Kapitel 13
Grenzen abstecken
»Die Idee ist totaler Mist«, erklärte Jannik und hieb mit der Hand nach der steinernen Fassade eines riesigen Gebäudekomplexes. David schenkte ihm ein Grinsen und ging unbeirrt weiter.
Sie durchquerten eine dieser Gegenden, in denen jedes Gebäude mit Büroflächen gespickt war. Eine seltsam graue Welt, die sich trotzdem den Luxus von Flächen gönnte, auf denen Objekte und Bänke zum Verweilen einluden. Doch niemand ging der Einladung nach; diese Plätze waren immerzu verwaist. Wer es eilig hatte - und hier hatten es alle eilig, weil die Stechuhr im Kopf tickte -, mied diese Flächen sogar und nutzte sie nicht einmal für eine Abkürzung. David schien für solche Feinheiten an diesem Mittag nichts übrigzuhaben, denn er marschierte kurzerhand über einen betonierten Platz. Er war sogar derart guter Laune, dass er über den Rand eines Springbrunnens balancierte, anstatt ihn einfach zu umrunden. Jannik hingegen hielt sich zurück und schielte in das Wasser. Auf dem blau getünchten Grund lag eine Getränkedose.
»Nun hör mal zu, Superman«, setzte Jannik erneut an und packte David am Ärmel. Doch der weigerte sich einfach, stehen zu bleiben. »Du bist ernsthaft aufgekratzt, weil du diese Frau noch einmal vernaschen durftest. Okay, freut mich für dich. Jetzt bist du voll auf körpereigenen Drogen, aber musst du deshalb gleich dermaßen auf die Pauke hauen? Nathanel will, dass wir Maggies Revier heute Abend einen kleinen Besuch abstatten. Das ist Stress genug. Uns jetzt auch noch bei ihr anzukündigen, ist völlig bescheuert. Mal abgesehen davon, dass das so gar nicht geplant war. Du solltest Maggie eigentlich nicht einmal kennen, so wie es sich für den Bodensatz des Rudels geziemt. Geschweige denn wissen, wie man ihr eine Nachricht zukommen lässt.Wenn Hagen davon was mitkriegt …«
»Aber Hagen wird davon nichts mitkriegen«, unterbrach ihn David übermütig und zog ihn an einer Zottel, die von seinem Hinterkopf abstand. »Das hier ist herrenloses Revier, wir sind also runter von seinem Radar. Wenn du allerdings meinst, dass du dich später nicht zusammenreißen kannst und alles verpetzt, dann solltest du mir besser nicht hinterherlaufen.«
»Ich laufe dir nicht hinterher«, erwiderte Jannik beleidigt, sah aber rasch zur Seite, als David ihm einen höhnischen Blick zuwarf. Burek schloss mit heraushängender Zunge auf, und fast wäre Jannik über ihn gestolpert. »Wunderbar, Burek findet es hier auch klasse. Wenn man sich euch beide so anschaut, könnte man glatt auf die Idee kommen, dass euch dieses unabhängige Gebiet zusagt. Die beiden Herren sind mit einem Schlag ja so unheimlich gelöst, geradezu überschäumend.«
»Ja, ganz im Gegensatz zu dir, du Jammerlappen.«
Jannik zeigte seinem Freund den Mittelfinger, doch David grinste nur.
»Schön, dass es dir so gut geht. Denn das wird sich schlagartig ändern, wenn Hagen dich für die Aktion erst einmal an den Eiern hat. Eins kann ich dir nämlich verraten: Nathanel wird danebenstehen und keinen Mucks von sich geben, während Hagen sie dir langzieht. So eine Scheißidee.«
»Na, wenigstens werde ich nicht allein leiden müssen. Du weißt ja: mitgefangen, mitgehangen. Hagen wird begeistert sein, sich an uns beiden austoben zu dürfen.Also reiß dich besser zusammen, dann wird alles wie am Schnürchen laufen.«
Vor lauter unterdrücktem Unmut knurrte Jannik. »Neutraler Boden, Leitwolfgehabe«, nuschelte er in seinen hochgestellten Jackenkragen.Aber er sah ein, dass es sinnlos war, weiterhin auf seinen Freund einzureden.
Am gestrigen Abend hatte es eine Besprechung im kleinen Kreis wegen einiger geplanter Grenzüberschreitungen auf das benachbarte Rudelgebiet gegeben. »Um die Möglichkeiten auszutesten«, wie Nathanel es formuliert hatte. Im Klartext hieß das, dass einige von ihnen sich auf Maggies Territorium herumtreiben und ihre Markierungen hinterlassen sollten. Eigentlich eine unangenehme Aufgabe, denn es widersprach ihren Instinkten.Trotzdem hatte Jannik in einigen Gesichtern Vorfreude aufflackern sehen, was ihn beunruhigt hatte. Offensichtlich waren sie der Auffassung, dass es richtig sei, gerade so, als stünde ihnen Maggies Revier zu. Oder als freuten sie sich auf eine Auseinandersetzung mit den Nachbarn.
David war zu dieser Besprechung gerade noch rechtzeitig eingetroffen, ziemlich außer Atem und leicht neben der Spur. Nathanel hatte ihn kurz beiseitegenommen und ihm ein paar Worte zugezischt, doch zu mehr hatte ihm die Zeit gefehlt. Jannik hatte ihrem Disput voller Beklemmung zugehört.
»Du solltest dir wirklich genau überlegen, ob du diese Frau wiedersehen willst. Wenn du eine Beziehung außerhalb des Rudels eingehen solltest, wird Hagen auf sein Recht pochen.«
Jannik hatte zustimmend genickt. Nur allzu gut konnte er sich ausmalen, wie der leicht erregbare Hagen darauf reagieren würde, wenn einer seiner Untergebenen es wagte, sich ein Leben außerhalb des Rudels aufzubauen. Und dann ausgerechnet David, an dem ihr Anführer ein solch besonderes Interesse zeigte, obwohl der sich so weit entzog, wie es der Dämon überhaupt zuließ.
David hingegen hatte Nathanels Bedenken gut gelaunt beiseitegeschoben. »Was soll Hagen schon tun? Sich vielleicht dazwischenlegen, wenn ich mit Meta zusammen bin?« Er hatte gelacht, und Jannik hatte darin eingestimmt, weil er Davids Lachen einfach nicht widerstehen konnte.
Nathanel hatte sie nur nachdenklich angeschaut. »Du solltest Hagen niemals unterschätzen, David. Er hat seine Position nicht umsonst inne. Entweder ordnest du dich unter, wie es deinem Rang entspricht, oder du siehst zu, dass du langsam auf eigene Füße kommst. Nur würde dir Hagen das wohl kaum durchgehen lassen, vor allem, wenn du ihm deinen Eigensinn so deutlich und vor dem ganzen Rudel auf die Nase bindest.«
David hatte leichthin abgewinkt, obwohl die Lage zwischen ihm und Hagen angespannt war. Und seit diese Frau aufgetaucht war, hatte die Spannung merklich zugenommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich entladen würde. Jannik glaubte nicht, dass es dabei allzu gut für David aussah. Und wenn er sich jetzt vor lauter Übermut auch noch von einem seit seinem Schlaganfall veränderten Nathanel für eine dubiose Mission einspannen ließ … Darüber wollte Jannik lieber nicht nachdenken.
Um sich abzulenken, musterte er seinen Freund, der so vergnügt war, dass Jannik fast neidisch wurde. Das Zusammensein mit dieser Meta hatte David unleugbar etwas geschenkt; er war regelrecht aufgeblüht. Seine Haltung war gelöst und voller Kraft, seine Hände gestikulierten beim Sprechen, anstatt zu Fäusten geballt zu sein. Und er lachte. Nicht dieses verbitterte Geräusch, das er ansonsten von sich gab, wenn er vorgab, dass ihm wieder einmal etwas gleichgültig war, was ihn in Wirklichkeit berührte. Es war ein echtes Lachen, volltönend und warm, doch mit dieser Zurückhaltung, die Davids Wesen bestimmte und seine Nähe so angenehm machte. Dieses Lachen zu hören, fühlte sich an, als würde unter einem Wolkenrand goldenes Sonnenlicht hervorbrechen.
Jannik war es äußerst peinlich, dass sein Freund solche Gefühle in ihm weckte. Um sich abzulenken und um ein wenig Aufmerksamkeit zu erringen, fragte er mit gespielter Pikiertheit: »Was ist das eigentlich für ein lächerliches Tuch, das du dir da um den Hals gewickelt hast?«
David blinzelte verwirrt, dann zupfte er an dem ehemals grauen Stoff, der nun mit blassroten Schlieren übersät war. »Tja, da hatte jemand ein rotes T-Shirt in der Maschine im Waschsalon vergessen. Du solltest mal meine Bettwäsche sehen.«
»Tief in dir drinnen bist du halt ein Hippie«, erklärte Jannik und wich einem nicht sonderlich ernst gemeinten Hieb aus.
Schließlich verließen sie die breiten Straßen mit den glänzenden Fassaden und dem Sicherheitspersonal in jedem gläsernen Eingang. Die Gassen wurden schmaler und unscheinbarer. Auch hier wohnte wahrscheinlich kein Mensch. In dieser Gegend waren kleine Büros und Stehimbisse untergebracht. Trotzdem atmete Jannik auf. Hier fühlte er sich wohler.Wenn schon ein herrenloses Revier, dann wenigstens eins, das heimelig anmutete. Als ein paar kalte Tropfen durch seine Haare an die Kopfhaut drangen, legte er den Kopf in den Nacken und sah in den wolkenverhangenen Himmel. Ein echter Bilderbuchherbst, dachte er. Regen und Wind.
Mit mehr Druck als nötig schubste David die Tür zu einem Bistro auf, dessen Tische größtenteils leerstanden. Der dichte Regenschauer verschlang das Tageslicht und ließ den verschnittenen Raum besonders kläglich wirken. Der Kellner, der von einem Barhocker aus die Wiederholung einer Sportsendung verfolgte, machte das Ganze nicht besser. Direkt an dem einzigen Fenster saß ein bulliger Kerl und verschlang etwas, das wie eine zusammengerollte Pizza aussah. Ihm gegenüber, mit dem Rücken zur Tür, saß eine Frau. Das feuerrot gefärbte Haar lag ihr in lackierten Wellen am Kopf an.
»Hier riecht es plötzlich nach nassem Hund«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
Jannik, der David auf dem Fuß gefolgt war, blickte sich unwillkürlich nach Burek um, doch der Mischling hatte es wie immer vorgezogen, vor dem Gebäude auf ihn zu warten. David schüttelte leicht den Kopf und grinste Jannik zu. Dann trat er an den Tisch heran und beugte sich zu der Frau hinunter.
»Hallo, Maggie, möchtest du gerne, dass ich dich zur Begrüßung ausgiebig beschnüffle und mich an dir reibe?«
Maggie drehte ihren Stuhl so, dass sie David erst einmal ausgiebig mustern konnte, bevor sie ihm antwortete. Dieselben blauen Augen, wie sie auch David und Jannik hatten - wie sie sie alle hatten. Maggies Gesicht war außergewöhnlich spitz zulaufend, und um ihre Augen zeichnete sich ein feines Netz von Linien ab. Ihre Züge verrieten eine starke Persönlichkeit, aber auch eine tiefgehende Erschöpfung. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie schon sehr lange an der Spitze ihres Rudels stand.
»Du solltest dich besser nicht aufspielen, mein Schatz«, sagte sie gedehnt, die Sprache von einem singenden Zungenschlag gefärbt, den David nicht zuzuordnen wusste. »Wenn ich das richtig sehe, hat dich vor gar nicht allzu langer Zeit schon eine Frau fertiggemacht. Eine Runde mit mir hältst du also bestimmt nicht durch, auch wenn du noch so ein potentes Kerlchen bist.«
Zu Janniks Verwunderung zuckte David lediglich mit den Schultern und setzte sich neben die Rothaarige, während er seinem Freund den anderen freien Stuhl neben dem unbekümmert kauenden Mann zuwies. Jannik zog es jedoch vor, stehen zu bleiben. Wenn es ihm nicht zu peinlich gewesen wäre, hätte er sich sogar neben die Eingangstüre gestellt. Oder noch lieber davor. David schien da deutlich weniger Berührungsängste zu verspüren, denn er angelte ungefragt einige Pommes vom Teller der Frau.
Maggie sah ihm ungerührt dabei zu. »Ich verstehe das nicht: Ich habe gehört, dass es endlich einmal vorangehen soll mit dir, David. Dass Hagen dir die nächste Stufe gewährt, damit dein Wolf zu guter Letzt doch noch sein Potenzial entfalten kann.Aber du bist weiterhin ganz der Alte. Wenn ich es darauf anlegen würde, könnte ich mir haargenau anschauen, was dieser Blondschopf gestern mit dir veranstaltet hat. Wo liegt für dich das Problem mit dem Ritual? Macht es dir Spaß, dich Hagen auszuliefern, obwohl du dich ihm genauso gut entziehen könntest?«
»Ach, Maggie. Das geht dich doch nichts an«, sagte David und versuchte, den Teller zu sich zu ziehen, was ihm mit einem flinken Schlag auf die Hand versagt wurde. »Ich wollte eigentlich mit dir über dieses Gebiet beim Fluss reden. So ein Fluss ist doch wirklich eine schöne Grenze, warum wollt ihr euch nicht darauf einlassen?«
Maggies klare Züge verzogen sich zu einer Grimasse. »Da kommt Hagens Fußabtreter und glaubt allen Ernstes, mit mir über Grenzfragen reden zu können. Du bist wirklich ein ganz schön dreister Bengel.Vor allem, da es doch deine Sippe ist, die ihr Territorium auf unsere Kosten ausdehnen möchte.«
»Willst du mir jetzt wirklich mit diesem Hierarchiekram ans Bein pinkeln?«
»Nein«, erwiderte Maggie und klang mit einem Mal sehr müde. Langsam schob sie David den Teller mit den Pommes zu. »Mein Haufen interessiert sich nicht sonderlich für das Gerede über Ränge, obwohl sich das dank Hagens aggressivem Verhalten langsam zu ändern droht. So ist das, wenn man auf der einen Seite von Hagen bedroht wird und auf der anderen Seite Sascha und sein Rudel hat, das ganz und gar im Glauben an das Recht des Stärkeren aufgeht. Da ist es nicht einfach, ein kleines Rudel zu leiten, das einfach nur in Ruhe leben will. Trotzdem freue ich mich, dass du mein Angebot, dich jederzeit bei mir melden zu können, nicht vergessen hast. Obwohl ich, ehrlich gesagt, befürchte, dass es in diesem Fall nicht viel zu reden gibt:Wenn Hagen weiterhin darauf drängt, dass seine Leute unsere Ecken markieren, werden wir zurückschlagen.«
David aß schweigend, während Jannik am liebsten gegangen wäre. Diese Art der Unterhaltung war ihm zuwider, und er hegte den Verdacht, dass dieser fremdartige Geruch, den die Frau und ihr Partner verströmten, an ihm haften bleiben würde wie ein unsichtbarer Makel. Seine Fingerspitzen kribbelten vor Nervosität, und er verspürte den Drang, an die nächste Häuserecke zu pinkeln.
Eigentlich hatte Jannik keine Ahnung von der Ordnung der anderen Rudel. Er wusste, wo die Grenzen verliefen. Punkt. Er hatte von Maggie gehört, die ein eher kleines Rudel leitete. Eigentlich unbedeutend, wenn man einmal davon absah, dass es ein Bollwerk zwischen Hagens und Saschas dominanten Rudeln war. Ein empfindliches Gleichgewicht, das nun durch Hagens wachsenden Anspruch durcheinandergeriet.
»Du weißt, was passieren wird, wenn du keinen Handel mit Hagen auf die Beine gestellt kriegst: Dein Territorium wird über Nacht zum Kriegsgebiet erklärt werden«, nahm David den Faden schließlich wieder auf. »Nur, dass es Hagen und Sascha sein werden, die dort blutig ihre Kräfte messen. Du wirst vorher von einem der beiden geschluckt werden oder dich in den Untergrund zurückziehen müssen.«
»Erzähl mir mal was Neues«, erwiderte Maggie gelangweilt. Doch selbst Jannik entging nicht, wie fest sie die Papierserviette umfasst hielt. Ein Blick in ihr Gesicht verriet, dass ihr das Ganze schon viel zu lange zu schaffen machte. Die stete Ungewissheit, die mit der Position als Zünglein an der Waage einherging, zermürbte sie langsam. »Hast du um dieses Treffen gebeten, damit ich Hagen um des lieben Friedens willen ein weiteres Mal nachgebe? Ich habe schon so oft nachgegeben, und was hat es mir gebracht? Früher oder später wird es zu einem Krieg kommen.«
»Das willst du aber nicht für dein Rudel«, versuchte David, sie zu beschwichtigen.
Die ältere Frau wollte jedoch nicht an sich halten, zu sehr regte sie dieses Thema auf: »Woher willst du denn wissen, was gut für ein Rudel ist? Das hat dir doch keines von diesen beiden Arschlöchern beigebracht, unter deren Knute du gelebt hast. Du bist genauso verwildert wie die.«
Sofort beugte sich David mit einer schnellen Bewegung zu Maggie hinüber, so dicht, dass es nur eine Herausforderung sein konnte. Obwohl es ihr deutlich zuwider war, wich Maggie nicht zurück, sondern funkelte den jungen Mann wütend an. Ihr bislang stoisch dreinblickender Kompagnon stellte plötzlich das Kauen ein, aber bevor er aufstehen und David beim Kragen packen konnte, ließ dieser sich wieder im Stuhl zurücksinken. Beschwichtigend hob er die Hände und verschränkte diese dann hinter dem Nacken. Ein Zeichen, dass er sich unter Kontrolle hatte.
Maggie musterte ihn noch einen Moment lang gereizt, dann sagte sie zu ihrem Gefährten: »Ist gut, Anton. Soll David halt erzählen, was ihn hierhergetrieben hat.«
»Es gibt Stimmen, die sagen, dass Hagen in der letzten Zeit zu gierig geworden ist«, sagte David vorsichtig, als müsse er jedes Wort erst auf seinen Klang hin abtasten. »Die vielen Opfer, das dämliche Gequatsche über die Macht des Wolfes und die Entstehung einer natürlichen Ordnung. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Wenn du noch ein wenig abwarten könntest, erledigt sich das Problem vielleicht von selbst.«
Hinter sich hörte David Jannik nach Luft schnappen, und einen Moment lang bereute er es, seinen Freund mitgebracht zu haben. Jannik hatte von Politik ungefähr so viel Ahnung wie vom Autofahren, und seine Worte mussten ihm wie ein vorsätzlicher Verrat erscheinen.
»Ach ja?«, erwiderte Maggie ungerührt. »Und wer soll diesen Scheißkerl in der nächsten Zeit zu Fall bringen? Nathanel ist nach seinem Schlaganfall dazu wohl kaum imstande und hat sich ohnehin immer nur für die zweite Reihe interessiert. Als Hagen sich damals nach oben durchgebissen hat, hat er sich ihm jedenfalls nicht in den Weg gestellt. Und der Rest tanzt brav nach seiner Pfeife, auch wenn sie hinter vorgehaltener Hand murren. Von den Neuen, die er ins Rudel aufgenommen hat, einmal ganz abgesehen. Dieses Kroppzeug, das er einsammelt, wird ihm sicher nicht in den Rücken fallen.« Für einen Augenblick hielt Maggie inne und betrachtete David eindringlich. »Tja, und dann wärst da noch du. Aber du weigerst dich ja standhaft, den Wolf hervortreten zu lassen.«
David schob trotzig das Kinn vor. »Ich habe einfach kein Interesse daran, den Wolf zu füttern. Man braucht sich nur Hagen anzuschauen, um zu erfahren, was dabei rauskommt. Gut, anfangs mag der Dämon aufblühen, aber irgendwann geht es nur noch ums Jagen und Erlegen. Oder ums Zerfleischen. Dann ist man plötzlich nicht mehr als ein geiferndes Monster, dem der Schatten abhandengekommen ist.«
»Mein Junge, du bist einfach im falschen Lager gelandet«, erklärte Maggie. Obwohl sie ihre kühle Fassade aufrechterhielt, klang eine Spur von Zärtlichkeit durch. »Du hättest zu mir kommen sollen, als ich es dir angeboten habe.«
»Hagen hat mich gesucht und gefunden.«
»Du meinst, Hagen hat sich nach Convinius’ Tod auf dich gestürzt wie auf eine leichte Beute. Und dann hat er dich mit der Geschichte an die Kette gelegt, dass dein Ziehvater auch einmal seinem Rudel angehört hat.«
»Convinius war ein Rudelmitglied, das steht außer Frage.«
Maggie lachte bitter und legte David eine Hand auf den Oberschenkel, was dieser mit einem leisen Knurren zuließ. Er sah alles andere als beruhigt aus. »Aber nicht unter Hagens Führung. Darüber solltest du einmal nachdenken.«
David blickte zur Seite, das Gesicht ausdruckslos. »Meinetwegen. Denkst du im Gegenzug über das nach, was ich dir gesagt habe?«
»Ja«, antwortete Maggie, dann zog sie langsam die Hand zurück. »Außerdem werde ich die nächsten Tage die Füße stillhalten, wenn du mir eins verrätst:Wenn das zwischen dir und dieser blonden Frau ernster wird, wirst du dich dann auf den Wolf einlassen, um sie zu schützen?«
Bevor er darüber nachdenken konnte, nickte David. Im nächsten Moment hätte er sich für sein freimütiges Geständnis ohrfeigen können. Damit erweckte er nur den Anschein, sich persönlich gegen Hagen auflehnen zu wollen. Mit einer hastigen Bewegung stand er auf und verabschiedete sich, ehe er gezwungen war, Maggies freundliches Lächeln zu erwidern.
Kaum waren die beiden Männer vor die Tür getreten, lief Burek schwanzwedelnd auf sie zu und beschnupperte sie mit großem Interesse. Erst als das Bistro außerhalb der Sichtweite lag, wagte Jannik es, richtig nach Luft zu schnappen.
»Was ist denn das eben für eine Nummer gewesen?« Mit einer weit ausholenden Geste deutete er zurück, auf dem Gesicht einen Ausdruck, als hätte er einen Blick in die Hölle geworfen.
»Ist ein wenig außer Kontrolle geraten«, erwiderte David, wobei er kaum die Zähne auseinanderbekam. Es kostete ihn große Mühe, überhaupt etwas zu sagen, so aufgewühlt, wie er war.
»Verdammter Mist, das möchte ich meinen! Du hast gesagt, du willst ein bisschen gut Wetter machen, damit wir demnächst nicht als lebende Puffer enden, wenn Hagen uns beide in einem Revierkampf in die erste Reihe stellt. Stattdessen ging es auf einmal um …« Jannik fuchtelte wild mit der Hand in der Luft herum, als könnte er sich eine Erklärung herbeiwinken. Dann hielt er inne, sah David nachdenklich an und sagte schließlich: »Ach, scheiß drauf. Aber du lädst mich jetzt zu einem Bier ein.«