Kapitel 11

Lockruf

Unruhig schlich Meta durch die Räume ihres Apartments. Das Bild, das David ihr geschenkt hatte, lehnte an der Wand in ihrem Schlafzimmer - so, wie es auch in seiner Wohnung gestanden hatte. Sie hatte sich fest vorgenommen, diesen Raum für den Rest des Tages zu meiden. Es brachte doch nichts, Stunde um Stunde dieses Bild vom Bett aus zu studieren, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was es wohl über seinen Schöpfer aussagte. Die zurückhaltenden Farben, das verlassene Gebäude … Schließlich konnte sie sich nicht einmal sicher sein, ob es überhaupt von David gemalt worden war.

Und überhaupt: Dieses merkwürdige Geschenk verdrehte ihr immer mehr den Kopf. Aus einem One-Night-Stand mit unangenehmem Ausgang war mittlerweile eine Begegnung mit einem geheimnisvollen Mann geworden, nach dem sie sich mit geradezu lächerlicher Intensität sehnte. Das, was sie von David wusste - dass er ein jüngerer, leicht verwahrloster Mann war, dessen Körper alte wie neue Verletzungen aufwies und dem es auf unerklärliche Weise gelungen war, sie in dieser riesigen Stadt zu finden -, kam nicht mehr gegen das an, was sie für ihn empfand.

Was empfand sie? Diese Frage versuchte Meta nach Kräften zu verdrängen. Das Ganze erschien ihr zu absurd. Wäre sie zwanzig Jahre älter gewesen, hätte sie dieses Gefühlschaos auf eine Midlife-Crisis schieben können, auf das Bedürfnis, sich  noch einmal aufzubäumen, bevor man sich eingestand, dass die wilden Zeiten endgültig vorüber waren.

Obwohl die Sonne an diesem Morgen nicht mehr als ein milchiger Flecken am Himmel war, zog Meta auf ihren ruhelosen Gängen durch das weitläufige Apartment die meisten Vorhänge zu, da ihr das Licht in den Augen schmerzte. Der Halbschatten gefiel ihr, dämpfte das leuchtende Bunt, das mit Karl in ihrem Reich Einzug gehalten hatte. Ihr Blick fiel auf den Leuchter aus korallenrotem Murano-Glas an der Decke. Er lenkte von dem Art-déco-Paravent ab, der eine Landschaft in Pastelltönen zeigte - ein Erbstück ihrer Großmutter. So viel Lieblichkeit gehört gebrochen, hatte Karl erklärt. Gegen ihr Empfinden hatte Meta eingewilligt, dieses Monstrum aufhängen zu lassen. Als es dann bei der Einweihung Komplimente für dieses Arrangement geregnet hatte, hatte sich ein bitteres Lächeln auf ihre Lippen geschlichen.

Eigentlich hatte Meta sich fest vorgenommen, die ersten eigenen vier Wände nur nach ihren Bedürfnissen einzurichten und dabei keinerlei Rücksicht auf irgendwelche Geschmacksrichtlinien zu geben. Schließlich verbrachte sie die meiste Zeit mit Menschen, die sich unentwegt darüber ausließen, was nun schick sei und was im Augenblick überhaupt nicht ginge. Deshalb wünschte sie sich dringend einen Ort, der abgeschottet von Zeitgeist und Gefallsucht war. Nichts, das einem Fragen stellte oder einen provozieren wollte. Nur Ruhe und Geborgenheit.

Ihr Widerstand war beschämend schnell gebrochen. Tatsächlich hatte ein pikierter Blick von Karl auf das lavendelfarbene Sofa mit seinem anschmiegsamen Stoff gereicht, um bei Meta den Wunsch auszulösen, alle seine Verbesserungsvorschläge ohne Diskussion anzunehmen. Das Ergebnis bestand darin, dass sie sich wie eine Fremde in ihrem Zuhause vorkam. Überall stieß ihr Auge auf Elemente, die ihr nicht das Gefühl  vermittelten, ein Nest geschaffen zu haben. Nur in ihrem Schlafzimmer hatte sie sich nichts von Karls Geschmack diktieren lassen und es so eingerichtet, wie sie es sich wünschte. Mit dem Ergebnis, dass Karl keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, ihr das Hellblau der Wände in kunstvoll despektierlichen Anspielungen unter die Nase zu reiben.

Mit verschränkten Armen blickte Meta zu dem hässlichen Murano-Leuchter auf und spielte mit dem Gedanken, ihn einfach von der Decke zu holen. Sie würde ihn mit etwas zerknülltem Zeitungspapier in einen Pappkarton stecken und Karl schicken. Falls dem Ding unterwegs ein Arm abbrechen sollte, war es auch nicht schade drum. Doch so verführerisch dieses Vorhaben auch erschien, Meta konnte sich nicht dazu durchringen, es in die Tat umzusetzen.

Mit einem Anflug von Erschöpfung schleppte sie sich zum Sofa und streckte sich darauf aus. Ihre Finger fanden die Fernbedienung für die Stereoanlage, und einen Moment später erscholl Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen durch den weitläufigen Wohnraum. Für gewöhnlich gab es keine bessere Medizin, um ihre angespannten Nerven zu beruhigen - wenn man einmal von Hochprozentigem absah. Aber dieses Mal funktionierte es nicht. Trotzdem blieb sie liegen, den Arm über die Augen gelegt, ein Bein über die Sofakante hinabhängend.

Was war nur los mit ihr? Seit Tagen schon fühlte sie sich, als hätte sie sich einen Grippevirus eingefangen, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Ein Kribbeln in den Gliedern, das sie reizbar stimmte. Das ständig nagende Gefühl, etwas unternehmen zu müssen, solange noch Zeit dafür blieb.

Nachdem die letzten Töne des Musikstückes verebbt waren, sprang Meta auf und tigerte einige Runden durch das Zimmer. Sie schob Ziergegenstände auf der Kommode zurecht und warf einen kurzen Blick durch den Vorhang auf den  Himmel, der sich allmählich durch Wolkenkaskaden verdunkelte. Spätestens zur Mittagszeit würde es Regen geben. Dann blieb sie vor dem gut versteckten Regal mit den CDs stehen. Mit dem Finger fuhr sie die Reihen entlang, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte.Trotzdem wurde sie fündig. Der Schriftzug einer Band stach ihr ins Auge. Dieses Album hatte ihr eine Mitbewohnerin aus der Zeit an der Universität geschenkt, Rockmusik für Studenten quasi. Unschlüssig ging sie die Titelliste durch, doch keines der Stücke rief eine Erinnerung wach, die erklärt hätte, warum ihr der Anblick dieser CD einen freudigen Stich versetzte.

Nachdenklich betrachtete sie das Cover: In weichen Grautönen sah man ein Paar, das eine Handbreit voneinander entfernt, aber einander zugewandt dastand. Die Frau hatte dem Mann eine Hand auf die Schulter gelegt. Allerdings war nicht ganz klar, ob die Geste eine zärtliche Hinwendung oder eine Verabschiedung bedeutete.Was sollte sie bloß damit anfangen? Meta verspürte absolut nicht das Bedürfnis, sich ausgerechnet jetzt Rockmusik anzuhören. Eigentlich hatte sie diese Art von Musik noch nie gemocht. Dennoch ging sie zu der Anlage und legte die CD ein.

In dem Augenblick, als der Gesang einsetzte, begriff sie, warum sich etwas in ihr nach dieser Musik gesehnt hatte: Die Stimme des Sängers klang wie die von David.Voll, doch mit einem verhaltenen Unterton. Ruhig, ausgeglichen, leicht rau. Keine Stimme, die nach Aufmerksamkeit heischte oder gar ins Dramatische umschlug.

Ungläubig schüttelte Meta den Kopf, während sie sich auf den Boden setzte und die Knie mit den Armen umschlang. Die wenigen Sätze, die David geäußert hatte, hatten sich unzweifelhaft tief eingebrannt. Seine Wirkung ging weit über das hinaus, was sie sich eingestehen wollte. Meta schob den Gedanken beiseite und überließ sich dem Gesang. Die Stimme  war schön, auf eine maskuline Weise. Sie berührte etwas in Meta oder legte vielmehr etwas frei.

Night falls  And towns become circuit boards  We can beat the sun as long as we keep moving

Wie in Trance ging Meta ins Schlafzimmer, streifte ihren Bademantel ab und zog das Kleid, das noch vom Vortag über der Schaukelstuhllehne hing, über den Kopf. Während sie den Reißverschluss hochzog, fiel ihr Blick flüchtig auf das Bild, das nun weitgehend im Schatten lag. Sie dachte überhaupt nicht daran, sich Strümpfe überzuziehen, sondern schlüpfte einfach in ein Paar Ballerinas. Auf dem Weg nach draußen griff sie nach dem Trenchcoat und ihrer Handtasche. Als sie auf der Straße ein Taxi heranwinkte, war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie die Wohnungstür hinter sich zugezogen hatte.

 So weit sie die Erinnerung trug, hatte sie den Fahrer in das Stadtviertel, in dem David lebte, geleitet. Doch besonders weit war das nicht gewesen, und schließlich entschied sich Meta dazu, einfach auf gut Glück an einer großen Kreuzung auszusteigen. Eine Zeit lang blieb sie mitten auf dem Gehweg stehen, die Hände in den Taschen, und sah sich um.

In ihrem Rücken befand sich einer dieser anonymen 24-Stunden-Supermärkte, wo Nylonstrümpfe neben Kinderspielsachen und Dosengemüse angeboten wurden. Immer wieder kam jemand mit vollen Tüten durch die auf- und zugleitenden Schiebetüren, doch für einen Samstagvormittag war es ruhig. Die Ampelschaltung verrichtete tapfer ihren Dienst, obwohl kaum Autos unterwegs waren. Niemand schlenderte den Gehweg entlang, als hätte er alle Zeit der Welt, genauso  wenig wie es spielende Kinder oder Jugendliche gab, die beisammenhockten und sich unterhielten.

Warum sie all das vermisste, wusste Meta selbst nicht. Denn in den Ecken der Stadt, in denen sie heimisch war, herrschte auch kein belebender Trubel. Die Leute gingen stets ihren Aufgaben nach, und wer sich keinen Wagen leisten konnte, sah für gewöhnlich zu, dass er rasch eine der vielen U-Bahn-Stationen erreichte, denn in dieser Stadt ging niemand gern zu Fuß.

Mit einem Mal beschlich Meta die wahnwitzige Vorstellung, dass den Menschen das Straßengeflecht wie die freie Wildbahn erscheinen musste. Dass sie die Sicherheit von festen Wänden oder ihrer Blechkisten bevorzugten. Ja, dass sie sich auf der offenen Straße vielleicht sogar wie leicht zu schlagende Opfer vorkamen. Es war dieses seltsame Gefühl, das einen überkam, wenn man die menschenleere Straße entlangging. Als würde etwas in den Türeingängen und Hinterhöfen lauern und seine Möglichkeiten abwägen.Alte Instinkte, sagte Meta sich. Da leben wir inmitten einer Großstadt und glauben uns immer noch in der Wildnis. Dabei konnte sie nicht einmal sagen, ob dieses übertriebene Sicherheitsbedürfnis auch in anderen Städten vorherrschte. Sie selbst empfand es ja nur, weil sie von ihrer Umwelt stets darauf aufmerksam gemacht wurde.

Meta knotete den Gürtel ihres Trenchcoats enger, damit der Wind ihr nicht länger eine Gänsehaut zaubern konnte. Es hatte ihr noch nie etwas ausgemacht, im schwächer werdenden Licht durch Gassen zu gehen, in denen Schatten hausten. Trotzdem hatte sie sich irgendwann entschieden, sich den Ängsten der anderen anzupassen, ein Taxi zu rufen, wenn ihr der Sinn eigentlich mehr nach einem Streifzug stand. In den letzten Jahren hatte sie über diesen Widerspruch gar nicht mehr nachgedacht und vergessen, dass es einmal anders gewesen war.

Mit einem leicht verrutschten Lächeln begann Meta ihren Spaziergang durch die Straßen, die ihr alle unterschiedslos vorkamen. Ewig gleiche Mietshäuser, die auf die Tatsache, Individuen zu beherbergen, keinerlei Rücksicht nahmen. Selbst wenn sie an Davids Haustür vorbeigehen sollte, würde sie es wahrscheinlich nicht bemerken. Zweifellos war es absurd, was sie hier trieb. Bestenfalls würde sich dieser kleine Ausflug als Heilmittel für ihr Zwangsverhalten erweisen. Am Montag wollte sie ihren ganzen Mut zusammennehmen und Rahel davon erzählen. Die würde sie zwar verstehen, ihr aber zugleich bestätigen, dass David verloren war, wenn er nicht von selbst wieder auftauchte.Vielleicht sagte sie ihr sogar, dass es an der Zeit war, dieses Hirngespinst nach all den Wochen des Wartens endlich aufzugeben.

Der Wind hatte deutlich aufgefrischt und trieb die regenschweren Wolken nun mit Eile über den Himmel. Nur gelegentlich gelang es der Sonne noch, einige Strahlen durch die Wolkentürme zu schicken. Im Großen und Ganzen sah es danach aus, als ginge bald ein Platzregen nieder.

Metas nackte Beine waren mittlerweile mit Gänsehaut überzogen, und sie raffte den Kragen des Trenchcoats zusammen. Der Gurt ihrer Handtasche rutschte von der Schulter, und ihr Gewicht baumelte schwer in der Armbeuge. Einen Regen würden ihre Ballerinas auf keinen Fall überstehen. Auf der gegenüberliegenden Straße tauchte ein Taxi auf, aber sie ließ es vorbeifahren, ohne dass sie den Arm hob. Leise verfluchte sie sich selbst. Dieses Drama muss jetzt aufhören, sofort!, schwor sie sich. Sie hatte sich bereits zu mehr hinreißen lassen, als sie vor sich selbst vertreten konnte. Dann würde sie eben die U-Bahn nehmen und dabei keinen Blick zurückwerfen.

Entschlossen drehte sie sich um und lief gegen eine Lederjacke. Bevor Meta die Augen anheben konnte, verriet der Duft schon, wer dort gerade vor ihr aufgetaucht war: David. Dieser  Geruch, bei dem Meta schlagartig ihre anerzogene Zurückhaltung vergaß, ließ sich kaum beschreiben. Er war viel mehr als etwa das kribbelnde Aroma von Eisenkraut oder der betörende Duft eines erregten Mannes. Seine Wirkung auf Metas Sinne war vielschichtiger, als könne sie ihn zugleich auch schmecken und spüren.

Ohne sich dagegen wehren zu können, strahlte Meta den Mann vor sich glücklich an. David trat einen Schritt zurück und musterte sie verhalten. Unterhalb seines Kinns leuchtete eine halbmondförmige, grellrote Wunde auf.

Kein Lächeln, stellte Meta enttäuscht fest. Nein, David wirkte gar nicht so, als könne er diesem Zufallstreffen etwas abgewinnen. Er wirkte angespannt, fast ein wenig verärgert.

»Wer hätte das gedacht?«, setzte Meta zögerlich an und wusste dann nicht, was sie weiter sagen sollte.

»Ja, so was«, sagte David gedehnt und blickte ausweichend nach unten.

»Hattest du hier in der Gegend zu tun?« Was für eine idiotische Frage, schalt sich Meta in dem Moment, als sie die Worte aussprach.

»Etwas in der Art.« David wischte sich mit der Hand über den Mund, die Augen immer noch gesenkt. »Das hier ist mein Revier«, fügte er schließlich an.

Bevor Meta über den ungewöhnlichen Ausdruck Revier  stolpern konnte, lächelte David sie an. Es war, als hätte er seine distanzierte Haltung abgestreift wie eine Schlangenhaut. Darunter kam etwas zum Vorschein, das sie bislang lediglich erahnt hatte: eine natürliche Selbstsicherheit, die zu seinem anziehenden Duft passte.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, ließ Meta den Kragen ihres Trenchcoats los und fuhr mit der Hand über die plötzlich erhitzte Haut ihres Halses. Unter ihren Fingerspitzen spürte sie ihren Puls rasen.

David beugte sich vor und strich ihr langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann ließ er die Hand wieder sinken. »Es wird gleich anfangen zu regnen«, sagte er ruhig, machte aber keinerlei Anstalten, sich in Bewegung zu setzen.

Meta konnte nur dastehen und ihn mit allen Sinnen wahrnehmen. Für den kalten Wind oder den heraufziehenden Regen hatte sie keinen einzigen Gedanken mehr übrig. Sie wollte nur, dass David die Distanz überwand, damit sie ihn endlich wieder spüren konnte.

Erste Regentropfen fielen ihr ins Gesicht. David drehte den Kopf zur Seite, als hielte er nach einem Unterschlupf Ausschau oder sogar nach einem Taxi, das sie nach Hause bringen konnte.

Entschlossen machte Meta einen Schritt auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Hals. Eine hilflose Geste, und doch … Sie glaubte, elektrisiert zu werden, als das kurze Haar in seinem Nacken ihre Handfläche kitzelte.

Augenblicklich hob David seine Arme an und packte sie bei den Handgelenken. Er warf ihr einen gereizten Blick zu, seine dunklen Augenbrauen fuhren dicht zusammen, als sich eine senkrechte Falte mitten auf der Stirn eingrub. Aber er zwang sie nicht, die Umarmung aufzugeben.

»David«, flüsterte Meta und wusste nicht, was ihr mehr Angst einjagte: die Vorstellung, dass er sie zurückweisen oder die, dass er ihr Verlangen erwidern könnte.

Dann umarmte er sie mit einer solchen Wucht, dass sie vor Schrecken aufstöhnte. Doch nur kurz, denn schon lagen seine Lippen auf ihrem Mund. Ihre Hände ließen seinen Nacken los und krallten sich durch das Leder hindurch in seine Oberarme, damit sie seinem Ansturm standhalten konnte. Davids Hände glitten über ihre Hüften, umfassten ihren Hintern, und er zog sie noch näher an sich heran.

Über ihnen erklang ein tiefes Grollen, und mit einem Mal  ging ein Regenschauer nieder. David hielt in seinem Kuss inne, blickte kurz auf, dann drängte er Meta ein paar Schritte zurück, bis sie Mauerwerk im Rücken spürte. Die Schnelligkeit und die Kraft, die aus seinen Bewegungen sprach, entlockten ihr ein überraschtes Blinzeln.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht war konzentriert, während er eine geschlossene Haustür fixierte. Bevor Meta noch ein »Nicht« herausbringen konnte, verpasste David der Haustür einen festen Schlag, woraufhin diese mit einem Knall aufsprang und gegen die Wand schlug. Der herausragende Bolzen des Schlosses sah verbogen aus, die Oberfläche eingedellt.

Meta durchzuckte ein Energiestoß, als wäre sie einem leichten Stromschlag ausgesetzt gewesen. Er hinterließ ein Kribbeln auf ihrer Haut, das sich aufregend und beängstigend zugleich anfühlte.

Aber noch etwas anderes beunruhigte sie. Sie glaubte nämlich, etwas gesehen zu haben, das schlicht und ergreifend nicht sein konnte: Als David mit der flachen Hand gegen die Tür geschlagen hatte, war seiner Handfläche eine Art Schemen entwichen. Als hätte nicht Davids Schlagkraft, sondern der Schemen die Tür aufspringen lassen - oder als hätte die Tür eine Druckwelle erfasst. Das kann nicht sein, beruhigte sich Meta sofort. Das hast du dir bloß eingebildet.

Während David sie in das diesige Treppenhaus hineindrängte, schob sie das Bild des Schemens beiseite. David suchte bereits wieder ihre Lippen, und Meta folgte der Aufforderung nur allzu gern.

Für einen kurzen Moment zog sich David von ihr zurück, um seine Jacke abzustreifen. Dabei konnte sie einen Blick auf den Ausschnitt seines Hemdes werfen.Augenblicklich war die gewaltsam geöffnete Tür vergessen. Das aufblitzende Schlüsselbein und die kleine Kuhle darunter führten sie in Versuchung. Sie erinnerten Meta an seine schön geschwungenen Brustmuskeln, die von dem dunklen Haar bedeckt waren, das es ihr so angetan hatte.

Bevor David sich abermals an sie drängen konnte, fuhren ihre Hände unter sein Hemd. Er stemmte beide Fäuste neben ihren Schultern gegen die Wand, während sie über seine Brust streichelte und ihre Lippen über seinen von einem Bartschatten rauen Hals gleiten ließ.Was sie dabei schmeckte, raubte ihr beinahe den Verstand: dieser salzige Film, bei dem sie sich nicht sicher war, ob sie ihn mehr schmeckte oder als Duft wahrnahm.

Ungeduldig zerrte sie an seinem Hemdkragen, riss ihn beiseite und rieb ihr Gesicht über seine freigelegte Brust. Ihre Hände suchten nach dem Bund seiner Jeans, glitten darunter und verschafften sich etwas mehr Spielraum, indem sie die Knöpfe öffneten. Während ihre Finger unter den Stoff glitten und ihn hastig über seinen muskulösen Hintern schoben, gönnte sich Meta einen Blick auf Davids angespanntes und zugleich gelöstes Gesicht, auf den fiebrigen Glanz in seinen Augen und das kaum merkliche Zittern seiner Unterlippe.

Ruckartig stieß David sich von der Wand ab, um in die Knie zu gehen und nach dem Saum ihres Kleides zu greifen. Kaum hatte er ihn zu fassen bekommen, da drängte er sich zwischen ihre Schenkel. Meta hörte das leise Reißen von Seide, als David den hauchdünnen Saum ihres Slips zwischen den Fingern überdehnte. Dann packten seine Hände sie unter ihren Oberschenkeln, um sie ein Stück hochzuheben.

Meta schloss die Augen und ließ den Kopf in den Nacken sinken. Ihre Schulterblätter schabten über das harte Mauerwerk, doch der Schmerz erreichte sie nicht. Sie öffnete die Lippen und spürte erneut Davids Mund. Ihre Arme schlangen  sich um seinen Nacken, und einen Moment lang ärgerte sie sich darüber, den Trenchcoat nicht rechtzeitig abgestreift zu haben. Jetzt hätte sie ihre Seele dafür gegeben, seine erhitzte Haut auf ihren Unterarmen zu spüren. Als David jedoch seine Hüfte zwischen ihre Schenkel drängte, vergaß Meta alles um sich herum und gab sich ganz dem betäubenden Verlangen hin.