10
Daniela behielt ihre unbarmherzige Einstellung gegenüber Oliver nicht bei. Das konnte sie nicht, zu sehr liebte sie ihren hübschen blonden Sohn.
Die nächste Zeit war ereignislos, abgesehen davon, dass Daniela sich über eine Arbeitskollegin ärgerte, die mit dem Filialleiter schlief und sich deshalb über Gebühr aufplusterte.
Die Arbeit tat ihr gut.
Zwar waren die Samstagsmittagsschichten lästig und oftmals musste sie länger arbeiten, als es ihr Vertrag vorschrieb, doch das Arbeitsklima war entgegen den sehr kritischen Berichterstattungen über die Zustände bei Discountern angenehm. Bisher hatte sie keine Überwachungskameras entdeckt, auch die Vorgesetzten behandelten sie anständig.
Inzwischen war sie zur stellvertretenden Filialleiterin befördert worden. Nun arbeitete sie ganztags, was sie sich erlaubte, da Oliver immer selbständiger wurde und keinen Ärger verursachte. Stefan war damit einverstanden und brachte nach wie vor sehr viel Geld nach Hause.
Es war ein Samstag, als sie zum Bäcker fuhr, um der Familie ein schönes Frühstück zu bereiten und die BILD kaufte. Das liebte sie. Sie mochte Stefans verschlafenes Gesicht, wenn sie ihm einen frisch aufgebrühten Kaffee auf den Nachttisch stellte. Sogar wenn er fest schlief, begannen früher oder später seine Nasenflügel zu beben und er erwachte vom Kaffeegeruch. Das fand sie faszinierend und süß. Oh ja, sie liebte den Mann noch immer und so würde es immer sein.
Oliver deckte den Tisch und machte Rührei. Sein neuestes Interesse war die Küche. So oft er konnte, schnappte er sich Töpfe und Pfannen und kochte Rezepte nach. Endlich fand sie ihn vor dem Fernseher, wo er Kochshows anschaute, die ihn begeisterten, allerdings nur die. Er war begabt, seine Menüs schmeckten wunderbar.
Darin ging er auf.
Und Daniela auch.
Denn ihre Ängste verließen sie. Sie arrangierte sich mit Oliver. Er war, wie er war. Seine schulischen Leistungen waren bestens, es gab keine Klagen. Er war folgsam und las nach wie vor sehr viel und hatte sich nichts mehr zuschulden kommen lassen.
Eines seiner Lieblingsbücher war Die Augen der Dunkelheit oder so. Jedenfalls irgendwas mit Dunkelheit. Das Buch eines Ex-Polizisten, der Serienmörder gejagt hatte. Darüber war sie nicht glücklich. Kein gutes Thema. Lieber hätte sie ihn am Computer gesehen, sogar Ballerspiele hätte sie ihm erlaubt, aber man konnte schließlich nicht alles haben, nicht wahr?
Obwohl sie wusste, dass sie ungebildet war, verabscheute sie die BILD und fragte sich stets, warum ein gebildeter Mann wie Stefan dieses Schmutzblatt so gerne las.
Weil es die vierte Macht ist, sagte er, und sie fragte sich, wer die anderen drei Mächte sein sollten.
Sie sei die Stimme des Volkes, sagte Stefan.
Das erschreckte sie. Wenn dieses Blatt die Stimme des Volkes war, sprach das Volk nur noch über Tod und Verderben. Über Skandale und über Freundschaften, die heute groß waren und morgen in Feindschaft umschlugen, wie sie am Beispiel von Präsident Wulff begriffen hatte. So also war das Volk? Dann war es noch ungebildeter als sie selbst, die nie die Möglichkeit gehabt hatte, eine höhere Schule zu besuchen, da dafür die intellektuelle Schwester auserkoren worden war, die inzwischen ihren Doktortitel gemacht hatte und ihr so fremd war wie der Mond.
Daniela war die Arbeiterin der Familie, denn irgendwer musste schließlich auch so etwas tun. Sie war diejenige, die in der REWE-Gruppe ihre Lehre absolvierte. Kisten schleppen, Fleisch verkaufen, manchmal an der Kasse sitzen. Während Schwesterherz finanziell nicht nur unterstützt wurde, sondern von Papa und Mama gehätschelt Karriere machte.
So würde sie ihr eigenes Kind niemals behandeln. Sie würde ihm eine gute, gerechte Mutter sein. Das war ihr bisher gelungen und darauf war sie stolz.
Sie kehrte vom Bäcker zurück, eine Tüte Brötchen in der Hand und das Boulevardblatt.
Erfreut stellte sie fest, dass Oliver Eier gekocht hatte, selbstverständlich perfekte Eier. Nicht zu hart, nicht zu weich. Er tat es stets aus Gefühl, ohne Uhr und lag selten daneben.
Oliver liebte die Haptik von Fleisch, wusste sie. Er ertastete ein Steak mit der Fingerkuppe, wusste, wann es medium oder durch war. Er labte sich am Geruch von Gebratenem. Ein Vegetarier würde er niemals sein. Daniela war so glücklich, dass ihr Sohn zumindest in dieser Hinsicht so etwas wie Gefühl empfand, dass dies ihre anderen Bedenken überlagerte. Manchmal staunte sie, wie stark sein Gefühl zu Fleisch war, denn einmal hatte sie ihn dabei ertappt, wie er seine Wange an einen gigantischen 3-Kilo-Putenoberschenkel drückte und diesen mit geschlossenen Augen spürte.
Wieder so ein seltsamer Moment, in dem Daniela eine Gänsehaut bekam. Das Bild des Jungen mit dem Fleischklotz am Gesicht hatte etwas Bedrohliches, eine Wirkung, der sie sich nur entzog, indem sie sich ihrer Hausarbeit widmete.
Werde ich verrückt? Bilde ich mir diese Dinge nur ein?
Und schließlich saßen sie gemeinsam am Tisch.
Alles ist völlig normal. Oliver ist so freundlich, wie es seine Krankheit zulässt. Wir sind eine fast perfekte Familie.
Stefan war geduscht und perfekt gekleidet. Nie hatte er im Unterhemd oder in einer Freizeithose hier gesessen. Eine braune Stoffhose
(Eine Jeans? Undenkbar!)
und ein gestreiftes gebügeltes Hemd.
Das, hatte er sofort nach Olivers Geburt betont, sei seine Art, dem Kind Disziplin und Stil zu vermitteln. Ein Mann musste nicht rumlaufen wie ein Lackaffe mit Schlabberhosen, auf denen möglicherweise sogar Pissflecken waren, und einem verschwitzten T-Shirt. Außerdem legte er Wert darauf, dass seine Haare, die nicht mehr dicht waren, gewaschen und geföhnt und schließlich mit Haarspray in Form gebracht waren. Unrasiert zu Tisch zu kommen war undenkbar.
Er war kein schöner Mann, war er nie gewesen. Sein Kopf war zu rund, seine Haare zu licht und seine Geheimratsecken verbrannten regelmäßig in der Sonne, wenn sie in Urlaub waren. Seine Augen standen zu dicht beieinander, seine Nase war flach, sein Mund fast schon hedonistisch und unpassend. Doch wenn er lachte, wenn er schmunzelte, zogen sich die tausend Fältchen in seinen Augenwinkel zusammen und sein Gesicht bekam eine völlig andere Anmutung. Das war sein Erfolg, wenn er Menschen Geldanlagen verkaufte. Sein Lächeln – und seine Stimme. Sonor, überhaupt nicht zur schlanken, fast zarten Gestalt passend. Zudem war er kleiner als Daniela, die von sich behaupten konnte, noch immer sexy zu sein.
Was sie an diesem Mann finde, hatten damalige Freundinnen gefragt.
Frech hatte sie gesagt: »Kleine Männer haben große Schwengel!«
Später hatte sie seinen Charme betont und immer hatte sie das Gefühl gehabt, dass sie genau, exakt zueinander passten. Ja, sie liebten sich und hoffentlich würde das niemals enden.
Oliver servierte die Eier. »Müsst ihr mal mit Maggi versuchen. Schmeckt super!«
»Maggi?«, fragte Stefan und legte die Zeitung weg.
»Na ja ...« Oliver blickte schuldbewusst. »Nicht Maggi. Das Zeug ist voller Glutamat, aber ich hab was gefunden, das fast genauso schmeckt und auf Soja basiert.«
So war er geworden, ihr Oliver. Ein Koch aus Leidenschaft. Und das mit zwölf.
Erneut schüttelte Stefan seine Zeitung auf, ohne gestört zu werden. So war das eben. Papa las die Zeitung. Daniela wusste, dass dieses Verhalten alles andere als zeitgemäß war. Ein Mann, der beim Frühstück die Zeitung las, also wirklich ...
Ich liebe das, auch wenn andere Frauen mich dafür auslachen würden!
Das verlieh ihrem Stefan das Gefühl von Zufriedenheit, von Geborgenheit und sie wusste, dass er sich mit tausendundeiner Streicheleinheit bei ihr für dieses gesellschaftliche No-Go bedanken würde. Sie hatten ihre ganz eigene Art der Beziehung und einen ganz eigenen Sohn.
Wir sind unverwechselbar.
Unvermittelt ließ Stefan die Zeitung sinken. Er musterte Oliver.
»Was ist los?«, fragte der Junge und köpfte sein Ei, das er schließlich mit Möchtegern-Maggi beträufelte.
»Kennst du einen Jens Martin?«
»Blöder Name. Wie eine Comicfigur«, sagte Oliver und löffelte das Ei.
»Kennst du ihn?«
»Ein Schulkamerad. Warum?«
»Im Lokalteil steht, er wurde zusammengeschlagen«, sagte Stefan tonlos. »Man fand ihn hinter dem Schulgebäude. Er blutete. Seine Nase ist gebrochen und zwei Zähne ausgeschlagen. Einer musste gezogen werden. Das ist gestern geschehen, nachdem die Schule aus war und alle nach Hause gingen, steht hier.«
»Jens Martin?« Oliver köpfte das zweite Ei. So machte er es immer. Zuerst zwei Eier, dann ein Brötchen, manchmal auch zwei.
»Verdammt, hast du nicht zugehört?«, schnappte Stefan und ließ das Blatt sinken.
»Mein Gott, das ist ja schrecklich«, seufzte Daniela.
Oliver sah sie an. »Warum ist das schrecklich?«
»He, Bursche. Weil er jetzt im Krankenhaus ist. Also lustig finde ich das nicht. Wenn so etwas an eurer Schule geschieht, ist kein Schüler sicher. Vielleicht sollten wir mal den Elternbeirat zusammenrufen. Weißt du was von der Sache?«
»Jeder Schüler ist sicher. Jeder, der sich anständig verhält«, gab Oliver knapp zurück.
Es duftete nach Kaffee, nach frischen Brötchen und vor Oliver dampfte eine frische Schokolade.
»Hatte dieser Jens Soundso Feinde?«, fragte Stefan.
Oliver hatte das zweite Ei geleert und legte den Löffel weg. »Na klar hatte er die. Er hat seine Mitschüler beklaut!«
»Er hat ... was?«, entfuhr es Stefan.
»Geklaut, Papa.«
»Aber das ...«
Olivers Stimme hob sich. »Ich begreife das nicht. Ihr tut immer so erstaunt. Glaubt ihr, ich weiß nicht, wie es um mich steht? Meint ihr, ich weiß nix von meinem Hirnschaden? Wisst ihr überhaupt, dass seitdem Spiegel für mich Oberscheiße sind? Dass ich immer versuche was zu sehen, was ich nicht sehen kann?«
Stefan öffnete den Mund.
Schlagartig war die gute Stimmung verschwunden, wie Luft, die aus einem Luftballon entwich.
»Wie kommst du jetzt darauf?«, entfuhr es Daniela.
Oliver überhörte ihren Einwand. »Ich bin kein Kind mehr, Papa, Mama. Und ich weiß, dass ich anders bin. Ihr alle denkt, dass nur ihr alles wisst und ich bin wie ein kleiner Hund, der hinterher läuft, oder? Aber so ist das nicht. Ich weiß alles! Schon lange weiß ich es. Und ich bemühe mich seitdem sehr, alles so zu tun, damit ihr mit mir zufrieden seid. Ich weiß, dass ihr mich lieb habt und wahrscheinlich seid ihr die besten Eltern auf der ganzen Welt. Ich weiß auch, wie enttäuscht ihr seid. Mama, glaubst du wirklich, ich höre dich nicht, wenn ich nebenan schlafe? Ich höre alles, alles. Vielleicht ist es so, dass der liebe Gott mir ganz besonders große Ohren gegeben hat, weil ich ja nicht so fühlen kann wie andere. Also höre ich mehr. Und ich höre auch, wenn du über mich sprichst und mich schlecht machst. Ich höre auch, wenn du mich einen Freak nennst.«
»Moment«, fuhr Stefan auf. »Das hat Mama nie gesagt!«
Oliver ließ sich nicht beirren. »Dann werde ich wütend und kriege Lust, das zu zeigen. David hat mir beigebracht, was ich dann tun soll, und ich tue es auch. Ich bin ein richtig guter Schauspieler geworden.«
Mit einer Bewegung nahm er den Eierbecher und warf ihn durch die Küche.
Stefan und Daniela zuckten zusammen, aber sie schwiegen.
Ihre Gesichter waren bleich, Oliver war aufgebracht. Seine Laune war schlagartig gekippt, er schien das, was er sagte, schon lange mit sich herumzutragen.
»Ich tue ja, was von mir verlangt wird, aber das klappt nicht immer. Und als der bescheuerte Jens mich bestohlen hat, und das hat er auch bei Mitschülern andauernd getan, hatte ich die Schnauze voll. Vor einer Woche kam er mit zwei Schülern der Hauptschule an, Russenärsche. Sie haben mir ein Messer unter den Hals gehalten und mein Taschengeld kassiert.«
»Warum hast du uns nichts gesagt?«, fragte Daniela.
»Lass ihn reden«, ging Stefan dazwischen.
»Drei Tage später, ich hatte noch fünf Euro, taten sie es wieder. Sie passten mich jedes Mal ab, wenn ich nach Hause ging.«
Er berichtete alles, dramatisierte, wo es nötig war.
»Zwei Tage habe ich gewartet, dann erwischte ich Jens alleine. Er hat gelacht und mir gedroht. Ich hatte einen Fleischklopfer mitgenommen, den schweren aus der Mittelschublade. Hinten, bei den Büschen habe ich es gemacht, wo die Älteren immer rauchen und wir ganz alleine waren. Mitten rein in seine Fresse habe ich ihn geschlagen. Niemand hat mich gesehen.«
»Ins Gesicht?«, stöhnte Daniela.
»Wohin denn sonst?«
»Du hättest ihm mit dem Teil den Schädel einschlagen können, ist dir das klar?«, sagte Stefan.
Oliver zuckte mit den Achseln. »Na und? Ein Gangster weniger auf der Welt. Und keine Sorge, er wird nicht reden, sonst mache ich ihn kalt.«
Seine Eltern schwiegen wie Mumien. Genau genommen sahen sie in Olivers Augen sogar so aus.
»Du machst ihn ... kalt?« Stefans Augen wurden groß und rund. Das letzte Wort spuckte er regelrecht aus. Schweiß trat auf seine Stirn. »Vielleicht hat der Dieb eine ordentliche Abreibung verdient und lässt dich jetzt in Ruhe, aber ... töten?«
»Verdammt, er ist ein Verbrecher!«
»Und du bist der Richter?«, fuhr Stefan auf.
»Nein, bin ich nicht. Trotzdem glaube ich daran, dass man Läuse vernichten muss, sonst beißen sie und quälen einen.«
»TÖTEN?«, schrie Stefan. Wut auf seinem Gesicht. Adern an der Stirn.
Ich habe Stefan noch nie so wütend gesehen, nein, er ist nicht wütend, er hat Angst! Daniela schüttelte es.
Oliver blieb verhältnismäßig gelassen. »Jetzt seid ihr böse auf mich. Yep! Ist klar, Mann. Aber wie war das? Habt ihr nicht gesagt, ihr wollt alles für mich tun? Das hab ich nicht vergessen. Ich höre alles. Und jetzt? Soll ich jetzt ins Gefängnis?«
Daniela fasste sich zuerst.
Oliver saß am Tisch. Er sah so hübsch aus. So überlegen und intelligent. So hilflos. Und dort saß Stefan, der aussah, als habe er einen Igel verschluckt. Eine Ecke der Zeitung tunkte in seine Kaffeetasse. Der geborstene Eierbecher lag schräg hinter ihr.
Oliver senkte den Kopf. Tatsächlich wirkte er, als schäme er sich, doch dann blickte er auf und in seinem Gesicht stand keine Regung von Reue oder Schuld. Nichts anderes als Gewissheit.
»Weißt du eigentlich, was du uns antust?«, fragte Daniela. Ihre Lippen fühlten sich taub an, ihr Gesicht wie aus sprödem Leder.
»Ja, das weiß ich. Aber ihr habt gesagt, ihr liebt mich. Und ihr habt gesagt, ihr wollt mir immer helfen.«
»Du bist gewalttätig«, sagte Daniela, während sie gegen die aufkommende Übelkeit ankämpfte. »Du hättest genauso gut mit uns sprechen können. Dann hätte sich die Schule um den Jungen gekümmert. Dir scheint überhaupt nicht bewusst zu sein, was hätte geschehen können.«
»Doch, Mama. Hätte ich nicht aufgepasst, wäre er jetzt tot.«
»Du vergewaltigst mich, Oliver. So haben wir dich nicht erzogen.«
»Nein, Mama. Vergewaltigen ist was anderes. Das weiß ich. Dann steckt man was rein, wenn die Frau das nicht will.«
»Oliver!« Mehr konnte sie nicht herausbringen, denn sie bäumte sich auf, drehte sich weg und übergab sich auf den Küchenteppich aus Bast. Es kam armdick, ein fetter Strahl, dann war es ebenso schnell vorbei. Noch immer hatte Stefan sich nicht geregt. Es stank sauer. Die Stille summte.
Stefan faltete die Zeitung pedantisch zusammen. Die mit Kaffee getränkte Ecke knickte er ein. Dann legte er das Blatt neben seine Tasse.
»Ich werde das wegputzen, Liebste«, sagte er.
Daniela blickte ihn an. Sie wollte aufstehen, um die Nase zu putzen und die Augen zu trocknen, aber sie schaffte es nicht. Rotz tropfte ihr von den Lippen, wodurch sie einen jämmerlichen Anblick bot.
»Und danach werden wir einen Weg suchen, wie wir unseren Sohn schützen. Vermutlich wird ihn sowieso niemand verdächtigen. Oder hat dich jemand gesehen?«
Oliver schüttelte den Kopf. »Und reden wird Jens nicht, dafür hat er zu viel Angst, darauf wette ich.«
»ICH WEISS!«, brüllte Stefan unversehens. »Töten, töten, ja? Ist es das, was du willst, du verdammter Kerl?«
Oliver zuckte zusammen.
Stefan senkte die zitternde Stimme. Sie nahm einen dumpfen Ton an. »Dann wird also niemand annehmen, dass so eine Tat auf das Konto eines Kindes geht. Wir tun, was wir können, mein Sohn. Ich werde mein Versprechen halten.«
Er stand auf. »Ich werde dich beschützen, Oliver.«
Der Junge strahlte ihn an. »Ja, Papa.«
»Und ich werde dafür sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht.«
»Das wusste ich, Papa.«
»Aber ich mag es nicht, wenn Mama wegen dir krank wird.«
»Ja, Papa.«
Stefan zog mit einem Ruck den Gürtel aus seiner Hose. Es schnalzte, als er ihn in der Mitte faltete, die Schnalle in der Faust.
Daniela wollte etwas sagen, doch es schnürte ihre Kehle zusammen.
Stefan bot ein grausames Bild.
»Du bist schuld daran, dass wir uns versündigen, mein Junge. Ja, wir lieben dich, doch wir sind nicht deine Sklaven. Und damit du das begreifst, sollst du eine Lehre erhalten.«
Er riss Oliver mit einem Ruck von dessen Stuhl, trat ihn in den Rücken, worauf der Junge vornüber fiel, und schlug auf ihn ein. Der Gürtel surrte und traf dorthin, wo er traf, ziellos, zornig wie eine schnappende Schlange. Stefan verprügelte seinen Sohn, den Jungen, den er über alles liebte, schlug und schlug und wollte kein Ende finden, und es war ihm egal, denn dieses Kind hatte ihr, hatte sein Glück zerstört, hatte seine heile Welt in Stücke geschlagen, geschlagen, geschlagen, und erst, als die Tränen seinen Blick so sehr trübten, dass er nicht mehr sah, wohin er schlug, ließ er ab und sank schluchzend in die Arme seiner Frau, während Oliver sich heulend auf dem Boden wälzte.
»Endlich«, keuchte Stefan. »Endlich zeigt er eine menschliche Regung. Endlich weint er.«
Denn das tat Oliver. Das erste Mal, seitdem er ein Kleinkind gewesen war.