute ja noch nicht.«
»Frau Pfefferle sagt, Herr Theisen ist
Wirtschaftsprüfer. Und die Handwerker, die auf Eulenbrook arbeiten,
seien sehr zufrieden, weil er sie fair behandelt und weil sie
pünktlich ihr Geld bekommen.« Mama wusste, welche Argumente bei
meinem Vater zählten.
Er trank einen Schluck Wein. Dann griff er nach der
Fernbedienung für den Fernseher.
»Jetzt schlafen wir erst mal darüber«, sagte er.
»Morgen ist auch noch ein Tag.«