48

 

Will war ins Präsidium gefahren. Die Stunden verrannen, ohne dass etwas geschah. Niemand hatte Rieger und Oliver gesehen. Alle Taxifahrer der Stadt stellten sich unwissend und es gab nur eine Meldung. Sie kam aus dem »Hotel Jäger« in Charlottenburg.

Sofort rückte eine Einheit aus, um das Hotelzimmer zu untersuchen, in dem Rieger und der Junge untergekommen waren. Der Hotelier war untröstlich. Er hatte die Information im Fernsehen erst gesehen, als seine Gäste das Haus schon verlassen hatten. Auch da war er sich nicht sicher gewesen, denn der Mann auf dem Foto hatte jenem gesuchten Dr. Mark Rieger so gar nicht geähnelt. Lediglich der Junge, ja, der konnte es sein. Letztendlich wollte der Mann seine Gäste nicht brüskieren, denn falls er sich täuschte, würde das ein schlechtes Licht auf sein Haus werfen.

Der Taxifahrer, der das gesuchte Paar abgeholt hatte, konnte nicht ermittelt werden. Das bedeutete, er hatte seine Fahrt nicht dokumentiert. Wer wusste schon, wie oft so etwas geschah. Eine kleine Nebeneinnahme hier, ein großzügiges Trinkgeld dort. Zwar konnte man dem Fahrer auf die Schliche kommen, doch ein Fahrtkilometerabgleich über die Hauptzentrale würde Tage dauern.

Elvira hockte hinter ihrem Schreibtisch, ihre Augen waren dunkel gerändert, die Mundwinkel nach unten gezogen, müde und erschöpft. »Wir kriegen ihn!«

Will beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne. »Ja, wir kriegen ihn.«

Sie fuhr auf. »Noch keine Information von deinem Uwe Caffé?«

Ihre Stimme klang tonlos.

»Nein. Aber ich wette, er tut, was er kann. Er will einen iPod.«

»Sagtest du nicht, den bekäme er sowieso?«

Will nickte.

»Wie kommst du überhaupt dazu, ihm so etwas zu versprechen? Du hast nicht die Kompetenz dazu. Du hast ihn belogen. Den Player kriegt er nur, wenn der Staatsanwalt und ich das wollen.«

»Dann will es.«

»Und danach bekommt er noch ein paar Weiber zum Vögeln?« Sie starrte ihn an. Zornig, überfordert.

»Du musst dich ausruhen, Elvira.«

»Was machst du überhaupt hier? Ich sagte doch, ich will dich hier während der normalen Dienststunden nicht sehen. Was denken deine ehemaligen Kollegen, wenn du hier ein und aus gehst?«

Will zuckte zusammen. »Ich wollte an deiner Seite sein. Immerhin war ich nicht untätig, wie du weißt. Ich nehme an, wenn Caffé etwas erfährt, bekommst du die Nachricht zuerst.«

»Gewöhne dich langsam daran, dass du kein Bulle mehr bist.«

»Das hast du anders gesehen, als du mich brauchtest.«

»Wir sind im Einsatz, Will. Alles, was hier geschieht, dürftest du nicht wissen.«

Wills Mund klappte auf. Ihm war nach einer harschen Antwort zumute, doch er schluckte sie runter. Er wusste noch zu gut, wie anstrengend diese Stunden vor dem großen Knall sein konnten. Wenn der Gesuchte nur noch einen Fingerbreit entfernt war, man ihn fast schon auf der Zungenspitze schmeckte. Von so einer Aktion hing viel ab. Abgesehen von Ethik und Moral auch die eigene Karriere. Kaum etwas wurde einem Polizisten mehr übel genommen, als ein Versagen in letzter Minute.

»Also soll ich mich verpissen?«

Sie verzog das Gesicht. »Mann, frag’ nicht so dämlich. Ich habe jetzt wirklich keine Zeit, mich mit einem abgehalfterten Ex-Polizisten zu streiten.«

»Sorry, Lady. Streiten wollte ich wirklich nicht.«

»Kapierst du nicht, was hier abgeht?«

»Ich sehe eine Frau, die überfordert ist.«

»Na und? Geh’ jetzt endlich. Oder sollen alle spitzkriegen, dass du die Amtsleiterin vögelst?«

Elvira wirkte heute fremd. Sie war nicht die Frau, die er ... mochte, die ihm ein gelindes Bauchkribbeln geschenkt hatte. Im Licht der Schreibtischlampe wirkte sie verbraucht und abgehärmt. Er konnte sich in diesem Moment nicht vorstellen, mit ihr ins Bett zu gehen. Außerdem sprach sie ihn in einem Ton an, den Will verabscheute. Von oben herab!

»Vielleicht hast du recht«, sagte er knapp. Er stand auf.

»Ja, vielleicht habe ich das«, sagte sie.

»Ich wünsche dir viel Erfolg, Elvira. Morgen früh erfahre ich ja alles aus den Nachrichten.« Er drehte sich um.

»Wilhelm!« Sie sprang auf und rannte hinter ihm her. An der Tür stellte sie ihn. »Es tut mir leid.« Sie sah zu ihm auf, ein süßlicher Hauch kam aus ihrem Mund. Ein feiner Schweißgeruch umgab sie.

»Nein, Elvira. Das tut es nicht.«

»Sei kein Arschloch, Will. Wir stehen alle unter großer Anspannung.«

»Ich hatte mal einen guten Freund. Der liebte ein hübsches Mädchen, zwei Jahre lang. Dann musste mein Freund umziehen. Sie beschlossen, es ohne Möbeltransport zu tun, ganz alleine. Niemand half ihnen dabei. Nach drei Tagen waren sie so erschöpft und entmutigt, dass sie nicht mit jenen Gesichtern klar kamen, die sie gesehen hatten. Sie kamen sich vor wie zwei Fremde. Nach dem Umzug trennten sie sich.«

»Will, bitte ...« Sie verzog das Gesicht.

»Ich rufe dich an, Elvira. Jetzt will ich nach Hause. Ich bin müde.«

Sie trat zur Seite und ließ ihn gehen.

Ich bin kein Mörder: Thriller
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