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„Links“, befahl Bubba, „und jetzt ungefähr 20 Zentimeter nach rechts! Gut. Fast geschafft.“
Er ging ein paar Meter vor uns rückwärts, die Hände auf Brusthöhe und winkte mit den Händen, als würde er einen Lkw einweisen. „Gut“, sagte er, „den linken Fuß ungefähr 23 Zentimeter nach links. Genau so.“
Ein Besuch in Bubbas Zuhause, einem alten Lagerhaus, ist so, als spiele man am Rande des Abgrunds Blinde Kuh. Bubba hat die ersten zwölf Meter seiner ersten Etage mit so viel Sprengstoff vermint, dass er die gesamte Ostküste in die Luft jagen könnte, deshalb muss man seinen Anweisungen auf den Buchstaben genau folgen, wenn man den Rest des Lebens ohne künstliche Beatmung auskommen will. Obwohl Angie und ich die Prozedur schon unzählige Male durchgemacht haben, vertrauen wir unserem Gedächtnis niemals so, dass wir die zwölf Meter ohne Bubbas Hilfe überwinden würden. Auch wenn wir deshalb als übervorsichtig gelten. „Patrick“, mahnte er mich mit ernstem Gesichtsausdruck, während mein Fuß fünf Millimeter über dem Boden schwebte. „Ich habe gesagt, fünfzehn Zentimeter nach rechts. Nicht vierzehn.“
Ich atmete tief ein und verschob den Fuß um einen Zentimeter. Er grinste und nickte.
Ich setzte den Fuß ab. Und flog nicht in die Luft. Glück gehabt! Hinter mir fragte Angie: „Bubba, warum kaufst du dir keine Alarmanlage?“
Bubba runzelte die Stirn. „Das ist meine Alarmanlage.“
„Das ist ein Minenfeld, Bubba.“
„So nennst du das“, erwiderte Bubba. „Zehn Zentimeter nach links, Patrick!“
Hinter mir atmete Angie laut aus.
„Du bist durch, Patrick“, lobte mich Bubba, als ich auf ein Stück Fußboden ungefähr drei Meter von ihm entfernt trat. Er sah Angie an und runzelte die Stirn. „Stell dich nicht so an, Angie!“ Angie stand mit angewinkeltem Knie da und sah aus wie ein Storch. Aber ein ziemlich wütender Storch. Sie sagte: „Wenn ich dich kriege, bringe ich dich um, Bubba Rogowski!“
„Ooooh“, entgegnete Bubba. „Sie hat mich mit meinem vollen Namen angeredet. Genau wie meine Mutter immer.“
„Du hast deine Mutter doch gar nicht gekannt“, erinnerte ich ihn. „In Gedanken, Patrick“, erwiderte er und berührte seine vorspringende Stirn, „in Gedanken.“
Von seinem ausgeklügelten Frühwarnsystem mal abgesehen – manchmal mach ich mir Sorgen um ihn.
Angie trat auf das Stück Boden, das ich gerade geräumt hatte. „Du bist durch“, sagte Bubba, und sie boxte ihn auf den Arm. „Müssen wir noch an irgendwas anderes denken?“ wollte ich wissen. „Fallen gleich Speere von der Decke, oder springen Rasierklingen aus den Stühlen?“
„Nur wenn ich sie aktiviere.“ Bubba ging zu einem alten Kühlschrank hinüber, der sich hinter zwei abgesessenen braunen Sofas, einem orangen Bürostuhl und einer uralten Steroanlage befand. Vor dem Bücherregal stand eine Holzkiste, mehr davon waren hinter einer Matratze gestapelt, die wiederum hinter die Sofas geworfen worden war. Einige der Kisten waren geöffnet; ich konnte die hässlichen Kolben von geölten schwarzen Handfeuerwaffen zwischen gelbem Stroh hervorlugen sehen. Bubbas täglich Brot.
Er öffnete den Kühlschrank und holte eine Flasche Wodka aus dem Eisfach. Aus seinem Trenchcoat zog er drei Schnapsgläser hervor. Ganz egal ob Hochsommer oder tiefster Winter – Bubba trennt sich nie von seinem Mantel. Ein Harpo Marx mit schlechtem Benehmen und Mordgelüsten. Er goss Angie und mir einen Wodka ein und reichte uns die Gläser. „Soll angeblich die Nerven beruhigen.“ Er schüttete seinen Wodka herunter.
Meine Nerven beruhigten sich. Nach Angies geschlossenen Augen zu urteilen, wirkte er auch bei ihr. Bubba zeigte keine Reaktion, aber er hat ja keine Nerven und auch sonst nichts, was Menschen so zum Leben brauchen.
Er ließ seine gut 230 Pfund auf eins der Sofas plumpsen. „Also, warum müsst ihr Jack Rouse treffen?“
Wir erzählten es ihm.
„Hört sich nicht gerade nach ihm an. Die Scheisse mit dem Bild – ich meine, die wirkt vielleicht, aber die ist viel zu ausgebufft für einen wie Jack.“
„Was ist mit Kevin Hurlihy?“ hakte Angie nach.
„Wenn das zu ausgebufft für Jack ist“, erwiderte Bubba, „dann ist es erst recht nichts für Kevin.“ Er trank aus der Flasche. „Wenn ich so darüber nachdenke, gibt es kaum irgendwas, das etwas für Kevin wäre. Plus und minus rechnen, das Alphabet und so’n Scheiss. Mensch, das müsst ihr doch noch von früher wissen!“ ^
„Wir dachten, er hätte sich vielleicht geändert.“
Bubba lachte. „Nee. Ist schlimmer geworden.“
„Dann ist er also gefährlich?“ fragte ich.
„Und wie“, antwortete Bubba. „Wie ein Hund auf dem Schrottplatz. Weiß, wie man jemandem an die Gurgel springt und kämpft, und macht den Leuten eine Heidenangst, aber das ist es auch schon. Aber darin ist er um so besser.“ Er reichte mir die Flasche, ich goss mir noch ein Glas ein.
„Also sind zwei Leute, die wissentlich einen Fall annehmen, bei dem sie es mit ihm und seinem Chef zu tun haben…“
„… absolute Schwachköpfe, ja.“ Er nahm die Flasche zurück. Ich sah Angie böse an, sie streckte mir die Zunge heraus. Bubba fragte: „Soll ich ihn für euch erledigen?“ und reckte sich auf der Couch.
Ich zwinkerte. „Ahm…“
Bubba gähnte. „Ist kein Problem.“
Angie strich ihm übers Kinn. „Im Moment besser nicht.“
„Echt“, beharrte er und richtete sich wieder auf, „ganz ohne Stress. Ich habe so’n neues Teil gebaut, das musst du dem Typen um den Kopf klemmen, hier, genau so, und dann…“
„Wir sagen dir früh genug Bescheid“, lenkte ich ein.
„Cool.“ Er lehnte sich wieder zurück und sah uns kurze Zeit an. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass son Freak wie Kevin ‘ne Freundin hat. Für mich ist er ein Typ, der entweder dafür zahlt oder sich einfach eine nimmt.“
„Das hat mich auch gewundert“, bestätigte ich.
„Egal“, sagte Bubba, „auf jeden Fall trefft ihr Jack Rouse und Kevin nicht allein.“
„Nicht?“
Er schüttelte den Kopf. „Wenn ihr zu denen sagt: >Lasst unsere Klientin in Ruhe!<, dann bringen sie euch um. Müssen sie. Die sind nicht gerade charakterfest.“
Ein Kerl, der sein Haus mit einem Minenfeld absichert, erzählt uns, Jack und Kevin seien nicht charakterfest. Nun, da ich wusste, wie gefährlich die beiden wirklich waren, überlegte ich mir, es wäre vielleicht besser, einfach zurück zum Minenfeld zu gehen und einmal kurz zu hüpfen. Dann wäre es wenigstens schnell vorbei. „Wir gehen über Fat Freddy“, entschied Bubba.
„Meinst du das ernst?“ fragte Angie.
Fat Freddy Constantine ist der Pate der Bostoner Mafia; er hatte der früher führenden Clique aus Providence die Kontrolle entrissen und seine Macht dann ausgebaut. Jack Rouse, Kevin Hurlihy und jeder, der in dieser Stadt nur ein einziges Gramm Stoff verkaufte, unterstand Fat Freddy.
„Das ist die einzige Möglichkeit“, erklärte Bubba. „Wenn ihr über Fat Freddy geht, erweist ihr ihm Respekt; und wenn ich ein Treffen arrangiere, wissen sie, dass ihr Freunde seid, dann schlagen sie euch nicht zusammen.“
„Spitze“, bemerkte ich.
„Wann wollt ihr ihn treffen?“
„So schnell wie möglich“, erwiderte Angie.
Er zuckte mit den Achseln und hob ein schnurloses Telefon vom Boden. Dann wählte er und nahm noch einen Schluck aus der Flasche, während er wartete. „Lou“, sprach er in den Hörer, „sag dem Boss, dass ich angerufen habe.“ Dann legte er auf.
„Dem Boss?“ wiederholte ich.
Bubba streckte die Hände aus. „Die gucken alle die Scorcese-Filme und Bullenserien und glauben, sie müssten so reden. Ich tue ihnen den Gefallen.“ Er beugte sich mit seinem gewaltigen Oberkörper vor und schenkte Angie noch einen Kurzen ein. „Bist du schon geschieden, Gennaro?“
Sie lächelte und stürzte das Glas runter. „Offiziell noch nicht.“ „Und wann ist es soweit?“ fragte Bubba mit erhobenen Augenbrauen.
Sie stellte die Füße auf dem Rand einer offenen Kiste mit AK-47 ab und lehnte sich zurück. „Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, Bubba, eine Scheidung ist eine komplizierte Sache.“
Bubba verzog das Gesicht. „Boden-Luft-Raketen aus Libyen schmuggeln ist kompliziert. Aber eine Scheidung?“
Angie fuhr sich mit den Händen durchs Haar an die Schläfen und blickte zu den abblätternden Heizungsrohren hoch, die sich über Bubbas Decke erstreckten. „Bei dir, Bubba, hält eine Beziehung ungefähr so lange wie weißt du also über Scheidung? Hm?“ Er seufzte. „Ich weiß nur, dass sich manche Leute richtig den Arsch aufreißen, um alles zu versauen, was eigentlich ganz ruhig über die Bühne gehen könnte.“ Er nahm die Beine von der Couch und stampfte mit seinen schweren Kampfstiefeln auf den Boden. „Was ist mit dir, Kumpel?“
„Mit mir?“ fragte ich.
„Ja“, bestätigte er. „Wie war deine Scheidung?“
„Kinderspiel“, antwortete ich. „Wie Pizza bestellen: Ein Anruf, und alles ist erledigt.“
Bubba wandte sich wieder an Angie. „Siehst du?“
Sie wedelte abschätzig mit der Hand in meine Richtung. „Und das nimmst du ihm ab? Unserem Mr. Ehrlich?“
„Ich lege Protest ein“, sagte ich.
„Du legst einen Scheißdreck ein“, verbesserte mich Angie. Bubba rollte mit den Augen. „Könnt ihr beiden nicht einfach ‘ne Nummer schieben, und dann ist es gut?“
Wie immer trat eine von diesen peinlichen Pausen ein, die immer entstehen, wenn jemand andeutet, zwischen mir und meiner Kollegin bestehe mehr als nur Freundschaft. Bubba grinste triumphierend, doch dann klingelte dankenswerterweise das Telefon. „Ja.“ Er nickte uns zu. „Mr. Constantine, wie geht es Ihnen?“ Er rollte mit den Augen, während Mr. Constantine ausführte, wie es ihm ginge. „Freut mich zu hören“, antwortete Bubba. „Hören Sie, Mr. C. ich habe hier zwei Freunde, die mit Ihnen reden möchten. Nur’n paar Minuten.“
Ich wiederholte lautlos: „Mr. C.?“, und Bubba zeigte mir einen Vogel.
„Yes, Sir, die sind in Ordnung. Gehören nicht zur Familie, aber sie sind da vielleicht über etwas gestolpert, was Sie interessieren könnte. Hat was mit Jack und Kevin zu tun.“ Fat Freddy begann wieder zu reden, und Bubba machte mit der Faust die auf der ganzen Welt bekannte Masturbationsgeste. „Yes, Sir“, sagte er schließlich. „Patrick Kenzie und Angela Gennaro.“ Er lauschte, blinzelte dann und sah Angie an. Mit der Hand über der Sprechmuschel fragte er: „Bist du mit den Patrisos verwandt?“
Sie zündete sich eine Zigarette an. „Leider ja.“
„Yes, Sir“, sagte Bubba ins Telefon, „genau die Angela Gennaro.“ Er sah sie mit erhobener Augenbraue an. „Heute Abend um zehn. Danke, Mr. Constantine.“ Er machte eine Pause und blickte auf die Holzkiste, die Angie gerade als Fußhocker verwendete. „Was? Oh, ja, Lou weiß wo. Sechs Kisten. Morgen Abend. Ganz bestimmt. Wie bestellt, Mr. Constantine. Yes, Sir. Alles Gute!“ Er legte auf und seufzte laut, dann schob er die Antenne mit dem Handrücken ins Telefon zurück. „Verfluchte Spaghettis!“ motzte er. „Immer nur: >Yes, Sir<, >No, Sir<, >Wie geht’s Ihrer Frau?< Den Iren ist es wenigstens scheißegal, wie’s der Frau geht.“
Wer Bubba kannte, wusste, dass das ein hohes Lob für meine Volksgruppe war. Ich erkundigte mich: „Wo treffen wir ihn?“ Er blickte Angie mit einem Anflug von Ehrfurcht in seinem gummiartigen Gesicht an. „In diesem Cafe auf der Prince Street. Heute Abend um zehn. Wieso hast du mir nie erzählt, dass du Verbindungen hast?“
Angie schnippte ihre Asche auf den Boden. Das war kein schlechtes Benehmen, sie benutzte Bubbas Aschenbecher. „Ich habe keine Verbindungen.“
„Freddy behauptet, du hättest welche.“
„Tja, dann irrt er sich halt. Kleiner Fehler in der Erbmasse, mehr nicht.“
Er sah mich an. „Wusstest du, dass sie mit der Patriso-Sippe verwandt ist?“
„Jawoll.“
„Und?“
„Das schien ihr immer egal zu sein, also war’s mir auch egal.“ „Bubba“, versuchte es Angie, „ich bin nicht gerade stolz darauf.“ Er pfiff vor sich hin. „Die ganzen Jahre habt ihr so oft in der Klemme gesessen, und du hast nicht einmal um Unterstützung gebeten?“ Angie sah ihn durch die langen Locken hindurch an, die ihr vor das Gesicht gefallen waren. „Hab nicht mal dran gedacht.“
„Warum nicht?“ Er war wirklich verwirrt.
„Weil wir außer dir keine Mafia brauchen, Süßer.“
Bubba errötete. Das schaffte nur Angie bei ihm, und es ist ein lohnender Anblick. Sein riesiges Gesicht lief an wie eine überreife Tomate, und einen Augenblick lang sah er fast harmlos aus. Fast. „Hör auf“, sagte er, „du bringst mich in Verlegenheit.“
Im Büro kochte ich einen Kaffee, um die Wirkung des Wodkas zu neutralisieren, während Angie die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter abhörte.
Die erste kam von unserem letzten Auftraggeber, Bobo Gedmenson, Inhaber von Bobo’s Yo-Yo Chain, einer Discokette für Jugendliche unter 21, und einigen Stripschuppen in Saugus und Peabody mit Namen wie „Tropfende Vanille“ und „Goldener Honig“. Nachdem wir Bobos ehemaligen Geschäftspartner aufgespürt und den Grossteil des veruntreuten Geldes zurückgebracht hatten, stellte Bobo nun plötzlich unsere Tarife in Frage und behauptete, er sei ein armer Schlucker.
„Leute gibt’s…“, schüttelte ich den Kopf.
„Scheißdreck“, stimmte mir Angie zu, während Bobo mit einem Piepston endete.
Ich überlegte mir, Bubba mit dem Geldeintreiben zu beauftragen, als die zweite Nachricht ablief: „Hallo. Dachte nur, ich wünsche euch beiden ordentlich Glück für den neuen Fall und so weiter. Schätze, er ist großartig. Ja? Wir bleiben in Verbindung!“ Ich sah Angie an. „Wer war das denn?“
„Ich dachte, du wüsstest das. Ich kenne keine Engländer. „ „Ich auch nicht.“ Ich zuckte mit den Achseln. „Vielleicht verwählt?“ „Viel Glück für den neuen Fall? Hört sich an, als wüsste er, wovon er spricht.“
„Hörte sich der Akzent nicht irgendwie unecht an?“
Sie nickte. „Als hätte einer zuviel Monty Python geguckt.“ „Kennen wir einen, der Dialekte nachmacht?“
„Ich nicht.“
Als nächstes kam die Stimme von Grace Cole. Im Hintergrund konnte ich die seufzenden Geräusche der Menschen in der Notaufnahme hören, wo sie arbeitete.
„Ich habe gerade tatsächlich zehn Minuten Kaffeepause, deshalb versuche ich, dich zu erreichen. Ich bin bis mindestens morgen früh hier, aber du kannst mich morgen Abend zu Hause anrufen. Du fehlst mir.“
Es piepste, und Angie fragte: „Und? Wann ist die Hochzeit?“ „Morgen. Wusstest du das nicht?“
Sie lächelte. „Du bist ihr verfallen, Patrick! Das weißt du doch, oder?“
„Wer sagt das?“
„Ich und alle deine Freunde.“ Ihr Lächeln wurde etwas schwächer. „Ich habe noch nie gesehen, dass du eine Frau so angesehen hast wie Grace.“
„Und wenn es so ist?“
Sie sah aus dem Fenster auf die Strasse. „Dann wünsche ich dir viel Kraft“, sagte sie sanft. Sie versuchte, wieder zu lächeln, doch gelang es ihr nicht. „Ich wünsche euch beiden nur das Beste.“