36
Elvira Kreidler hatte Will vom Flughafen abgeholt und war in dieser Nacht bei ihm geblieben. Der Ermittler war erschöpft, aber happy, dass Elvira an ihn gedacht hatte.
»Eine Dusche, eine Cola Light und ein weiches Bett. Mehr will ich nicht«, sagte er.
Elvira hatte tausend Fragen, doch sie wartete, bis Will sich nach fünfzehn Minuten Autofahrt akklimatisiert hatte. Sie fuhr direkt zu ihrer Wohnung.
»Hier wohne ich nicht, schon vergessen?«, schmunzelte Will.
»Klappe halten. Ich lass dir ein Bad ein, dann bekommst du deine Cola und anschließend reden wir.«
»Nur reden?«
»Ich denke, du bist erschöpft?«
Er verdrehte die Augen. Nach Sex war ihm nicht. Aber hatte das nicht schon etwas von einer Beziehung? Sie kümmerte sich mütterlich um ihn und er ließ es willig geschehen. Aber wo waren die Schmetterlinge im Bauch? Nun, vermutlich waren die in seinem Alter nicht nötig oder er war schlicht und einfach zu kaputt, um sie zu spüren. Fast 10 Stunden Flug an einem Tag, die letzte Nacht kaum geschlafen und diese Neuigkeiten, diese unglaublichen Neuigkeiten! Er fühlte sich wie durch die Mangel gedreht, pappig, weich und platt.
Wenig später lag er in der Wanne und genoss den Schaum.
Elvira hatte eine schöne, sehr stilvoll eingerichtete Wohnung, in der man überall die Hand einer Frau wahrnahm. Wieder etwas, das er der Amtsleiterin nicht zugetraut hatte.
Was wissen wir eigentlich voneinander?
Nichts, nur das, was wir wahrnehmen wollen!
Der erste Eindruck? Ein Witz! Der zweite? Auch einer.
Sie kam und wusch ihm den Rücken mit einem Schwamm. Will schloss die Augen und knurrte wohlig. So wohl hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Bäder mit Janine waren stets ein Mittel zum originellen Sex gewesen, hatten jedoch nie der Reinlichkeit gedient. Hier war das anders. Was, fragte er sich, war ihm lieber?
Bald war er fünfzig, seine Libido wurde müder, seine Lust auf Disco, Veranstaltungen und Öffentlichkeit schlief ein. Was wollte er mit einem jungen Ding, das ihn unentwegt forderte? Außerdem ... was dachte er da überhaupt? Elvira war fünf Jahre jünger als er, also ein guter Altersunterschied, und knackig war sie außerdem. Im Bett erfahren und selbstbewusst, im Beruf erfolgreich, im Kopf helle und sie wusste, wie man einen Mann mit einem Badeschwamm verwöhnte.
»Gleich schlaf ich ein, so schön ist das«, sagte Will.
»Unmöglich«, gab sie zurück. »Deine Cola steht kalt, du kannst einen von meinen Bademänteln anziehen, sieht bestimmt lustig aus, dann gibt es gebratenen Lachs und Reis und dabei unterhalten wir uns. Eine Stunde musst du noch durchhalten, dann singe ich dir ein Schlaflied.«
Er sah sie an und nun geschah etwas Erstaunliches. In seinem Bauch regten sich eben jene Schmetterlinge, die er zuvor vermisst hatte – oder hatte er schlichtweg Hunger? Ihre Blicke trafen sich, sie beugte sich vor und küsste ihn sanft, nicht leidenschaftlich, sondern ganz weich. Sie strich ihm über die kratzige Wange und schließlich lächelte sie, wuschelte durch sein nasses Haar und befahl: »Und raus! Das Essen wartet!«
»Eigentlich müssten wir im Präsidium sein«, sagte Will und kaute.
»Die Nachtschicht ist dran«, sagte Elvira. »Du siehst aus wie ein schwuler hübscher Kerl in meinem rosafarbenen und zu kleinen Bademantel. Irgendwie ganz schön sexy mit deinen haarigen Beinen.«
Will grinste. »Was hat das mit dem Kochkurs auf sich?«
»Wir recherchieren. Vielleicht findet so etwas morgen Abend wirklich statt und Rieger hat für den Jungen sein Herz entdeckt.«
»Glaube ich nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Ein Codename für eine andere Veranstaltung?«
»Was sollte das sein?«
»Wüsste ich das, ginge es mir besser.«
»Was ist mit Olivers Eltern?«
»Die reisen morgen Abend zurück. Was tun wir mit denen?«
»Wir lassen sie nach Hause kommen, dann nehmen wir sie fest. Keinen Aufstand am Zoll, nichts dergleichen. Erst vernehmen wir sie, dann gebe ich die Informationen weiter.«
»Aber deine Leute von der Nachtschicht ...«
»... wissen nur das Nötigste.«
»Puh, jetzt willst du’s wissen, oder? Alles oder nichts! Rieger und Oliver zusammen mit einem Paukenschlag, stimmt’s?«
»So ungefähr.«
Will legte Gabel und Messer weg. »Ganz schön mutig.«
»Ich wollte zuerst mit dir sprechen. Du bist also ganz sicher, dass du es mit Mark Rieger zu tun hattest?«
»Ich habe ihn mir beschreiben lassen. Außerdem sehe ich keinen Grund, warum Franco Sola Bilder von Marlies und Gabi Rieger bei sich haben sollte. Er ist Psychologe, wie Rieger. So groß wie Rieger. Und sein Ausweis, von dem das Hotel eine Kopie hatte, ist in Deutschland ausgestellt und mit Sicherheit gefälscht. Niemand hat Rieger jemals spanisch reden hören.«
»Wir haben sofort die spanischen Kollegen informiert, aber Rieger war schon weg. Seine Maschine flog mittags, und als du der Sache auf die Spur gekommen bist, war er schon in Berlin gelandet. Wie es aussieht, hat er kein Taxi genommen, sondern vermutlich die U-Bahn. Wir haben alle großen Hotels abgefragt, aber nirgendwo ist er gemeldet. Also wohnt er möglicherweise in einem kleinen Hotel unter einem anderen Namen, eines, wo man nicht so genau hinschaut, den Ausweis nicht kontrolliert. Und somit ist er verschwunden. Zumindest im Moment. Aber wenn wir jemanden kriegen wollen ...«
»... dann kriegen wir ihn«, sagte Will. »He, ich war selbst lange genug Bulle.«
»Die Fahndung nach den beiden ist raus.« Sie lächelte. »Ich hätte dich gerne in Action erlebt, aber als ich aus dem Ruhrgebiet nach Berlin versetzt wurde, warst du nicht mehr da.«
»Du willst also die Nacht abwarten?«
»Rieger und Oliver Strauss sind irgendwo. Der Junge muss schlafen, Rieger vielleicht nicht, aber er ist auf der Flucht, also auch erschöpft. Lass die Nacht vergehen, morgen früh machen wir uns daran. Ich werde den Oberstaatsanwalt informieren und dann die Kavallerie losschicken.«
»Okay. Dann möchte ich jetzt schlafen.«
»Darf ich mich zu dir legen?«
»Elvira, es ist dein Bett. Und in dem bist du gerne gesehen.«