13

 

Justizvollzugsanstalt Berlin Moabit, Ebene 3, Raum 214.

Zwei Männer, gegenüber an einem Tisch. Neonbeleuchtung, eine Stahltür, eine Gittertür, keine Fenster.

»Jetzt werden schon Kinder getötet«, sagte Uwe Caffé. »Irgendein Perverser, der seinen Spaß daran hat, Halbwüchsige in der Turnhalle abzustechen. Wird diesem Mord ein weiterer folgen?«

»Ein interessanter Satz zur Begrüßung«, sagte Will.

»Sie sind also hier, um für Ihr nächstes Buch zu recherchieren? Und da kommt Ihnen ein lebenslang verurteilter Mörder gerade recht?«

»Ich bin hier, weil Mark Rieger sich sehr oft mit Ihnen unterhalten hat. Er tötete meine Freundin. Er nahm mir meine Liebe.«

»Sehr romantisch, Herr Prenker. Mir kommen gleich die Tränen. Ich frage mich, wie Sie die Genehmigung für unser Gespräch erhalten haben. Ist es, weil sie ein Bestsellerautor sind? Öffnen sich dann alle Türen? Oder ist es, weil Sie derjenige waren, der wusste, wer der Serienmörder von Berlin ist?«

»Bewundern Sie Dr. Rieger?«

»Er bewies Rückgrat.«

»Er tötete, weil man ihn damit erpresste, seine Familie zu töten, wenn er nicht folgte.«

»Daran sehen Sie, Herr Prenker, wie schnell ein unbescholtener Mann zum Mörder werden kann. Aber das ist nicht der Grund, warum Sie hier sind.«

»Hat Rieger etwas verlauten lassen, das darauf schließen lässt, wo er sich jetzt aufhält?«

»Glauben Sie wirklich, ich würde es Ihnen sagen?«

»Sie wissen, wie das mit der Hoffnung ist.«

»Nicht sie stirbt zuletzt, sondern die Idee davon, etwas richtig oder falsch gemacht zu haben.«

»Bitte helfen Sie mir, Herr Caffé. Ich habe diese Frau geliebt und sie starb vor meinen Augen. So etwas ist grausig. Das vergisst man nie. Ich bin sicher, auch Sie haben genug Mitgefühl, um mich zu begreifen. Bitte ...«

»Sie betteln, Polizist. Ja, sie haben wirklich geliebt, sonst würden Sie sich nicht so erniedrigen. Und doch frage ich mich, warum Sie auf Antworten bestehen und das, was ich zur Begrüßung sagte überhören.«

»Ich verstehe nicht.«

»Nein, das tun Sie nicht. Wir sprachen über zwei Halbwüchsige, die brutal abgestochen wurden. In einer Schule! Warum interessiert Sie das nicht? Stattdessen hetzen Sie einem Phantom hinterher. Aus Rache? Die Rache ist ein Erbteil schwacher Seelen. Sind Sie eine schwache Seele?«

»Ich erforsche die Wahrheit.«

»Dann suchen Sie den Himmel, denn dem gleicht die Wahrheit, und betrachten die Wolken, denn das ist Ihre Meinung.«

»Ich weiß nicht ...«

»Betrachten Sie die Wolken. Sie kommen und gehen, Mann. Auch Sie sind einer der Lächerlichen. Ihre Liebste wird nicht mehr lebendig, egal was Sie tun. Aber vielleicht wird der Mörder der Kinder gefasst, wenn Sie sich bemühen. Aber nein, Sie suchen nach dem großen Ereignis, denn Sie denken an Ihr nächstes Buch, nicht wahr? Sie, Herr Prenker, sind korrumpiert. Sie sind kein Polizist mehr. Lassen Sie Rieger seinen Frieden, falls er ihn hat. Er musste Entsetzliches durchleben. Er war ein Getriebener. Ja, er war ein Mörder, doch er tat es, weil es keine Alternative gab. Also suchen Sie dort, wo Sie beweisen können, dass noch ein Stück Polizistenehre in Ihnen steckt. Ich verabscheue euch Schriftsteller. Polizeipsychologen. Psychiater, die ihr alle über Mörder schreibt und Geld damit verdient. Ihr geilt euch an euren Erinnerungen auf. Doch wenn ihr so fähig seid, wie ihr in den Büchern schreibt, sodass euch hunderttausend Menschen lieben, warum beweist ihr es nicht und führt wirklich schlimme Mörder vor Gericht? Prenker, Sie langweilen mich. Verdammt, die einzigen Gespräche von Belang hatte ich mit Rieger. Er war ein Mann, den ich mochte. Er war einer, den ich als Freund hätte haben wollen.«

Will nickte stumm und wollte soeben aufstehen, als der Mörder sagte: »Laufen Sie nicht weg, wenn es anstrengend wird, Prenker. Denken Sie nach. Solange es Serienmörder gibt, und da könnte ich so viele aufzählen, hat keiner von denen, absolut keiner, ein Kind getötet. Recherchieren Sie. Keiner tötete Kinder! Dann gibt es noch die Mörder, die sich an Kindern vergreifen. Sexualtäter. Sie verschleppen das Opfer, misshandeln es und schließlich wird das Kind getötet. Alles das, mein Lieber, geschah nicht mit den Kindern, die in der Turnhalle abgestochen wurden. Was sagt Ihnen das?«

Prenker starrte Caffé an. Wortlos. Er befand sich in einem Universum, das er nicht gesucht hatte.

»Verdammt, was sagt Ihnen das, Polizist?« Caffé wirkte aufgebracht. »Kinder sind tabu. Kinder sind und dürfen keine Opfer sein. Aber ein Sexualdelikt ist nicht anzunehmen.«

Prenkers Lippen zitterten. »Dann war es ein Kind, ein Mitschüler vielleicht?«

Caffé lächelte zufrieden.  »Alles andere ist unschlüssig und widerstrebt jeder Vernunft.«

»Deshalb bin ich aber nicht hier.«

»Vergessen Sie Rieger, Herr Prenker. Finden Sie den Kindermörder und das Land wird ihnen zujubeln. Sie werden erneut einen Bestseller landen. Sie werden viel Geld verdienen. Und kommen Sie mir nicht mehr mit Liebe und solchen Dingen. Seien Sie endlich ein Bulle. Auch wenn Sie außer Dienst sind. Werden Sie endlich wieder ein Bulle.«

Ich bin kein Mörder: Thriller
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