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In Buffys Viertel lässt man keine Fahrzeuge von Nichtanwohnern herein, bevor nicht alle Insassen Bluttests abgelegt haben. Also hielten wir am Tor, wo sie sich testen lassen und den Rest des Wegs zu Fuß gehen konnte. Ich steche mir nicht gerne in den Finger, und wir hatten ohnehin noch einen weiteren Bluttest vor uns, wenn wir zu Hause ankamen. Wir leben in einem offenen Viertel eines der letzten in Alameda County , aber unsere Eltern müssen bestimmte Bedingungen erfüllen, wenn sie ihre Hausratsversicherung behalten wollen, und bis wir es uns leisten können, allein zu wohnen, müssen wir mitspielen.

»Ich lade die Videoaufnahme hoch, sobald ich sie aufpoliert habe«, versprach Buffy. »Schickt mir von zu Hause eine SMS, damit ich weiß, dass ihr gut angekommen seid, ja?«

»Klar, Buffy«, sagte ich. »Wenn du willst.«

Buffy ist eine großartige Technikerin und eine gute Freundin, aber ihre Vorstellungen von Sicherheit sind ein bisschen verquer, wahrscheinlich, weil sie in einer Hochsicherheitszone aufgewachsen ist. Im Feld macht sie sich weniger Sorgen als in einem eigentlich geschützten städtischen Einzugsgebiet. Zwar gibt es in den Städten tatsächlich mehr Attacken im Jahr als in ländlichen Gebieten, aber es gibt auch eine Menge mehr großer Männer mit Gewehren, sobald man sich von den Bächen und Maisfeldern entfernt. Vor die Wahl gestellt, würde ich mich jederzeit für die Stadt entscheiden.

»Wir sehen uns morgen!«, sagte sie und winkte Shaun durch die Windschutzscheibe des Wagens zu, bevor sie Richtung Wachstation ging, wo sie die nächsten fünf Minuten auf Kontaminationen durchgecheckt werden würde. Shaun winkte zurück, ließ den Motor wieder an und setzte vom Tor zurück. Das war mein Signal. Ich hob den Daumen, um anzuzeigen, dass ich bereit war, und wendete das Motorrad, zurück Richtung Telegraph Avenue und in das Gewirr von Vorstadtstraßen, in dem unser Haus lag.

Berkeley ist genau wie Santa Cruz eine Universitätsstadt, und beim Erwachen wurden wir regelrecht überschwemmt. Kellis-Amberlee erreichte die Wohnheime, vermehrte sich und verbreitete sich dann explosionsartig in einem Muster, von dem so gut wie alle überrumpelt wurden. »So gut wie« sind die entscheidenden Worte dabei. Als die Infektion in Berkeley ankam, tauchten die ersten Onlineberichte über die Vorgänge an den Hochschulen auf. Dabei hatten wir einen Vorteil gegenüber den meisten anderen Universitätsstädten: Wir hatten von vorneherein einen größeren Anteil von Verrückten in der Bevölkerung.

Man muss wissen, dass Berkeley seit jeher die Spinner und Durchgeknallten der akademischen Welt angezogen hat. Das passiert eben bei einer Universität, die Abschlüsse sowohl in Computerwissenschaft als auch in Parapsychologie anbietet. Die Stadt glaubte sowieso schon an alles Verrückte, was übers weltweite Datennetz reinkam, und wenn all diese mehr oder weniger Irren die Gerüchte über Tote hörten, die sich aus den Gräbern erhoben, taten sie das nicht einfach ab. Vielmehr fingen sie an, sich zu bewaffnen, auf den Straßen nach Leuten Ausschau zu halten, die sich sonderbar benahmen oder Anzeichen von Erkrankungen aufwiesen, und sich ganz allgemein wie Personen zu verhalten, die tatsächlich mal einen Film von George Romero gesehen hatten. Nicht alle trauten ihren Ohren aber ein paar taten es, und das erwies sich als ausreichend.

Das soll nicht heißen, dass wir nicht unter dem Ansturm der ersten Infektionswelle zu leiden hatten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Berkeleys starb im Laufe von sechs langen Tagen und Nächten, einschließlich des biologischen Sohns unserer Adoptiveltern, Phillip Mason, der keine sechs Jahre alt gewesen war. Es war nicht hübsch, aber im Gegensatz zu zahlreichen Städten mit ähnlichen Grundvoraussetzungen einer großen Anzahl von Obdachlosen, einer großen Universität und vielen dunklen, schmalen Seitenstraßen hat Berkeley überlebt.

Shaun und ich sind in einem Haus aufgewachsen, das früher einmal zur Universität gehörte. Es liegt auf einem Gelände, das als »unmöglich zu befrieden« eingestuft wurde, als die Inspekteure der Regierung endlich in die Gänge kamen. Also wurde es verkauft, um den Wiederaufbau des Hauptcampus mitzufinanzieren. Die Masons hatten nicht in dem Haus bleiben wollen, in dem ihr Sohn gestorben war, und aufgrund der Sicherheitseinstufung des Viertels kriegten sie ihre neue Wohnstatt für einen Spottpreis. In dem Versuch, die Einschaltquoten hochzutreiben, unterzeichneten sie die Adoptionspapiere für uns einen Tag vor ihrem Einzug. Anschließend saßen sie mit einem großen Haus in der Gruselvorstadt und zwei Kindern da und wussten nicht, was sie tun sollten. Also taten sie das, was sie immer schon getan hatten: Sie gaben weitere Interviews, sie schrieben neue Artikel, und sie jagten höheren Quoten nach.

Von außen wirkte es, als versuchten sie voller Hingabe, uns die Art von »normaler« Kindheit zu schenken, die auch sie verlebt hatten. Nie sind sie mit uns in ein geschlossenes Viertel gezogen, sie ließen uns Haustiere halten, die nicht genug Masse für eine Reanimierung hatten, und als die öffentlichen Schulen anfingen, dreimal täglich einen Bluttest zu verlangen, meldeten sie uns innerhalb weniger als einer Woche auf einer Privatschule an. Es gibt ein etwas bekannteres Interview mit Dad aus der Zeit kurz nach dem Schulwechsel, in dem er sagt, dass sie sich alle Mühe gäben, uns »zu Weltbürgern zu machen und nicht zu Angstbürgern«. Schöne Worte, insbesondere aus dem Mund von jemandem, der seine Kinder als bequeme Möglichkeit betrachtet, in den täglichen Nachrichten immer oben mit dabei zu sein. Die Quoten schwächeln? Mach einen Ausflug in den Zoo. Das bringt dich wieder an die Spitze.

Dank der Antiseuchengesetze gab es ein paar Veränderungen, denen sie sich nicht entziehen konnten Bluttests und Psychotests und all der Spaß , aber sie gaben sich alle Mühe, und eins muss man ihnen lassen: Viel von dem, was sie für uns getan haben, war nicht billig. Sie haben für das Recht bezahlt, uns so großzuziehen, wie sie es wollten. Unterhaltungs- und Sicherheitstechnik und selbst medizinische Ausrüstung für den Hausgebrauch gibt es praktisch kostenlos. Aber alles, womit man rauskommt, von Fahrzeugen über Benzin bis zu all den übrigen Dingen, mit denen man nicht völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist da wird es teuer. Die Masons haben sich dumm und dämlich gezahlt, damit wir unter einem blauen Himmel aufwachsen konnten, und dafür bin ich ihnen dankbar, obwohl es eigentlich immer nur um Einschaltquoten ging und um einen Jungen, den wir nie kennengelernt haben.

Die Garagentür glitt hoch, als wir in die Auffahrt einbogen. Sie erkannte die Sender, die Shaun und ich um den Hals trugen. Im Falle einer erhöhten Virenzahl wird die Garage zu einer Art Mausefalle für Zombies: Mit unseren Sendern können wir rein, doch raus geht es nur mit einer sauberen Blutprobe und einem bestandenen Stimmtest. Wenn wir bei diesen Tests jemals durchfallen, dann wird das Hausverteidigungssystem uns verbrennen, bevor wir weiteren Schaden anrichten können.

Moms gepanzerter Minivan und der alte Jeep, mit dem Dad noch immer hartnäckig zu seiner Arbeit auf dem Campus fuhr, standen an ihren Plätzen. Ich hielt, nahm den Helm ab und fing an, meine Maschine durchzuchecken, wie immer, wenn ich mit ihr im Feld gewesen bin. Ich musste in die Werkstatt bei der Fahrt durch Santa Cruz waren die Stoßdämpfer ernsthaft beschädigt worden. Buffys Kameras waren noch immer am Helm und hinten am Motorrad befestigt. Ich nahm sie ab, steckte sie in die linke Satteltasche, löste die Tasche vom Motorrad und hängte sie mir über die Schulter. Shaun fuhr hinter mir in die Garage.

Shaun stieg aus und erreichte die Hintertür drei Schritte vor mir. »Wir sind gut in der Zeit«, sagte er und positionierte sich vor den Sensoren zur Rechten.

»Klar doch.« Ich stellte mich auf die linke Seite.

»Bitte identifizieren Sie sich«, sagte die ausdruckslose Stimme des Haussicherheitssystems.

Die meisten neueren Systeme klingen mehr nach Menschen als unseres. Sie scherzen sogar mit ihren Besitzern herum, um die Anspannung zu lockern. Psychologische Studien haben erwiesen, dass es das Leben angenehmer und leichter macht, wenn die Kluft zwischen Mensch und Maschine verringert wird; es kommt dann in der Isolierung nicht so oft zu Nervenzusammenbrüchen die Menschen bekommen einfach nicht so schnell den Lagerkoller, wenn sie ohne Gefahr scheinbar mit anderen reden können. Ich halte das für Schwachsinn. Wenn man keinen Lagerkoller bekommen will, sollte man rausgehen. Unsere Maschinen sind zumindest bis jetzt mechanisch geblieben.

»Georgia Carolyn Mason«, sagte Shaun.

Ich grinste schief. »Shaun Phillip Mason.«

Die Lampe über der Tür blinkte, als das Haus unsere Betonung überprüfte. Offenbar hatten wir bestanden, denn kurz darauf sagte es: »Stimmmuster bestätigt. Bitte lesen Sie den Satz auf ihrem Bildschirm.«

Worte erschienen auf dem Monitor vor mir. Ich kniff die Augen zusammen, um sie durch meine Sonnenbrille zu erkennen, und las: »Es war einmal ein braver Hai, der fraß statt Menschen Haferbrei.«

Die Worte verschwanden. Ich schaute zu Shaun, konnte aber die Worte auf seinem Bildschirm nicht richtig erkennen, bevor er sie vorlas: »Warum trinken Warzenschweine immer nur vom schwarzen Weine? Weil sie, wenn sie weißen hätten, würden anders heißen, wetten?«

Die Lampe über der Tür sprang von Rot auf Gelb um.

»Legen Sie Ihre rechten Hände auf die Testpads«, befahl das Sicherheitssystem. Shaun und ich taten wie geheißen, indem wir die Hände auf die in die Wand eingelassenen Metallflächen drückten. Das Metall kühlte meine Hand für einen Sekundenbruchteil ab, bevor ich ein Stechen in meinem Zeigefinger verspürte. Das Licht über der Tür begann, rot und gelb zu blinken.

»Glaubst du, dass wir sauber sind?«, fragte Shaun.

»Wenn nicht, war es nett, dich kennengelernt zu haben«, erwiderte ich. Der Umstand, dass wir immer zusammen reinkommen, bedeutet, dass es das Ende vom Lied ist, wenn das Testergebnis einmal bei einem von uns positiv ausfallen sollte. Dann wird man niemanden aus der Garage lassen, bis der Säuberungstrupp kommt, und die Chancen, dass die saubere Person von uns beiden es in den Wagen schafft, bevor es losgeht, sind nicht besonders gut. Unser Nachbar hat eine ganze Weile lang alle halbe Jahr beim Jugendamt angerufen, weil unsere Eltern uns nicht verboten haben, zusammen nach Hause zu kommen. Aber was hat man schon vom Leben, wenn man nicht dann und wann ein Risiko eingeht, wie zum Beispiel zusammen mit seinem verdammten Bruder das Haus zu betreten?

Das Licht fing an, grün statt rot zu blinken. Ein paar Sekunden lang leuchtete es noch abwechselnd grün und gelb, dann nur noch grün. Die Tür entriegelte sich, und das Haus sagte mit seiner ausdruckslosen Stimme: »Willkommen, Shaun und Georgia.«

»Was geht, Haus?«, antwortete Shaun, während er sich die Schuhe auszog und sie draußen in die Putzeinheit warf, um anschließend einzutreten und zu brüllen: »He, ihr Alten! Wir sind zu Hause!« Unsere Eltern verabscheuten es, als »die Alten« bezeichnet zu werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er eben deshalb diese Worte verwendet.

»Und wir leben noch!«, fügte ich hinzu und folgte ihm durch die Garagentür, die hinter uns zuschlug und sich selbsttätig verriegelte. In der Küche roch es nach Spaghettisoße und Knoblauchbrot.

»Wir freuen uns jedes Mal, wenn ihr es nicht schafft zu sterben«, sagte Mom, die gerade in die Küche kam und einen leeren Wäschekorb auf die Anrichte stellte. »Ihr wisst, wie’s läuft. Rauf, alle beide, und zieht euch zur Sterilisierung aus.«

»Ja, Mom«, sagte ich und nahm den Wäschekorb. »Komm, Shaun. Die Versicherungsprämie ruft.«

»Ja, mein Herr und Meister«, sagte er gedehnt. Ohne Mom zu beachten, drehte er sich um und folgte mir die Treppe hinauf.

Unser Haus war ein Doppelhaus, bevor Mom und Dad es zu einem Einfamilienheim haben rückbauen lassen. Shauns und mein Schlafzimmer liegen direkt nebeneinander. Es gibt sogar eine Zwischentür. Das macht einem das Leben leichter, wenn es ans Editieren und an die Vorbereitungen für unsere Ausflüge geht, und so ist es seit jeher gewesen. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen ich zu dem Versuch gezwungen war, ohne Shaun im Nebenzimmer einzuschlafen na ja, sagen wir einfach, mit einem Sechserpack Cola halte ich eine ganze Weile durch.

Ich ließ den Wäschekorb zwischen unseren Zimmertüren auf dem Flur stehen, ging in mein Zimmer und machte das Deckenlicht an. Wir haben überall im Haus Energiesparlampen, aber in meinem Zimmer habe ich mich komplett von weißem Licht verabschiedet. Ich ziehe es vor, im Schein der Computermonitore und im angenehmen Schwarzlicht von UV-Lampen zu leben. Die können vielleicht zu vorzeitiger Faltenbildung führen aber dafür schädigen sie die Netzhaut nicht, was ich sehr zu schätzen weiß.

»Shaun! Zwischentür!«

»Alles klar«, rief Shaun. Die Verbindungstür knallte zu, und die dünne Linie aus Licht verschwand einen Augenblick später, als er den Schallschutz vorschob. Mit einem erleichterten Seufzer nahm ich meine Sonnenbrille ab und zwang mich, die Augen weit zu öffnen. Ich war zu lange draußen in der Sonne gewesen: Selbst das Schwarzlicht stach ein paar Sekunden lang in meinen Augen, bevor sie sich darauf einstellten und das Zimmer sich mir so scharf und detailliert darbot, wie es sich den meisten Menschen nur in direktem Licht gezeigt hätte.

Gemeinhin bezeichnet man dieses Leiden als »retinales Kellis-Amberlee«, aber eigentlich heißt es: »Erworbenes optisch-neuropathisches Kellis-Amberlee-Reservoirleiden.« Ich habe diese Bezeichnung niemals außerhalb von Krankenhäusern gehört, und selbst dort reden die Leute normalerweise bloß von »retinalem KA«. Die guten alten Reservoirleiden: Ein weiterer Weg des Virus, unser aller Leben interessanter zu gestalten. Meine Pupillen sind ununterbrochen geweitet und ziehen sich bei Licht nicht zusammen. Man kann bei mir keine Netzhautscans durchführen, ein Test meiner Augenflüssigkeit wird in jedem Fall eine akute Infektion anzeigen, und das Beste ist, dass ich mich in einem derart fortgeschrittenen Stadium befinde, dass meine Augen nicht mal tränen. Das Virus produziert eine Schutzschicht, die verhindert, dass sie austrocknen. Meine Tränendrüsen sind verkümmert. Der einzige Vorteil? Bei schlechtem Licht sehe ich absolut fantastisch.

Ich schmiss meine Sonnenbrille in den Sondermülleimer und durchquerte mein Zimmer. Es hat eine Menge mit dem Sendewagen gemeinsam, einschließlich des Umstands, dass Buffy etwa neunzig Prozent der Technik in Schuss hält und ich weniger als die Hälfte davon verstehe. Die meisten Wände sind mit Flachbildschirmen bedeckt, und letztes Jahr, als Shaun beschlossen hat, dass er mehr Platz für seine Waffen braucht, haben wir die Server der Gruppe in meinen Wandschrank verlegt. Von mir aus. Schließlich habe ich ihn sowieso nicht benutzt. Ich trage nichts, was man aufhängen müsste. In Sachen Mode gehöre ich zur Journalistenschule von Hunter S. Thompson: Wenn ich über ein Kleidungsstück nachdenken muss, dann gibt es keinen Grund, es zu tragen.

Auf den Punkt gebracht besteht die einzige Gemeinsamkeit zwischen meinem Zimmer und dem Zimmer einer stereotypen Frau Mitte zwanzig in dem menschengroßen Spiegel beim Bett. Neben dem Spiegel ist ein Folienspender angebracht. Ich riss ein Stück Plastikfolie ab und breitete es auf dem Boden aus. Dann trat ich darauf und wandte mich meinem Spiegelbild zu.

Hallo Georgia. Schön zu sehen, dass du noch nicht tot bist.

Ich strich mir das schweißgetränkte Haar aus dem Gesicht und suchte meine Kleider nach dem Fluoreszieren ab, mit dem sich Blutspuren im Schwarzlicht verrieten.

Shaun und ich arbeiten mit Blogger-Lizenzen der Klasse A-15: Wir dürfen sowohl über Ereignisse innerhalb als auch außerhalb der Stadtgrenzen berichten, allerdings ist es uns nach wie vor nicht gestattet, Gefahrenzonen der Stufen 3 oder höher zu betreten. Die Zonen fangen mit Stufe 10 an, was einen Bereich bezeichnet, indem sich Tiere mit hinreichendem Körpergewicht für eine Kellis-Amberlee-Vermehrung und Reanimation aufhalten. Dazu zählen auch Menschen. Stufe 9 bedeutet, dass selbige Tiere nicht vollständig weggesperrt sind. Buffys Viertel gilt als Gefahrenzone der Stufe 10, was bedeutet, dass man guten Gewissens seine Kinder draußen spielen lassen kann, abgesehen davon, dass das die Zone zu einem Stufe-9-Bereich machen würde. Unser Haus ist eine Gefahrenzone der Stufe 7, da sich in der Umgebung frei laufende Säugetiere mit ausreichend hohem Körpergewicht für eine Virenvermehrung aufhalten, es wilde Tiere gibt, die Blut oder andere Absonderungen auf unser Grundstück tragen könnten, die Außengrenzen unseres Grundstücks nicht hinreichend gesichert sind und da die Fenster einen Durchmesser von mehr als fünfzig Zentimeter haben. Derzeit wird ein Gesetz geprüft, durch das es im ganzen Land untersagt würde, ein Kind in einer Gefahrenzone jenseits der Stufe 8 großzuziehen. Ich gehe nicht davon aus, dass es durchkommt. Aber allein schon die Gesetzesvorlage macht mir Angst.

Man braucht eine A-10-Bloggerlizenz, um eine Gefahrenzone der Stufe 3 zu betreten, zumindest, wenn man auch nur die geringste Chance haben will, wieder aus ihr rausgelassen zu werden. Eine solche oder bessere Lizenz kriegen wir frühestens ab einem Alter von fünfundzwanzig, nachdem wir eine Reihe von der Regierung vorgeschriebener Tests durchlaufen haben, bei denen es vor allem darum geht, ob man mit verschiedenen Feuerwaffen saubere Kopftreffer erzielt. Das bedeutet, dass wir noch zwei Jahre lang nicht nach Yosemite können. Mir macht das nichts aus. In den bevölkerungsreicheren Gebieten gibt es genug berichtenswerte Neuigkeiten.

Shaun sieht das anders, aber er gehört auch zu den Irwins, die richtiggehend aufblühen, wenn sie sich blindlings in Gefahr begeben. Ich bin alles, was ich jemals sein wollte ein Newsie. Ich bin glücklich damit. Gefahr ist eine Folge meiner Arbeit, nicht der Grund dafür. Das bedeutet nicht, dass die Gefahr die Arme hochhält und sagt: »Ach so, tut mir leid, Georgie, ich komme dir nicht in die Quere.« Wenn man es mit Zombies zu tun hat, riskiert man immer eine Kontamination, insbesondere, wenn gerade erst Infizierte im Spiel sind. Die älteren Infizierten sind normalerweise zu sehr damit beschäftigt, nicht auseinanderzufallen, als dass sie sich die Mühe machen würden, einen mit ihren kostbaren Körperflüssigkeiten zu beschmieren, aber die neu entstandenen sind frisch genug, um noch Schmodder übrig zu haben. Wenn sie es schaffen, spritzen sie einen voll und verlassen sich darauf, dass ihre kleinen Helfer, die Viren in ihrer Blutbahn, den Rest der Arbeit für sie machen. Keine besonders tolle Jagdstrategie, aber als Möglichkeit zur Seuchenverbreitung ist sie besser geeignet, als es irgendeinem Nichtinfizierten lieb sein könnte.

Nicht, dass es noch Nichtinfizierte auf der Welt geben würde das ist ein Teil des Problems. Man bezeichnet diejenigen, bei denen sich das Virus ungebremst vermehrt, als »Infizierte«, ungeachtet der Tatsache, dass das Virus in uns allen ist und geduldig auf den Tag wartet, an dem man ihm die Kontrolle überlässt. Das Kellis-Amberlee-Virus kann jahrzehntelang inaktiv bleiben, wenn nicht sogar ewig. Im Gegensatz zu den Menschen, die es befällt, kann es warten. Den einen Tag geht es einem gut. Am nächsten wacht dann der eigene persönliche Virenvorrat auf und beginnt sich zu vermehren, und damit wird alles Denken und Fühlen abgetötet und man wird als Zombie wiedergeboren. Wenn man Zombies als »die Infizierten« bezeichnet, gibt einem das ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, als ob man es irgendwie vermeiden könnte, eines Tages einer von ihnen zu werden. Tja, wisst ihr was? Daraus wird nichts.

Die Viren vermehren sich, wenn eine von zwei Bedingungen erfüllt ist: Entweder, der Tod des Wirts verursacht eine Unterbrechung im Nervensystem und aktiviert damit das schlafende Virus, oder man gerät in Kontakt mit Viren, die bereits vom inaktiven in den aktiven Zustand übergegangen sind. Daher rührt das eigentliche Risiko bei Auseinandersetzungen mit den Zombies. Jeder Nahkampf mit einem Zombie führt zu Verlusten von mindestens sechzig Prozent. Um die dreißig Prozent davon ereignen sich im eigentlichen Gefecht, wenn man von Leuten ausgeht, die wissen, was sie tun. Ich habe Videos von Kampfsportvereinen und Idioten mit Schwertern gesehen, die in der Zeit des Erwachens auf die Zombies losgegangen sind, und ich gebe gerne zu, dass solche Kerle eine verdammt eindrucksvolle Figur machen. Da ist dieser verblüffende Kontrast zwischen der Eleganz und Geschwindigkeit eines gesunden Menschen und dem langsamen Geschlurfe eines Zombies, der einfach das ist wie lebendige Poesie. Es ist herzzerreißend und traurig, und es ist höllisch schön.

Und dann gehen die Überlebenden nach Hause, lachend und aufgedreht und um die Toten trauernd. Sie nehmen ihre Rüstungen ab, sie säubern ihre Waffen, und der eine oder andere ratscht sich an einem Unterarmschützer den Daumen oder reibt sich die Augen mit einer Hand, die ein bisschen zu nah an einem sabbernden Zombie dran gewesen ist. Aktive Viren geraten in die Blutbahn, die Kettenreaktion wird in Gang gesetzt und die Vermehrung beginnt. Bei einem durchschnittlich großen Erwachsenen vollzieht sich die Verwandlung innerhalb einer Stunde, und dann geht das Ganze von vorne los, ohne Vorwarnung, ohne Verschnaufpause. Die Frage »Johnny, bist du das?« wandelte sich verdammt schnell von einem Horrorfilmklischee zu einer realen Krisenerfahrung, als die Leute anfingen, sich den Infizierten im Nahkampf entgegenzustellen.

Am bislang knappsten bin ich davongekommen, als ein Zombie mir mal einen Mundvoll Blut ins Gesicht gespuckt hat. Hätte ich keine Schutzbrille über meiner Sonnenbrille getragen, dann wäre ich jetzt tot. Bei Shaun war es schon brenzliger. Ich frage inzwischen nicht mehr. Eigentlich will ich es nicht wissen.

Meine Panzerung und meine Hose waren sauber. Ich zog beides aus und warf es auf die Plastikfolie. Anschließend überprüfte ich in gleicher Weise Sweatshirt und Thermounterhosen, bevor ich auch diese auszog und auf den Haufen warf. Eine kurze Untersuchung meiner Arme und Beine zeigte keine unerwarteten Blutspritzer. Ich wusste bereits, dass ich nicht verwundet war immerhin hatte ich seit meiner Rückkehr aus dem Feld zwei Bluttests bestanden. Hätte ich auch nur einen Kratzer abbekommen, dann hätte die Vermehrung noch vor Watsonville eingesetzt. Meine Socken, mein BH und meine Unterwäsche gesellten sich zu den übrigen Kleidungsstücken. Sie waren nicht mit der Außenwelt in Kontakt gekommen, was aber keine Rolle spielte: Ich war mit ihnen in einer Gefahrenzone gewesen, also mussten sie sterilisiert werden. Es gibt eine Menge Leute, die sich dafür aussprechen, Sterilisierungen außer Haus durchzuführen. Sie werden von denjenigen niedergeschrien, die die Sterilisierung daheim durchführen wollen, weil die Sterilisierung im Feld selbst die Chemiedusche im Vorgarten das Risiko einer erneuten Kontamination birgt, bevor man im sicheren Bereich ist. Bislang haben beide Gruppen die Diskussion erfolgreich blockiert, weshalb wir uns weitgehend in Ruhe selbst untersuchen können.

Ich trat von der Plastikplane, faltete sie über meinen Kleidern, nahm sie in die Hand und öffnete die Schlafzimmertür gerade lange genug, um die Kleider in den Wäschekorb zu werfen. Sie würden mit einem Industriebleichmittel behandelt werden, das garantiert alle im Stoff sitzenden Erreger neutralisieren würde. Morgen früh würde ich die Sachen wieder tragen können.

Selbst dieser kurze Ansturm von weißem Licht genügte, damit mir die Augen brannten. Ich rieb sie mir mit dem Handrücken und ging Richtung Badezimmer. Shauns Tür war noch immer geschlossen. Ich rief: »Ich dusch jetzt!«, und erhielt ein Klopfen an der Wand zur Antwort.

Shaun und ich teilen uns ein eigenes Badezimmer, mit einem separaten, modernisierten und luftdichten Duschsystem. Eine weitere kleine Bedingung der Hausratsversicherung da wir für unsere Arbeit ständig die Sicherheitszonen verlassen, müssen wir beweisen, dass wir vernünftig sterilisiert sind, und das bedeutet, dass unsere Sterilisierungen vom Computer verifiziert und protokolliert werden. Ursprünglich befanden sich dort, wo jetzt das Bad ist, die Abstellkammern unserer beiden Schlafzimmer. Ich persönlich halte das Bad für eine sehr viel sinnvollere Möglichkeit, den Raum zu nutzen.

Das Licht stellte sich auf UV um, als ich die Tür öffnete. Ich drückte die Hand auf das Pad an der Dusche und sagte: »Georgia Carolyn Mason.«

»Abfrage der Reiseprotokolle«, antwortete die Dusche. Mit der Dusche blödeln wir nicht so rum wie mit dem Haussystem. Die Haussicherheit beschränkt sich auf das absolute Minimum, aber die Dusche ist für Journalisten Regierungsvorschrift, und wenn es bei unseren Angaben Ungereimtheiten gäbe, könnten wir in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Die Geldstrafen dafür, ein Kontaminationsrisiko zu erzeugen, belaufen sich auf mehr, als ich in sechs Jahren selbstständiger Arbeit verdiene.

Die Tür der Duschkabine öffnete sich. »Sie befanden sich in einer Gefahrenzone der Stufe 4. Bitte betreten Sie zur Dekontamination und Sterilisierung die Kabine.«

»Keine Einwände.« Ich trat ein. Die Tür schloss sich hinter mir, und ein hörbares Zischen erklang, als sie sich luftdicht versiegelte.

Ein brennendes antiseptisches Gemisch spritzte aus der untersten Wanddüse hervor und hüllte mich in einen eisigen Nebel. Ich hielt die Luft an, schloss die Augen und zählte die Sekunden. Es ist verboten, jemanden länger als eine halbe Minute mit Desinfektionsmitteln abzuspülen, es sei denn, die Person war in einer Zone der Stufe 2. In dem Fall können sie einen so lange eintunken, bis sie sich sicher sind, dass man sauber ist. Es ist zwar allgemein bekannt, dass es nach den ersten dreißig Sekunden sowieso nichts mehr bringt, aber das hält die Leute nicht davon ab, Angst zu haben.

Wenn man sich in eine Stufe-1-Zone begibt, dann ist niemand rechtlich zu irgendetwas anderem verpflichtet als dazu, einen zu erschießen.

Der Desinfektionsstrom versiegte. Die obere Düse sprang an und versprühte so heißes Wasser, dass es mich beinahe verbrühte. Ich zuckte zusammen, hielt aber trotzdem das Gesicht in den Strahl und griff nach der Seife.

»Sauber«, sagte ich, sobald kein Shampoo mehr in meinen Haaren war. Ich trage mein Haar aus einer Reihe von Gründen kurz. Vor allem kann man mich dadurch schlechter an ihnen packen, aber dass das Duschen schneller geht, ist ebenfalls ein guter Grund. Wenn ich es mir länger wachsen lassen wollte, müsste ich Conditioner und eine Reihe weiterer Haarpflegemittel benutzen, um den Schaden auszugleichen, den die täglichen Desinfektionsduschen anrichten. Mein eines echtes Zugeständnis an meine Eitelkeit besteht darin, dass ich mir die Haare alle paar Wochen in der Farbe färbe, die mir die Natur ursprünglich mitgegeben hat. Blond sehe ich schrecklich aus.

»Verstanden«, sagte die Dusche, und das Wasser versiegte und wurde von Luftströmen aus allen vier Richtungen ersetzt. Das ist das Gute an unserem Duschsystem. Ich war innerhalb weniger Minuten trocken, nur in meinen Haaren verblieb noch etwas Restfeuchtigkeit. Die Tür entriegelte sich, und ich trat ins Badezimmer hinaus und griff nach meiner Hautcremeflasche.

Chlorhaltige Desinfektionsmittel und menschliche Haut vertragen sich nicht gut miteinander. Die Lösung: eine säurebasierte Lotion, die normalerweise auf irgendeinem Zitrusauszug beruht und hilft, den Schaden zu reparieren. Vor dem Erwachen haben Profischwimmer so etwas verwendet, nun nehmen es alle. Außerdem trägt die Lotion dazu bei, Menschen, die sich kürzlich geschrubbt haben, eine standardisierte Duftmarke zu verpassen. Meine Lotion war so geruchsarm wie möglich, aber trotzdem verströmte sie eine leichte, nervige Zitrusnote wie von Putzmittel.

Ich rieb mich mit der Lotion ein und ging dann in mein Zimmer, wobei ich rief: »Shaun, das Bad gehört dir!« Ich schloss die Tür im selben Moment, in dem seine sich öffnete und weißes Licht in den Raum strömen ließ. Das ist fast immer so. Wir haben ein sehr gutes Timing.

Ich nahm meinen Bademantel von der Türinnenseite und streifte ihn auf dem Weg zum großen Schreibtisch über. Der Monitor schaltete sich automatisch ein, als ich mich näherte, und zeigte das Hauptmenü. Unser Computersystem geht niemals offline. Hierher wird die Mail an die Gruppe umgeleitet, nach Betreff und Kategorie in verschiedene Ordner sortiert ich kriege die Nachrichtenthemen, Shaun die Action, und alles Fiktive geht direkt an Buffy. Außerdem landet der Verwaltungskram bei mir mit dem kommt Shaun nicht klar, weil er ein zu großer Idiot ist, und Buffy nicht, weil sie zu unzuverlässig ist. Offiziell sind wir ein Kollektiv, aber in der Praxis schmeiße ich den Laden alleine.

Nicht, dass ich etwas gegen die Verantwortung einzuwenden hätte, außer, wenn mein Postfach in albtraumhafter Weise überquillt. Es ist schön zu wissen, dass unsere Lizenzen bezahlt werden, dass wir gut mit dem Verbundnetz stehen, von dem unsere Akkreditierung abhängt, und dass uns derzeit niemand wegen übler Nachrede verklagt. Unsere Quoten sind ziemlich stabil. Shaun und Buffy erreichen mindestens zweimal im Monat die obersten zehn Prozent in der Bay Area, und ich halte mich konstant im Bereich von dreizehn bis siebzehn Prozent, was für eine reine Newsie nicht übel ist. Ich könnte meine Quoten verbessern, wenn ich auf Multimedia machen würde und meine Berichte nackt vortrage, aber im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten geht es mir immer noch um den Informationsgehalt.

Shaun, Buffy und ich veröffentlichen alle auf unseren eigenen Blogs und unter unseren eigenen Namen, weshalb ich so verdammt viele Zuschriften kriege. Allerdings laufen all diese Blogs im Netzwerk von Bridge Supporters, dem zweitgrößten Portaldienst Nordkaliforniens. Leser und Zufallsbesucher kriegen wir dadurch, dass wir auf ihrer Startseite gelistet sind, und sie kriegen einen Teil unserer Einnahmen aus allen Zweitverwertungen und Werbeverträgen. Wir schlagen uns schon seit einer Weile allein durch. Ursprünglich waren wir Betablogger in einer Welt von Alphas, doch inzwischen sind wir kleine Alphas, die ein eigenes Territorium zu verteidigen haben. Das ist nicht einfach. Man braucht eine Story oder einen Beitrag, der so groß und einzigartig ist, dass man seine Leserschaft bindet, und unsere Quoten sind dauerhaft nicht gut genug, um Sponsoren auf uns aufmerksam zu machen.

Mein Posteingang war mit dem Abrufen meiner Mails fertig. Ich schaute die Nachrichten durch, mit einer Geschwindigkeit, die halb von jahrelanger Übung herrührte und halb von meinem Bedürfnis, zum Abendessen runterzugehen. Spam; eine falsch weitergeleitete Kritik von Buffys jüngster Gedichtsammlung, »Verfall der menschlichen Seele: I bis XII«; die Androhung einer Klage für den Fall, dass wir nicht aufhörten, das Bild des infizierten, umherschlurfenden Onkels von irgendjemandem zu zeigen der ganze übliche Mist. Ich griff nach der Maus, um das Programm zu minimieren und aufzustehen, als mir eine Nachricht am unteren Bildschirmrand ins Auge fiel.

DRINGEND BITTE ANTWORTEN SIE WURDEN AUSGEWÄHLT.

Ich hätte die Nachricht als Spam abgetan, wäre da nicht das erste Wort gewesen: dringend. Seit dem Erwachen haben die Leute damit aufgehört, mit diesem Wort um sich zu schmeißen wie mit Konfetti. Die Gefahr, den Hinweis darauf zu übersehen, dass die eigene Mutter soeben von Zombies aufgefressen worden war, hielt die Leute davon ab, einander größere Schwänze anzubieten. Neugierig klickte ich auf die Betreffzeile.

Fünf Minuten später, als Shaun die Tür zu meinem Zimmer öffnete und ganz selbstverständlich eintrat, saß ich immer noch da und starrte auf den Monitor. Mit Shaun zusammen kam eine Flut weißen Lichts herein und stach mir in die Augen, aber ich zuckte kaum zusammen. »George, Mom sagt, wenn du nicht gleich runterkommst George?« Eine Spur echter Sorge klang aus seinem Tonfall, als er sah, wie ich dasaß, dass ich keine Sonnenbrille aufhatte und mich genau genommen noch nicht mal angezogen hatte.

»Ist alles in Ordnung? Buffy ist in Ordnung, oder?«

Wortlos deutete ich auf den Monitor. Shaun trat hinter mich, schaute mir über die Schulter und las still. Weitere fünf Minuten vergingen, bevor er behutsam und mit gedämpfter Stimme fragte: »Georgia, ist das das, wofür ich es halte?«

»M-hm.«

»Sie haben wirklich das ist kein Witz?«

»Da ist das Bundessiegel. Das Einschreiben dürfte morgen früh ankommen.« Ich drehte mich zu ihm um und grinste dabei so breit, dass ich das Gefühl hatte, mir gleich etwas auszurenken. »Sie haben unsere Bewerbung angenommen. Sie haben uns ausgewählt. Wir machen es.

Wir berichten über die Präsidentschaftswahlkampagne.«

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Wir Blogger haben Dr. Alexander Kellis, dem Erfinder der irreführend benannten »Kellis-Grippe«, viel zu verdanken ebenso Amanda Amberlee, die als erster Mensch erfolgreich mit dem modifizierten Filovirus infiziert wurde, den Forscher »Marburg-Amberlee« getauft haben. Vor ihnen war man der Meinung, dass Bloggen vor allem etwas für gelangweilte Teenager wäre, die über das Ausmaß ihrer Depressionen berichten wollten. Manche Leute bloggten über Politik und Nachrichten, aber diese Leute galten in erster Linie als versponnene Verschwörungstheoretiker und als Menschen, deren Ansichten zu ätzend für den Mainstream waren. Die Blogosphäre stellte keine Bedrohung für die traditionellen Nachrichtenmedien dar, nicht einmal, als sie langsam einen Platz auf der Bühne der Weltöffentlichkeit erlangte. Man betrachtete uns als »kurios«. Dann kamen die Zombies, und alles wurde anders.

Die »richtigen« Medien waren an Gesetze und Regularien gebunden, während die Blogger durch nichts eingeschränkt wurden außer durch die Geschwindigkeit, mit der sie tippen konnten. Wir haben als Erste darüber berichtet, dass Personen, die man für tot erklärt hatte, wieder aufstanden und ihre Verwandten auffutterten. Wir waren diejenigen, die den Mut hatten, offen auszusprechen: »Ja, es gibt Zombies, und ja, sie töten Menschen«, während der Rest der Welt sich noch über den furchtbaren ökoterroristischen Anschlag ereiferte, bei dem ein unzureichend getestetes »Heilmittel für den gemeinen Schnupfen« freigesetzt worden war. Wir haben den Leuten Tipps zur Selbstverteidigung gegeben, als alle anderen gerade erst einräumten, dass wir möglicherweise ein Problem hätten.

Die frühen Berichte der großen Sender sind trotz der Proteste der Medienkonglomerate online archiviert. Ab und an klagen sie, um die Beiträge verschwinden zu lassen, aber irgendwer Neues stellt sie immer wieder online. Wir werden niemals vergessen, wie sehr man uns verraten hat. Auf den Straßen starben die Menschen, während die Nachrichtensprecher Witze über Leute machten, die ihre Zombiefilme zu ernst nähmen und Videomaterial einspielten, das angeblich »herumblödelnde Teenager« in Latexmasken und schlechter Theaterschminke zeigte. Laut der Zeitstempel dieser Berichte ging der erste an dem Tag auf Sendung, an dem Dr. Matras von der Seuchenschutzbehörde die nationalen Sicherheitsbestimmungen verletzte, um auf dem Blog seiner elfjährigen Tochter genaue Informationen über die Infektion zu veröffentlichen. Noch fünfundzwanzig Jahre später läuft es mir bei seinen Worten klare, vernichtende und schonungslose Worte vor einem Hintergrundbild mit fröhlichen Teddybären eiskalt über den Rücken. Ein Krieg war im Gange, und diejenigen, die dafür verantwortlich waren, uns zu informieren, wollten nicht einmal zugeben, dass überhaupt gekämpft wurde.

Aber einige Leute wussten Bescheid und riefen ihr Wissen ins Internet hinaus. Ja, die Toten erheben sich, sagten die Blogger: Ja, sie greifen Menschen an. Ja, es ist ein Virus, und ja, es besteht die Möglichkeit, dass wir den Krieg verlieren, wenn wir die Vorgänge nicht begreifen, bevor die ganze verdammte Welt sich infiziert hat. Ab dem Moment, in dem Dr. Kellis’ Heilmittel in die Atmosphäre gelangte, hatten wir keine andere Wahl mehr, als zu kämpfen.

Wir kämpften mit aller Macht. Damals wurde mit der Errichtung der Mauer begonnen. Jeder Blogger, der während des Sommers 2014 starb, ist dort verewigt, von den Politischen bis zu den Elternsprecherinnen. Wir haben ihre letzten Einträge an einem Ort gesammelt, um sie zu ehren und um daran zu erinnern, welchen Preis sie für die Wahrheit gezahlt haben. Es werden immer noch neue Namen zur Mauer hinzugefügt. Eines Tages werde ich wahrscheinlich Shauns Namen dort hinterlassen, zusammen mit irgendeinem locker-flockigen letzten Blogeintrag, der mit den Worten: »Bis dann« schließt.

Jede Methode, einen Zombie zu töten, wurde irgendwann zum ersten Mal ausprobiert. In vielen Fällen sind die Leute, die sie ausprobiert haben, kurz danach gestorben, aber zuvor haben sie ihre Ergebnisse veröffentlicht. Wir haben gelernt, was funktioniert, was zu tun ist und wonach wir bei den Leuten um uns herum Ausschau halten müssen. Es war eine Graswurzelrevolution, die auf zwei einfachen Grundsätzen beruhte: Überlebe mit allen dir zu Gebote stehenden Mitteln und berichte von allem, was du dabei herausfindest, weil dadurch vielleicht jemand anders überlebt. Es heißt, dass man alles, was man wissen muss, im Kindergarten lernt. Was die Welt in jenem Sommer lernte, war das Teilen.

Als der Aufruhr sich legte, war alles anders geworden. Ganz besonders die Nachrichten, auch wenn mich manche Leute in diesem Punkt vielleicht als parteiisch und ehrpusselig bezeichnen mögen aber ich finde eben, dass die echten Veränderungen hier passiert sind. Die Leute trauten den offiziell abgesegneten Nachrichten nicht mehr. Sie waren verwirrt und ängstlich, und sie wandten sich den Bloggern zu, die mit ihren ungefilterten Beiträgen zwar auch einen Haufen Scheiße verbreiteten, aber dafür schnell und produktiv waren und es einem ermöglichten, die Wahrheit aus den verschiedenen Meldungen zusammenzupuzzeln. Wenn man sich seine Neuigkeiten aus sechs oder neun Quellen holt, dann kann man normalerweise Blödsinn und Wirklichkeit unterscheiden. Und wenn einem das zu viel Mühe macht, dann sucht man sich einen Blogger, der die Puzzlearbeit für einen übernimmt. Man muss keine Angst haben, dass die nächste Zombieinvasion vielleicht unbemerkt anfängt, denn irgendwo wird jemand etwas über sie ins Netz stellen.

Als Reaktion auf die steigende Zahl der Blogger und auf die gesellschaftlichen Veränderungen hat sich die Bloggergemeinde nach dem Erwachen innerhalb weniger Jahre in ihre derzeitigen Zweige aufgeteilt. Es gibt uns Newsies, die so ungefärbt wie möglich über die Tatsachen berichten, und unsere Vettern, die Stewarts, die auf Grundlage der Fakten ihre Analysen und Kommentare verfassen. Die Irwins gehen raus und spielen penetrant mit dem Feuer, um dem eher häuslichen Großteil der Bevölkerung ein bisschen Nervenkitzel zu verschaffen, während ihre gesetzteren Gegenstücke, die Tantchen, zum Amüsement und zur Entspannung ihrer Mitmenschen ihre Lebensgeschichten, Kochrezepte und anderen Kleinkram zum Besten geben. Und dann gibt es natürlich noch die Fiktiven, die die Onlinewelt mit Lyrik, Geschichten und Fantasien erfüllen. Von ihnen gibt es Tausende Untergruppen, die alle ihre eigenen, nur ihnen bekannten Bezeichnungen und Gepflogenheiten haben. Wir sind das Allzweckopiat des neuen Jahrtausends: Wir berichten und erschaffen Nachrichten, und wir bieten euch einen Fluchtweg, wenn ihr die Nachrichten nicht mehr aushaltet.

Aus Unschöne Bilder, dem Blog von Georgia Mason,
6. August 2039