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Susan saß in ihrem Wagen vor dem Joyce Hotel und trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Sie musste Jeremy finden, ehe er Archie etwas Schreckliches antat.
Sie schielte zu ihrer Handtasche auf dem Beifahrersitz. Darin befand sich das Handy, mit dem Gretchen Textnachrichten an Archie geschickt hatte. Sie öffnete die Tasche, damit sie die Telefone sehen konnte, die sie hineingelegt hatte. Das eine, das er von Jack Reynolds bekommen hatte. Und das andere, das er auf irgendeine Weise von Gretchen bekommen hatte. Die Nummer, von der die SMS geschickt worden waren, war im Anruferverzeichnis gespeichert. Was bedeutete, dass Susan in der Lage war, mit Gretchen Kontakt aufzunehmen.
Sie kramte das Handy aus der Tasche und schaute auf das Display. Vierundzwanzig Anrufe in Abwesenheit und fünfzehn neue SMS.
»WO BIST DU, LIEBLING?«
»WO BIST DU, LIEBLING?«
»WO BIST DU, LIEBLING?«
Gretchen suchte ebenfalls nach Archie. Und das hieß, sie hatte mit dem Ganzen nichts zu tun. Diese Verrückten hatten fünf Menschen getötet. Sie strich über die Tastatur des Handys. Es war eine bescheuerte Idee.
Aber Archie hatte sie auch angerufen. Sie konnte es im Verzeichnis sehen. Sie kommunizierten bereits.
Susan wusste nicht genau, welcher Art Archies Beziehung zu Gretchen war – nicht in ihrem ganzen Ausmaß jedenfalls. Gretchen war eine Psychopathin. Sie war eine Mörderin. Und durch und durch schlecht. Aber sie hatte Archies Leben gerettet. Zweimal.
Vielleicht würde sie es wieder tun.
Susan tippte eine SMS ein.
»ARCHIE IST IN SCHWIERIGKEITEN.«
Sie drückte auf Senden.
Susan schaute auf das Handy, während sich das Stundenglas drehte und dann mit einem Piepser verschwand. Sie hatte das bohrende Gefühl, dass sie gerade genau das getan hatte, was Gretchen wollte.
Auf der anderen Straßenseite sah sie Leo Reynolds in einen silbernen Volvo steigen. Sie packte ihre Handtasche, lief zu seinem Wagen hinüber und klopfte ans Fenster.
Er blickte überrascht auf und ließ das Fenster hinunter.
»Sie fahren nicht nach Hause, oder?«, sagte sie.
»Er ist mein Bruder«, sagte Leo. »Ich bin für ihn verantwortlich.«
»Ich möchte mit Ihnen kommen«, sagte Susan. Henry und Claire hatten die Kriminaltechniker geholt, damit sie Jeremys Zimmer in Augenschein nahmen. Susan war auf sich allein gestellt. Aber sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte.
Leo zögerte.
»Archie ist mein Freund«, sagte Susan. »Er hat mir das Leben gerettet. Damit bin ich für ihn verantwortlich.«
Susan sah, wie er sie abschätzte, sein Gesicht leuchtete blau im Schein der Armaturen. »Okay«, sagte er. Er drückte auf einen Knopf, und die Wagentüren wurden entriegelt. Sie lief auf die Beifahrerseite und stieg ein.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie.
»Es ist Zeit, sich auf die Freundlichkeit niedrigerer Elemente zu stützen«, sagte Leo.
Susan sah ihn verständnislos an.
Er zuckte mit den Achseln. »Ich habe Freunde in der Unterwelt.«
Darauf wette ich, dachte Susan.