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Unsere Geschichte beginnt dort, wo zahllose Geschichten der letzten sechsundzwanzig Jahre enden: Damit, dass ein Idiot in diesem Fall mein Bruder Shaun es für eine gute Idee hielt, rauszugehen und mit einem Stock nach einem Zombie zu stochern, um zu sehen, was passieren würde. Als ob wir nicht längst wüssten, was passiert, wenn man einen Zombie nervt: Er dreht sich um und beißt einen, und dann wird man selbst zu dem, was man da angestupst hat. Das ist nichts Neues. Es ist seit zwanzig Jahren nichts Neues mehr, und wenn man es ganz genau nimmt, war es auch damals nichts Neues.

Als die Infizierten zum ersten Mal auftauchten begleitet von lautem Geschrei darüber, dass die Toten sich erheben und dass der Tag des Jüngsten Gerichts gekommen sei , benahmen sie sich genauso, wie die Horrorfilme es uns seit Jahrzehnten gezeigt hatten. Das einzig Überraschende war, dass es diesmal in echt passierte.

Die Seuche brach ohne Vorwarnung aus. An einem Tag war alles normal, und am nächsten standen Leute, die eigentlich tot sein sollten, auf und attackierten alles in Reichweite. Das war ziemlich verstörend für alle Beteiligten, mit Ausnahme der Infizierten, die darüber hinaus waren, sich über solche Dinge aufzuregen. Nach dem ersten Schock gab es viel Gerenne und Gekreische, und daraus wurden schließlich weitere Infektionen und weitere Attacken, wie die Dinge eben so laufen. Und was haben wir jetzt, in diesen aufgeklärten Zeiten sechsundzwanzig Jahre nach dem Erwachen? Idioten, die Zombies mit Stöcken anstupsen, womit wir wieder bei meinem Bruder wären und dabei, warum er wohl kein langes und erfülltes Leben vor sich hat.

»He George, jetzt schau dir mal das an!«, rief er und stieß den Zombie noch einmal mit seinem Hockeyschläger gegen den Brustkorb. Der Zombie gab ein tiefes Stöhnen von sich und fuchtelte unbeholfen herum. Offenbar war das Virus bei ihm schon länger voll aktiv gewesen, und er hatte weder die nötige Kraft noch die Geschicklichkeit dazu, Shaun den Stock aus der Hand zu schlagen. Das muss ich Shaun zugestehen: Er ist immerhin schlau genug, sich nicht zu nah an die noch Frischen heranzuwagen. »Wir spielen Fangen!«

»Hör auf, die Eingeborenen gegen uns aufzubringen, und schwing dich in den Sattel«, sagte ich und bedachte ihn mit einem bösen Blick durch meine Sonnenbrille. Sein derzeitiger Spielkamerad mochte vielleicht so krank sein, dass er kurz vor seinem zweiten, endgültigen Tod stand, aber das bedeutete nicht, dass sich in der Gegend nicht auch gesündere Rudel rumtreiben konnten. Santa Cruz ist Zombieterritorium. Dort geht man nur hin, wenn man selbstmordgefährdet, dumm oder beides ist. Es gibt Momente, da bin nicht mal ich mir sicher, welche dieser Möglichkeiten auf Shaun zutrifft.

»Keine Zeit zum Reden! Ich bin damit beschäftigt, mich mit den Eingeborenen anzufreunden!«

»Shaun Phillip Mason, du steigst sofort wieder auf dieses Motorrad, sonst schwöre ich bei Gott, dass ich wegfahre und dich hier zurücklasse.«

Shaun schaute sich um, und in seinen Augen leuchtete plötzlich Interesse auf, während er dem Zombie den ausgestreckten Hockeyschläger vor die Brust drückte, um ihn auf sicherem Abstand zu halten. »Ehrlich? Das würdest du für mich machen? ›Meine Schwester hat mich ohne fahrbaren Untersatz im Zombieland zurückgelassen‹ klingt nämlich nach einer tollen Schlagzeile.«

»Nach einem tollen Nachruf vielleicht«, blaffte ich. »Steig verdammt noch mal auf!«

»Gleich!«, sagte er lachend und wandte sich wieder seinem ächzenden Freund zu.

Im Rückblick betrachtet war das der Moment, ab dem alles voll danebenging.

Das Rudel hatte uns wahrscheinlich schon verfolgt, bevor wir in die Stadt gekommen waren, und auf dem Weg beständig Verstärkung angesammelt. Je größer die Infiziertenrudel sind, desto schlauer und gefährlicher werden sie. Gruppen von vier oder weniger sind kaum eine Bedrohung, solange sie einen nicht in die Ecke drängen, aber ein Zwanzigerrudel hat gute Aussichten, jede Barriere zu durchbrechen, die die Nichtinfizierten errichten. Wenn man genug Infizierte auf einem Haufen hat, fangen sie an, bei der Jagd Rudeltaktiken zu entwickeln: Sie werden zu richtigen Strategen. Es ist, als würde das Virus, das sie übernommen hat, zu denken anfangen, sobald es genügend Wirte auf einem Fleck hat. Das kann einem höllisch Angst machen, und es ist so ziemlich der schlimmste Albtraum eines jeden, der regelmäßig Zombieterritorium betritt von einer großen Gruppe in die Ecke gedrängt zu werden, die das Gelände besser kennt als man selbst.

Diese Zombies kannten das Gelände besser als wir, und selbst das unterernährteste und virusgeplagteste Rudel weiß, wie man einen Hinterhalt legt. Ein tiefes Stöhnen hallte von allen Seiten wider, und dann kamen sie schlurfend zum Vorschein. Manche bewegten sich mit dem schleppenden Gang der schon lange Infizierten, andere rannten beinahe. Die Rennenden führten das Rudel an und schnitten drei der verbliebenen Fluchtwege ab, bevor ich und Shaun mehr tun konnten, als sie anzustarren. Schaudernd beobachtete ich die Zombies.

Frisch Infizierte wirklich Frische sehen noch fast genauso aus wie die Menschen, die sie einmal waren. Ihre Gesichter zeigen Emotionen, und ihre abgehackten Bewegungen könnten genauso gut daher kommen, dass sie sich vorangegangene Nacht im Schlaf einen Nerv eingeklemmt haben. Es ist schwerer, etwas zu töten, das noch wie ein Mensch aussieht, und das Schlimmste ist, dass die Mistkerle schnell sind. Das Einzige, was gefährlicher ist als ein frischer Zombie, ist ein Rudel frischer Zombies, und ich zählte mindestens achtzehn, bevor mir klar wurde, dass es keine Rolle spielte, und ich mir die Mühe sparte.

Ich zog mir hastig den Helm über den Kopf, ohne den Riemen festzuzurren. Falls das Motorrad sich langmachte, gehörte es zu den besseren Optionen zu sterben, weil ich meinen Helm verlor. Dann würde ich zwar wiederauferstehen, es aber zumindest nicht mitkriegen. »Shaun!«

Shaun wirbelte herum und starrte die herankommenden Zombies an. »Uff.«

Es war Shauns Pech, dass die Ankunft so vieler Zombies seinen Spielkameraden von einem dummen Einzelgänger zum Teil eines denkenden Mobs gemacht hatte. Der Zombie packte den Hockeyschläger in genau dem Moment, in dem Shaun abgelenkt war, und riss ihn ihm aus den Händen. Shaun taumelte vor, und der Zombie krallte sich mit trügerisch dürren, starken Fingern in seinen Pullover. Er zischte. Ich schrie, und Bilder von meiner unausweichlichen Zukunft als Einzelkind erfüllten meinen Kopf.

»Shaun!« Ein einziger Biss würde die Lage noch sehr viel schlimmer machen. Es gibt kaum etwas Übleres, als mitten in der Innenstadt von Santa Cruz von einem Zombierudel umzingelt zu sein. Shaun zu verlieren gehörte zu diesen wenigen schlimmeren Möglichkeiten.

Nur, weil mein Bruder mich überredet hat, mit dem Motorrad in Zombieterritorium zu fahren, bin ich noch lange nicht völlig verblödet. Folglich trug ich einen Off-Road-Ganzkörperschutzanzug, einschließlich einer Lederjacke mit Stahlgelenken an den Ellbogen und Schultern, einer kugelsicheren Weste, Motorradhosen mit Hüft- und Knieschützern und Reitstiefel, die die Unterschenkel bedeckten. Das ist verdammt klobige Kleidung, aber das ist mir egal, denn wenn man bedenkt, dass ich dazu auch noch Handschuhe trage, dann ist mein Hals das einzige Ziel, das sich meinem Gegner auf dem Schlachtfeld bietet.

Shaun dagegen ist ein Volltrottel und hatte als Schutzkleidung zum Zombieärgern lediglich einen Pullover, eine kugelsichere Weste und Cargo Pants an. Er trägt nicht mal eine Schutzbrille, weil er sagt, dass Schutzbrillen »den Effekt verderben«. Ungeschützte Schleimhäute können verdammt viel mehr verderben, aber ich muss ihn praktisch erpressen, damit er wenigstens die Weste anzieht. Eine Schutzbrille kommt bei ihm überhaupt nicht in die Tüte.

Im Feld einen Pulli zu tragen hat einen Vorteil, unabhängig davon, wie idiotisch es meiner Meinung nach ansonsten ist: Wolle reißt. Shaun riss sich los und drehte sich um. Er rannte mit Höchstgeschwindigkeit zum Motorrad, und Rennen ist letztlich die einzige effektive Waffe, die wir gegen die Infizierten haben. Nicht mal die Frischen können über kurze Sprintdistanz mit einem nicht infizierten Menschen mithalten. Wir haben unsere Geschwindigkeit, und wir haben Patronen. Alle anderen Vorteile haben sie.

»Scheiße, George, wir haben Gesellschaft!« In seiner Stimme lag eine perverse Mischung aus Entsetzen und Entzücken. »Sieh dir die bloß mal an!«

»Ich sehe sie! Und jetzt steig auf!«

Ich fuhr an, sobald er das Bein übers Motorrad geschwungen und den Arm um meine Hüften gelegt hatte. Das Motorrad machte einen Satz nach vorne, und die Reifen holperten und schlitterten über das aufgeplatzte Pflaster, als ich mich in eine weite Kurve legte. Wir mussten hier raus, sonst würde alle Schutzkleidung der Welt uns kein bisschen helfen. Ich würde vielleicht überleben, wenn die Zombies uns einholten, aber mein Bruder würde in den Mob gezerrt werden. Ich gab Gas und betete, dass Gott ein bisschen Zeit übrig hatte, um den ernsthaft Suizidgefährdeten das Leben zu retten.

Mit dreißig Stundenkilometern rasten wir durch die letzte Lücke vom Platz und legten noch an Tempo zu. Johlend klammerte sich Shaun mit einem Arm an meiner Hüfte fest und drehte sich zu den Zombies um, wobei er winkte und ihnen Küsse zuwarf. Wenn man einen Infiziertenmob in Wut versetzen könnte, dann hätte Shaun es geschafft. Doch so, wie die Dinge lagen, stöhnten sie bloß und verfolgten uns weiter, die Arme der Verheißung frischen Fleisches entgegengestreckt.

Die Straße war nach all den Jahren, in denen niemand sie ausgebessert hatte, von der Witterung ziemlich mitgenommen. Ich musste mir alle Mühe geben, um nicht die Kontrolle zu verlieren, während wir von einem Schlagloch zum nächsten holperten. »Halt dich fest, Idiot!«

»Ich halte mich fest!«, schrie Shaun zurück, der sich offenbar pudelwohl fühlte und keine Ahnung zu haben schien, dass Leute, die in der Nähe von Zombies nicht die nötigen Sicherheitsregeln einhalten zum Beispiel die, dass man sich gar nicht erst in der Nähe von Zombies aufhalten sollte , meistens als Nachruf enden.

»Halt dich mit beiden Händen fest!« Das Stöhnen kam nun nur noch von drei Seiten, aber das hatte nichts zu bedeuten. Ein Rudel dieser Größe war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schlau genug, um einen Hinterhalt zu legen. Möglicherweise fuhr ich direkt auf die Hauptansammlung zu. Sie würden erst ganz am Ende zu stöhnen anfangen, wenn wir direkt vor ihnen waren. Kein Zombie kann sich ein schönes Stöhnen verkneifen, wenn eine Mahlzeit unmittelbar bevorsteht. Der Umstand, dass ich sie trotz des Motorengeräuschs hörte, bedeutete, dass es zu viele waren und dass sie zu nah waren. Mit etwas Glück war es noch nicht zu spät, um davonzukommen.

Andererseits: Mit auch nur etwas Glück wären wir nicht von einem Heer von Zombies durch die Quarantänezone gejagt worden, die früher einmal die Innenstadt von Santa Cruz war. Wir wären an einem netteren Ort gewesen, wie zum Beispiel auf dem Bikini-Atoll kurz vor den Bombentests. Sobald man beschließt, die Gefahreneinstufung und die Schilder, auf denen Achtung: Infektion steht, zu ignorieren, ist man auf sich gestellt.

Widerwillig schlang Shaun den anderen Arm um meine Hüfte und verschränkte die Hände vor meinem Bauch. »Spielverderberin«, rief er und setzte sich richtig hin.

Schnaubend gab ich erneut Gas und hielt auf eine nahe Anhöhe zu. Wenn man von Zombies gejagt wird, dann sind Anhöhen entweder das Beste, was einem passieren kann, oder das eigene Grab. Die Steigung macht die Zombies langsamer, was hervorragend ist, es sei denn, man erreicht die Kuppe und stellt fest, dass man umzingelt ist und keinen Fluchtweg mehr hat.

Er mag ein Idiot sein, aber Shaun kennt die Regeln bezüglich Zombies und Anhöhen. Er ist nicht so dumm, wie er tut, und er weiß mehr darüber, wie man Begegnungen mit Zombies überlebt, als ich. Sein Griff um meine Taille wurde fester, und zum ersten Mal war echte Besorgnis aus seinem Tonfall herauszuhören, als er rief: »George? Was soll das werden?«

»Halt dich fest«, sagte ich. Dann fuhren wir die Anhöhe hoch. Noch mehr Zombies torkelten aus ihren Verstecken hinter Mülltonnen und zwischen den einst eleganten und nun vernachlässigten und verfallenden Strandhäusern.

Den Großteil Kaliforniens hat man in der Zeit nach dem Erwachen zurückerobert, aber niemandem ist es jemals gelungen, Santa Cruz wieder einzunehmen. Die geografische Isolation, die die Stadt früher zu so einem gefragten Urlaubsort gemacht hat, ist ihr mehr oder weniger zum Verhängnis geworden, als das Virus zuschlug. Kellis-Amberlee ist zwar einzigartig, was seine Wechselwirkung mit dem menschlichen Organismus betrifft, doch zumindest in einer Beziehung verhält sich das Virus wie jede altbekannte Infektionskrankheit: Sobald es erst mal auf irgendeinem Unicampus ist, breitet es sich aus wie ein Lauffeuer. Die Universität von Santa Cruz war eine ideale Brutstätte, und sobald all die flotten Studis zu schlurfenden Infizierten geworden waren, war die Sache gelaufen und es blieb nur noch die Evakuierung.

»Georgia, das ist eine Anhöhe!«, sagte Shaun mit zunehmendem Drängen, während die Einheimischen auf das rasende Motorrad zuhielten. Er verwendete meinen richtigen Namen, was mir verriet, dass er sich ernsthafte Sorgen machte. »Georgia« heiße ich nur dann, wenn er gar nicht glücklich ist.

»Hab ich mitgekriegt.« Ich beugte mich vor, um den Luftwiderstand um noch ein paar kostbare Grade zu verringern. Shaun ahmte die Bewegung automatisch nach und zog hinter mir den Kopf ein.

»Warum fahren wir bergauf?«, wollte er wissen. Er würde meine Antwort durch das Brausen von Motor und Fahrtwind ohnehin nicht hören können, aber so ist mein Bruder eben, immer dazu bereit, alles infrage zu stellen, was sich nicht wehren kann.

»Hast du dich jemals gefragt, wie sich die Wright-Brüder gefühlt haben?«, fragte ich. Die Kuppe war in Sicht. Daran, wie die Gebäude auf der anderen Seite abfielen, erkannte man, dass es offenbar ziemlich steil hinunterging. Das Stöhnen kam nun von allen Seiten, und der Wind verzerrte es derart, dass sich nicht sagen ließ, worauf wir zuhielten. Vielleicht handelte es sich um eine Falle, vielleicht auch nicht. So oder so war es zu spät, einen anderen Weg einzuschlagen. Wir mussten die Sache durchziehen, und ausnahmsweise war Shaun derjenige, der ins Schwitzen kam.

»Georgia!«

»Festhalten!« Zehn Meter. Die Zombies kamen immer noch näher, unbeirrbar in ihrer Jagd auf das wahrscheinlich erste frische Fleisch, das viele von ihnen seit Jahren gesehen hatten. So, wie die meisten aussahen, verfaulte das Zombieproblem in Santa Cruz schneller, als es sich regenerieren konnte. Natürlich gab es auch einen Haufen Frischer es gibt immer Frische, weil es immer Idioten gibt, die sich in die Quarantänezonen verirren, entweder mit Absicht oder aus Versehen, und der durchschnittliche Anhalter hat in Sachen Zombies kein Glück aber in drei Generationen holen wir uns die Stadt zurück. Nur noch nicht jetzt.

Fünf Meter.

Zombies jagen, indem sie den Lauten von anderen Zombies bei der Jagd folgen. Es handelt sich um einen Rückkopplungsprozess, was bedeutete, dass unsere Freunde am Fuß der Anhöhe sich auf den Weg nach oben machen würden, sobald sie den Aufruhr hörten. Ich hoffte, dass die meisten Einheimischen bereits unten versucht hatten, uns den Weg abzuschneiden, sodass sich auf der anderen Hangseite nicht besonders viele Leichen zum Angriff sammeln konnten. Schließlich hätten wir eigentlich überhaupt nicht so weit kommen dürfen. Das Einzige, was uns am Leben erhielt, war der Umstand, dass wir ein Motorrad hatten und die Zombies nicht.

Als wir die Kuppe erreichten, erhaschte ich einen Blick auf den Mob, der uns erwartete. Es waren nicht mehr als drei Reihen Zombies. Fünf Meter würden genügen.

Abflug.

Es ist erstaunlich, was man alles als Rampe missbrauchen kann, wenn man nur motiviert genug ist. Ein umgekippter Gartenzaun versperrte die halbe Straßenbreite und ragte schräg hoch. Ich erreichte ihn mit achtzig Stundenkilometern. Der Lenker bockte in meinen Händen wie die Hörner eines mechanischen Stiers, und den Stoßdämpfern erging es auch nicht viel besser. Ich musste nicht mal auf die Straße vor uns schauen, denn das Stöhnen setzte ein, bevor wir in Sichtweite kamen. Sie hatten uns den Fluchtweg ziemlich sauber verstellt, während Shaun mit seinem kleinen Freund gespielt hatte. Es mochte sich um geistlose Virenschleudern handeln, aber sie kannten das hiesige Gelände besser als wir. Einen Vorteil hatten wir immerhin: Zombies sind nicht besonders gut darin, Selbstmordattacken vorherzusehen. Und es hat wohl schon was von Selbstmord, wenn man mit achtzig Stundenkilometern eine Anhöhe hinaufrast, um oben angekommen tatsächlich abzuheben.

Das Vorderrad kam sauber hoch und das Hinterrad tat es ihm nach, sodass wir mit einem Ruck in die Luft flogen, der mühelos aussah, mich in Wirklichkeit aber zu Tode ängstigte. Ich schrie. Shaun johlte fröhlich, als er begriff. Alles Weitere lag in den Händen der Schwerkraft, die noch nie besonders viel für die unrettbar Dummen übriggehabt hat. Einen bangen Moment lang schossen wir im freien Fall vorwärts. Ich war mir relativ sicher, dass der Aufprall uns umbringen würde.

Die Gesetze der Physik und die stundenlange Arbeit, die ich in die Konstruktion und Wartung meines Motorrads gesteckt hatte, sorgten gemeinsam dafür, dass das Universum sich ausnahmsweise einmal gnädig zeigte. Wir flogen über die Zombies hinweg und setzten mit einem heftigen Aufprall, der mir beinahe den Lenker aus den Händen riss, auf einem der wenigen verbliebenen ebenen Straßenstücke auf. Das Vorderrad ruckte beim Aufprall hoch und wollte erneut abheben, und ich schrie, halb entsetzt und halb wütend auf Shaun, weil er uns überhaupt erst in diese Lage gebracht hatte. Der Lenker erbebte noch einmal heftiger und riss mir fast die Arme aus den Gelenken, doch dann gab ich Gas und drückte das Rad zu Boden. Morgen früh würde ich dafür bezahlen, und zwar nicht nur in Form einer Werkstattrechnung.

Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Wir waren auf ebener Erde, immer noch aufrecht, und vor uns war kein Stöhnen zu hören. Ich gab mehr Gas, und wir rasten den Außenbezirken der Stadt entgegen, während Shaun hinter mir johlte und jubelte wie ein selbstmordgefährdeter Irrer.

»Arschloch«, brummte ich und fuhr weiter.

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Nachrichten sind Nachrichten, aber sobald man anfängt, sich über deren Verbreitung und die eigene Quote Gedanken zu machen, hat man eine Agenda, macht man keine Nachrichten mehr, sondern he, Mann, dann vertritt man eine Meinung.

Versteht mich nicht falsch, Meinungen sind etwas Mächtiges. Die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Meinungen zu einem Thema konfrontiert zu werden, gehört zu den Glanzleistungen der Pressefreiheit und sollte einen zum Nachdenken bringen. Aber viele wollen nicht nachdenken. Sie wollen sich nicht eingestehen, dass das, was ihr derzeitiges Idol gerade sagt oder schreibt, vielleicht nicht ganz frei von Vorurteilen oder niederen Motiven ist. Es gibt Leute, die behaupten, Kellis-Amberlee sei ein Komplott der Juden, der Schwulen, des Mittleren Ostens oder sogar eines Arms der Aryan Nation, der die Reinheit der Rasse durchsetzen will, indem er uns andere alle umbringt. Diejenigen, die angeblich die Erschaffung und Freisetzung des Virus koordiniert haben, hätten ihre Beteiligung mittels einer wahrhaft machiavellistischen Verschwörung vertuscht, und jetzt säßen diese Leute und ihr Gefolge ganz in Ruhe und immunisiert das Ende der Welt aus.

Man verzeihe mir meine Ausdrucksweise, aber das rieche ich doch bis hier, dass das Scheiße ist. Eine Verschwörung? Vertuschung? Ich bin mir sicher, dass es irgendwo da draußen Gruppen gibt, die verrückt genug sind zu glauben, dass es eine gute Idee wäre, zweiunddreißig Prozent der Weltbevölkerung innerhalb eines Sommers umzubringen und denkt dran, das ist eine vorsichtige Schätzung, da wir aus Afrika, Asien und Teilen Südamerikas niemals genaue Opferzahlen erhalten haben. Aber sind diese Leute auch so verrückt, dass sie ehemalige Omis von der Leine lassen, damit sie nach dem Zufallsprinzip Leute anknabbern? Zombies haben keinen Respekt vor Verschwörungen. Verschwörungen sind etwas für die Lebenden.

Das hier ist eine Meinung. Haltet davon, was ihr wollt. Aber haltet eure Meinungen verdammt noch mal aus meinen Nachrichten raus.

Aus Unschöne Bilder, dem Blog von Georgia Mason,
3. September 2039

Zombies sind weitgehend harmlos, solange man ihnen mit Respekt begegnet. Manche Leute sagen, dass man den Zombie bedauern sollte, dass man Mitgefühl für den Zombie aufbringen sollte, aber ich glaube, dass diese Leute aller Wahrscheinlichkeit nach früher oder später zum Zombie werden, wenn ihr versteht, was ich meine. Hab kein Mitleid mit dem Zombie. Der Zombie hat auch kein Mitleid mit dir, wenn er anfängt, deinen Kopf anzunagen. Tut mir leid, Alter, aber nicht mal meine Schwester lasse ich so nah an mich heran.

Wenn du dich mit Zombies einlassen willst, halt dich von ihren Zähnen fern, lass dich nicht von ihnen kratzen, schneid dir die Haare kurz und trag keine weiten Sachen. So einfach ist das. Es komplizierter zu machen, wäre langweilig, und wer will das schon? Wir haben es hier im Prinzip mit wandelnden Leichen zu tun, Alter.

Schließlich soll das Ganze auch noch Spaß machen.

Aus Lang lebe der König, dem Blog von Shaun Mason,
2. Januar 2039