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In der Kinder- und Jugendpsychiatrie Berlin wurde Oliver gut behandelt. Er bekam Einzeltherapie, auch Gruppentherapien und Medikamente. Es gab Sport, Kunst und Gestalttherapie.
Dennoch war er Stunden am Tag mit sich alleine und seinen Gedanken.
Dann saß er vor dem großen Fenster und sah auf die Grünfläche hinaus.
Er wusste nicht, was geschehen war, nachdem er in Burgmesters Hosentasche ein Handy gefunden und die Polizei gerufen hatte. Ihm wurde erzählt, er habe auf dem Boden gekauert, die kleine Antje im Arm, die er nicht hatte loslassen wollen. Dem Mädchen ging es inzwischen wieder gut. Es handelte sich um ein Heimkind, das nur Stunden, bevor es sterben sollte, entführt worden war. Jedermann war Oliver dankbar, jedenfalls wurde ihm das berichtet.
Zeitungen gab es auf seiner geschlossenen Abteilung nicht.
Fernsehen wurde kontrolliert, Nachrichten ausgespart.
Die Welt hätte untergehen können, Oliver hätte nichts davon mitbekommen.
Hinzu kam die Trauer um seine Eltern. Man sagte ihm, sie hätten einen Autounfall gehabt. Nie wieder würde er Mama und Papa sehen, mit ihnen sprechen oder streiten. Jetzt war er alleine, vielleicht für den Rest seines Lebens.
Es ging ihm wie Raskolnikow. Gefangen in einem Straflager. Er hatte zwar keine Freundin bei sich, musste nicht bei Wind und Wetter Steine brechen, er bekam stets genug zu essen, dennoch war er ausgesperrt, weggenommen aus dem täglichen Leben. Sieben Jahre waren es für Dostojewskis Helden gewesen, wie lange würde es für ihn sein?
Eine Frage beschäftigte Oliver so sehr, dass sie ihn bis in seine Träume verfolgte:
Hatte er Antje verschont, um sein eigenes Leben zu retten oder weil er Mitleid mit ihr empfunden hatte?
Vielleicht würden die Ärzte eines Tages die Antwort finden, vielleicht er selbst.
Konnte es sein, dass der Schock eine Seite in ihm zum Vorschein gebracht hatte, die bisher niemand entdeckt hatte?
Konnte er empfinden?
Die Polizei sagte, er habe geweint.
Fühlte er?
Hatte ihn das Schicksal des Kindes emotional berührt?
Konnte jemand ohne Empathie weinen?
Oliver lehnte sich in dem Stuhl zurück. Er hatte noch ein langes Leben vor sich, das für ihn viele Überraschungen bereithalten würde. Was er erlebt hatte, die schwache Hoffnung, war für ihn ein kleines Licht.
Er zündete es an, denn das war besser, als die Dunkelheit zu verfluchen.
ENDE