15

„Cal Morrison wurde nicht erstochen?“ fragte ich.
„Nein!“ höhnte Gerry. „Ich hab die Leiche gesehen, du auch?“ „Nein.“
Er nippte an seinem Schnapsglas. „Ich aber. Wir haben ihn gefunden. Ich und Brett Hardiman.“
„Alec Hardimans Vater.“
Er nickte. „Mein Kollege.“ Er beugte sich vor und goss mir Wodka ins Schnapsglas. „Brett ist 1980 gestorben.“
Ich blickte das Glas an und schob es ein Stück weit von mir weg, während Gerry seines füllte.
Gerry sah es und lächelte. „Du bist nicht wie dein Vater, Patrick.“ „Danke für das Kompliment.“
Er kicherte leise. „Du siehst ihm aber ganz schön ähnlich. Wie aus dem Gesicht geschnitten. Das weißt du doch.“
Ich zuckte mit den Achseln.
Er drehte die Hände um und betrachtete einen Augenblick seine Handgelenke. „Blut ist was Komisches.“
„Wieso?“
„Es fließt in den Bauch der Mutter, und ein Mensch entsteht. Dieser Mensch kann mit einem Elternteil fast identisch sein, aber auch so anders, dass der Vater den Postboten verdächtigt, mehr als nur die Post zugestellt zu haben. In dir ist das Blut deines Vaters, in mir das Blut meines Vaters, und Alec Hardiman hatte das Blut seines Vaters in sich.“
„Und sein Vater war…“
„Ein guter Mann.“ Er nickte eher sich selbst als mir zu und nahm noch einen Schluck Schnaps. „Ein wirklich netter Mann. Aufrichtig. Anständig. Und so gescheit. Wenn man es nicht wusste, kam man nicht auf die Idee, dass er ein Bulle war. Man hätte ihn für einen Pfarrer oder einen Banker halten können. Er kleidete sich tadellos, drückte sich tadellos aus, tat alles… tadellos. Er hatte ein schlichtes weißes Haus im Kolonialstil in Melrose, eine süße, liebe Frau und einen hübschen blonden Sohn, und alles war so sauber, dass man mit Sicherheit von seinem Autositz essen konnte.“
Ich nippte an meinem Bier. Jetzt war auch der zweite Fernseher zur guten alten Fahne übergegangen, gefolgt von einer blauen Mattscheibe. Ich bemerkte, dass die Chieftains in der Jukebox jetzt „Coast of Malabar“ sangen.
„Er war perfekt und hatte ein perfektes Leben. Perfekte Frau, perfektes Auto, perfektes Haus, perfekter Sohn.“ Er schielte auf seinen Daumennagel. Dann blickte er mich an, doch lag in seinen Augen ein verstörter Blick, als versuchte er gerade, sich wieder zurechtzufinden, nachdem er zu lange in die Sonne gesehen hatte. „Und dann ist, keine Ahnung, irgendwas ist in Alec gefahren. Einfach… in ihn gefahren. Kein Psychologe konnte das je erklären. Den einen Tag war er noch ganz normal, völlig unauffällig, und am nächsten…“ Er hob die Hände. „Am nächsten Tag, keine Ahnung.“ „Und er hat Cal Morrison umgebracht?“
„Das wissen wir nicht“, antwortete er mit belegter
Stimme. Aus irgendeinem Grund konnte er mich nicht ansehen. Sein Gesicht war gerötet, die Adern am Hals waren dick geschwollen, er sah auf den Boden und schlug mit dem Absatz gegen die Wand des Kühlschranks. „Das wissen wir nicht“, wiederholte er. „Gerry“, sprach ich ihn an, „warte mal kurz! Soweit ich weiß, wurde Cal Morrison von irgendeinem Herumtreiber auf dem Blake Yard erstochen.“
„Von einem Schwarzen“, sagte er, ein Lächeln huschte um seine Lippen. „Das wurde damals erzählt, oder?“
Ich nickte.
„Wenn man den Schuldigen nicht findet, ist es ein Bimbo gewesen. Stimmt’s?“
Ich zuckte mit den Achseln. „So hieß es damals.“
„Tja, er wurde aber nicht erstochen. Das haben wir bloß der Presse erzählt. Er wurde gekreuzigt. Und es hat auch kein Schwarzer getan. Wir fanden rote, blonde und braune Haare an Cal Morrisons Kleidung, aber keine schwarzen. Und Alec Hardiman war mit einem Freund, Charles Rugglestone, vorher an jenem Abend in der Gegend gesehen worden, und wir waren schon ganz nervös wegen der anderen Morde, also war es uns ganz recht, dass zuerst einmal die Geschichte mit dem Neger die Runde machte, bis wir jemanden in die Finger bekamen.“ Er zuckte mit den Achseln. „Damals verliefen sich nicht gerade viele Schwarze in diese Gegend, schien uns deshalb eine ganz gute Geschichte zur Ablenkung zu sein.“ „Gerry“, fragte ich, „was für andere Morde?“
Die Tür der Kneipe ging auf, das schwere Holz schlug gegen die Ziegelsteine der Außenwand, und vor uns stand ein Mann mit stoppeligem Haar, einem Nasenring und einem zerrissenen T-Shirt, das über einer modisch verschlissenen Jeans hing.
„Geschlossen“, sagte Gerry.
„Nur ‘nen kleinen Schnaps, damit ich mich in so ‘ner einsamen Nacht aufwärmen kann“, bettelte der Typ mit furchtbar falschem Akzent.
Gerry glitt vom Kühlschrank herunter und kam hinter der Theke hervor. „Weißt du überhaupt, wo du bist, Junge?“
Unter meiner Hand spannte Patton die Muskeln an, hob den Kopf und sah den jungen Mann an.
Der trat einen Schritt vor. „Nur ‘nen kleinen Whiskey.“ Er kicherte und blinzelte gegen das Licht. Sein Gesicht war aufgedunsen vom Alkohol und wer weiß was sonst noch.
„Zum Kenmore Square geht’s da lang.“ Gerry zeigte in Richtung Ausgang.
„Will nicht zum Kenmore Square“, erwiderte der Typ. Er schwankte leicht, während er am Hosenbund nach seinen Zigaretten fummelte. „Junge“, mahnte Gerry, „wird Zeit, dass du nach Hause gehst.“ Gerry legte ihm den Arm um die Schulter. Einen Augenblick sah es so aus, als wolle der Betrunkene ihn abschütteln, doch dann warf er einen Blick auf mich, auf Patton und auf Gerry. Gerry verhielt sich freundlich und nett, auch war er zehn Zentimeter kleiner als sein Gast, doch spürte dieser, so betrunken er auch war, wie schnell diese Freundlichkeit verschwinden konnte, wenn er es darauf anlegte.
„Wollte nur was trinken“, murmelte er.
„Ich weiß“, erwiderte Gerry. „Aber ich kann dir nichts geben. Hast du Geld für ein Taxi? Wo wohnst du?“
„Wollte nur was trinken“, wiederholte der Typ. Er blickte zu mir hoch, und Tränen rannen ihm die Wangen hinunter; eine feuchte Zigarette hing schlaff im Mundwinkel. „Ich wollte nur…“
„Wo wohnst du?“ fragte Gerry erneut.
„Hm? Lower Mills.“ Er schniefte.
„Du kannst in diesem Aufzug in Lower Mills rumlaufen, ohne dass dir einer in den Arsch tritt?“ Gerry grinste. „Dann muss sich da in den letzten zehn Jahren aber viel geändert haben.“
„Lower Mills“, schluchzte der Typ.
„Junge“, beruhigte ihn Gerry, „pssst! Ist schon gut. Alles in Ordnung. Du gehst jetzt hier raus, dann nach rechts, ein paar Häuser weiter steht ein Taxi. Der Taxifahrer heißt Achal, er ist bis Punkt drei Uhr da. Sag ihm, er soll dich nach Lower Mills fahren.“ „Ich hab kein Geld.“
Gerry klopfte dem jungen Mann auf die Hüfte. Als er die Hand wieder wegzog, steckte eine Zehn-Dollar-Note im Hosenbund. „Sieht aus, als hättest du noch einen Zehner übrig.“
Der Typ blickte auf seinen Hosenbund. „Meiner?“
„Meiner ist es nicht. Los, jetzt geh zum Taxi. Okay?“
„Okay.“ Gerry führte den schniefenden jungen Mann zum Ausgang, wo dieser sich plötzlich umdrehte und Gerry, so gut er konnte, in den Arm nahm.
Gerry kicherte. „Schon gut. Schon gut.“
„Ich liebe dich, Mann!“ sagte der Typ. „Ich liebe dich!“
Draußen hielt ein Taxi am Strassenrand. Gerry nickte dem Fahrer zu und löste sich. „Los, jetzt geh! Los!“
Patton senkte den Kopf, rollte sich auf der Theke zusammen und schloss die Augen. Ich kraulte ihm die Nase, worauf er zärtlich gegen meine Hand stupste. Er schien mich schläfrig anzugrinsen. „Ich liebe dich!“ grölte der junge Mann, während er nach draußen stolperte.
„Ich bin gerührt“, erwiderte Gerry. Er schloss die Eingangstür. Draußen hörten wir, wie das Taxi auf der Strasse wendete und in Richtung Lower Mills fuhr. „Tief gerührt.“ Gerry verschloss die Tür, sah mich mit erhobenen Augenbrauen an und fuhr sich mit der Hand durch die rostroten Haarstoppeln.
„Immer noch jedermanns Freund und Helfer“, bemerkte ich. Er zuckte mit den Achseln und legte dann die Stirn in Falten. „Hab ich das bei dir in der Schule erzählt? Die Sache mit dem Freund und Helfer?“
Ich nickte. „Zweite Klasse auf St. Bart’s.“
Er trug Flasche und Schnapsglas zu einem Tisch neben der Jukebox, und ich folgte ihm, ließ mein Glas aber in zwei Metern Entfernung auf der Theke stehen, wo es hingehörte. Patton blieb ebenfalls dort liegen, mit geschlossenen Augen, und träumte von großen Katzen.
Gerry lehnte sich auf dem Stuhl zurück, streckte sich und gähnte laut. „Weißt du was? Jetzt kann ich mich wieder erinnern. „ „O bitte“, stöhnte ich. „Das ist mehr als zwanzig Jahre her.“ „Hm.“ Er setzte sich wieder normal hin und schenkte sich noch einen Schnaps ein. Ich hatte sechs Schnäpse gezählt, konnte aber nicht die geringste Wirkung erkennen. „Aber die Klasse damals war schon etwas Besonderes“, sagte er und hielt mir prostend das Glas entgegen. „Du warst da drin und Angela und dieser Trottel, den sie geheiratet hat, wie hieß der noch mal?“
„Phil Dimassi.“
„Stimmt, Phil.“ Er schüttelte den Kopf. „Dann gab’s da noch diesen Spinner Kevin Hurlihy und diesen anderen schrägen Vogel, Rogowski.“
„Bubba ist in Ordnung.“
„Ich weiß, dass ihr Freunde seid, Patrick, aber pass mal auf! Er steht in mindestens sieben ungelösten Fällen unter Mordverdacht.“ „Bestimmt echt nette Leute, die Opfer.“
Gerry zuckte mit den Achseln. „Mord ist Mord. Wenn man jemandem ohne Grund das Leben nimmt, sollte man bestraft werden. So einfach ist das.“
Ich nippte an meinem Bier und blickte auf die Jukebox.
„Bist du anderer Meinung?“
Ich streckte die Hände aus und lehnte mich zurück. „Früher nicht. Aber manchmal, ich meine, hör mal, Gerry, Kara Riders Leben war mehr wert als das Leben ihres Mörders. „„„Wunderschön“, erwiderte er und lächelte mich düster an. „Ein Musterbeispiel utilitaristischer Logik, ein Grundstein der meisten faschistischen Ideologien, wenn ich das bemerken darf.“ Gerry schüttete einen weiteren Schnaps herunter und betrachtete mich mit klarem, festem Blick. „Wenn du davon ausgehst, dass das Leben eines Opfers mehr wert ist als das eines Mörders, und dann losgehst und den Mörder umbringst, ist dann dein Leben nicht auch weniger wert als das des Mörders, den du umgebracht hast?“
„Was soll das, Gerry?“ wehrte ich mich. „Spielst du jetzt den Jesuiten? Willst du mich in Syllogismen einwickeln?“
„Beantworte meine Frage, Patrick! Weich mir nicht aus!“ Selbst als ich noch ein Kind war, hatte ich das Gefühl, dass Gerry immer schon irgendwie entrückt war. Er lebte einfach nicht auf derselben Stufe wie wir. Man spürte, dass ein Teil von ihm in dem spirituellen Nebel schwebte, von dem die Priester behaupten, er befände sich nur eine Stufe höher als unser normales Bewusstsein. Dort entstanden Träume, Kunst, Glaube und göttliche Inspiration. Ich holte mir hinter der Theke noch ein Bier. Gerry verfolgte mich dabei mit seinem ruhigen, gutmütigen Blick. Ich suchte eine Weile im Kühlschrank und fand eine Flasche Harpoon, mit der ich an den Tisch zurückkehrte.
„Wir könnten uns die ganze Nacht darüber streiten, Gerry. In einer Idealwelt, da hättest du vielleicht recht. Aber in dieser Welt, ja, da sind manche Leben sehr viel mehr wert als andere.“ Ich zuckte mit den Achseln, weil er mich erstaunt ansah. „Jetzt bin ich vielleicht ein Faschist, aber ich würde behaupten, dass das Leben von Mutter Teresa mehr wert war als das von AI Capone. Ich würde behaupten, das Leben von Martin Luther King war viel mehr wer als das von Hitler.“
„Interessant.“ Er flüsterte jetzt fast. „Wenn du also in der Lage bist, den Wert eines anderen Menschenlebens einzuschätzen, folgt daraus, dass du selbst diesem Leben überlegen bist.“
„Nicht unbedingt.“
„Bist du besser als Hitler?“
„Auf jeden Fall.“
„Als Stalin?“
„Ja.“
„PolPot?“
„Ja.“
„Als ich?“
„Du?“
Er nickte.
„Du bist doch kein Mörder, Gerry.“
Er zuckte mit den Achseln. „Ist das dein Maßstab? Du bist besser als jemand, der mordet oder Morde anordnet?“
„Wenn diese Morde an Menschen verübt werden, die den Mörder oder die Person, die ihn beauftragt hat, nicht unmittelbar körperlich bedrohen, ja, dann bin ich besser als er.“
„Also bist du Alexander dem Grossen, Caesar, mehreren amerikanischen Präsidenten und einigen Päpsten überlegen.“
Ich lachte. Er hatte mich in die Falle gelockt, und ich hatte es kommen sehen, aber die Richtung hatte ich nicht erahnt.
„Ich hab’s ja gesagt, Gerry, in dir steckt ein Jesuit.“
Er grinste und rieb sich den stoppeligen Kopf. „Ich gebe es zu, sie haben mir einiges beigebracht.“ Er kniff die Augen zusammen und beugte sich vor. „Ich kann nur diese Theorie nicht ertragen, dass manche Menschen mehr Recht haben als andere, jemandem das Leben zu nehmen. Das ist eine ganz und gar korrupte Theorie. Wer tötet, muss bestraft werden.“
„Wie Alec Hardiman?“
Er blinzelte. „In dir steckt ein Pitbull, Patrick, stimmt’s?“
„Wenn mich meine Klienten dafür bezahlen, Gerry.“ Ich füllte ihm das Schnapsglas erneut. „Erzähl mir von Alec Hardiman, Cal Morrison und Jamal Cooper.“
„Vielleicht hat Alec Cal Morrison umgebracht und Cooper auch, das weiß ich nicht genau. Aber wer immer diese Typen gekillt hat, der wollte damit etwas sagen, soviel ist sicher. Morrison wurde unter dem Edward-Everett-Standbild gekreuzigt, ihm war ein Eispickel durch den Kehlkopf gestoßen worden, so dass er nicht schreien konnte, der Mörder hat ihm ein paar Körperteile abgeschnitten, die nie gefunden wurden.“
„Welche?“
Gerrys Finger trommelten kurz auf der Tischfläche, und er verzog die Lippen, als überlegte er sich, wieviel er mir zumuten könne. „Die Hoden, eine Kniescheibe, beide großen Zehen. Das passte zu einigen anderen Opfern, von denen wir wussten.“
„Andere Opfer außer Cooper?“
„Nicht lange bevor Cal Morrison umgebracht wurde“, erklärte Gerry, „wurden ein paar Penner und Nutten in der Gegend vom ehemaligen Sperrgebiet bis hinunter zum Springfield Busdepot ermordet. Insgesamt sechs, Jamal Cooper war der erste. Die Mordwerkzeuge variierten, die Vorgehensweise und die Exekutionsmethoden auch, aber Brett und ich waren überzeugt, dass es sich in allen Fällen um die zwei selben Mörder handelte.“
„Zwei?“ hakte ich nach.
Er nickte. „Die arbeiteten im Team. Theoretisch hätte es auch einer gewesen sein können, aber der hätte unglaublich stark sein müssen, mit beiden Händen gleich geschickt und schnell wie der Blitz.“ „Wenn Mordwaffen, Vorgehensweise und Opfer sich so stark voneinander unterscheiden, warum dachtet ihr dann, es seien dieselben Mörder?“
„Alle Morde zeigten einen Grad von Grausamkeit, den ich noch nie zuvor erlebt hatte. Auch hinterher nicht mehr. Diese Typen hatten nicht nur Spaß an ihrer Arbeit, Patrick, sondern sie dachten auch an die Menschen, die die Leichen finden würden, an deren Reaktion. Einen Penner schnitten sie in hundertvierundsechzig Teile. Stell dir das mal vor! Einhundertvierundsechzig Teile aus Fleisch und Knochen, manche nicht größer als eine Fingerspitze, verteilt auf dem Schreibtisch, auf dem Kopfende des Bettes, ausgebreitet auf dem Boden, auf Haken an die Duschabtrennung gehängt in dieser billigen Absteige im Sperrbezirk. Das Haus gibt es gar nicht mehr, aber ich kann nicht an der Stelle vorbeifahren, wo es früher stand, ohne an dieses Zimmer zu denken. Einer sechzehnjährigen Ausreißerin in Worcester hatten sie den Hals gebrochen und den Kopf um hundertachtzig Grad nach hinten gedreht, dann mit Isolierband festgeklebt, damit er so stehenblieb, bis der erste durch die Tür kam. Es war schlimmer als alles, was ich jemals erlebt habe, und mir kann keiner einreden, dass diese sechs Opfer, offiziell alles ungelöste Fälle, nicht von denselben ein oder zwei Tätern umgebracht wurden.“
„Und Cal Morrison?“
Er nickte. „Nummer sieben. Und Charles Rugglestone ist wahrscheinlich Nummer acht.“
„Warte mal“, sagte ich, „Rugglestone, der Freund von diesem Alec Hardiman?“
„Genau der.“ Er hob das Glas und setzte es wieder ab. „Charles Rugglestone wurde in einem Lagerhaus nicht weit von hier ermordet. Er wurde zweiunddreißigmal mit einem Eispickel durchbohrt, mit einem Hammer dermaßen zugerichtet, dass die Löcher im Schädel aussahen, als hätten irgendwelche Tiere darin gehaust und sich herausgefressen. Er hatte auch Verbrennungen, viele einzelne, von den Füssen bis zum Hals, die meisten davon wurden ihm bei lebendigem Leib zugefügt. Wir fanden Alec Hardiman ohnmächtig im Büro des Lagerhauses, er war besudelt mit Rugglestones Blut, der Eispickel lag ein paar Meter von ihm entfernt, und war voll mit seinen Fingerabdrücken.“
„Also war er es.“
Gerry zuckte mit den Achseln. „Ich besuche Alec einmal im Jahr in Walpole, weil mich sein Vater drum gebeten hat. Und vielleicht, weiß nicht, weil ich ihn mag. Ich sehe immer noch den kleinen Jungen in ihm. Egal. Aber sosehr ich ihn auch mag, er bleibt ein Rätsel. Ist er fähig, einen Mord zu begehen? Ja. Das bezweifle ich keine Sekunde. Aber ich kann dir auch sagen, dass kein Mensch allein, egal wie stark er ist – und Alec ist nicht besonders stark – Rugglestone das alles hätte antun können.“ Er spitzte die Lippen und trank den Schnaps. „Aber von dem Moment an, wo Alec vor Gericht stand, hörten die Morde auf. Sein Vater ging nach Alecs Festnahme in Pension, aber ich verfolgte den Mordfall Morrison und die sechs davor weiter und konnte Alecs Beteiligung in mindestens zwei dieser Fälle ausschließen.“
„Aber er wurde verurteilt.“
„Nur für den Mord an Rugglestone. Wollte ja niemand zugeben, dass man den Verdacht hatte, da draußen treibe sich ein Serienmörder rum, und die Öffentlichkeit wurde nicht gewarnt. Nachdem der Sohn eines hochdekorierten Kriminalbeamten wegen eines brutalen Mordes weggeschlossen war, hatte keiner Lust, sich noch mehr Vorwürfe anzuhören. Deshalb stand Alec für den Mord an Rugglestone vor Gericht und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Jetzt fristet er sein Leben in Walpole. Sein Vater zog nach Florida und ist wahrscheinlich darüber gestorben, dass er einfach nicht verstand, was da so schiefgelaufen war. Das alles wäre ja vollkommen egal, würde ich sagen, wenn Kara Rider jetzt nicht auf einem Hügel gekreuzigt worden wäre und dir nicht jemand den Namen von mir und Alec Hardiman gegeben hätte.“
„Also“, resümierte ich, „wenn es damals in Wirklichkeit mehr als einen Mörder gegeben hat und Alec Hardiman nur einer von den beiden war…“
„Dann ist der andere noch immer da draußen, ja.“ Unter Gerrys Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. „Und wenn der nach gut zwanzig Jahren immer noch da draußen ist und die ganze Zeit für eine Art Comeback die Luft angehalten hat, dann würde ich sagen, ist er jetzt bestimmt ziemlich sauer.“