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Archie saß an die malvenfarbige Wand gelehnt auf dem Boden einer Toilette im ersten Stock des Krankenhauses.
Er hielt das Telefon im Schoß und las die SMS noch einmal. »Geht es Dir besser, Liebling?«
Archie legte den Kopf in die Hände. Zwei Jahre waren vergangen, und die Rippen, die sie ihm gebrochen hatte, schmerzten immer noch. Sie würden wahrscheinlich immer schmerzen. Er führte die Hand zum Hals und fuhr die ganze Länge der Narbe dort nach, seine frischeste Narbe, zwei Monate alt und noch empfindlich auf Berührung. Dann langte er unter sein Hemd und fuhr über die älteren Narben dort: die eine, die in der Mitte des Rumpfs nach oben verlief, dann die kleineren an den Flanken und schließlich die herzförmige Erinnerung auf seiner Brust.
Seine Gedanken gingen zu dem Gemetzel auf dem Parkplatz zurück.
Sie würde nicht aufhören zu töten.
Archie drückte das Handy an seine Stirn, grub es in seine Haut, bis sich sein Schädel anfühlte, als könnte er platzen, und sein Kopf klar wurde. Scheiße.
Er setzte sich auf und tippte eine SMS. »Wo bist Du?«
Er drückte auf Senden und wartete.
Die Toilette war beige mit einem nicht dazu passenden weißen Sitz. Es gab eine Greifstange für Behinderte daneben, einen Haken, an den man eine Handtasche hängen konnte, und einen Abfalleimer für weibliche Hygieneartikel. Archie sah zur Decke hinauf. Weiße Korkpaneele. Ein Rauchmelder. Ein Sprinklerventil. Zwei weiße Lüftungsschächte waren mit jahrealtem Staub und Schmutz bedeckt. Niemand machte sich je die Mühe, dort oben zu putzen.
Er blickte wieder auf das Handy. Nichts.
Die rosa Bodenfliesen glänzten, auch wenn der Vergussmörtel braun war. In der Mitte des Bodens war ein silberner Abfluss.
Jemand rüttelte am Griff der WC-Tür.
Archie schaute erschrocken auf. »Besetzt«, rief er.
Das Handy vibrierte. Er blickte auf den Schirm. »Vermisst Du mich?«
Archie starrte auf das Telefon und überlegte, wie er reagieren sollte. Tausend Möglichkeiten gingen ihm durch den Kopf. Er musste sie dazu bringen, dass sie sich zeigte. Sie musste glauben, er stünde immer noch unter ihrem Zauber.
Es klopfte an der Tür. »Einen Moment«, sagte Archie.
Eine kleine braune Hausspinne kroch aus dem Abfluss im Boden und huschte in Richtung Waschbecken über die Fliesen.
Archie tippte: »Ich möchte Dich sehen« und drückte erneut auf Senden.
Eine Sanduhr drehte sich auf dem Schirm des Handys. Dann verschwand sie. Nachricht abgeschickt.
Archie stand auf, betätigte die Toilettenspülung und hielt dann die Hände unter den Sensor des Wasserhahns. Die Verkleidung des Beckens war aus pfirsichfarben und schwarz gesprenkeltem Resopal, genau wie das, womit sich Courtenay in den Hals gestochen hatte. Es stammte wahrscheinlich von derselben Rolle.
Archie sah auf das Handy. Das Einzige, was der Schirm anzeigte, war die Zeit. 11.23, 11.24, 11.25. Er trocknete sich die Hände mit einem Papierhandtuch und warf es in den rechtwinkligen grauen Abfalleimer. Die Karikatur einer Skunkdame blickte vom Duftspender auf Archie herab.
Jemand versuchte es wieder an der Tür. »Einen Augenblick noch«, rief Archie, dieses Mal lauter.
Der Türgriff ging sinnlos auf und ab.
Diesmal ignorierte es Archie. Das war ein Krankenhaus hier. Es gab Dutzende von Toiletten.
Er legte das Handy auf das gesprenkelte Furnier und fixierte das Display, als könnte er Gretchen mit Willenskraft zu einer Antwort zwingen. »Komm schon«, sagte er leise und hielt sich an der Waschbeckenumrandung fest. »Komm zu mir.«
Das Handy summte, und eine neue SMS erschien.
Klopf, klopf.
Archie betrachtete die Worte und sah dann langsam zur Tür. Sie war im Krankenhaus. Sie beobachtete ihn in diesem Augenblick. Er steckte das Telefon in die Tasche und machte einen Schritt auf die Tür zu.
»Gretchen?«, sagte er.
Keine Reaktion. Archie streckte die Hand aus und drehte vorsichtig das Schloss um. Dann legte er sie auf den Griff, holte tief Luft und stieß die Tür auf.
Auf der anderen Seite war niemand. Er blickte links und rechts. Der Flur war leer. Er griff sich an die Stirn. Sie war feucht vor Schweiß. Er ließ Gretchen schon wieder an sich heran. Sie musste geraten haben. Sie hatte erraten, dass er aus einem abgesperrten Raum anrief. Das war nicht sie gewesen an der Tür. Die Person, die gewartet hatte, war ungeduldig geworden und gegangen.
Er hatte schon genug Probleme, er musste nicht auch noch Verfolgungswahn auf seine Liste setzen.
Archie sah einen Geschenkkiosk am Ende des Flurs. Er spähte mit zusammengekniffenen Augen hin und erkannte das Buch, das im Schaufenster ausgestellt war – Das letzte Opfer. Es war zwei Monate her, seit Archie zuletzt eine Zeitung gelesen hatte. Wenn er eine Chance haben wollte, Gretchen zu schnappen, musste er auf dem neuesten Stand der Nachrichten sein. Er setzte sich in Bewegung. Auf halbem Weg blieb er mitten im Flur stehen und drehte sich einmal um sich selbst. Niemand von Interesse war in der Nähe, aber er wurde das beunruhigende Gefühl nicht los, dass er beobachtet wurde.