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Daniela hatte Mühe, Haltung zu bewahren. Erst gestern hatte sie mit Stefan über Oliver gesprochen und ihr Mann hatte, wie er es so gerne tat, ihre Einwände verscheucht, unter den Teppich gekehrt, hatte seine ganz eigene heile Welt gepredigt und die restlichen zwei Flaschen Bier getrunken.

Und nun wurde sie zum Schuldirektor gebeten. Nicht etwa freundlich, sondern mit Vehemenz und der Drohung, das Jugendamt einzuschalten. Das war ein Skandal. Das war undenkbar.

Oliver hatte einem Mitschüler Gewalt angetan.

Kalt und überlegt.

Daniela rief Stefan an, der eine Stunde später zuhause eintraf. Sein Gesicht war bleich, sein Mund ein zorniger Strich. Und er sagte etwas, dass Daniela von ihm noch nie gehört hatte: »Ich werde dem Kurzen den Arsch versohlen, dass er eine Woche nicht mehr sitzen kann.«

Sie versuchte, ihn zu beruhigen.

Er war zornig, kochte über vor Wut. Schließlich beruhigte er sich und Daniela war froh, dass man Oliver in der Schule festhielt, wo sie ihn abholen sollten.

 

 

Es war erniedrigend.

Der Schuldirektor war zwar freundlich und überlegt, außerdem wies er die Strauss’ darauf hin, dass Oliver unbedingt zu einem Kindertherapeuten solle, schließlich meinte er sogar, Kinder seien manchmal sehr kompliziert und man wolle das nicht überbewerten, doch Daniela wurde das Gefühl nicht los, der Mann wolle vor allen Dingen sich und seine Schule schützen.

Sie verließen das Schulgebäude, Oliver zwischen sich, der den Kopf gesenkt hielt.

 

 

Daheim stellten sie ihren Sohn zur Rede.

Oliver saß im Wohnzimmersessel, das Gesicht offen gegen seine Eltern gewandt, das Kinn stolz erhoben.

»Warum?«, fragte Stefan. »Warum tust du uns das an?«

Oliver kaute auf der Unterlippe und schwieg.

»Haben wir dir nicht alle Liebe gegeben, die ein Kind sich wünschen kann?«, fragte Daniela.

Er nickte und schwieg noch immer.

»Der Direktor sagte, du hast das getan, weil dein Schulfreund abschreiben wollte?« In Stefans Stimme schwang Unglaube.

Oliver hob die Brauen. »Er stinkt!«

Seine Eltern fuhren zurück.

»Was?« Stefan riss die Augen auf. »Was hast du gesagt? Ich habe mich verhört, nicht wahr? Das kann doch kein Grund sein ...«

»Er ist eine Laus!«, sagte Oliver.

»Und es tut dir kein bisschen leid?«, fragte Daniela, die nach Absolution suchte, für sich, für ihren Mann, für ihren Sohn.

»Er hat es verdient«, murmelte Oliver. »Und nun muss ich Schulaufgaben machen. Morgen schreiben wir einen Aufsatz.«

Stefan sprang auf. Seine Hände öffneten und schlossen sich.

Daniela schüttelte den Kopf. »Nein, Stefan, bitte nicht ...«

»Man sollte dir, man sollte ...« Stefan beugte sich über seinen Sohn, kniete sich nicht hin, sondern blickte auf ihn hinab. »Man sollte ...«

»Er wollte mich bestehlen, Papa«, sagte Oliver und zog den Kopf nur ganz leicht zwischen die Schultern.

Das brachte Stefan zur Vernunft und er setzte sich zögernd, zitternd und schnaufend zurück in seinen Sessel. »Bestehlen?«

»Er wollte meine Leistung stehlen, Papa. Ich habe gelernt, um eine gute Zensur zu schreiben, und dieser fette stinkende Kerl beklaut mich. Er schreibt ab. Ist das nicht Diebstahl?«

Stefan und Daniela blickten sich an. Verständnislos, hilflos, erschüttert.

»Geh in dein Zimmer und lerne«, sagte Stefan nach einer Pause. »Geh und bleib dort. Mama bringt dir das Abendessen. Ich möchte dich heute nicht mehr sehen. Verdammt, wie blamabel das war beim Direktor. Die ganze Schule wird über uns reden. Unser guter Ruf ...«

In diesem Moment lächelte Oliver, ein Lächeln, das zwar seine Augen nicht erreichte, aber dennoch sehr selten war. Und in diesem Lächeln schwang Mitleid.

Er schob sich vom Sessel und verließ das Wohnzimmer.

Ich bin kein Mörder: Thriller
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