53
Auf mich.
Sein Gewicht warf mich nach hinten, ich fiel von der Bordsteinkante auf die Straße, und er landete auf mir. Mein Rücken knallte auf den Asphalt. Dann schlug mein Kopf auf. Dong! Der Aufprall schüttelte mein Hirn durch. Kurz blitzten Sterne vor meinen Augen auf.
Kirkus rollte sich von mir herunter. Auf Händen und Knien sah er auf mich herab und keuchte: »Alles in Ordnung?«
Ich stöhnte.
»Oh mein Gott.«
»Ich werd’s überleben«, nuschelte ich.
»Was hab ich nur angerichtet?«
»Mach dir keine Sorgen. Hilf mir … einfach auf.«
»Nein, nein, du solltest dich nicht bewegen. Ich rufe einen Krankenwagen.«
»Nein. Mir geht’s gut.«
»Du könntest eine Gehirnerschütterung haben oder …«
Ich griff nach seinem Arm und packte fest zu. »Hilf mir einfach auf. Es wird schon gehen. Ich bleib ganz sicher nicht … hier liegen, während du … losläufst, um einen Krankenwagen zu rufen. Ich will nicht, dass sie mich kriegen.«
»Sie scheinen ziemlich … widerwärtig zu sein.«
»Wir müssen abhauen.«
Er hob den Kopf und blickte sich um. »Vielleicht hast du Recht.«
Ich ließ seinen Arm los und stützte mich auf die Ellbogen. Mein Kopf tat weh und fühlte sich zu schwer für meinen Hals an, aber er schien nicht zu bluten. Zumindest lief mir kein Blut ins Gesicht oder in den Nacken.
Ich drehte langsam meinen Kopf. Ein Auto näherte sich, war aber noch ein paar Kreuzungen entfernt. Keine Spur von den Leuten unter der Brücke.
Kirkus hockte sich hinter mich, griff mir unter die Achseln und half mir, mich aufzusetzen. Dann hielt er mich fest, während ich mühsam auf die Beine kam.
»Danke«, sagte ich.
Er hielt mich immer noch.
»Du kannst loslassen.«
»Fällst du auch nicht um?«
»Wir müssen von der Straße runter.«
Er trat neben mich und umklammerte meinen linken Oberarm. Ich taumelte von der Straße auf den Bürgersteig. Mit der freien Hand betastete ich meinen Hinterkopf. Dort war eine dicke Beule. Als ich sie berührte, zuckte ich vor Schmerz zusammen.
Das Auto hatte beinahe die Brücke erreicht.
»Mann oder Maus«, murmelte ich.
»Bitte?«
»Nichts.« Sofort wünschte ich, ich hätte das Spiel nicht erwähnt. Es gehörte Casey und mir, und ich kam mir schäbig vor, weil ich in Kirkus’ Gegenwart davon gesprochen hatte.
Der Wagen kam näher. Im Scheinwerferlicht musste ich die Augen zusammenkneifen. Ich sah zur Seite. Das Auto fuhr vorbei.
Kirkus hielt weiter meinen Arm fest, drehte mich nach Süden und führte mich. Nach ein paar Schritten bemerkte ich, was vor sich ging. »Hey«, sagte ich. »Brr, stehen bleiben.«
Er zog mich weiter vorwärts.
»Falsche Richtung«, sagte ich.
»Ich bringe dich nach Hause.«
»Nein. Ich geh nicht zurück.«
»Ich muss darauf bestehen, alter Knabe. Du bist nicht in der Verfassung, irgendwohin zu wandern, und schon gar nicht zu einem Donutshop am Ende der Welt.«
Ich riss mich los.
»Edward!«
Ich schlängelte mich an ihm vorbei und ging nach Norden. Natürlich lief er mir hinterher. Ohne mich umzublicken, hob ich die Hände und sagte: »Fass mich nicht an.«
»Bitte. Mach jetzt keine Dummheiten.«
Er griff nach meinem Arm, aber ich stieß seine Hand weg. »Leg dich nicht mit mir an!« Ich ging so schnell ich konnte, obwohl bei jedem Schritt Wellen des Schmerzes durch meinen Nacken in den Kopf fuhren.
Kirkus blieb ein paar Schritte hinter mir. Auch als wir die Brücke überquert hatten, ging ich nicht langsamer. »Das ist verrückt«, sagte er. »Du kannst nicht einfach fröhlich weitergehen, obwohl du verletzt bist.«
»Wegen dir«, erinnerte ich ihn.
»Es war deine Schuld. Du hättest mich springen lassen sollen.«
»Du bist nicht gesprungen, du bist gefallen. Und diese Kerle da unten haben nur darauf gewartet.«
Eine Zeit lang sprachen wir nicht. Kirkus blieb einfach still hinter mir, während ich nach Norden ging. Ein paar Straßen weiter sagte er: »Ich sollte dir wohl dankbar sein.«
»Mach dir darüber keine Gedanken.«
Er beschleunigte seine Schritte, schloss zu mir auf und legte eine Hand auf meinen Rücken. »Du hast mir das Leben gerettet, Eddie.«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Und jetzt bist du verletzt, und es ist meine Schuld.«
»Sieht so aus.«
»Es tut mir leid.«
»Hey«, sagte ich, »ist schon gut. Okay?«
»Ich schulde dir mein Leben.«
»Du schuldest mir gar nichts.«
»Doch. Schon. Nicht nur, weil du mich gerettet hast, sondern auch, weil du dich genug um mich gesorgt hast, um mich zu retten. Du hast dich um mich gesorgt. Es hat sich noch nie jemand um mich gesorgt.«
»So sehr sorge ich mich nun auch wieder nicht.«
Er lachte leise und tätschelte meinen Rücken. »Genug, um mich vom Rand des Abgrunds zurückzuzerren.«
»Vergiss es, ja?«
»Ich werde es niemals vergessen.«
»Dann tu mir bloß einen einzigen Gefallen«, sagte ich.
»Alles, was du willst.«
»Versuch so was nie wieder. Beim nächsten Mal lass ich dich fallen.«
Wieder klopfte er mir auf den Rücken. »Ach, Eduardo, du bist so ein harter Bursche.«
»Hände weg, ja?«
Er hörte auf, mich zu tätscheln, doch seine Hand blieb auf meinem Rücken. »Wie geht’s dem Kopf?«
»Nicht besonders.«
»Soll ich ihn küssen, damit es besser wird?«
»Nein.«
Er kicherte. »Das habe ich befürchtet.«
»Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen, Kirkus.«
»Was kannst du nicht gebrauchen, alter Knabe?«
»Ich bin nicht in der Stimmung, dich andauernd zurückweisen zu wollen.«
»Dann lass es.«
Ich wirbelte herum und schlug seine Hand von meinem Rücken. »Hör einfach auf! Fummel nicht an mir rum! Hör auf zu flirten! Ich kann das nicht ausstehen. Lass mich verflucht nochmal einfach in Ruhe.«
»Ach du meine Güte.«
»Weißt du was?«
»Ich nehme an, du wirst es mir verraten.«
»Es gäbe eine geringe Chance auf Freundschaft, wenn du aufhören würdest, dich die ganze Zeit wie eine Schwuchtel zu benehmen.«
»Oh je, wir sind ja ganz aufgelöst.«
»Lass mich einfach in Ruhe. Geh nach Hause.« Ich drehte mich um und ließ ihn stehen.
Er lief mir hinterher.
»Verschwinde. Ich hab die Schnauze voll von dir. Hau ab und geh jemand anderem auf die Nerven.«
»Na schön.«
»Gut.«
Er blieb stehen. »Vielleicht wecke ich Eileen und nerve sie.«
Ich stoppte ebenfalls und sah ihn an. »Lass Eileen aus dem Spiel.«
»Du willst wohl nicht, dass Eileen was von deinem … seltsamen kleinen Abenteuer mitbekommt. Warum genau hast du dich eigentlich aus deiner Wohnung geschlichen? Erzähl mir nicht, dass du nur auf der Suche nach Donuts bist. Selbst wenn ich so leichtgläubig wäre, dir einen derartigen Schwachsinn abzukaufen, bezweifle ich, dass Eileen das auch tut. Sie wird wohl das Schlimmste annehmen.«
»Ich hätte dich fallen lassen sollen.«
»Jetzt sei nicht so mürrisch. Eileen muss nichts davon erfahren.« Grinsend kam er auf mich zu. Er blieb vor mir stehen und klopfte mir auf die Schulter. »Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben«, sagte er. »Soll ich immer noch abhauen?«
»Erpressung scheint ein Hobby von dir zu sein.«
»Ich würde es lieber Überzeugungskraft nennen.«
Gemeinsam machten wir uns wieder auf den Weg nach Norden.
»Ist der Herbst nicht herrlich?«, fragte Kirkus nach einer Weile. »Der frische kühle Wind, die wehenden Blätter? Der Geruch von Holzrauch in der Luft?«
»Wirklich überwältigend«, sagte ich.
»Oje, du bist frustriert.«
»Ich wollte nichts als einen Spaziergang machen.«
»Ich weiß, ich weiß. Und du gehst ja auch spazieren.«
»Aber nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.«
»Es ist viel besser«, sagte er. »Ich leiste dir Gesellschaft.«
»Ob ich will oder nicht.«
»Natürlich willst du. Du bist nur zu plebejisch, es zuzugeben.«
»Ja, klar.«
»Streite es ruhig ab. Wir wissen beide, dass du mich anziehend findest. Tief im Inneren begehrst du mich. Der Gedanke, mich zu küssen, lässt dein kleines Herz höher schlagen.«
»Bei dem Gedanken, dich zu küssen, wird mir schlecht.«
»Sollen wir es ausprobieren?«
Mein Herz schlug nicht höher, es blieb fast stehen.
»Denk nicht mal dran«, sagte ich.
»Ein kleiner Kuss. Ich weiß, dass du es willst.«
»Nein.«
Er drängte mich vom Bürgersteig. Mit beiden Händen drehte er mich zu sich und schob mich mit dem Rücken gegen einen Baum.
»Nicht.«
»Es wird dir gefallen. Ich weiß es.«
»Nein.«
»Doch.« Sein Gesicht kam näher. »Doch«, sagte er noch einmal.
Ich drehte meinen Kopf zur Seite.
Seine Lippen strichen über meine Wange. »Nur einen Kuss«, sagte er.
»Nein.«
»Du willst doch, dass ich gehe, oder?«, flüsterte er. »Ich gehe, wenn du mich küsst. Ich lass dich allein und laufe nicht zu Eileen. Ich gehe in meine Wohnung, du kannst deine heimliche Flamme treffen, und niemand wird je erfahren, dass irgendwas geschehen ist.«
»Ich habe keine heimliche Flamme.«
»Lügen haben kurze Beine.«
»Und ich werde dich nicht küssen.«
»Hast du Angst, es könnte dir gefallen?«
»Leck mich.«
»Klar, wenn dir das lieber ist.« Mit einer Hand drehte er mein Gesicht zu sich, dann drückte er seinen Mund auf meinen. Ich kniff die Lippen zusammen. Stöhnend versuchte er, seine Zunge in meinen Mund zu schieben. Dann spürte ich, wie er mit der anderen Hand meinen Schritt streichelte.
Meine Faust traf ihn am Solarplexus. Sein Atem zischte gegen meinen Mund, und er klappte vornüber. Rückwärts stolperte er quer über den Bürgersteig und landete mit dem Hintern in einem Vorgarten. Dort blieb er sitzen, umklammerte seinen Bauch und keuchte.
»Du hast deinen Kuss bekommen«, sagte ich. »Jetzt geh nach Hause.«
Er hob nicht einmal den Kopf.
Mit dem Handrücken wischte ich meinen Mund ab, dann drehte ich mich um und rannte davon. Am Ende des Häuserblocks warf ich einen Blick zurück. Er kauerte auf allen vieren auf dem Bürgersteig und sah mir hinterher.
Finster
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