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Anlässlich von Senator Rymans Besuch hatte man reihenweise Klappstühle im Gemeindesaal aufgestellt. Videomonitore waren so positioniert, dass sie sein Bild bis ganz ans Ende des riesigen Raums übertrugen. Neben jeder fünften Reihe standen Lautsprecher, um sicherzustellen, dass seine Worte kristallklar zu vernehmen waren, wenn sie die Ohren der zwanzig Mutigen erreichten, die es tatsächlich gewagt hatten herzukommen, um seine Rede zu hören. Die Besucher hatten sich in den vordersten Reihen gesammelt, sodass hinten Platz für das Gefolge des Senators, seine Sicherheitsleute und natürlich für uns drei war. Insgesamt waren wir dem Wahlvolk zahlenmäßig fast zwei zu eins überlegen.

Nicht, dass das zum ersten Mal vorgekommen wäre. Wir hatten in den sechs Wochen seit unserer Abreise aus Kalifornien in fast zwei Dutzend Bundesstaaten und an mehr als dreimal so vielen Veranstaltungsorten das Gleiche erlebt. Die Leute gehen nicht mehr so oft raus, um Hände zu schütteln, nicht mal zu den Vorwahlen, von denen abhängt, welche Kandidaten es bis zur Präsidentschaftswahl schaffen. Sie haben zu viel Angst, sich anzustecken, oder davor, dass dieser komische, Selbstgespräche führende Typ in Wirklichkeit gar nicht verrückt ist sondern gerade von Viren überflutet wird und sich gleich einen saftigen Bissen genehmigt. Die einzigen nicht bedrohlichen Menschen sind die, die man so gut kennt, dass man die durch das Virus ausgelösten Persönlichkeitsveränderungen bei ihnen sofort bemerken würde. Da nur wenige Leute genug enge Freunde haben, um einen Hörsaal zu füllen, gehen die meisten erst gar nicht vor die Tür.

Das heißt allerdings nicht, dass die Leute uns ignoriert hätten. Den Quoten, Seitenzugriffen und Downloads zufolge verzeichnet dieser Wahlkampf einige der höchsten Zuschauerzahlen seit Cruise vs. Gore im Jahre 2018. Die Leute wollen wissen, wohin die Reise geht. An dieser Wahl hängt eine ganze Menge. Und ganz nebenbei auch unsere Karrieren.

Shaun findet seit jeher, dass ich die Dinge zu ernst nehme. Seit Beginn der Wahlkampftour sagt er, dass man mir meinen Sinn für Humor wegoperiert hat, um Platz für noch mehr Verbissenheit zu machen. Jeder andere hätte sich mit diesen Worten wahrscheinlich eine Maulschelle von mir eingefangen, aber da sie von Shaun kamen, musste ich zugeben, dass sie ein Körnchen Wahrheit enthielten. Trotzdem, wenn ich ihn hätte machen lassen, dann würden wir bis ans Ende unserer Tage bei meinen Eltern wohnen und so tun, als machte uns der Mangel an Privatsphäre nichts aus. Jemand muss unsere Zukunft im Blick behalten, und dieser Jemand bin seit jeher ich.

Ich warf Buffy einen Blick zu und fragte im Flüsterton: »Wie steht es um unsere Quoten?«

Sie schaute nicht von dem Text auf, der mit rasender Geschwindigkeit über ihr Telefondisplay lief. Die Daten kamen in einem Tempo rein, dass ich nicht den Hauch einer Chance hatte, sie zu verfolgen, aber offensichtlich wurde Buffy schlau daraus, denn sie nickte mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen und sagte: »Wir haben hier sechzig Prozent regionales Publikum auf dem Videokanal, und wir sind gerade in die obersten sechs Prozent im Web eingezogen. Der einzige Kandidat mit höheren Videoquoten ist Kongressfrau Wagman, und in den Umfragen hängt sie hinterher.«

»Außerdem wissen wir ja, woher sie ihre Videoquoten kriegt, hab ich recht, Kinder?«, sagte Shaun gedehnt, während er damit fortfuhr, die Glieder seines Lieblingskettenhemds mit einer kleinen Kneifzange zu überprüfen.

Ich schnaubte. Auf den Blogs zirkulierte das Gerücht, dass Kirsten »Tittenwunder« Wagman sich einer massiven Brustvergrößerung unterzogen hatte, bevor sie in die Politik gegangen war, in der Annahme, dass bei der heutigen Wählerschaft, die sich vor allem übers Internet informierte, gutes Aussehen wichtiger sei als ein bisschen Schmalz in der Birne. Eine Weile ist sie damit gut gefahren sie hat einen Sitz im Kongress gekriegt, sicher teilweise, weil sie einfach nett anzusehen ist , aber bei einer Präsidentschaftswahlkampagne wird sie damit nicht besonders weit kommen. Insbesondere jetzt, wo sie es mit Leuten zu tun kriegt, die etwas von den Themen verstehen, um die es geht.

Senator Ryman schien gar nicht zu bemerken, wie leer der Saal war, und auch nicht die nervösen Mienen seiner wenigen echten, physisch anwesenden Zuhörer. Die meisten waren wahrscheinlich Lokalpolitiker, die sich herauswagten, um zu zeigen, dass sie sich in ihrer Gemeinde sicher fühlten, und die dabei den Eindruck erweckten, dass sie hochgehen würden wie eine Bombe, wenn man sich von hinten an sie heranschleichen und laut »buh« rufen würde. Die meisten, nicht alle. Es gab eine kleine Dame von mindestens siebzig Jahren, die in der Mitte der ersten Reihe saß. Sie hielt ihre Handtasche ordentlich auf dem Schoß und hatte die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, während sie Senator Ryman bei seinem Auftritt beobachtete. Sie machte überhaupt keinen nervösen Eindruck. Falls irgendwelche Zombies versuchen sollten, genau diese politische Veranstaltung zu überfallen, würde sie ihnen wahrscheinlich eine ordentliche Tracht Prügel verabreichen und sie zum Warten vor die Tür schicken, bis sie an der Reihe waren.

Der Senator kam langsam zum Ende. Es gibt nur so und so viele Arten, seine politischen Grundsätze vorzutragen, selbst, wenn man sehr viel Übung darin hat. Ich rückte meine Sonnenbrille zurecht und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, während ich darauf wartete, dass der eigentliche Spaß begann: Die Fragerunde. Die meisten Fragen, die den Leuten einfallen, haben etwas mit den Infizierten zu tun, wie zum Beispiel: »Was werden Sie wegen der Zombies unternehmen, das die anderen noch nicht ausprobiert haben?« Die Antworten sind manchmal echt unterhaltsam, und ehrlich gesagt gilt das Gleiche für die Fragen.

Die meisten Fragen werden vom heimischen Publikum per E-Mail geschickt und von der wohlerzogenen, etwas ausdruckslosen Stimme der digitalen persönlichen Sekretärin des Senators gestellt, die darauf programmiert ist, wie eine gebildete Frau zu klingen, deren Alter und ethnische Zugehörigkeit sich nicht bestimmen lässt. Senator Ryman nannte sie »Beth« bislang hat noch keiner eine Erklärung dafür aus ihm herausgebracht, aber ich werde nicht aufgeben.

Die besten Fragen sind die der Live-Zuhörer. Die meisten sind vor Angst halb wahnsinnig, weil sie schon länger als eine halbe Stunde aus dem Haus sind, und nichts löst die Zunge so gut wie Angst. Wenn es nach mir ginge, dann würden alle Fragen von Leuten gestellt werden, die soeben einen Trip durch eine erstklassige Geisterbahn hinter sich haben.

»Und jetzt würde ich gerne ein paar Fragen von unseren Zuschauern beantworten sowohl von denen, die diese Veranstaltung auf den elektronischen Wegen mitverfolgen, die meine schlauen Techniker eingerichtet haben« Senator Ryman brachte mit einem kleinen Lachen zum Ausdruck, dass er nicht das Geringste von Nebensächlichkeiten wie der Funktionsweise einer Videoübertragung verstand »als auch von den braven Bürgern Eaklys in Oklahoma, die so freundlich waren, uns heute Abend hier willkommen zu heißen.«

»Komm schon, Lady, lass mich nicht hängen«, murmelte ich. Und tatsächlich riss die Dame in der ersten Reihe mit einer zackigen, fast militärischen Bewegung die Hand in die Höhe, noch bevor der Senator richtig ausgeredet hatte. Ich lehnte mich grinsend auf meinem Stuhl zurück. »Volltreffer.«

»Hä?« Buffy blickte von ihrer Uhr auf.

»Die da lebt noch«, sagte ich und zeigte auf die alte Dame.

»Oh.« Mit einem Mal interessierte Buffy sich nicht mehr nur für ihren Datenstrom und beugte sich vor. Sie erkennt Quotenpotenzial, wenn sie es vor der Nase hat.

»Ja. Die Dame in der ersten Reihe.« Der Senator zeigte auf die Frau, deren verkniffenes Gesicht sofort auf der Hälfte der Bildschirme im Saal erschien. Buffy drückte zwei Knöpfe an ihrem Telefon, um ihre Kameras heranzoomen zu lassen. Die Techniker des Senators sind gut, das gibt sogar Buffy zu. Sie verstehen was von Kameraeinstellungen, vom Schneiden und davon, wann man eine Großaufnahme machen muss. Dank ihres Leiters Chuck Wong gehören diese Leute wahrscheinlich zu den besten auf ihrem Gebiet. Aber Buffy ist besser.

Die fragliche Dame senkte den Arm und fixierte den Senator mit einem strengen Blick. »Wie stehen Sie zum Thema Entrückung?« Ihr Tonfall klang so kurz angebunden und karg, wie ich erwartet hatte. Die Mikrofone gaben die rauen Kanten und den tadelnden Unterton in ihrer Stimme perfekt wieder.

Senator Ryman blinzelte verwirrt. Zum ersten Mal sah ich ihn völlig überrumpelt von einer Frage. Allerdings erholte er sich erstaunlich schnell von dem Schreck und sagte: »Entschuldigung, wie meinten Sie?«

»Zur Entrückung. Wenn die Gläubigen ins Himmelreich erhoben werden, während die Ungläubigen, Sünder und Heiden zurückbleiben, um die Hölle auf Erden zu erdulden.« Sie kniff die Augen zusammen. »Wie stehen sie zu diesem heiligen, vorherbestimmten Ereignis?«

»Ah.« Senator Ryman schaute sie weiter an, und seine Verwirrung wich Nachdenklichkeit. Ich hörte ein leises Klimpern und warf einen Blick nach links: Shaun hatte sein Kettenhemd weggelegt und schaute mit unverhohlener Neugier Richtung Bühne. Buffy starrte auf ihr Telefon und drückte dabei hektisch Tasten, um die Kameras auszurichten. Man kann eine Liveübertragung nicht schneiden oder anhalten, aber man kann alles so einrichten, dass man später möglichst gutes Material zur Verfügung hat. Und das hier war etwas, was man unmöglich inszenieren kann. Würde er sich den religiösen Spinnern beugen, die in den letzten Jahren immer größere Teile der Partei übernommen haben? Oder würde er es riskieren, das gesamte religiöse Wählersegment zu verärgern? Nur der Senator selbst wusste es. Und gleich würden wir es auch wissen.

Senator Ryman hielt den Blickkontakt mit der Frau, während er hinter seinem Pult hervortrat, an den Bühnenrand trat und sich mit den Ellbogen auf den Knien hinsetzte. Er sah wie ein Schuljunge kurz vor der Beichte aus und nicht wie ein Mann, der um die Führung der mächtigsten Nation der Welt kämpfte. Es war eine wohldurchdachte Körperhaltung, und in Gedanken beglückwünschte ich ihn und dachte dabei bereits darüber nach, einen Artikel über Schauspielkunst in der modernen Politik zu schreiben. »Wie ist Ihr Name, Ma’am?«

»Suzanne Greeley«, sagte sie mit geschürzten Lippen. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet, junger Mann.«

»Tja, Ms Greeley, das liegt wohl daran, dass ich gerade nachdenke«, sagte er und schaute auf die kleine Versammlung, während sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. »Man hat mir beigebracht, dass es unhöflich ist, die Frage einer Dame zu beantworten, ohne gründlich über sie nachzudenken. So ähnlich, wie wenn man beim Essen die Ellbogen auf den Tisch stützt.« Ein Lachen ging durch die Menge. Ms Greeley lachte nicht mit.

Wieder ihr zugewandt fuhr der Senator fort: »Sie haben mich nach meinem Standpunkt zur Entrückung gefragt, Ms Greeley. Nun, zuerst einmal sollte ich wohl darauf hinweisen, dass ich eigentlich keinen ›Standpunkt‹ zu religiösen Ereignissen habe: Gott tut, was er will, und es ist nicht an mir, über ihn zu urteilen. Wenn er beschließt, die Gläubigen in den Himmel zu erheben, wird er das tun, und alle Politiker der Welt könnten ihn nicht davon abhalten, nur weil sie nicht daran glauben.

Zugleich bezweifle ich, dass er etwas Derartiges vorhat, Ms Greeley, weil Gott zumindest der Gott, an den ich glaube, und als lebenslanger Methodist glaube ich, dass ich ihn so gut kenne, wie man ihn kennen kann, wenn man sein Leben nicht der Kirche widmet nichts wegwirft, was noch brauchbar ist. Gott ist der ultimative Recycler. Wir haben hier einen guten Planeten. Nicht, dass es keine Probleme gäbe. Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, globale Erwärmung, das Donnerstagabendprogramm« mehr Gelächter »und natürlich die Infizierten. Wir haben viele Probleme auf dieser Welt, und es mag nach einer tollen Idee klingen, sofort mit der Entrückung weiterzumachen warum warten? Gehen wir in den Himmel und lassen die Sorgen und Nöte unseres irdischen Seins hinter uns. Verschwinden wir, solange es noch Spaß macht, bevor das Gedrängel losgeht.

Auch, wenn es danach klingt, glaube ich nicht, dass das eine gute Idee ist, und zwar aus demselben Grund, aus dem ich glaube, dass es keine besonders tolle Idee für einen Erstklässler ist, aufzustehen und zu sagen, dass er genug gelernt hat, dass er mit der Schule fertig ist und dass er ab hier lieber alleine weitermacht. Verglichen mit Gott sind wir kaum aus dem Kindergarten raus, und ich denke, dass er uns nicht einfach aus der Klasse lässt, nur weil wir den Unterricht gerade etwas mühsam finden. Kein guter Lehrer würde so etwas tun. Ich weiß nicht, ob ich an die Entrückung glaube oder nicht. Ich glaube, dass Gott tut, was er möchte aber ich glaube nicht, dass es geschehen wird, solange wir leben. Wir haben hier noch zu viel Arbeit vor uns.«

Ms Greeley schaute ihn eine ganze Weile lang mit fest aufeinandergepressten Lippen an. Dann nickte sie mit beinahe geologischer Langsamkeit. »Vielen Dank, junger Mann.«

Diese vier Worte hätten nicht süßer klingen können, wenn sie von Himmelschören begleitet worden wären.

Buffy hob den Kopf. »Unsere Internetquote ist gerade in die oberen drei Prozent hochgeschnellt.« Ihre Augen waren weit aufgerissen. »Georgia, unsere Übertragung ist unter den besten drei Prozent.«

»Meine Damen und Herren«, murmelte ich und lehnte mich in meinem Stuhl zurück, »ich glaube, wir haben einen Präsidentschaftskandidaten.«

Die besten drei Prozent. Man verzeihe mir das Klischee, aber die Worte waren Musik in meinen Ohren. Die Welt der Internetprozente und Leserquoten ist kompliziert. Letztlich geht es um Serverzugriffe. Tausende von Maschinen sind dafür zuständig, die Datenströme zu sichten und zu melden, welche Seiten am meisten Zugriffsgesuche von außen erhalten. Daraus werden dann unsere Quoten abgeleitet, und auf deren Grundlage entscheiden unsere Werbekunden und anderen Geldgeber, ob sie investieren. Die besten drei Prozent sind absolute Oberkante. Wenn man noch höher hinauswill, muss man Pornolinks anbieten.

Die restliche Fragerunde war so ziemlich das Übliche, mit ein paar nachdrücklicheren Kommentaren, die die Sache spannend hielten. Wie stand der Senator zur Todesstrafe? Angesichts des Umstands, dass die meisten Leichen wieder aufstanden und andere Leute auffraßen, hielt er sie für nicht besonders sinnvoll. Was war seine Meinung zur staatlichen Gesundheitsversorgung? Es wäre kriminell fahrlässig, die Leute nicht bei guter Gesundheit und am Leben zu erhalten. War er darauf vorbereitet, sich der ständigen Herausforderung des Katastrophenschutzes zu stellen? Nach den Massenwiederauferstehungen im Anschluss an die Explosionen in San Diego konnte er sich nicht vorstellen, dass irgendeine Präsidentschaft ohne verbesserte Katastrophenpläne überleben würde. Wie stand er zur Homo-Ehe, zur Religionsfreiheit und zur Meinungsfreiheit? Nun, da man nicht mehr so tun konnte, als ob irgendwelche Teile der Menschheit freundlicherweise von ganz alleine verschwinden würden, nur weil die Mehrheit sie nicht mochte, und angesichts der Tatsache, dass das Leben erwiesenermaßen kurz und zerbrechlich war, sah er keinen Sinn darin, irgendwelchen Leuten weniger Freiheit und Gleichheit zuzugestehen als dem Rest. Gott konnte uns im Jenseits immer noch in Sünder und Erlöste auseinandersortieren. Bis es so weit war, sollten wir seiner Meinung nach am besten gute Nachbarschaft pflegen und unsere moralischen Urteile für uns behalten.

Nach anderthalb Stunden, in denen zum ersten Mal bei dieser Kampagne die meisten Fragen aus dem Saal gekommen waren, erhob sich der Senator und wischte sich mit einem Taschentuch, das er aus der Gesäßtasche gezogen hatte, über die Stirn. »Ich würde ja gerne noch ein bisschen zum Plaudern bleiben, aber es wird langsam spät, und mein Sekretär hat mir klargemacht, dass ich diese Abenddebatten etwas kürzer fassen muss weil ich sonst bei den Veranstaltungen am Morgen echt alt aussehe.« Die Bemerkung wurde mit Gelächter quittiert. Es handelte sich um entspanntes Lachen. Im Laufe der vergangenen Stunde war es ihm gelungen, dem Publikum die Angst zu nehmen und ihnen jene Art von Gelassenheit zu vermitteln, die die meisten Menschen sonst nie außerhalb ihres Zuhauses verspüren. »Ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie mich hier aufgenommen haben, und für alle Ihre Fragen und Statements. Ich hoffe ehrlich, dass Sie für mich stimmen werden, wenn es so weit ist. Und wenn Sie das nicht tun, vertraue ich darauf, dass Sie jemanden gefunden haben, der besser für dieses großartige Land ist.«

»Wir folgen dir, Peter!«, rief jemand von ganz hinten. Ich drehte mich in meinem Sitz herum und blinzelte, als mir klar wurde, dass die Person, die gerufen hatte, nicht zum Wahlkampfteam gehörte. Es war eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und die ein handgemaltes Senator-Ryman-for-President-Schild hochhielt.

»Kampagnengroupies«, bemerkte Shaun.

»Immer ein gutes Zeichen«, sagte Buffy.

Der Senator lachte. »Ich kann nur hoffen, dass Sie das tun. Dann werde ich Ihnen beweisen können, dass ich nicht nur große Reden schwingen kann, sondern auch Taten folgen lasse. Bis dahin guten Abend, und Gott segne Sie alle.« Er winkte dem Publikum zu, drehte sich um und trat ab, während aus den Lautsprechern im Saal die Nationalhymne erklang. Der Applaus war nicht gerade tosend dafür war das Publikum zu klein , aber begeistert. Mehr als beim letzten Auftritt, und das letzte Publikum war begeisterter gewesen als das davor, und so weiter. Vielleicht sah man es nicht auf den ersten Blick, aber der Wahlkampf nahm Fahrt auf.

Ich blieb, wo ich war, und beobachtete die Zuhörer, die aufstanden und überraschenderweise anfingen, sich zu unterhalten, anstatt aus dem Saal und zurück in die Sicherheit ihrer Autos zu fliehen. Das war neu, genau wie der Applaus. Die Leute redeten miteinander. Von Angesicht zu Angesicht, in Echtzeit, inspiriert durch den Senator und seine Worte.

Ich hatte immer mehr das Gefühl, dass wir einem Präsidenten folgten.

»Georgia?«, sagte Buffy.

»Geh schon mal und sieh dir die Backstage-Aufnahmen an«, sagte ich und machte eine Kopfbewegung in Richtung der durcheinanderplappernden Besucher. »Ich schau nach, was so geredet wird.«

»Achte darauf, aufzunehmen.« Buffy ging Richtung Bühne und bedeutete Shaun, mitzukommen. Mit einem gutmütigen Brummen nahm er sein Kettenhemd und folgte ihr.

Ich ging zu den Besuchern. Ein paar von ihnen schauten zu mir herüber, als ich näher kam, sahen meinen Presseanstecker und wandten sich wieder ihren Gesprächen zu. Die Leute behandeln die Presse entweder als unsichtbar oder gehen ihr aus dem Weg, je nachdem, was gerade vorgeht und wie viele Kameras die Leute an einem entdecken. Da ich kein erkennbares Aufnahmegerät dabeihatte, war ich Teil der Kulisse.

Das erste Grüppchen diskutierte über Senator Rymans Standpunkt zum Thema Todesstrafe. Diese Debatte wird geführt, seit sich die ersten Toten erhoben haben. Wenn man jemanden dafür tötet, dass er andere getötet hat, ist es dann nicht irgendwie widersinnig, wenn die Leiche anschließend aufsteht und sofort noch mehr Leute umbringt? Die meisten Todeszelleninsassen bleiben an Ort und Stelle, bis sie eines natürlichen Todes sterben, worauf die Regierung sich ihre schlurfenden Leichname schnappt und sie in die laufenden Forschungen nach einem Heilmittel eingliedert. Davon haben alle etwas, mit Ausnahme der unglückseligen Gefängnisinsassen, die von den frisch Verstorbenen aufgefressen werden, bevor Letztere geborgen werden können.

Die nächste Gruppe sprach über die potenziellen Kandidaten. Senator Ryman wurde eindeutig wohlwollend aufgenommen, da man seine schärfsten Konkurrenten entweder als »billige Showgeschäft-Nutte« bezeichnete womit Kongressfrau Wagman gemeint war oder als »arroganten Handlanger der religiösen Rechten«, wobei von Gouverneur Tate die Rede war, der ursprünglich aus Texas kam und derzeit am vernehmlichsten erklärte, dass die Zombies nur dann aufhören würden, brave amerikanische Bürgerinnen und Bürger zu verspeisen, wenn das Land sich auf seine moralischen und ethischen Wurzeln besann. Die Frage, ob das die Zombies auch davon abhalten würde, Menschen mit anderem nationalen oder ethnischen Hintergrund zu verspeisen, schien niemals aufzukommen, was ein Jammer war, da mir die Vorstellung von Zombies, die erst einmal auf den Pass schauten, bevor sie zulangten, gefiel.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich bei den Versammelten wahrscheinlich nichts Neues zu hören kriegen würde, schaute ich mich nach einer Unterhaltung um, in die es sich einzusteigen lohnte. Die Gruppe, die am nächsten bei der Tür stand, wirkte vielversprechend. Dort wurden eine Menge finstere Blicke gewechselt, und das ist normalerweise ein Anzeichen dafür, dass etwas Interessantes vorgeht. Ich ging näher heran und lauschte.

»Die eigentliche Frage ist, ob er seine Versprechen halten kann«, sagte einer gerade. Er sah aus wie Ende fünfzig, alt genug, um während des Erwachens bereits erwachsen gewesen zu sein und damit Teil der Generation, die Abschottung bereitwillig als einzig wahren Weg zu einem sicheren Leben akzeptiert hatte. »Können wir unser Vertrauen schon wieder in einen Präsidenten setzen, der sich nicht zu einer vollständigen Beseitigung der Zombiepopulationen in den Nationalparks bekennt?«

»Seien Sie vernünftig«, sagte ein Frau. »Wir können nicht einfach bedrohte Tierarten auslöschen, nur weil es bei ihnen zur Virenvermehrung kommen könnte. Derart überstürzter Aktionismus verschafft dem Durchschnittsmenschen kein bisschen mehr Sicherheit.«

»Nein, aber er sorgt vielleicht dafür, dass nicht noch eine Mutter ihre Kinder begraben muss, nachdem sie von einem Zombiereh attackiert worden sind«, erwiderte der Mann.

»Genau genommen war es ein Elch, und bei den ›Kindern‹ handelte es sich um eine Gruppe Studenten, die einen gesperrten Streifen der kanadischen Grenze überquert haben, um an billiges Hasch zu kommen«, warf ich ein. Alle Gesichter wandten sich mir zu. Ich zuckte mit den Schultern. »Es war eine Gefahrenzone der Stufe 1. Praktisch niemand außer den Streitkräften und einigen Wissenschaftlern darf sich dort aufhalten. Vorausgesetzt, Sie reden von dem Vorfall im letzten August, und es gab in der Zwischenzeit keine weiteren Attacken von Huftieren, die mir entgangen sind.« Ich wusste, dass dem nicht so war. Ich verfolge mit Hingabe alle Tierattacken auf Menschen und sortiere sie dabei in zwei Kategorien: »Wir brauchen schärfere Gesetze« und »Darwin hatte recht.« Meiner Meinung nach sollte es verboten sein, sich Tiere zu halten, die groß genug für eine Virenaktivierung sind, aber ich bin trotzdem nicht der Meinung, dass die Auslöschung aller größeren Säugetiere die Lösung ist. Wenn man ohne vernünftige Ausrüstung die kanadische Wildnis durchstreift, hat man es nicht besser verdient, als von einem untoten Elch attackiert zu werden.

Der Mann kriegte einen roten Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich mit Ihnen geredet habe, Miss.«

»Mag sein«, erwiderte ich. »Trotzdem ist der Vorfall ziemlich gut dokumentiert. Wie gesagt, wenn ich da nicht etwas verpasst habe.«

Einer der anderen Männer sagte leicht belustigt: »Komm schon, Carl, hat die junge Dame eine Tierattacke verpasst, oder meinst du den Vorfall mit dem Elch?«

Er brauchte nichts zu sagen; sein böser Blick war Antwort genug. Carl kehrte uns dreien betont den Rücken zu und entfernte sich, um in eine Tirade gegen die Position des Senators zur Todesstrafe einzustimmen, die gerade ein paar Meter weiter lief.

»Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, wie jemand ihm mit Fakten einen solchen Dämpfer verpasst hat«, sagte die Frau und streckte mir ihre Hand entgegen. »Das muss ich mir merken. Rachel Green. Ich bin beim örtlichen Tierschutzverein.«

»Dennis Stahl von der Eakly Times«, sagte der andere Mann und hielt in einer knappen Geste der Solidarität seinen Presseausweis hoch.

Froh darüber, dass meine Sonnenbrille die Feinheiten meines Gesichtsausdrucks verdeckte, nahm ich Ms Greens Hand, schüttelte sie und sagte: »Georgia Mason. Ich gehöre zu den Bloggern, die über Senator Rymans Wahlkampf berichten.«

»Mason«, sagte Ms Green. »Die Masons, die

Ich nickte.

Sie verzog das Gesicht. »Liebe Güte. Wird das jetzt unangenehm?«

»Nicht, wenn Sie keine Lust auf eine Diskussion haben. Ich bin hier, um Reaktionen auf die Agenda des Senators einzuholen, und nicht, um meine eigene voranzutreiben. Außerdem«, ich deutete mit einer Kopfbewegung auf Carls Rücken, »bin ich nicht so eine Hardlinerin wie manch anderer. Ich vertrete nur einen klaren Standpunkt, was die Tierhaltung in der Stadt angeht, weshalb wir uns wohl darauf einigen können, dass wir uns an dem Punkt nicht einig sind, oder?«

»Klingt fair.« Sie wirkte erleichtert.

Mr Stahl lachte. »Rachel kriegt für ihre Arbeit eine Menge Schelte von der Lokalpresse«, sagte er. »Wie gefällt Ihnen die Wahlkampftour?«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie unsere Berichte nicht gelesen haben?« Ich fragte leichthin, aber die Antwort interessierte mich. Nur wenige Blogs erhalten von anderen Journalisten Anerkennung. Zwar gehören wir inzwischen irgendwie dazu, aber erst, wenn die traditionellen Nachrichtenmedien anfangen, unsere Beiträge ernst zu nehmen, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass sich ein neuer Kommunikationskanal etabliert hat.

»Doch, das habe ich«, antwortete er. »Sie sind gut. Ein bisschen ungeschliffen, aber gut. Ihnen liegt etwas an den Nachrichten, und das merkt man.«

»Danke«, sagte ich und schaute zu Ms Green. »Hat Ihnen die Rede gefallen?«

»Ist er wirklich so aufrichtig, wie er rüberkommt?«

»Ich habe noch nichts entdeckt, was dagegenspricht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn man mal nicht so tut, als könnten Journalisten objektiv sein? Dann ist er ein netter Kerl. Er hat gute Ideen, und er kann sie gut präsentieren. Entweder ist er der beste Lügner, den ich jemals kennengelernt habe, oder er wird unser nächster Präsident. Nicht, dass sich das ausschließen würde, aber trotzdem.«

»Macht es Ihnen was aus, wenn ich Sie mit diesen Worten zitiere?«, fragte Mr Stahl mit jenem unvermittelten Raubtierblick, der mir vom Umgang mit meinen Kollegen nur allzu vertraut war.

Ich lächelte. »Nur zu. Aber setzen Sie bitte einen Link auf unsere Seite, wenn Sie so freundlich wären.«

»Selbstverständlich.«

Wir plauderten noch ein wenig, tauschten schließlich Höflichkeiten aus und gingen unserer Wege. Ich nahm meine Wanderung von einem Grüppchen zum nächsten wieder auf und hörte nun hauptsächlich zu. Belustigt stellte ich fest, dass Carl dessen Nachnamen ich weder wusste noch wissen wollte sich von mir fernhielt, als ob er befürchtete, dass ich ihm seine Tiraden mit weiteren unpassenden Fakten verderben würde. Ich kenne diesen Typ, vor allem von politischen Protestveranstaltungen. Er gehört zu der Sorte Mensch, die lieber die ganze Welt zubetonieren und die Kranken erschießen möchte, als das Risiko unvorhersehbarer und potenziell riskanter Lebensumstände auf sich zu nehmen. Früher einmal waren diese Leute Antisemiten, Rassisten, Frauenfeinde, Schwulenhasser oder gleich alles auf einmal. Jetzt sind sie auf die denkbar extremste Art gegen Zombies, und in ihrem Extremismus gehen sie so weit zu behaupten, dass wir anderen irgendwie die Pläne der Untoten unterstützen würden. Ich habe schon eine Menge Zombies getroffen. Nicht so viele wie Shaun und Mom, aber ich bin auch nicht so selbstmordgefährdet wie die beiden. Meiner Meinung nach besteht der »Plan der Untoten« darin, einen aufzufressen, aber sicher nicht darin, sich das Wohlwollen der Öffentlichkeit zu erschleichen. Es wird immer Menschen geben, die ihre Angst am besten mit Hass überspielen können. Und ich werde immer mein Bestes geben, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

Die Lichter im Saal wurden einen Moment lang schwächer und leuchteten dann wieder so hell wie zuvor, ein Zeichen dafür, dass die Veranstalter die Gäste aus dem Haus haben wollten. Ich schaute auf die Uhr. Es war viertel vor zehn. Die meisten Zombieattacken ereignen sich zwischen zehn Uhr abends und zwei Uhr morgens. Veranstaltungen in dieser »Risikozeit« können Versicherungsprämien in dreifacher Höhe bedeuten, besonders in einer Gegend, in der es in jüngerer Vergangenheit dokumentierte Ausbrüche gab. Das schließt einen Großteil des Mittleren Westens ein, wo Kojoten, verwilderte Hunde und Zuchtvieh eine beständige latente Bedrohung darstellen.

Es braucht nicht viel, um den Leuten Beine zu machen, sobald ihnen klar wird, dass sie bis nach Ablauf der unausgesprochenen weltweiten Ausgangssperre außer Haus geblieben sind. Die Gesprächsrunden lösten sich voneinander, die Leute schnappten sich ihre Mäntel, Taschen und Begleiter und gingen zur Tür. Alle waren in Begleitung, sogar Carl. Wir sind eine Nation, die genauso viel Angst davor hat, sich zu versammeln, wie davor, allein zu sein. Ist es ein Wunder, dass der Durchschnittsamerikaner bereits im Alter von sechzehn in Therapie ist?

Mein Ohrstecker signalisierte piepend einen Anruf. Ich hob die Hand und tippte ihn an. »Georgia.«

»Kommst du bald zur Party, oder soll ich das Bier hier selber trinken?« Ich hörte Gelächter im Hintergrund. Die Truppe des Senators feierte, dass er sie erneut charmant und elegant durch ein politisches Minenfeld navigiert hatte. Wenn unsere Einschaltquoten irgendwelche Rückschlüsse zuließen, dann hatte der Senator seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner praktisch in der Tasche.

»Ich bin hier gleich fertig, Shaun«, sagte ich. Das gedämpfte Saallicht wich dem hellen Lampenschein, in dem die Putzkräfte ihre Arbeiten verrichteten. Ich kniff die Augen zusammen und wandte mich Richtung Bühnenabgang. »Gibst du Bescheid, dass ich komme?«

»Schon dabei.« Mit einem erneuten Piepsen signalisierte mein Ohrstecker, dass die Verbindung getrennt worden war. Ich bin kein großer Freund von Schmuck, aber getarnte Mobiltelefone sind eine andere Sache. Sie sind praktischer als Walkie-Talkies, und ihre Batterien halten länger. Die durchschnittliche Gesprächszeit, bis sie zur Neige gehen, beträgt fünfzig Stunden. Sobald sie alle sind, ist es billiger, sich ein neues Telefon zu kaufen, als das Gehäuse zu öffnen und neue Batterien einsetzen zu lassen, aber das ist der Preis des Fortschritts, den wir alle zahlen müssen. Ich habe zu jedem Zeitpunkt mindestens drei Telefone dabei, und nur Shaun hat alle Nummern.

Zwei der Wachleute des Senators standen an der Tür. Sie trugen identische schwarze Anzüge und hatten Sonnenbrillen auf, hinter denen man kaum etwas von ihren Gesichtern erkennen konnte. Ich nickte ihnen zu. Sie nickten zurück.

»Steve, Tyrone«, sagte ich.

»Georgia«, sagte Tyrone. Er holte eine tragbare Bluttesteinheit aus der Tasche. »Wenn ich bitten darf?«

Ich seufzte. »Du weißt, dass ich noch mal getestet werde, bevor ich mich wieder dem Konvoi anschließen darf.«

»Ja.«

»Und du weißt, dass ein sauberes Ergebnis jetzt auch ein sauberes Ergebnis nach dem Fünf-Minuten-Fußweg zum Bus bedeutet.«

»Ja.«

»Aber du wirst mich trotzdem zwingen, mir in den verdammten Finger zu pieksen, hab ich recht?«

»Ja.«

»Ich hasse Vorschriften.« Nachdem ich mit meinem ritualisierten Murren fertig war, streckte ich die Hand aus und drückte den Zeigefinger auf das Pad. Die Lämpchen oben am Gehäuse blinkten in ihrem vertrauten rot-grünen Muster und pendelten sich schließlich auf ein gleichmäßiges, infektionsfreies Grün ein. »Zufrieden?«

»Überglücklich«, antwortete Tyrone mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, während er eine Sondermülltüte aus der Tasche zog und die Testeinheit hineinwarf. »Hier entlang.«

»Wie zuvorkommend«, sagte ich. Steve unterdrückte ein breites Lächeln, und ich lächelte zurück und machte mich auf den Weg über den Parkplatz, den entfernten Lichtern des Konvois entgegen. Die Leibwächter gingen links und rechts neben mir. Zu Anfang war es etwas nervig gewesen, dass man mich über jedes Stück freie Fläche eskortierte, aber langsam gewöhnte ich mich daran.

Das Team des Senators einschließlich Shaun, Buffy und mir reiste in einem Konvoi, der aus fünf luxuriösen Wohnmobilen, zwei Bussen, unserem Sendewagen und drei umgebauten Militärjeeps bestand, die vorgeblich zum Auskundschaften leerer Gebiete dienten, praktisch aber vor allem für Offroadrennen verwendet wurden, sobald das Gelände dazu einlud. Es gab mehrere kleinere Fahrzeuge, von meinem Motorrad bis zu den massiv gepanzerten Versionen der Leibwächter. Da wir einen Haufen Ausrüstung mitschleppen mussten, um die vorgeschriebenen Sicherheitsstandards zu erfüllen, hätte es wenig Sinn gehabt, für weniger als vier Tage das Camp zu verlassen und in einem Hotel einzuchecken, weshalb wir zahlreiche Nächte »hart gebettet« schliefen, in mobilen Wohneinheiten, die sehr viel besser ausgestattet waren als mein Zimmer zu Hause.

Shaun, Buffy und mir hatte man ein gemeinsames Wohnmobil zugewiesen, obwohl Buffy normalerweise bei ihren Geräten im Sendewagen schlief. Sie behauptete, dass sie vom ständigen Zwielicht meiner Speziallampen eine Gänsehaut bekäme. Die Leute des Senators hatten das als weiteres Zeichen dafür aufgefasst, dass unsere Technikerin etwas neben der Spur war, und Shaun und ich hatten uns nicht darum bemüht, sie von diesem Eindruck abzubringen, obwohl wir wussten, dass es hier weniger um Buffys zwanghaften Wunsch ging, ihre Kameras zu beschützen und mehr um die ständige Suche nach einer Spur von Privatsphäre. Im Gegensatz zu den meisten anderen Angehörigen unserer Generation ist Buffy ein Einzelkind, und das Leben im Konvoi ging ihr auf Nerven, von deren Existenz sie möglicherweise nicht einmal gewusst hat.

Das Leben im Konvoi warf auch ein neues Problem auf: Ihre Religiosität und unsere Nichtreligiosität. Buffy betete vorm Schlafengehen. Buffy betete vorm Essen. Und Shaun und ich taten das nicht. Es war besser, Konflikte zu vermeiden, indem wir ihr etwas Raum gaben. Außerdem verschaffte das mir und Shaun die Art von Privatsphäre, die wir gewöhnt sind jene Sorte, bei der man nie wirklich allein ist, aber bei der man auch niemanden in seiner unmittelbaren Nähe hat, wenn man es nicht will.

Am Zugang zum Innenbereich warteten zwei weitere Wachen. Im Gegensatz zu Steve und Tyrone, die ihre Pistolen unter den Jacken verborgen hatten, hielten diese beiden Automatikgewehre in den Händen. Ich kannte die Modelle aus Moms Werbemagazinen. Wahrscheinlich hätten die beiden einen durchschnittlichen Zombiemob ganz ohne fremde Hilfe aufhalten können.

»Tracy, Carlos«, sagte ich und streckte den Arm mit der Handfläche nach unten aus. »Ich bin müde, ich bin verdreckt, und ich bin reif dafür, mich zusammen mit den anderen braven Jungs und Mädels zu betrinken. Bitte bestätigt, dass ich nicht infiziert bin, damit ich loslegen kann.«

»Wenn du mir später ein Bier bringst, haben wir einen Deal«, antwortete Carlos und schob mir die Testeinheit über die Hand, während Tracy dasselbe bei Steve tat. Tyrone trat zurück und wartete, bis er dran war. Es handelte sich diesmal um Geräte der mittleren Leistungsklasse, die einen sorgfältigeren Scan durchführten und dementsprechend länger brauchten, um Ergebnisse zu liefern. Es war gut möglich, dass jemand per Fingerpiekstest für sauber befunden wurde, nur damit der Test an der ganzen Hand diesen Status weniger als fünf Minuten später widerrief.

Meine Ergebnisse waren sauber, genau wie Steves. Tyrone trat vor, um sich selbst dem Test zu unterziehen, und winkte uns zum dritten Wohnwagen in der Reihe durch. Ich könnte nun behaupten, dass mir mein hoch entwickelter journalistischer Spürsinn den Weg wies, doch die Richtung, die ich einschlug, hatte wesentlich weniger mit besonderem Scharfsinn zu tun als mit dem Umstand, dass es sich um den einzigen Wohnwagen handelte, dessen Tür offen stand und aus dem hämmernde Rockmusik kam. Die Dandy Warhols. Der Senator schätzt die Klassiker.

Im Innern des Wohnmobils stand Senator Ryman mit halb aufgeknöpftem Hemd und dem Schlips über der linken Schulter auf einem Beistelltischchen und prostete den Versammelten mit einer Flasche Pabst-Blue-Ribbon-Bier zu. Die Leute johlten so laut, dass ich seine Worte nicht verstehen konnte, aber es sah ganz danach aus, dass ich gerade mitten in einen Toast reingeplatzt war. Ich blieb bei der Tür, trat ein Stück beiseite, um Steve durchzulassen, und nahm das Glas Bowle entgegen, das mir eine Praktikantin hinhielt. Ich habe den Versuch, die Praktikantinnen auseinanderzuhalten, schließlich aufgegeben. Die hier war brünett, was bedeutete, dass es sich um eine Jenny, eine Jamie oder eine Jill handelte. Wirklich, man sollte diese Leute nur mit Namensschildern ausliefern.

Shaun schob sich durch die Menge, nickte Steve zu und blieb dann bei mir stehen. »Und?«

»Im Großen und Ganzen positiv. Die Leute mögen unsern Jungen.« Ich machte eine Kopfbewegung in Richtung Senator, der eine Jenny zu sich auf den Tisch gezogen hatte. Das Johlen des Publikums wurde lauter. »Ich glaube, auf dieser Welle können wir ins Ziel reiten.«

»Buffy meint das auch«, pflichtete Shaun mir bei und nahm einen Schluck Bier. »Bist du bereit, dir das Material vom heutigen Abend anzusehen?«

»Wie, und das Gelage verpassen? Lass mich überlegen ja.« Ich schüttelte den Kopf. »Bring mich hier raus.«

Die Party nach dem ersten Auftritt hat Spaß gemacht. Auch die nach dem dritten. Und die nach dem fünfzehnten. Nach dem dreiundzwanzigsten war mir schließlich klar geworden, dass es sich um eine clevere Methode handelte, das Volk im Griff zu behalten: Man gestattete den Malochern, etwas Dampf abzulassen, vermittelte, dass man auch nur ein ganz normaler Kerl war, und widmete sich der eigentlichen Arbeit, während die meisten anderen schliefen. Es handelt sich um eine gerissene und produktive Strategie, und ich beglückwünschte Senator Ryman innerlich zu seinem Einfallsreichtum. Trotzdem sah ich keinen Grund, mehr Zeit als unbedingt nötig in einem zu hell erleuchteten, zu vollen Wohnmobil zu verbringen und miese Bowle zu trinken.

Steve lächelte sarkastisch, als wir uns umwandten und an ihm vorbeidrängten. »Ihr geht schon wieder?«

»Zum Mitternachtsfußball bin ich zurück«, versprach Shaun und schob mich mit einem festen Stoß in den Rücken zur Tür raus. Das gedämpfte Licht draußen war eine Wohltat.

»Mitternachtsfußball?«, fragte ich und schaute ihn von der Seite an, als wir uns von dem lärmenden Wohnmobil weg in Richtung unseres sehr viel ruhigeren Sendewagens bewegten. »Schläfst du auch mal?«

»Schläfst du?«, erwiderte er.

»Touché.«

Shaun ist grundsätzlich immer in Aktion, oder er plant gerade neue Aktionen oder denkt sich neue Arten von Aktionen aus, von denen viele etwas mit Sprengstoff oder Untoten zu tun haben. Ich verbringe meine Zeit mit Schreiben, damit, übers Schreiben nachzudenken, und mit dem Versuch, Neues zu finden, worüber ich schreiben kann. Schlaf hat für keinen von uns beiden jemals weit oben auf unserer Prioritätenliste gestanden, was wohl in gewisser Weise ein Segen ist. Als Kinder haben wir einander gegenseitig auf Trab gehalten. Wenn einer von uns sich wirklich mal hätte ausruhen wollen, dann hätten wir einander in den Wahnsinn getrieben.

Die Scheinwerfer unseres Wagens waren eingeschaltet und die Hintertür aufgesperrt. Als wir eintraten, blickte Buffy auf. Obwohl sie unser Eintreffen zur Kenntnis nahm, wirkte ihre Miene abwesend. Sobald sie sich vergewissert hatte, dass wir nicht von einer randalierenden Zombiehorde verfolgt wurden, wandte sie sich wieder ihrer Tastatur zu.

»Woran arbeitest du?«, fragte ich und stellte die Bowle neben meinem Computerplatz ab.

»Ich schneide das Material von heute Abend zusammen und synchronisiere die Tonspur. Vielleicht mache ich einen Musikvideo-Remix, wenn ich fertig bin. Irgendwas Retromäßiges raussuchen, was voll abrockt. Außerdem chatte ich mit Chuck. Er lässt mich auf sein bisheriges Wahlkampfvideomaterial zugreifen. Daraus kann ich vielleicht eine Art Retrospektive zusammenbasteln.«

Ich hob eine Braue und nahm mir eine Cola aus dem Kühlschrank. »Etwa, weil du ohne seine Hilfe nicht an dieses Material rangekommen wärst?«

Buffys Wangen röteten sich. »Er will bloß helfen.«

»Buffy ist verknallt«, säuselte Shaun.

»Sei brav«, sagte ich, setzte mich und ließ die Finger knacken. »Ich muss in den Foren nachschauen, was die Leute sagen, und die Titelstory für morgen vorbereiten. Das wird eine lustige Nacht, und ich will nicht, dass ihr beiden anfangt, euch zu streiten und sie mir verderbt.«

Shaun verdrehte die Augen. »Klaaar. Mummelt euch hier ruhig ein und albert die ganze Nacht rum, Mädchen «

»Das nennt man auch ›sich seinen Lebensunterhalt verdienen‹, Blödarsch.« Ich schaltete den Monitor an und gab ein Passwort ein.

»Wie gesagt, die ganze Nacht nur rumalbern. Ich gehe mit den Jungs raus. Wir schauen, wo was geht, und dann mache ich irgendwas alle, und morgen haben wir Quoten, wie ihr sie noch nie gesehen habt.« Shaun breitete die Hände aus, um das Ausmaß seines eingebildeten Triumphs anzuzeigen. »Ich sehe es vor mir: ›Draufgängerischer Irwin rettet Nachrichtenseite vor dem Niedergang‹.«

»Besorg dir ’ne Brille«, sagte Buffy.

Ich kicherte.

Shaun bedachte Buffy mit seinem schönsten verletzten Blick und setzte zu einer Antwort an.

Doch was immer er sagen wollte, es wurde von den Schüssen draußen übertönt.

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Ihr möchtet über Heuchelei reden? Ich sag euch, was Heuchelei ist: Wenn man Kellis-Amberlee als Gottes Strafe dafür bezeichnet, dass wir Gott ins Handwerk pfuschen wollten. Vielleicht würde ich das glauben, wenn Zombies eine übernatürliche Fähigkeit zum Aufspüren von Wissenschaftlern hätten und sich nur Ketzer schnappen würden, aber wenn ich mir die Jahresstatistik der Todesfälle im Zusammenhang mit KA ansehe man kann die Liste auf der Website der Seuchenschutzbehörde einsehen, und eine detailliertere, täglich aktualisierte Aufstellung wird seit dem Erwachen an der Mauer gepostet , fallen mir darauf nicht besonders viele Wissenschaftler auf. Was sehe ich stattdessen?

Ich sehe Kinder. Ich sehe die siebenjährige Julie Wade aus Discovery Bay, Kalifornien; ich sehe den elfjährigen Leroy Russell aus Bar Harbor, Maine; ich sehe sehr viel mehr als nur diese beiden. Von den 2653 US-Toten des letzten Jahres, deren Ableben unmittelbar auf Kellis-Amberlee zurückgeführt werden kann, sind dreiundsechzig Prozent unter sechzehn gewesen. Das klingt für mich nicht gerade nach einem gnädigen Gott.

Ich sehe Alte. Ich sehe Nicholas und Tina Postoloff, die im Pleasant-Valley-Altenheim in Warsaw, Indiana, verstorben sind. Laut den Berichten hätte Nicholas überlebt, wenn er nicht umgekehrt wäre, um Tina zu retten, mit der er siebenundvierzig Jahre lang verheiratet gewesen war. Beide starben und wurden durch das Virus wieder zum Leben erweckt, bevor Hilfe eintraf. Man hat sie wie wilde Tiere auf offener Straße niedergeschossen. Klingt für mich nicht nach einem Gottesurteil. Klingt überhaupt kein bisschen göttlich.

Ich sehe Männer und Frauen wie dich und mich, Menschen, die sich bemühen, keine Fehler zu machen, die sie später einmal heimsuchen werden. Ich sehe keine Sünder, die die Seuche selbst auf sich herabbeschworen haben. Also hört schon auf. Hört auf damit, den Leuten mehr Angst einzujagen, als sie ohnehin schon haben, indem ihr ihnen weismacht, dass das hier nur ein Vorgeschmack auf die Qualen ist, die ihnen noch bevorstehen. Ich bin es leid, und wenn es einen Gott gibt, dann ist er es mit Sicherheit auch leid.

Aus Unschöne Bilder, dem Blog von Georgia Mason,
12. Januar 2040