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Nach dem Mord an Janine war Mark Rieger voller Panik und Fluchtinstinkt in den Stadtteil Siemensstadt gefahren, um sich einen neuen Pass zu besorgen. Die Kosten für einen gefälschten Ausweis lagen bei 10.000 Euro. Vielleicht hätte er ihn auch für 6.000 Euro bekommen, doch er war zu aufgelöst, um zu handeln, was sein Geschäftspartner und die Informanten selbstverständlich wahrnahmen.

Er musste das Land verlassen.

Er hatte eine Frau vor den Augen eines Ermittlers getötet.

Man würde ihn jagen wie einen Hasen.

Während der Fälschung ging er in eine Bar, trank zwei Cola, dann trieb ihn die Ungeduld zurück. Mark saß erschöpft in einer winzigen Kammer und wartete. Es war ein muffiger Raum mit einer löcherigen Couch. Er wurde mit Mineralwasser und Zigaretten versorgt. Das Wasser trank er, die Zigaretten ließ er unbeachtet. Seine Nerven glühten und da er noch ein Teil des Mannes war, der einst als Psychologe für Gerichte und das Landeskriminalamt gearbeitet hatte, fühlte er sich krank und schuldig.

Janine hatte ihn reingelegt.

Was geschehen war, hatte nicht sein müssen.

Er fasste es nicht.

Es würde seine Zeit brauchen, um das zu verarbeiten.

Die Tür öffnete sich und ein kleiner Mann huschte in die Kammer.

»Alles klar, Mann?«

»Wie lange dauert es noch?«

»Wenn Wolle was macht, dann richtig. Er is’ ein echter Künstler, verstehst’e? Er is’ ein Michelangulos vonne Ausweise. Is’ schwieriger geworden, vor allem das mit dem Foto.«

»Hoffen wir, Ihr Wolle versteht was von seinem Geschäft.«

»Se sind ein ganz schön arroganter Schnösel, watt?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Eigentlich scheißen Se sich am liebsten voll vor Angst, aber wenn’se hier so sitzen, wirken’se total cool.«

»Glauben Sie mir, ich bin nicht cool.«

»Isses ne Geldsache, wegen der Sie abhauen müssen? Sind se so einer von den Managers, die andere ausgenommen haben?«

»Es hat nichts mit Geld zu tun. Davon könnte ich mehr gebrauchen, als Sie glauben.«

»Man kann viel Geld verdienen kann wenn man clever is’.«

»Ich verstehe nicht ...«

»Schon mal was vom Kochabend gehört?«

Mark Rieger wollte weder etwas von einem Kochabend hören, noch sich weiterhin mit dieser Ausgeburt der Drogenszene unterhalten. Das war nicht seine Welt. Falsch! Nun war das seine Welt. Er hatte Probleme, das zu realisieren. Nun war er nicht besser als dieser kleine Mann. Vermutlich noch viel schlimmer dran, denn wenn man ihn ergriff, ging er für den Rest seines Lebens ins Gefängnis, wohingegen auf diesen Affen höchstens zwei oder drei Jahre wegen Drogenmissbrauchs warteten, wenn überhaupt.

»Geld verdienen?«, tat er höflich, als interessiere ihn das Geschnatter des Freaks.

»Jau, Mann. Kann man im Internet finden.«

»Und warum erzählen Sie mir das?«

»Weil ein Freund von mir dahin gegangen is’ und nie mehr zurückkam. Das macht mich wütend. Bin ganz traurig außerdem. Irgendwas is’ das mit dem Kochabend.«

»Und das findet man im Internet?«

»Jau, aber wo, das weiß ich nich’. Gibt da so ein Kotwort. Hört sich an wie Gänseblümchen. Gänseblümchen ... watt’n Scheißwort! Und die Seite hat was mit Kochen zu tun. Wer dabei sein will, muss 700.000 Euro zahlen.«

Mark verdrehte die Augen. »Hören Sie bitte auf, sich auf meine Kosten lustig zu mache. Niemand zahlt 700.000 Euro, um bei einem Kochabend dabei zu sein. Oder um dort zu essen.«

»Hab was läuten gehört, Mann. Das Essen kostet so viel.«

»Höre Sie auf, meine Intelligenz zu beleidigen«, sagte Mark. »Ich stehe unter Stress.«

»Weiß ich doch, Mann. Wollt es auch nur gesagt haben. Einer wie Sie, so einer, der so eiskalt ist, der kann da richtig absahnen. Und vielleicht finden Se ja mein Freund Hotte.«

Mark wollte nichts mehr davon hören, außerdem begriff er es nicht.

»Was, zum Teufel, sollte mich reich machen? Ich begreife nicht, was Sie mir erzählen.«

»Eiskalt musste sein. Dachte auch mein Freund, der Hotte. Ging hin und kam nich’ wieder.«

Der kleine Mann vertraute sich ihm an, ohne ihm etwas Bestimmtes sagen zu wollen. Dieses Wesen litt unter dem Verlust seines Hotte. Und er war voller Hass und Zorn.

»Hotte?«, fragte Mark instinktiv. Er konnte nicht aus seiner Haut. Seine Fragetechnik würde stets kontrolliert sein.

»War ein ganz klarer Kopf, Mann. Er ging ins Internet und fand die Seite. Hat lange gedauert, aber er wusste von Gänseblümchen. War einer, der andauernd am Computer war, nächtelang, oder total blöd auf sein Telefon geguckt hat. Andauernd Simse und so’n Scheiß. Und dann hat er mitgemacht bei dem Kochabend. Er hat mich geküsst und gesagt, wenn er zurückkommt, is’ er reich. Und seitdem ist er weg.«

»Er ist weg.«

»Einfach verschwunden. Ich hab ihn gesucht, aber ich hab keine Ahnung nich von Computers. Und zur Polente geh’ ich nich’. Sind sowieso Scheißärsche!«

»Und was hat Hotte dabei so reich machen sollen?«

Der Freak zog die Lippen von den Zähnen. Er grinste wie ein  Dämon und seine Augen schleuderten Blitze. »Die essen nur was ganz Besonderes. Und dafür zahlen die 700.000 Euro für ein Abend. Und Hotte hatte das, was die essen.«

Mark schwieg, war ganz Therapeut. Er war an Narreteien gewöhnt, also versuchte er, geduldig zu bleiben, obwohl seine Nerven loderten.

»Sie essen Menschenfleisch, Mann. Sie treffen sich, um Menschenfleisch zu essen.«

Mark runzelte die Brauen. »Aha.«

»Ja, wirklich.«

Ein Wahnsinniger. Ein Mann, der zu viele Drogen genommen hatte, dessen Hirn aufgeweicht war.

»Und wie kommen Sie zu dieser Annahme?«

Geduld! Die goldene Regel eines guten Therapeuten.

Der Freak kicherte und drehte sich um. »Ich guck mal, wie weit Wolle mit’m Pass ist.«

»Warten Sie noch, bitte. Womit also kann man bei dieser Veranstaltung Geld verdienen?« Mark war irritiert. Hatte er sich verhört?

Der Mann drehte sich um, eine Hand auf der Klinke. »Woll’n Se das wirklich wissen oder halten’se mich für plemplem? Außerdem hab’ ich’s schon gesagt.«

»Ich möchte es wirklich wissen.«

»Is doch ganz einfach.« Er öffnete die Tür. »Indem man dem Koch das Fleisch liefert.«

Ich bin kein Mörder: Thriller
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